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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Präsident Sarkozy posaunt neuen "Plan für die Banlieues" hinaus / Sensationell neue Methode erfunden: Problembewältigung ganz ohne Geld! Leicht überarbeitete Fassung eines Artikels von Bernard Schmid, der in der Nacht vom Sonntag zum Montag,11.02.2008, im Internetmagazin ,telepolis' erschien "Kann Sarkozy die Banlieues heilen?" ( Sarkozy peut-il guérir les banlieues?) So lautet der etwas merkwürdig anmutende Titel einer Debatte, die an diesem Montag in einem Theater auf den Champs-Elysées stattfinden wird - als ob es sich beim Präsidenten um einen Wunderheiler, oder bei der Problematik der französischen Trabantenstädte um eine Krankheit handeln würde. Für einen stolzen Eintrittspreis von 15 Euro, den sich mutmaßlich kaum ein Bewohner der sozialen Krisenzonen in den Banlieues würde leisten können, dürfen die zahlenden Zuschauer einer Reihe als hochkarätig geltender Gäste zuhören. Zu ihnen zählen die Staatssekretärin für "Stadtpolitik" - die in Wirklichkeit auf die Vorstädte spezialisiert ist - Fadela Amara, der frühere konservative Städtebauminister Eric Raoult, ein kommunistischer Banlieue-Bürgermeister aus der Nähe von Lyon (André Gérin, Stadtoberhaupt von Vénissieux) und mehrere Soziologen. Veranstalter sind, wie bei diesen Montagsdebatten am "Kreisel" auf den Champs-Elysées üblich, die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' und die Theaterleitung gemeinsam mit einem Meinungsforschungsinstitut. Ob die Politik von Staatspräsident Nicolas Sarkozy etwas zugunsten der Einwohnerschaft in den französischen Banlieues wird ausrichten können - das entscheidet sich freilich nicht in solch vornehmer Umgebung, inmitten eines der reichsten Bezirke der französischen Hauptstadt, im 8. Pariser Arrondissement. Es wird an jenen Menschen in den früheren Arbeitervorstädten und jetzigen sozialen "Notstandszonen", die am Montag - wenn überhaupt - nur in geringer Zahl zugegen sein dürften, liegen, längerfristig über den Erfolg oder Misserfolg dieser Politik zu befinden. Allerdings hatte das Staatsoberhaupt am vergangenen Freitag selbst den Elysée-Palast, und damit einen Ort in ebendiesem 8. Arrondissement und unweit der Champs-Elysées, ausgewählt, um seinen "Plan Hoffnung für die Banlieues" vor rund 1.000 geladenen Gästen zu verkünden. (Vgl. die Rede Sarkozy ) "Pläne für die Vorstädte" sind nun beileibe keine neue Erscheinung. 15 Jahre ist es nun her, dass ein ministerielles Ressort im französischen Kabinett erstmals auf den euphemistischen Namen "Stadtpolitik" ( politique de la ville ) getauft worden ist. Es ging schon damals darum, die Krisenphänomene und sozialen Verwerfungserscheinungen - die sich in den Trabantenstädten der französischen Ballungszentren auf engem Raum konzentrieren und dadurch dem Betrachter wie durch ein Brennglas ins Auge fallen - zu bewältigen oder zumindest einzudämmen. Erstmals wurde dieses Ministerium 1992 mit dem Populisten, politischen ,Sunny Boy' und Präsidenten des Fußballclubs OM (Olympique de Marseille) Bernard Tapie besetzt, den der damalige Präsident François Mitterrand einmal als seine "Geheimwaffe gegen Jean-Marie Le Pen" bezeichnete und anscheinend als eine Art Wunder-Problemlöser betrachtete. Allzu weit her war es freilich nicht mit den Fähigkeiten Tapies, der sich später in einem seiner sonstigen Leben als Millionenbetrüger und Pleiteunternehmer herausstellte. Doch seitdem stapeln sich die, in periodischen Abständen herausgegeben, "Pläne" und Lösungsvorschläge für die Misere in den Banlieues, so dass man inzwischen eine Bibliothek mit ihnen und den zu ihrer Ausarbeitung erstellten Untersuchungsberichten füllen könnte. Der neueste "Plan" führte allerdings zu einiger Verwirrung im Vorfeld. Denn noch bevor er am vergangenen Freitag offiziell vorgestellt wurde, führte er zu Ankündigungen und Dementis, zu verwirrendem Hin und Her im Regierungslager und zog zum Teil heftige Kritik aus den eigenen Reihen auf sich. Rivalitäten im (sicheren) Hinterland Ursprünglich sollte er am 22. Januar durch Staatssekretärin Fadela Amara in der Lyoner Vorstadt Vaulx-en-Velin vorgestellt worden. Diese Kommune gilt als ein relativ erfolgreiches "Laboratorium" bei dem Versuch, an den Krisenphänomenen in den Trabantenstädten zu arbeiten. 