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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Frankreich: Aushebelung des Kündigungsschutzes auf einer Ebene ausgebremst, auf anderer Ebene in Vorbereitung Der CNE ist klinisch tot, es lebe der ,Contrat unique' ! "Beschäftigungspolitik: Die Justiz verurteilt die Flexibilität" schlagzeilte die konservative Tageszeitung ,Le Figaro' auf ihrer Seite Eins. "Die Justiz bringt dem Neueinstellungsvertrag CNE einen tödlichen Schlag ( un coup fatal ) bei" liest man auf der Titelseite der Wirtschaftstageszeitung ,La Tribune' zu Wochenbeginn. Und ihr den Arbeitgebern noch näher stehendes Pendant ,Les Echos' überschreibt einen ganzseitigen Artikel zum Thema mit folgenden Worten: "Die gerichtliche Niederlage des CNE dürfte die Arbeitgeber davon abhalten, diese Vertragsform bei Einstellungen zu nutzen." ` Am Wochenende bzw. zu Anfang dieser Woche wurde in Frankreich ein viel erwartetes Gerichtsurteil bekannt, das das Berufungsgericht von Paris am vergangenen Freitag fällte. Es bedeutet das Quasi-Aus für den "Neueinstellungsvertrag' oder Contrat nouvelle embauche (CNE), den die konservative Regierung von Premierminister Dominique de Villepin im Hochsommer 2005 auf dem Weg der Notverordnung eingeführt hatte. "Der CNE ist tot", so beginnt denn auch ein Leitartikel der konservativen Tageszeitung , Le Figaro ', der dieses Ergebnis wortreich bejammert (wo doch die Bilanz des ,Neueinstellungsvertrags' in Sachen Beschäftigung so positiv sei, blablabla). Auch der amtierende konsersative Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand "verteidigte die Zukunft des CNE mit einer nur sehr relativen Energie", wie der ,Figaro' in seiner darauffolgenden Ausgabe feststellt, infolge eines Auftritts des Ministers auf dem Sender Europe 1. Dort hatte Xavier Bertrand beruhigend festgestellt, es würde ja bei Einstellungen ohnehin immer weniger auf diesen Vertragstypus, den CNE, zurückgegriffen. Der CNE, fuhr der Mann fort, habe lediglich "zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Antwort auf die Arbeitslosigkeit dargestellt". Seit dem Bestehen des "Neueinstellungsvertrags" sind circa 360.000 bis 400.000 solcher Verträge abgeschlossen worden; 30 Prozent davon wurden aber bereits in den ersten sechs Monaten aufgekündigt, in der Mehrzahl der Fälle durch den Arbeitgeber, wenngleich es auch Kündigungen durch Lohnabhängige gibt, insbesondere wenn sie einen besseren und "sichereren" Arbeitsvertrag woanders in Aussicht haben. Schätzungsweise gut die Hälfte der abgeschlossenen Verträge vom Typ CNE dürften inzwischen außer Kraft befindlich sein. Die Besonderheit dieses Vertrags, der später dem "Ersteinstellungsvertrag' (CPE oder ,Contrat première embauche', für junge Erwachsene bis 26) als juristisches Modell diente, beruht darin, dass er während der ersten 24 Monate durch den Arbeitgeber ohne Angaben von (Entlassungs-)Gründen aufgekündigt werden kann. Diese schwere Attacke auf den Kündigungsschutz war damals durch die Villepin-Regierung quasi im Handstreich durchgesetzt worden, per ,ordonnance' - also mittels einer Art Notverordnung, die durch die Regierung allein und ohne Einschaltung des Parlaments verabschiedet wird, aber Gesetzeskraft hat. Das Parlament wird bei diesem Quasi-Gesetzgebungsverfahren ausgeschaltet, wobei die Abgeordneten zuvor der Regierung eine Ermächtigung (allgemeiner Natur, d.h. ohne den Inhalt der dadurch ermöglichten Notverordnungen zu debattieren, freilich thematisch gebunden) erteilt haben müssen. Das auf diesem Wege zustande gekommene Verordnungsbündel vom 2. August 2005 war mit der Schaffung von Arbeitsplätzen gerechtfertigt worden; die konservative Mehrheit im französischen Abgeordnetenhaus hatte vor diesem Hintergrund vorab, freilich unter einigem Knurren und mit Unmut über diese Entmachtung des Parlaments, ihre Ermächtigung dazu erteilt. So kam die Rechtsgrundlage für die Schaffung