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Updated: 26.03.2007 13:57

Paris : Strafverfahren gegen Direktorin eines Kindergartens und SUD-Gewerkschafterin wegen Sans papiers-Solidarität – Breite Empörung und Protestaktionen

Die Affäre zieht immer breitere Kreise: Am vergangenen Freitag wurde die Direktorin des Kindergartens in der rue Rampal im Pariser Nordosten, im Stadtteil Belleville, Valérie Boukobza, sieben Stunden lang in Polizeigewahrsam genommen und verhört. Ursprünglich war sie als Augenzeugin zum Kommissariat des 19. Bezirks vorgeladen, um über die Ereignisse vom Dienstag auszusagen, bei denen es zu heftigen Reibereien zwischen Eltern des Kindergartens und Polizeikräften gekommen war (s.unten). Doch die Vorladung zur vermeintlichen Zeugenaussage entpuppte sich als Falle, die ihr gestellt worden war. Von 9.10 Uhr bis 16.15 Uhr wurde sie unter Anklage verhört. Vorgeworfen wird ihr „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „in Gemeinschaft begangene Beschädigung öffentlichen Eigentums“, da sie angeblich dabei gewesen sein soll, als auf das Dach eines Polizeiautos geklopft wurde.

Im Hintergrund stehen folgende Ereignisse: Am Montag und Dienstag vergangener Woche kam es zu Festnahmen von Sans papiers („illegalen“ Einwanderern) in unmittelbarer Nähe des Kindergartens in der rue Rampal. Der Stadtteil Belleville wird seit Monaten häufig zum Ziel von gezielten Festnahmeaktionen gegen Sans papiers, die durch Kritiker als „rafles“ (in Anlehnung an die Razzien und Massenfestnahmen im besetzen Frankreich im Zweiten Weltkrieg) bezeichnet werden. In der Regel werden dabei Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer vermutlichen geographischen Herkunft willkürlich aufgegriffen, um ihre Personalien festzustellen, auch wenn Kontrollen aufgrund „ethnischer“ oder „rassischer“ Kriterien im Prinzip nach französischem Gesetz absolut rechtswidrig sind. Oftmals richten sich die „Razzien“ gezielt gegen Personen bestimmter Nationalität oder jedenfalls von einem bestimmten Kontinent, da es dabei anscheinend darum geht, bei Abschiebeflügen die Flieger voll zu bekommen. So ging es zu Anfang voriger Woche offenkundig darum, Asiaten – insbesondere Chinesen – mit „illegalem“ Aufenthalt aufzugreifen.

Am Montag vergangener Woche wurde so eine Chinesin festgenommen, die ihre Nichte von der Schule abholen wollte. Nach halbstündigen Verhandlungen zwischen der Leiterin des Kindergartens, Valérie Boukobza, kam sie jedoch frei. Am folgenden Tag führten Polizeikräfte um die Zeit des Unterrichtssschlusses im Kindergarten eine Durchsuchungsaktion im direkt daneben gelegenen Café „Le petit Rampal“ durch. Angeblich ging es dabei darum, Messer und Drogen zu finden und zu beschlagnahmen. Nur, es wurden keine gefunden, wohl aber wurde „bei dieser guten Gelegenheit“ ein älterer Mann chinesischer Herkunft festgenommen, der sich in oder neben dem Café befunden hatte und der keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzt. Er hatte seinerseits seine beiden Enkelkinder vom Kindergarten abholen wollen.

Aber dann passierte es: Dutzende von Eltern stellten sich dazwischen, forderten die Freilassung des Festgenommenen und hinderten die Polizeifahrzeuge am Abfahren (vgl. das achtminütige Amateurvideo externer Link). Mehrere Personen legten sich vor dem Polizeiauto, in dem der Einwanderer saß, quer über die Straße und wurden auf zum Teil ziemlich unsanfte Weise durch die Beamten geräumt. Dabei griffen die entnervten Beamten auch zum Knüppel, drohten damit, ihre beiden Hunde ohne Maulkorb auf die Menge loszulassen, und setzten (was auf dem Video nicht zu sehen ist) auch Tränengas ein – pünktlich zu dem Zeitpunkt, als die Kinder aus dem Kindergarten zu strömen anfingen. Mehrere Kinder bekamen Tränengas ab und/oder stehen aufgrund der für sie traumatisierenden Bilder unter Schock.

