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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Hausbrände und Diskriminierung töten in Paris – Es ist ein klarer Fall: Die Opfer sind schuld. Bekämpft werden müssen die Armen, nicht die Armut.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August brannte ein Wohnhaus am Boulevard Vincent-Auriol im südlichen Zentrum von Paris. Der Brand forderte 17 Tote, darunter 14 Kinder; Es handelte sich um ein sechsstöckiges Wohnhaus, in dem die Stadt Paris rund 150 Personen, überwiegend afrikanischer Herkunft, „provisorisch“ untergebracht hatte. Das Provisorium dauerte für viele der betroffenen Familien seit – 1991. Damals hatten, beginnend am 13. Juli, dem Vorabend des französischen Nationalfeiertags, rund 300 Leute (vorwiegend maghrebinische und schwarzafrikanische Einwanderer) die Riesenbaustelle der jetzigen Bibliothèque Nationale de France – der größten Bibliothek Europas – besetzt. Vier Monate lang lebten sie dort in Zelten auf dem Gelände, unterstützt von Wohnrauminitiativen wie dem kämpferischen DAL (gesprochen „Dall“; von „Droit au logement“, der Name bedeutet „Recht auf eine Wohnung“). Am Ende waren die Leute „vorübergehend“ in Notunterkünften, die der Stadt Paris gehörten, untergebracht worden. Ein Jahr später fand übrigens erneut eine noch größere Besetzung statt, 1.400 Menschen – meistens afrikanische Familien – campierten in ausrangierten US-Armeezelten vor dem Schloss von Vincennes, vor den Toren von Paris. Dieses mal ließ der Pariser Polizeipräfekt die Zeltstadt jedoch, Ende Oktober 1992, gewaltsam auflösen.
Der Innenminister im Einsatz gegen die Opfer
Letztere Behauptung ist freilich Mummpitz, denn den Polizeidiensten ist sehr wohl die – ungefähre – Anzahl so genannt „illegaler“ Einwanderer und ihre räumliche Verteilung bekannt. Die Staatsorgane sind sehr genau darüber unterrichtet, dass bestimmte Wirtschaftszweige (Gebäudereinigung, Teile des Baugewerbes usw.) in weiten Teilen auf „illegalen“ und deshalb besonders prekarisierten und billigen Arbeitskräften basieren, ohne die sie in ihrer jetzigen Form zusammenbrechen würden. Der Staat interveniert in der Regel, wenn ein „Überangebot“ an illegalisierten Arbeitskräften besteht, um einen Teil der „Überflüssigen“ abzuräumen und in ihre Herkunftsländer zurück zu verfrachten. Am vorigen Dienstag erklärte Sarkozy in diesem Kontext, er habe die ihm untergebenen Polizeidienste angewiesen, „all diese besetzten Häuser und all diese Gebäude zu räumen, um weitere Dramen zu verhindern“. Angeblich, um die potenziell gefährdeten Menschen darin zu schützen. Der brisante Punkt liegt freilich in der Frage, ob den von Räumungen betroffenen Personen oder Familien Ersatzwohnraum angeboten wird oder nicht. Darin liegt die Crux so mancher (pseudo-)humanitärer Politik, die sich darauf beruft, man wolle doch endlich den schrecklichen Wohnraumbedingungen an manchen Orten ein Ende bereiten. Beispielsweise in der Politik des aktuellen Arbeits- und Sozialministers Jean-Louis Borloo: Er möchte in den kommenden fünf Jahren erklärtermaßen 25.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau (HLM) abreißen und zerstören, um den schlechten Konditionen in den Wohnblöcken und Plattenbauen mancher Pariser Trabantenstädte ein Ende zu bereiten. Rein theoretisch ein löbliches Vorhaben – aber die entscheidende Frage lautet, wo dann der damit wegfallende Wohnraum ersetzt wird. Die Antwort der Regierung lautet: Irgendwo, noch weiter draußen aus dem Pariser Ballungszentrum oder in der „Provinz“ – aber bitte nicht in Paris und auch nicht vor seinen Toren!