des CNE in Form einer Regierungsverordnung mit Gesetzeskraft zustande. Doch ihr Beschäftigungseffekt (die Rede ist, je nach Studie, von 2 Prozent bis zu maximal 10 Prozent der via CNE erfolgten Einstellungen) ist freilich minimal. Der CNE kann in den kleinen und mittelständischen Betrieben bis zu 20 Lohnabhängigen abgeschlossen worden. Völlig im Gegensatz zu dem, was die ,junge Welt' in ihrer Ausgabe von diesem Dienstag ungeprüft behauptet, hatte die Einführung des CNE damals keineswegs "2005 zu Massenprotesten geführt" - und der so genannte Neueinstellungsvertrag war auch nicht "trotz massiver, wochenlanger Proteste und Streiks eingeführt worden' (vgl. http://www.jungewelt.de/2007/07-10/013.php ). Dies ist purer Unfug: Gewerkschaften und Beschäftigtenvertreter waren vielmehr durch die hochsommerliche Notverordnung überrumpelt worden, und in den Kleinbetrieben, wo der CNE Anwendung finden konnte, ist kollektiver Widerstanden der abhängig Beschäftigten oft nur schwer möglich. Hingegen stimmt es, dass die Gewerkschaftsverbände - insbesondere die CGT und die CFDT - in den darauffolgenden Monaten einen erbitterten Rechtsstreit vor den Gerichten gegen die Einführung des CNE geführt hatten, den sie freilich im Oktober 2005 vorläufig verloren, als der Oberste Gerichtshof die Notverordnung für rechtsgültig erklärte. (Labournet berichtete ausführlich.) Als dann im Januar 2006 die Pläne für die Einführung des "Ersteinstellungsvertrags' CPE bekannt wurden, richtete sich dagegen erstmals massenhafter kollektiver Widerstand. Ab dem 7. Februar 2006 kam es daraufhin zu massiven Demonstrationen von Gewerkschaften und Jugendlichen, und ab der letzten Februarwoche kam frankreichweit (mit dem Ende der Winterferien an den Universitäten im Raum Paris) der Stein des Hochschulstreiks ins Rollen. Der taktische Fehler der Regierung hatte darin bestanden, nunmehr die junge Generation zur Zielscheibe zu machen. 2006 und gegen den CPE kam es zu Massenprotesten, jedoch nicht 2005 und nicht gegen den CNE. Rückblick auf einen Rechtsstreit, der dem CNE zum Verhängnis geworden ist Auch nachdem die sozialen Massenproteste den CPE am 10. April 2006 erfolgreich gekippt hatten, blieb dessen Vorläufer, der CNE, jedoch in Kraft. Die Dynamik der Bewegung hatte nicht ausgereicht, um auch ihn zu kippen, obwohl diese Forderung verschiedentlich erhoben worden war. Allerdings nahmen sich zur selben Zeit, ab dem Frühjahr 2006, nunmehr die Arbeitsgerichte der Problematik an. Begonnen beim Arbeitsgericht in Longjumeau (südlich von Paris) Ende Februar 2006, hatten mehrere dieser Laiengerichte solche Verträge in unbefristete Arbeitsverträge "umqualifiziert' und die Anwendung des CNE für rechtswidrig erklärt. Insbesondere hatten die Laienrichter in Longjumeau moniert, der "Neueinstellungsvertrag' widerspreche höherrangigem Recht in Gestalt internationaler Vereinbarungen, nämlich des Abkommens Nr. 158 der ILO ( International Labour Organisation ), das vorschreibt, dass Kündigungen von Lohnabhängigen nur mit triftigem Grund ausgesprochen werden dürften. Die Regierung schlug damals eine juristische Finte ein: Da die Rechtsgrundlage der Einführung des CNE kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsverordnung der Regierung sei, sei nicht die normale Gerichtsbarkeit, sondern seien allein die Verwaltungsgerichte für die juristische Analyse dieser Bestimmungen zuständig. Eine merkwürdige Argumentation, denn während die "normalen" (Arbeits-)Gerichte ein gewöhnliches Gesetz auf seine Vereinbarkeit mit internationalem Recht hin überprüfen können, sollten sie dies nun bei einer bloßen Regierungsverordnung (aufgrund ihrer Rechtsnatur, und obwohl diese eine geringere Legitimität hat) plötzlich nicht mehr können. Damit versuchte die Regierung in Wirklichkeit vor allem auf Zeit zu spielen. Doch am 19. März 2007 gab das Tribunal des Conflits , das für Kompetenzstreitigkeiten zwischen unterschiedlichen