Valérie Boukobza, die Leiterin des Kindergartens, befand sich zu dem Zeitpunkt im Inneren und öffnete unter dem Eindruck des Geschehens erneut die Türen, um die Kinder wieder hinein zu lassen. Anscheinend stellte sich sie bei den Ereignissen auch zwischen die Polizisten und die Protestieren. Auf jeden Fall wird ihr dies nun zum Vorwurf gemacht.

Alle Lehrergewerkschaften, darunter die beiden größten Verbände (FSU und UNSA-Education) sowie die linke Basisgewerkschaft SUD Education, welcher Valérie Boukobza angehört, protestieren energisch gegen das Vorgehen der Polizei. Bereits während ihres Verhörs am Freitag versammelten sich rund 100 Personen, darunter viele Lehrergewerkschafter/innen, vor dem Kommissariat im 19. Pariser Arrondissement. Am heutigen Montag Abend findet darüberhinaus eine Protestkundgebung (vgl. den Aufruf dazu: Appel à rassemblement devant le Rectorat à Paris Lundi 26 à 18h externer Link pdf-DAtei) vor dem Pariser Rektorat im 5. Bezirk statt, wo die Vorgesetzten von Valérie Boukobza sitzen, die bisher nicht Stellung zu der Affaire nehmen mochten. Falls die Dame in dem Strafverfahren, das gegen sie aufgenommen zu werden droht, verurteilt werden sollte, dann droht ihre die Ablösung von ihrem Posten durch das Rektorat.

Auch die Politik reagierte überwiegend mit Empörung auf diese Ereignisse in unmittelbarer Nähe zu einem Kindergarten und das polizeiliche Vorgehen gegen Leiterin und Eltern. „Mit Ausnahme des (rechtsextremen) Front National und der (konservativen Regierungspartei) UMP“, so die Formulierung der bürgerlichen Sonntagszeitung JDD/ Journal du dimanche , solidarisierten sich alle politischen Kräfte mit den Betroffenen. Von der radikalen Linken (siehe auch das Pressekommuniqué der LCR externer Link) vom Freitag bis hin zum christdemokratischen Zentrumspolitiker und Präsidentschaftskandidaten François Bayrou – der erklärte, das von ihm gewünschte „Frankreich sieht nicht so aus“ wie der Polizeieinsatz vom letzten Dienstag – verurteilten unterschiedliche politische Vertreter das Vorgehen der Uniformierten.

Der sozialdemokratische Bezirksbürgermeister des 19. Arrondissements, Roger Madec, und sein Parteikollege auf dem Oberbürgermeistersessel von Paris – Bertrand Delanoë – kritisierten den Polizeieinsatz vor einem Kindergarten. Delanoë bot Madame Boukobza an, ihr die Dienste von Maître Bourdon (eines prominenten linken Anwalts) zu bezahlen.

Der heute vormittag „endlich“ (aufgrund des näherrückenden Wahltermins) aus dem Amt geschiedene Innenminister und konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy hat am Freitag/Samstag das Vorgehen der Polizei verteidigt. „Es ist interssant zu beobachten, dass die Linke mich immer dann auffordert, eine Entscheidung der Justiz nicht zu respektieren, wenn sie ihnen nicht passt“ kommentierte Sarkozy von den französischen Antilleninseln aus, wo er sich zu Wahlkampfzwecken aufhielt. Dass es sich um eine „Justizentscheidung“ handele, die dem Polizeieinsatz zugrunde liege, wurde am Sonntag im ‚Journal du dimanche' durch die Pariser Staatsanwaltschaft freilich dementiert: Man habe die Durchsuchung im Café (und die Verhaftung des Sans papiers im Anschluss daran) nicht angeordnet, sondern lediglich „autorisiert“. Das „Bitte nicht vor den Wahlen…“bedeutet wohl, dass sie der Polizei einen Blankoscheck für Einsätze in einer bestimmten Zone erhielt, die sie für nahezu beliebige Aufgriffe nutzen kann… Nichtsdestotrotz hat Sarkozy, trotz seine prinzipiellen Verteidigung des Einsatzes, auch schon zurückzurudern begonnen. Am Freitag ordnete er ebenfalls an, dass keine Polizeieinsätze zur Verhaftung von Sans papiers mehr „in oder vor einem Schul- (oder Kindergarten)gebäude“ erfolgten dürften.