1990 fanden hier - nach gewaltsamen Zwischenfällen zwischen jugendlichen Bewohnern und der Polizei - sehr heftige Unruhen statt. 1995 wurde in einem Wald bei Lyon ein 25jähriger aus dieser Stadt mit Namen Khaled Kelkal durch Gendarmeriekräfte erschossen: Kelkal war dringend verdächtig, einer der "ausführenden Arme" bei den von algerischen islamistischen Terroristengruppen initiierten Bombenanschlägen in öffentlichen Verkehrsmitteln in Paris und Lyon zu sein. Doch später beruhigte sich die Lage vor Ort, Vaulx-en-Velin sorgte nicht für weitere Negativschlagzeilen. Heute gilt das Bemühen der reformkommunistisch geführten Stadtverwaltung unter Maurice Charrier, Sozialeinrichtungen und Arbeitsplätze aufzubauen, als vorbildlich. Fadela Amara wollte deswegen den neuesten Plan für die Vorstädte durch einen Auftritt an diesem Ort präsentieren - und ließ vorab durchblicken, auch Präsident Nicolas Sarkozy könnte daran persönlich teilnehmen. Aber dann herrschte plötzlich Unklarkeit auf der ganzen Linie. Seit Dezember wuchs die Kritik an dem, was Amara vorbereitete, aus dem konservativ-liberalen Regierungslager. Ihr Plan enthalte absehbar "nichts Neues" und sei eine Ansammlung hohler Allgemeinplätze, ließen Regierungspolitiker etwa über die Enthüllungszeitung ,Le Canard enchaîné' wissen. Dann schoss auch ihre vorgesetzte Ministerin, Christine Boutin, gegen die Pläne der Staatssekretärin quer. Acht Tage vor dem geplanten feierlichen Auftritt in Vaulx-en-Velin erklärte die für Wohnungsbau und Stadtpolitik zuständige Ministerin, sie "glaube nicht an einen Plan für die Banlieues". Stattdessen ziehe sie eine "Politik für die Städte" insgesamt vor. In der katholischen Tageszeitung ,La Croix' erklärte Madame Boutin: "Der ,Plan für Chancengleichheit' von Fadela Amara ist vorrangig auf die Banlieues ausgerichtet. Ich glaube (hingegen) an eine viel globalere Antwort in Form einer neuen Politik für die Stadt. Man wird nicht die Probleme der ,Quartiers' (Anm.: eine Chiffre für Armutsbezirke) durch einen x-ten Plan, der sich darauf beschränken würde, immer noch mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, lösen. Stattdessen ist eine räumliche, kulturelle, psychologische, wirtschaftliche Ent-Abkapselung (désenclavement) der ,Quartiers' nötig." Auch wenn Boutin kurz darauf dementierte, dass es Konflikte zwischen ihrer und ihrer Staatssekretärin gebe, zeichnete sich doch ein ernsthafter Dissens in der Sache ab. (Vgl. dazu ) Für die Auseinandersetzungen zwischen der Ministerin und ihrer Staatssekretärin waren sicherlich auch persönliche Unverträglichkeiten verantwortlich. Beide Frauen haben tatsächlich ein sehr unterschiedliches Profil: Fadela Amara verfolgte über viele Jahre hinweg eine politische Karriere bei der sozialdemokratischen Partei. Sie galt lange Zeit als die patentierte "Antifundamentalistin" der linksliberalen Öffentlichkeit, da sie - von 2003 bis zu ihrem Regierungseintritt im Juni 2007 an der Spitze der Frauenorganisation Ni Putes ni Soumises' (Weder Nutten noch unterwürfig) stehend - gegen frauenfeindliche Gewalt und reaktionäre Tendenzen, vor allem islamischer Provenienz und vor allem in den Unterschichtsbezirken, aktiv war. Kritikerinnen und Kritiker warfen ihr allerdings seit längerem vor, durch ihre Bündnisse auch mit konservativen Kreisen und ihre Auftritte in Schicki-Micki-Magazinen sowie durch das Fokussieren ihres Kampfs auf regressive