Gerichtszweigen zuständig ist, dem Arbeitsgericht in Longjumeau Recht: "Normale" Gerichte können die Rechtmä ß igkeit des CNE prüfen. In der Folge wurde die Berufungsverhandlung über einen dort, in Longjumeau, erstinstanzlich beurteilten Rechtsstreit dem Pariser Revisionsgericht übergeben. Es handelt sich dabei um den Fall einer Sekretärin, Mademoiselle Linda De Wee, die bei einem Juristen eingestellt worden war, welcher mit der Liquidierung bankrott gegangener Unternehmen betraut worden war. Aufgrund eines Mehranfalls an Arbeit (aufgrund der Tatsache, dass ihm sieben Fälle z.T. größerer Unternehmen anvertraut worden waren) stellte er die neue Sekretärin zunächst per befristeten Arbeitsvertrag ein. Doch nach Inkrafttreten der Regeln über den CNE wandelte er den befristeten Arbeitsvertrag (der aus Sicht des Arbeitgebers den Nachteil hat, dass er nur schwer vor Ablauf des vereinbarten Enddatums gebrochen werden kann) in einen CNE um. Nach relativ kurzer Zeit kündigte der Arbeitgeber dann das Arbeitsverhältnis auf. Dieses hat nunmehr am vergangenen Freitag geurteilt, dass eine 24monatige Super-Probezeit, während derer Kündigungen zu jedem Zeitpunkt ohne Angaben von Gründen ausgesprochen werden können, vor dem Hintergrund der oben zitierten ILO-Verordnung nicht zulässig sei. (Vgl. dazu den vollständigen Text dieser Entscheidung, die für erhebliches Aufsehen gesorgt hat, unter folgendem Link: http://www.lesechos.fr/medias/2007/0706//300185228.pdf ) Auf dem Weg zum ,Contrat unique' Unterdessen steht aber schon der Ersatz aus Sicht der Bourgeoisie bereit: Ab September 2007 möchte die Regierung von François Fillon, einem Wahlversprechen von Präsident Nicolas Sarkozy folgend (und vorgeblich "nach Konsultationen mit den Sozialpartnern"), alsbald einen ,Contrat unique' oder "Einheitsvertrag" auf den Weg bringen. Dieser soll die Grenze zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverträgen verwischen: Demnach sollen alle Verträge unbefristet abgeschlossen werden, aber wesentlich einfacher kündbar sein als heute. Im Falle eines Bruchs des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber wird es Abfindungszahlungen geben, die umso höher ausfallen, je länger die Beschäftigungsdauer ist - oder im Umlehrschluss umso niedriger, je kürzer diese gewesen war. Bisherige Hindernisse für Kündigungen von Lohnabhängigen entfallen damit weitgehend, ihre Entlassung wird zum rein finanziellen Kalkül, das bei vorausgehender kurzer Beschäftigungsdauer nicht sehr schwer wiegen dürfte. Arbeits- und Sozialminister Xavier Betrand bereitet das Publikum offenkundig schon auf diese Option vor. Denn in seinem zu Anfang dieses Artikels zitierten Auftritt beim Sender Europe 1 - wo er den CNE quasi beerdigte - fügte Bertrand dem dann noch hinzu: "Die Zukunft gehört dem Contrat unique ." Dieser werde ab kommenden Herbst lanciert werden Es handele sich nicht, beruhigte er das Publikum, "um eine Verlängerung des CNE", also dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln: Vielmehr müsse bei einem solchen künftigen Vertrag "der Kündigungsgrund angegeben werden." Das stimmt tatsächlich: Der Arbeitgeber wird unter dem absehbaren neuen Regime zukünftig den Abbruch des Arbeitsverhältnisses (weiterhin bzw. wieder) begründen müssen. Aber darin liegt nicht die Crux, sondern in den Rechtsfolgen: Statt abschreckender Arbeitsgerichtsprozess, mit möglicher Verurteilung des Arbeitgebers wegen rechtswidriger Kündigung, soll es in den meisten Fällen automatisch zu Abfindungszahlungen kommen. Und bei Lohnabhängigen mit kurzer Beschäftigungsdauer wird diese Hürde schlicht wenig abschreckend ausfallen. Andere Frontbegradigungen: Weitere Verordnung vom August 05 sowie "Arbeitsalter 14" ebenfalls gekippt Unterdessen hat der Conseil d'Etat, das französische Oberste Verwaltungsgericht, am Freitag noch einen anderen wichtigen Beschluss gefällt. Eine weitere Neuregelung per Notverordnung vom 