Den Autor der nebenstehenden Karikatur veranlasst dies allerdings zu Misstrauen. Ihm zufolge bedeutet diese relative Zurückhaltung nur so viel wie: „Bitte nicht vor den Wahlen…“

 

Bernhard Schmid, Paris, 26.03.2007

Anlagen


LE MRAP DENONCE L¹ESCALADE DANS LES RAFLES CONTRE LES SANS PAPIERS

Le MRAP se déclare scandalisé par le placement en garde à vue de Madame Valérie Boubozka, directrice d`une école maternelle dans le quartier de Belleville, à Paris . Il demande qu¹aucune charge ne soit retenue à son égard. Madame Boubozka a été mise en garde à vue puis relâchée dans la journée de vendredi, pour s`être interposée au moment de l`arrestation violente de parents d`élèves sans papiers.

Au début de la semaine, lundi et mardi, des interpellations de parents d`élèves « au faciès », ciblant exclusivement des personnes d`origine asiatique, ont eu lieu dans le sud du 19e arrondissement de Paris. Les personnes arrêtées ont cependant été relâchées sous la pression des autres parents d`élèves. La solidarité a pu ainsi payer. Devant l`école maternelle de la rue Rampal, près du Métro Belleville, la police est intervenue mardi soir au moment de la sortie des enfants en faisant usage de matraques et de gaz lacrymogènes, et deux chiens ont été lâchés sur la petite foule devant le café « Le petit Rampal » proche de l`école. Des enfants ont été traumatisés et ont inhalé du gaz lacrymogène. De nombreux parents d`élèves se sont interposés, tentant d`empêcher le départ des voitures de police. La directrice d`école, qui a soutenu les parents et a permis aux enfants de retourner dans le bâtiment aux moments des heurts pour les protéger, se voit aujourd`hui reprocher d`avoir commis les délits de « rébellion » et de « degradation de bien public en réunion ». Ces reproches sont dérisoires et doivent être retirés, selon le MRAP.

Madame Boubozka a été convoquée vendredi matin au commissariat de la rue Eric Satié, dans le 19e arrondissement de Paris, pour témoigner sur ces faits. Mais la convocation a fonctionné comme un « piège », la déposition de son témoignage se transformant en garde de vue. L`intéressée a pu sortir du commissariat vendredi peu avant 16 heures.

De nombreux parents d`élèves prévoient de porter plainte devant l`IGS (Inspection générale des services), lundi matin, pour les violences policières du mardi. Le maire du 19e arrondissement, Roger Madec, a d`ailleurs demandé dans un communiqué au ministre de l`Intérieur « de faire cesser le harcèlement, les contrôles au faciès et les interpellations humiliantes sans justification ». A leur tour, les syndicats d`enseignants dont les deux principales fédérations de l¹Education nationale, la FSU et l`UNSA-Education, ont critiqué les récentes opérations policières à proximité ou dans l`enceinte d`établissements scolaires.

Le MRAP soutient l`ensemble de ces protestations, et dénonce le comportement des forces de police allant jusqu`à mettre en cause le bien-être des enfants scolarisés.

Paris , le 23 mars 2007

Mouvement contre le Racisme et pour l'Amitié entre les Peuples

43 bd Magenta - 75010 Paris


Message de Valérie Boukobza, Paris le 26 mars 2007

Communiqué

Ce que nous avons fait mardi dernier rue Rampal, beaucoup d'autres l'auraient fait de la même manière.

Il ne s'agit là, que du devoir de protection des enfants et de leurs familles et de celui de résistance pacifique à une forme d'oppression.

En ce qui me concerne, mes actes et mes choix de citoyenne ne different pas en l'occurrence de mes obligations de fonctionnaire et ne se limitent pas aux heures d'ouverture et de fermeture des bâtiments. Tous les parents et les enseignants le savent. Je ne considère pas avoir outrepassé mon devoir de discrétion.

Je me suis présentée aux représentants de la force publique en indiquant ma fonction, dans le but de ramener le calme et la raison dans une situation qui me semblait pouvoir conduire à des débordements impliquant les enfants et leurs familles.

Evidemment je ne regrette rien, et j'attends sereinement les suites de l'enquête en cours.

Je remercie le très grand nombre de citoyens, collègues, parents d'élèves et d'organisations syndicales, politiques, associatives du soutien qui nous est manifesté. Je continuerai à décliner toute proposition d'intervention publique, de manière à ne pas personnaliser une situation qui depuis son commencement ne l'est pas, et pour permettre dès aujourd'hui un retour à la sérénité dans ma communauté scolaire.

Valérie BOUKOBZA


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