gesellschaftlich-kulturelle Entwicklungen in Einwanderer- und Unterschichts-Milieus in Wirklichkeit der "abendländischen" Mehrheitsgesellschaft als gutes Gewissen zu dienen. Zudem wurde ihr ein ungehemmtes Karrierestreben vorgehalten, das viele ihrer Kritiker durch ihren Eintritt in ein konservatives Kabinett bestätigt sahen. Hingegen gilt Christine Boutin vielen, nicht ohne Grund, als "katholische Fundamentalistin". Die katholisch-konservative Sozialpolitikerin (und erfolglose Präsidentschaftskandidatin in eigener Sache im Jahr 2002), der gute Kontakte zum Opus Die nachgesagt werden, hatte 1999 die Bibel im französischen Parlament geschwenkt, als es darum ging, gegen die Einführung des PACS zu agitieren. Dieser ,Pacte civil de solidarité' ist eine eingetragene Lebensgemeinschaft, die homo- wie heterosexuellen Paaren offen steht. Boutin verstand sich mit ihrer Geste als moralische Mahnerin vor diesem sündigen Vorhaben. Auf der Grundlage christlich-katholisch fundierter "Nächstenliebe" hat Christine Boutin sich allerdings bei verschiedenen Anlässen auch über die Lage von Armen oder Gefängnisinsassen besorgt gezeigt. Ansonsten findet die Dame ihr Publikum aber überwiegend in "besseren Kreisen", während ihre Untergebene Fadela Amara bei ihren Besuchen in den Trabantenstädten schon mal im banlieuetypischen Jugendslang zu jüngeren Bewohnern spricht, nicht ohne ihr den Vorwurf der Demagogie einzutragen. Daran, dass Amara ihr - gegen ihren Willen - von "ganz oben" als Staatssekretärin in ihrem Ministerium aufgezwungen worden ist, hat Boutin vor allem in jüngerer Zeit ausdrücklich wenig Zweifel gelassen. Dass der Zusammenstoß zweier so unterschiedlicher Charaktere die Konflikte rund um den "Banlieue-Plan" der Regierung noch verschärft hat, dürfte außer Zweifel stehen. Und ebenso, dass es dabei unter anderem um die Frage der finanziellen Mittel ging, die der Staat für die Problemlinderung in den Sozialghettos der Trabantenstädte zur Verfügung zu stellen bereit ist. Manche der Formulierungen Boutins ließen dies im übrigen durchblicken, wenn sie etwa ironisch von "immer noch mehr Mittel(n)" sprach. Auch ihr Beharren auf Faktoren einer "kulturellen" und "psychologischen" (Ent-)Abkapselung lässt erkennen, dass die Ministerin zumindest manche der Gründe für die - in Frankreich, gemessen an anderen europäischen Ländern, besonders starke - räumliche Segregation zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen vorrangig in der Geisteshaltung der Bewohner von Armutsghettos sucht. Der Allgegenwärtige... ,endlich' auch in der Vorstadt Im Januar wurde die Bekanntgabe des Regierungsplans für die Banlieues dann letztendlich verschoben, und es wurde angekündigt, Präsident Sarkozy werde ihn persönlich am 8. Februar bekannt geben. Am 22. des Monats begab sich Fadela Amara zwar - wie geplant - nach Vaulx-en-Velin, freilich allein. Und sie konnte dort nur einige allgemein gehaltene "Grundzüge" des angekündigten Plans enthüllen. Unterdessen absolvierte Nicolas Sarkozy am Abend des 21. Januar, also am Vorabend ihres Besuchs, seinen eigenen ersten "Auftritt in den Banlieues" seit anderthalb Jahren, also seit dem Beginn des letzten Präsidentschaftswahlkampfs. Tatsächlich hatte sich Sarkozy während des letztjährigen Wahlkampfs nicht in die Pariser Banlieues getraut, aus Furcht vor negativen Bildern, und einen geplanten Besuch in Argentueil (nordwestlich von Paris) Anfang April sogar in letzter Minute abgesagt. Dort, in Argentueil, hatte Sarkozy Ende Oktober 2005 einige seiner berüchtigten Sprüche über die unruhige und straffällige Jugend der Banlieues geklopft, die - 48 Stunden vor den beiden Todesfällen unter Mitwirkung der Polizei in Clichy-sous-Bois - mit zum Ausbruch der damaligen dreiwöchigen Unruhen beitrugen. Sarkozy, seinerzeit Innenminister, hatte u.a. von ,racaille' (Abschaum, Gesocks) gesprochen. Am 21. Januar dieses