2. August 2005 wurde dadurch gekippt: Eine ,ordonnance' hatte vorgesehen, dass die unter 26jährigen, sofern sie nach dem Stichtdatum der Verordnung eingestellt wurden, bei der Berechnung der Beschäftigtenzahl von Betrieben und Unternehmen (die wichtig ist, um etwa zu bestimmen, ob ein Betriebsrat gewählt werden muss oder nicht) nicht mitgezählt werden sollen. Diese Regel erklärte der Conseil d'Etat nun für rechtswidrig. Eine weitere Neuregelung durch die Villepin-Regierung hatte vor einigen Wochen der neue Präsident Nicolas Sarkozy, kurz nach seinem Amtsantritt, zu annullieren versprochen: die Möglichkeit, schon ab 14 Jahren in ein Arbeitsverhältnis einzutreten (und ab 15 Nacht- und Wochenendarbeit zu verrichten). Um sich mit den Lehrer- und anderen Gewerkschaften besser zu stellen, versprach Sarkozy am Rande eines Treffens mit den Gewerkschaftsverbänden des Bildungssystems am 11. Juni 2007, das vorher geltende Mindestalter von 16 für Lohnarbeit und für das Ende der Schulpflicht wieder einzuführen. (Vgl. http://www.lentreprise.com/3/1/1/article/12673.html ; http://www.lesechos.fr/info/france/4587972.htm ) Bis dahin hatten laut den zugänglichen Statistiken weniger als 1.000 betroffene Jugendliche von dieser Möglichkeit des Eintritts in ein Arbeitsverhältnis bzw. eine Lehre ab 14 Jahren Gebrauch gemacht ; in Frankreich gibt es kein dem deutschen "dualen System" vergleichbares Ausbildungssystem, sondern berufliche Kenntnisse werden im einen oder anderen Zweig des allgemeinen Bildungssystems erworben, so dass diese Option lediglich ein "Abstellgleis" für ohnehin sozial marginalisierte Jugendliche darstellte. Es versprach keine pädagogischen Vorteile, sondern vor allem ein Entfernen von "Problemjugendlichen" aus dem Schulwesen sowie, im Zweifelsfalle, maximale Ausbeutung. Ab dem Anfang des Schuljahres 2007/08 soll diese Option nun wieder entfallen Sarkozy will diese "Reform" seines Vorgängers und Ex-Rivalen Dominique de Villepin (den seit dem Amtswechsel im Elysée-Palast auch bereits die Justiz, aufgrund seiner unklaren Rolle in der so g. "Clearsream-Affäre" von Mai 2006, ins Visier genommen hat - Rache ist Blutwurst für Sarkozy?) nun rückgängig machen. Diese Maßahme, die an dem Punkt lediglich den Status quo ante (= vorher bestehenden Zustand) wieder herstellt, soll derzeit wohl vor allem die Lehrergewerkschaften zu besänftigen helfen, die über den rabiaten Stellenabbau im öffentlichen Schulwesen hellauf empört sind. Zu Beginn seiner Amtsperiode hatte der konservative Politiker und frisch gekürte Premierminister François Fillon angekündigt, im laufenden Haushaltsjahr würden (durch Nichterneuerung altersbedingter und sonstiger Abgänge von Personal) 10.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Bildungswesen abgebaut werden. Damit schrieb der neue Premier lediglich Pläne der konservativen Vorgängerregierung unter Dominique de Villepin in die nahe Zukunft fort. In der zweiten Hälfte der vergangenen Woche wurden diese Zahlen nun aber über den Haufen geworfen: Nicht 10.000, sondern sogar 17.000 Stellen im öffentlichen Schuldienst sollten ab dem kommenden Schuljahresbeginn nicht wieder besetzt werden, erfuhr man etwa von der Titelseite der Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos' . Die einschneidensten regressiven Veränderungen durch die Villepin-Regierung sind damit nun de facto gekippt: der CNE (infolge des Pariser Urteils) und die Ausklammerung der unter 26jährigen aus der Beschäftigtenzahl des Unternehmens, beides Regeln aus dem hochsommerlichen Verordnungspaket vom August 2005 ; und alsbald auch das Arbeitsalter ab 14, das (neben dem so umkämpften CPE) Bestandteil des Gesetzespakets unter dem schönen-doch-trügerischen Namen "Gesetz für die Chancengleichheit" von Anfang 2006 war. Im Warten auf das, was Sarkozy und Fillon nun ihrerseits an neuen Regressionen auf die Tagesordnung bringen werden. Bernard Schmid, Paris, 10.07.2007 |