In der jetzigen Krise, die durch die Katastrophen von Ende August ausgelöst wurde, reagieren die Stadt Paris und der französische Staat auf unterschiedliche Weise. Das Rathaus der Hauptstadt hat angekündigt, allen von Brandkatastrophen Betroffenen – demnach also auch jenen ohne gültige Aufenthaltspapieren, wie implizit aus der Ankündigung hervor geht – neuen Wohnraum zu beschaffen. Die 133 Überlebenden des Hauses am Boulevard Vincent-Auriol waren am vergangenen Wochenende tatsächlich alle untergebracht, sie sind aber überwiegend „legale“ Einwanderer. Für die ehemaligen Bewohner der rue du Roi-Doré, die hingegen in „illegaler“ Situation sind, bleibt die Regelung abzuwarten. Die Stadt hat einige Unterbringungen an den Rändern von Paris angeboten, aber die Familien bestehen darauf, in ihrem bisherigen Wohnviertel zu bleiben. Der Hintergrund liegt darin, dass sie vermeiden wollen, dass ihre Kinder künftig in „Ghettoschulen“ gehen müssen und damit keine wirkliche Zukunft haben. Einige Schulen in den Randbezirken von Paris sind als „Ghettoschulen“ abgestempelt, und wer dort einen Abschluss macht und gleichzeitig schwarz ist, dürfte tatsächlich relativ geringe Chancen in der Gesellschaft haben. „Viele der Frauen aus dem Haus arbeiten als Putzfrauen in der Nachbarschaft, haben soziale Kontakte im Bezirk geknüpft und kennen Eltern oder Lehrer“ berichtet etwa „Libération“. *Dagegen hat die französische Zentralregierung, und allen voran ihr Law and Order-Minister Sarkozy, kein Sterbenswörtchen über eine mögliche Unterbringung der von Katastrophen oder Räumungen betroffenen Familien verloren. Um den Applaus des rassistischen Teils der Wählerschaft bemüht, betont Sarkozy allein den repressiven Aspekt seiner Ankündigung, Die Polizeipräfektur, die Innenminister Sarkozy unterstellt ist, kündigte am vorigen Donnerstag bereits an, eine Liste der 60 gefährdesten Objekte erstellt zu haben. Diese sollen nunmehr rasch geräumt werden. Und den Worten folgten Taten: Am vergangenen Freitag um 7 Uhr morgens rückten Großaufgebote der Pariser Polizei im nordöstlichen 19. Arrondissement sowie im südlichen 14. Bezirk der Hauptstadt an. Im Norden räumten sie ein ehemaliges Zentrum für Behinderte, das seit vier Jahren aufgegeben und durch afrikanische Familien besetzt worden war. Ausgerechnet im Dreieck der Straßen, die „rue de la Fraternité“, „rue de la Liberté » und „rue de la Solidarité » heißen – das besetzte Gebâude lag in der erstgenannten, der „Straße der Brüderlichkeit“ – rissen die Beamten die Familien aus ihren Betten, es kam zu gewaltsamen Übergriffen. Es wäre der erste Schultag für die Kinder gewesen, der damit ausfallen musste. Der offizielle Vorwand, es habe sich um ein gefährliches Objekt gehandelt, ist in diesem Fall offenkundig fadenscheinig: Im vorigen Jahr waren, im Einvernehmen mit dem sozialdemokratisch regierten Bezirksrathaus, einige Arbeiten an dem Gebäude durchgeführt worden, um Risiken etwa im Hinblick auf elektrische Leitungen auszuschalten. Für das Frühjahr 2006 war – so die Vereinbarung zwischen Bezirksrathaus und Solidaritätsorganisationen – geplant gewesen, die rund 70 Personen in andere Wohnungen umzusiedeln, um Instandsetzungsarbeiten vornehmen zu können. Alle ernsthaften Probleme war also dabei, geregelt zu werden. Aber das Gebäude war aus anderen Gründen wohl Leuten aus dem Staatsapparat ein Dorn im Auge. Einmal wöchentlich traf sich hier, und das dürfte bekannt gewesen sein, die Solidaritätskoordination für die Sans papiers (illegalisierte Einwanderer) des 19. Arrondissements. Ferner hatte ein Immobilienspekulant das Gebäude seit 2003 aufgekauft – und der konnte nun seine finanziellen Interessen geltend machen, er hatte im übrigen auch die Justiz angerufen. Die afrikanischen Familien wurden im Laufe des gezwungen, ihre Sachen in Müllsäcke und notdürftige Kartons zu verpacken. Jedoch erwiesen sich viele Bewohner der Nachbarschaft solidarisch, einige boten den Afrikanern etwa an, die Sachen, die sie nicht unmittelbar mitnehmen könnten, in ihren Garagen abzustellen. Die 70 betroffenen afrikanischen Erwachsenen und Kinder campieren nunmehr seit Freitagabend Zelte im Park am nahe gelegenen Boulevard d’Algérie, am Pariser Stadtrand. Unterstützung erhielten sie von Wohnrauminitiativen, Antirassismusgruppen, KP, Grünen, undogmatischen Trotzkisten. Auch sozialdemokratische Hochschullehrerinnen aus der unmittelbaren Nachbarschaft engagierten sich aktiv. Die Pariser Stadtverwaltung hat jetzt angekündigt, jenen 18 Familien unter den Betroffenen, die über Aufenthaltserlaubnisse verfügen, neuen Wohnraum zu besorgen. Die nähere Zukunft wird zeigen, ob es zu größeren Solidaritätsbekundungen kommt. Am vorigen Samstag demonstrierten 8.000 bis 10.000 Menschen aus der gesamten Linken (links von der Sozialdemokratie), Solidaritätsvereinigungen, Antirassismus- und Wohnrauminitiativen vom Boulevard Vincent-Auriol bis zur Place de la République auf der anderen Seine-Seite. Angesichts der Tatsache, dass die Demonstration innerhalb von drei Tagen vorbereitet worden war, ein beachtlicher Erfolg. Der Versuch eines Teils der DemonstrantInnen, bis zu dem Park im 19. Arrondissement vorzudringen, in dem die zwangsgeräumten Familien campieren, wurde durch massiven Polizeieinsatz vereitelt. Post scriptum: Die französische Volkszählung von 1990 hatte ergeben, dass es 118.000 leerstehende Wohnungen in Paris (und frankreichweit 1,9 Millionen) gebe. Die letzte Statistik aus dem Jahr 2001 weist allein für das Pariser Stadtgebiet 136.000 leer stehende Wohnungen aus. Nach einer Verordnung aus dem Jahr 1945 könnte die Regierung - theoretisch - Wohnraum, der etwa zu Spekulationszwecken durch seine Eigentümer leer gelassen wird, legal beschlagnahmen. Bernhard Schmid (Paris), 05. September 2005 mit Fotos von der Demonstration in Paris am 03.09.2005 |