Jahres war Sarkozy nun also, endlich!, "in den Banlieues zurück". An jenem Abend hielt er sich in der westlich von Paris gelegenen Vorstadt Sartrouville in der Nähe des dortigen Bahnhofs auf. Sarkozy nahm zwar ein "Bad in der Mange" und diskutierte mit Anwesenden, verließ aber nicht die - relativ "sichere" - Innenstadt, um sich etwa zu den als Problemzonen geltenden Hochhaussiedlungen der Stadt wie der ,Cité des Indes' zu begeben. Die satirische Puppensendung des französischen Fernsehsenders Canal Plus, ,Les Guignols de l'info', spitzte diese Situation karikaturhaft zu: Sie zeigte Sarkozys "jugendliche Gesprächspartner" in Gestalt von zwei Krawattenträgern im Anzug, die sich krampfhaft bemühen, im Jugendslang der Trabantenstädte zu sprechen und jugendlich zu wirken. Dies entspricht zwar nicht völlig der Realität, da auch "echte" Banlieueeinwohner an jenem Abend mit Sarkozy diskutiert hatten, bringt jedoch den Widerspruch zwischen der Geste und der wirklichen Bereitschaft zur Konfrontation mit den Problemen doch auf den Punkt. Sensationell: Ein neuer Plan ganz ohne Ballaststoffe, ähm, ohne Geld! Letztendlich scheint Nicolas Sarkozy nun Christine Boutin tendenziell Recht zu geben, was die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der neuen Maßnahmen für die Banlieues betrifft. Denn nun betonte das Präsidentenamt bei der Vorstellung von Sarkozys Programm "Hoffnung für die Banlieues" immer wieder, dieses solle nicht in allererster Linie als "Maßnahmenkatalog" betrachtet - und entsprechend auf die Tauglichkeit der einzelnen Vorschläge hin abgeklopft - werden, sondern wichtig sei insbesondere die "Grundphilosophie" des Ganzen und des "neuen Herangehens" an die Problematik. Diese Philosophie hat übrigens die (links)liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' in ihrer Sonntagsausgabe auf den Punkt gebracht, durch ihre Überschrift: "In Ermangelung finanzieller Mittel setzt Monsieur Sarkozy auf die individuelle (Eigen-)Verantwortung in den Banlieues". Gleichzeitig wurden die für den Plan bzw. seine Umsetzung zur Verfügung Gelder offenkundig herunter gekocht. Fadela Amara hatte im Vorfeld noch von einer Milliarde Euro gesprochen, die für das Maßnahmenbündel zur Verfügung gestellt würden. Davon ist jetzt - jedenfalls auf der Ebene des konkret Angekündigten - nur noch die Hälfte übrig. Und bei diesen 500 Millionen handelt es sich nicht um neue Mittel, sondern lediglich um die Umwidmung von bereits längst geplanten Ausgaben. Im Rahmen des Umweltgipfels (,Le Grenelle de l'environnement') von Ende Oktober 2007 waren längerfristige umfangreiche, öffentliche und private, Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in Aussicht gestellt worden. Davon hatte Nicolas Sarkozy in seiner damaligen programmatischen Rede gesprochen. Nun verkündet der Präsident, eine halbe Milliarde der in diesem Kontext ohnehin vorgesehenen Ausgaben würden für das Aufbrechen der Abkapselung (le désenclavement) der am weitesten von den städtischen Zentren entfernten und/oder am schlechtesten ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossenen Trabantenstadtsiedlungen benutzt. Diese Idee war allerdings auch schon im Programm des ,Grenelle de l'environnement', des mit viel Pomp und Getöse begleitetet vorjährigen Umweltgipfels, enthalten gewesen. Zudem sind die dafür nun angesetzten 500 Millionen ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein der seit längerem angekündigte, und dringend benötigte, Bau einer Straßenbahn für die Anbindung der Hochhaussiedlungen von Clichy-sous-Bois (einer Trabantenstadt, die keinerlei Schienenanschluss besitzt) und Montfermeil an das Netz des RER - einer Art S-Bahn im Großraum Paris -- wird 150 bis 200 Millionen Euro kosten. Anwohnernahe (und mehr) Polizei Konkrete Ankündigungen enthält Sarkozys Programmrede ansonsten vor allem zum Thema "mehr Polizei". So kündigte das Staatsoberhaupt an, 4.000 zusätzliche Polizisten für die Trabantenstädte zur Verfügung zu stellen - etwa, indem Polizeibeamte von Schreibtätigkeiten und ähnlichen Arbeiten entbunden und damit für den "Einsatz auf dem Terrain" frei werden. Und er stellte in Aussicht, einen "Krieg ohne Gnade gegen die Dealer" zu führen, was allerdings in seinem Munde nicht neu ist, da er ähnliche Töne auch bei seinem Amtsantritt als Innenminister im Juni 2002 auf den Lippen führte. In Wirklichkeit hüteten sich die Polizeikräfte aber, die "Parallelökonomie" (etwa im Bereich des Haschischhandels und -konsums) vollständig zu zerschlagen: Da sie wissen, dass für manche Familien die einzige reale Quelle ihres Lebensunterhalts daran hängt und ihnen aufgrund des Fehlens von Arbeitsplätzen in den sozialen Krisenzonen so schnell keine Alternative winkt, sehen sie andernfalls eine "soziale Explosion" vor. Dies geht aus internen Dokumenten der Polizeiführung, die etwa während der Unruhen vom Herbst 2005 im ,Canard enchaîné' publiziert wurden, offen hervor. Nicolas Sarkozy schlägt nun wieder kriegerisch klingende Töne an. Allerdings scheinen sie im Konkreten nicht ganz so eskalationsträchtig angelegt zu sein, wie sie zunächst wirken. Denn die 4.000 zusätzlich bereit stehenden Beamten sollen auf die neu zu schaffenden ,Unités territoriales de quartier' (Territoriale Einheiten in den Armutsvierteln) verteilt werden, die alsbald - in einer Anzahl von 200 - gegründet werden sollen, wie Sarkozy bestätigte. Damit griff er nur eine Ankündigung von Innenministerin Michèle Aliot-Marie vom Januar dieses Jahres auf. In der Sache handelt es sich darum, lokal angesiedelte Polizeieinheiten, die innerhalb der Krisenzonen der Trabantenstädte angesiedelt werden sollen, wieder zu schaffen. Dies hatte zuletzt die sozialdemokratisch geführte Regierung in den Jahren 1997 bis 2002 unter dem Namen ,Police de proximinité', ungefähr: "anwohnernahe Polizei", unternommen. Auf diesem Wege sollte eine Deseskalation im polizeilichen Auftreten herbei geführt werden: Bis dahin war das Erscheinungsbild der Polizei in den Banlieues von militarisierten, ortsfremden Einheiten geprägt gewesen, die die lokalen Verhältnisse nicht kennen, bestimmte "Krisenzonen" nur zu Strafexpeditionen betreten und sich dort wie in (zeitweilig erobertem) Feindesland aufführen. Oft trägt dabei zusätzlich zum Aufbau von Spannungen bei, dass besonders junge, unerfahrene Beamte dort zum Einsatz kommen, denen das Image "der Banlieues" selbst erhebliche Furcht einflößt und die sich nur umso aggressiver benehmen. Um dem ein Ende zu setzen, hatte die sozialdemokratische Regierung kleine, dezentrale Einheiten geschaffen, deren Beamte auch tagsüber in ihren Büros innerhalb der Trabantenstädten ansprechbar sein und die so ein minimales Vertrauensverhältnis zu den Einwohnern aufbauen sollen. (Allerdings koexistierten diese "anwohnernahen" Polizeikräfte, die über kleine dezentrale Kommissariate innerhalb der Banlieues verfügten, auch unter der sozialdemokratischen Regierung mit den Rambotrupppen à la BAC - ,Brigades anti-criminalité' -, die sträflicherweise zu keinem Zeitpunkt aufgelöst worden waren. Während die Erstgenannten tagsüber und an Werktagen in ihren Büros ansprechbar waren, "gehörte" die Nacht in den Banlieues weiterhin - sofern Polizei zum Einsatz kam - den durchmilitarisierten Ramboeinheiten. Und es kam auch unter der "Links"regierung weiterhin zu Toten durch polizeiliche Gewalteinwirkung unter den Banlieuejugendlichen und infolge dessen zu Unruhen, so Ende 1997 in Dammarie-les-Lys, Anfang 1999 in Toulouse oder im Frühjahr 2000 in Lille-Sud.) Die Rechtsregierungen ab 2002 hatten diese Politik jedoch vollständig beendet und eine Rückkehr zu einem "Rambo-Auftreten" der Polizei betrieben. Das minderte zunächst scheinbar die Kriminalitätsrate in den Banlieues, da - aufgrund wachsender räumlicher Entfernung zwischen Polizeikommissariaten und Einwohnern und/oder verringerter Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr - insgesamt weniger Straftaten zur Anzeige gebracht wurden. Die Lage für die Bürger/innen vor Ort verbesserte sich zwar nicht, wohl aber schien die Autorität des Staates "rehabilitiert" worden zu sein. Denn, so der damalige Innenminister Sarkozy, in der vorherigen Phase hätten Polizisten "allzu oft Sozialarbeiter gespielt, und das ist nicht ihre Aufgabe". Diese scheinbare deutliche Verbesserung der Kriminalitätsstatistiken war eine der wichtigen Ursachen für den Publikumserfolg des, "hart durchgreifenden", Innenministers Sarkozy (siehe Fußnote). Aber das Vorgehen insgesamt war höchst eskalationsträchtig, wie sich bei den Unruhen 2005 zeigte, nachdem zahlreiche Deseskaltions- und Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Staatsgewalt und Einwohnern zerstört worden waren. Nunmehr kehrt, mit den neuen ,Unités territoriales de quartier', auch die Rechtsregierung stillschweigend zu Konzepten zurück, die denen der "anwohnernahen Polizei" aus dem vergangenen Jahrzehnt doch sehr ähneln. Auch wenn der Strategiewechsel nicht beim Namen genannt wird. "Buschzulage" für Staatsbedienstete Um generell die Präsenz von Staatsbediensteten in den sozialen Krisenzonen der Banlieues - wo die "Dichte" der Präsenz öffentlicher Dienste spürbar geringer ist als im nationalen Durchschnitt - zu erhöhen, stellte Nicolas Sarkozy in Aussicht, freiwillige Kandidaten außerhalb der übliche Bahnen der Rekrutierung für den öffentlichen Dienst anzuwerben. Bisher ist es in Frankreich üblich, dass Bewerber/innen für den öffentlichen Dienst systematisch durch einen ,Concours' angeworben werden, also eine Prüfung, bei der nicht nur das eigene Abschneiden (in Punkten) zählt, sondern vor allem auch die Platzierung gegenüber anderen Bewerber/inne/n. Prüfungsgrundlage ist generell das "Allgemeinwissen" sowie fachspezifische Kenntnisse. Theoretisch sollen dadurch stets "die Besten" ausgesucht werden, andererseits soll dadurch im Prinzip jede/r eine Chance bekommen, durch den Erwerb von Allgemeinbildung im Staatsdienst eingestellt zu werden. In der Praxis läuft es allerdings so ab, dass für eine erste Stelle in einer Karriere ein ,Concours' erforderlich ist, danach aber für alle weiteren Stationen der Laufbahn Versetzungswünsche (und ihre Annahme bzw. Ablehnung durch die Vorgesetzten) maßgeblich sind. Auf Stellen in den Banlieues werden deshalb - etwa unter den Lehrkräften in als "schwierig" verrufenen Schulen - oft junge, unerfahrene und mit geringer Motivation ausgestattete Staatsbedienstete frisch nach ihrer Einstellung berufen, die dann aber in den kommenden Jahren so schnell wie möglich danach trachten, anderswo hin versetzt zu werden. Diese Zustände sind als solche tatsächlich kaum haltbar, und eine Verbesserung der Situation müsste mit einer Aufbesserung der Arbeitsbedingungen, des "Rufs" dieser Tätigkeit und einer stärkeren ideellen Motivation einhergehen. Noch ist nicht genau klar, wie Sarkozy sich die künftige "Öffnung" der Administration für neue Rekrutierungsformen außerhalb der bisherigen Laufbahnen und Mechanismen vorstellt. Unterdessen suggeriert ,Libération', dass man sich das Ganze ungefähr so vorstellen müsse wie das, was man noch vor wenigen Jahren in (Ost)Deutschland mit einem unsäglichen Wort als "Buschzulage" bezeichnet hat. Am Samstag schrieb die sozialdemokratische Tageszeitung dazu (auf S. 4): "Die Idee ist nicht neu: Die Administration in den Kolonien/Kolonialverwaltung hatte lange Zeit Anreizprämien und Karrierevorteile geboten, um Freiwillige anzulocken. Aber noch niemand hatte (bislang) daran gedacht, dieses Prinzip auf die Banlieues zu übertragen, denn dies würde bedeuten, auf Dauer einen öffentlichen Dienst im Zwei-Klassen-System festzuschreiben." Die Tageszeitung geht davon aus, dass es dies sei, was Sarkozy vorhat. Die Rolle der "Privatinitiative" Ansonsten setzt Präsident Sarkozy vor allem darauf, neben der öffentlichen Hand hätten auch "die Unternehmen" eine Rolle zu spielen, indem sie verstärkt in ,den Quartiers' investieren, Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten. Die Arbeitslosigkeit dort beträgt im Durchschnitt 22 Prozent, jene der Jugend aber 40 Prozent. Eine wichtige Rolle, neben der räumlichen "Abkapselung" vieler schlecht ans Verkehrsnetz angebundener Sozialghettos, spielt dabei auch die flagranten Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, die sich oft an einer Kombination aus (unterstellter) "ethnischer Herkunft" und "verrufener" Wohnadresse festmacht. Auf "Eingliederung in den Arbeitsmarkt" spezialisierte Privatunternehmen, so Sarkozy, sollen nun verstärkt in den Banlieues tätig werden und den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die "sozialen Codes" beibringen, deren Beherrschung nötig sei, um bei Einstellungsgesprächen erfolgreich zu sein. Im Anschluss daran soll ihnen "ein Arbeitsplatz, eine Ausbildungsstelle odereine Fortbildung angeboten werden". Kontrollmechanismen oder ein dafür zur Verfügung stehendes Budget wurden nicht genannt. Zudem sollen Schulabbrecher durch die Eröffnung von Internaten und eine verstärkte Ansiedlung von Privatschulen eine "zweite schulische Chance" geboten bekommen. Alles in allem erhofft sich Sarkozy auf diesem Wege, und insbesondere durch eine Stärkung der Privatinitiative, die "Hinführung von 100.000 Personen zu Arbeitsplätzen binnen drei Jahren" für Bewohner der Sozialghettos in den Trabantenstädten. Die Erfolgsaussichten bleiben abzuwarten. Und wenn es dann nicht klappt, dann sind mit Sicherheit die jugendlichen und sonstigen Einwohner der Trabantenstädte selbst schuldig daran. Aufgrund ihrer "kulturellen" und "psychologischen" Eingliederungsbarrieren, um mit Christine Boutin (oder frei nach ihr) zu sprechen... Zentrales Problem ausgespart: Was ist mit den Steuern? Eine absolut zentrale Frage, ohne deren Lösung es voraussichtlich keinerlei reale, materiell greifbare Fortschritte in den sozialen "Notstands"zonen geben wird, ist jene der Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Kommunen. Denn bisher hängt der Löwenanteil des Einkommens der Kommunen an den "Lokalsteuern" (impôts locaux), die wiederum im Wesentlichen auf der Gewerbesteuer beruhen. Aber Kommunen - insbesondere solche mit "schlechtem Ruf" und schlechter Verkehrsanbindung an die Kernstädte -, auf deren Territorium es wenige "Arbeitgeber" von Gewicht gibt und die zudem eine (im Durchschnitt) ärmere Bevölkerung aufweisen, nehmen auf diesem Wege automatisch sehr viel weniger Geld ein. Ihnen bleibt nur noch übrig, auf dem Weg über die anderen Kommunalsteuern ihre Bevölkerung zu schröpfen, und das bedeutet: hauptsächlich über die Wohnungsabgabe. Dabei handelt es sich um eine einmal pro Jahr zu errichtende Kopfsteuer, deren Höhe sich an den Dimensionen sowie am (durch den Vermieter bewerteten) Zustand der Wohnung bemisst, aber nicht am Einkommen oder an den Ressourcen der betroffenen Personen. Ärmere Haushalte, die - dank eines Erbes, eines glücklichen Zufalls oder weil sie sich ein Leben lang für eine korrekte Wohnung finanziell "ausgeblutet" haben - über eine als korrekt eingestufte Wohnung verfügen, zahlen sich also bei der Wohnungssteuer dumm und dämlich. Und dies vor allem dann, wenn sie in ärmeren Kommunen leben, denn in einer Banlieue-Gemeinde des Pariser Umlands liegt diese Wohnungssteuer etwa oft um ein Mehrfaches über jener, die innerhalb von Paris erhoben wird: Die reiche Stadt kann es sich erlauben, auf ein allzu derbes Abschröpfen ihrer Bewohner/innen (und Wähler/innen) bei der Wohnungssteuer zu verzichten - während weitaus ärmere Kommunen in der Banlieue da gar keine andere Wahl haben, um sich selbst zu finanzieren. (Die sozialdemokratische Regierung der Jahre 1997 bis 2002 hatte einmal eine Reform dieser Wohnungs-Kopfsteuer zwecks mehr sozialer Gerechtigkeit versprochen. Jaja, versprochen...) Frankreich hält, vor diesem Hintergrund, europaweit den Rekord der finanziellen Ungleichheit zwischen den Kommunen. Der Abstand zwischen der reichsten und der ärmsten Kommune, was die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel betrifft, liegt bei 1 : 8.500, eins zu achttausendfünfhundert. Gutgut, die Gelder sollten proportional zur Einwohnerzahl berechnet werden - in Ordnung, machen wir. Und das kommt dabei heraus: Zwischen dem einen Prozent der reichsten und dem einen Prozent der ärmsten Rathäuser in Frankreich beträgt der Abstand 1 : 44 pro Kopf ihrer Bevölkerung. Es handelt sich um 7.430 Euro pro Kopf der Bevölkerung im ersteren Falle, 168 Euro im letztgenannten... England beispielsweise, das nicht als so "egalitarisch" wie Frankreich "verschrien" ist, praktiziert wesentlich stärkere Ausgleichsmechanismen: Der Staat sammelt das Steueraufkommen für die Kommunen ein und (um-)verteilt es zurück, aber unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse. (Quelle für diesen Absatz ) Die Debatte darüber, dass an diesem Punkt die Dinge auch in Frankreich nicht so bleiben können, wie sie im Augenblick sind, hat seit längerem begonnen. Seit 30 Jahren versprechen sogar fast alle aufeinander folgenden Regierungen in periodischen Abständen eine "überfällige Reform" der Mechanismen der Kommunalbesteuerung bzw. Finanzierung der Rathäuser. Nur, bewegt hat sich bisher noch nichts oder nicht viel, zumal selbst eine "gutwillige" Regierung mit mächtigen Partikularinteressen und -egoismen der einflussreichsten Rathäuser im Lande konfrontiert wäre. Ein Beispiel aus allerjüngster Zeit: Am 5. Februar dieses Jahres konnte das "Komitee für die lokalen Finanzen", das über die Verteilung der vom Staat an die Kommunen (zurück-)gereichten Mittel aus dem Steueraufkommen zu wachen hat, einen Beschluss über die Verwendung von 35 Millionen zusätzlicher Mittel fassen. Diese "zusätzlichen" 35 Millionen hatte zuvor das Parlament eingefordert, und die Regierung hatte daraufhin explizit den Wunsch geäußert, dass (zumindest) dieses Mal die zusätzlichen Gelder gezielt den ärmeren und ärmsten Kommunen zugute kommen sollten. Aber die Bürgermeister der Banlieue-Rathäuser sind in dem Finanzkomitee in der Minderheit, gegenüber jenen reicherer Kommunen (sowie ländlicher Gemeinden mit vergleichsweise geringen Bedürfnissen). Und so wurde, statt einer gezielten Hilfe für die ärmsten Kommunen, eine "proportionale" Aufteilung des Kuchens unter alle Rathäuser beschlossen - so dass sich auch die reichsten unter ihnen noch eine Scheibe davon werden abschneiden können. (Vgl. ,Libération' vom Freitag.) Fadela Amara hatte im Vorfeld des jüngsten "Plans für die Banlieues" angekündigt, dass nun wirklich eine Reform der Kommunalfinanzen an der Zeit sei und auf der Tagesordnung stünde. Doch im Endeffekt hat Nicolas Sarkozy nun - lediglich - bekannt gegeben, dass er das Innenministerium damit beauftrage, "eine Reflexion" (ein Nachdenken) zum Thema durchzuführen, so schreibt ,Libération' vom Samstag/Sonntag. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein. Sicher ist: Einen Monat vor den Kommunalwahlen, die frankreichweit am 9. und 16. März dieses Jahres stattfinden, wird die konservative Regierung es sich doch mit niemandem in den Rathäusern verderben wollen... So lautet die zentrale These des Artikels von Christian Mouhanna: 'Le miracle de la sécurité, vu de l'intérieur' (Das Wunder der Sicherheit, von innen/ bzw. vom Innenministerium/ her betrachtet), im Sammelband 'La new droite. Une revolution conservatrice à la française', Ausgabe Nummer 53 der sozialkritischen ZEitschrift 'Mouvements', November/Dezember 2007. |