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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Taxifahrer erfolgreich "Nun hat erstmals eine Berufsgruppe, nämlich die der Taxifahrer/innen, mittels massiven Protests erreicht, dass die Regierung einen der Vorschläge der "Reform"kommission explizit zurückgezogen bzw. auf seine Umsetzung "verzichtet" hat" ... so beginnt der aktuelle Artikel "Proteste der Taxifahrer/innen drängen die "Reforminitiatve" der Attali-Komission erstmals zurück" von Bernard Schmid vom 07. Februar 2008 Proteste der Taxifahrer/innen drängen die "Reforminitiatve" der Attali-Komission erstmals zurück Vor kurzem hatten wir an dieser Stelle im Labournet die 316 ,Reformvorschläge" der von Jacques Attali angeführten Untersuchungskommission, die am 23. Januar 2008 dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vorgelegt worden sind, vorgestellt. Diese Vorschläge haben es in sich, und wurden durch Sarkozy zunächst enthusiastisch aufgenommen. (http://labournet.de/internationales/fr/attali.html) Nun hat erstmals eine Berufsgruppe, nämlich die der Taxifahrer/innen, mittels massiven Protests erreicht, dass die Regierung einen der Vorschläge der "Reform"kommission explizit zurückgezogen bzw. auf seine Umsetzung "verzichtet" hat. Doch der Reihe nach. Zunächst einen kurzen Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Reaktionen auf das geballte Bullshit-, pardon, "Reform"paket der Kommission von Jacques Attali. Danach werden wir auf die Ergebnisse des Protests der Taxifahrer/innen näher eingehen. Politische und soziale Reaktionen Auch in einem Teil des konservativen Lagers rumort es. Dort drohen insbesondere der angekündigte Wegfall der Sonderreglementierung für bestimmte Berufe (in Gestalt von Zulassungsbeschränkungen u.ä.) sowie die Abschaffung der französischen Départements, zugunsten einer verallgemeinerten Standortkonkurrenz auch innerhalb Frankreichs, nicht zuletzt die eigene Klientel empfindlich zu treffen. So vertritt der Abgeordnete Alain Gest (UMP) aus der nordfranzösischen Picardie die Auffassung, "die Verbindung zwischen der Abschaffung der Départements und der Wachstumsförderung" sei "nicht so leicht nachzuvollziehen". Hingegen äußerten sich andere Abgeordnete aus dem Regierungslagers, trotz der hinhaltenden Widerstände vieler bürgerlicher Hinterbänkler, eher positiv. So etwa der frühere Justizminister und Finanzpolitiker Pierre Méhaignerie (UMP), der die Auffassung vertritt, dass "Fortschritte" nötig seien, "selbst in der Frage der Départements". Etwas heftiger fetzte sich der frühere liberal-konservative Premierminister Jean-Pierre Raffarin (2002 bis 05) mit dem Kommissionsvorsitzenden Attali. Er erklärte sich "ein bisschen enttäuscht" über einen "halbseitig gelähmten" (= einseitigen) Report, der "wenig neue Ideen bringe". Fraglich ist nur, ob der Kommissionsbericht mit seinen Vorschlägen für einen Kahlschlag zu weit geht, oder nicht ratzeputz genug ausfällt, oder aber ob der Wirtschaftsliberale Raffarin sich über die Nichteinhaltung des Copyrights über die Vorschläge zu beschweren wünscht. Jacques Attali giftete jedenfalls zurück: "Monsieur Raffarin ist das Symbol des Konservativismus unseres Landes, (und) seine Art und Weise, Frankreich zu regieren, war ein Desaster." (Worauf sich von neoliberaler Seite her einwenden ließe, dass Premierminister Raffarin "immerhin" im Juni/Juli 2003 die heftig umkämpfte "Rentenreform" gegen allen Widerstreit durchsetzen konnte..) Und der wirtschaftsliberal-konservative Pariser Abgeordnete Claude Goasguen beklagte "das Heraufziehen einer Republik der Experten", offenkundig bejammernd, dass die heftigsten "Reformvorschläge" nunmehr der Mitgliedern einer so genannten Expertenkommission und nicht Politikern wie ihm überlassen bleiben. Seinerseits kofferte Attali zurück: "Er (Goasguen) bevorzugt vielleicht eine Republik der Schwachköpfe/Volltrottel (imbéciles). In ihr hätte er garantiert seinen Platz." Die sozialdemokratische Parlamentsopposition unter ihrem Parteivorsitzenden François Hollande versucht ihrerseits, an diesen internen Widersprüchen im konservativen Block den Hebel anzusetzen. Ihre Parteiführung sprach ferner von einem Report, der einer "sozialen Regression" den Weg ebne. Umgekehrt gibt es allerdings sehr prominente Stimmen im sozialdemokratischen Lager, die sehr lautstark die Grundlinien des Abschlussbericht der "Attali-Komission" begrüßt haben. Ségolène Royal: Blöde und rechtslastig, wie immer Die unvermeidliche Ségolène Royal, die im vergangenen Jahr als Präsidentschaftskandidatin eine Wahlkampagne unter dem unerklärten Leitmotto "Dumm, Rechts und Unfähig" durchführte (und damit gegen die Wand fuhr) und nunmehr Ambitionen zur Übernahme des Parteivorsitzes an den Tag legt, reagierte etwa mit folgenden Worten: "Frankreich benötigt Reformen. Dieser Bericht ist gemacht, um Frankreich zu helfen, und ich möchte Frankreich helfen." (Vgl. http://www.liberation.fr/actualite/politiques/305856.FR.php?rss=true) Ferner ermahnte die dumm-rechte Tante, pardon, die sozialdemokratische Politikerin den amtierenden Präsidenten Sarkozy, sie werde ihn streng "daran erinnern, dass er sich verpflichtet hat, ihn (den Kommissionsbericht) umzusetzen". Das konservative Staatsoberhaupt zittert schon vor lauter Angst vor so viel entschlossener Opposition. (Vgl. zum Zitat: http://www.lemonde.fr/politique/article/2008/01/29/le-rapport-attali-federe-contre-lui-tous-les-mecontentements_1004930_823448.html) Auch die ehemalige Europaministerin am Hofstaat François Mitterrand und spätere "sozialistische" Justizministerin unter Premier Lionel Jospin, Elisabeth Guigou, fand den Report der Kommisssion "sehr stimulierend, sehr innovativ";)! (Zitiert aus "Attali, Attila, c'est moi!", Artikel in ,Le Canard enchaïne' vom 30. Januar 08. Die satirisch-investigative Wochenzeitung rückt Attali mit seinen Schlussfolgerungen über die "Wachstumshemmnisse" der französischen Gesellschaft in die Nähe des Hunnenkönigs Attila, der vor 12 Jahrhunderten wütete. Rein sprachlich, versteht sich...) Regierung kündigt baldige Umsetzung der Vorschläge der Attali- Kommission an Präsident Nicolas Sarkozy selbst äußerte sich zunächst enthusiastisch über den Abschlussbericht der Kommission und kündigte seine baldige Umsetzung in die politische Praxis an. Im Laufe des Donnerstag, 24. Januar schränkte er dann jedoch ein, bei zwei (von insgesamt 316) Vorschlägen der Kommission habe er gewisse Vorbehalte - betreffend die Abschaffung der Départements sowie die Streichung des (ökologischen) "Vorsorgeprinzips" aus der Verfassung. Bezüglich letzterem Vorhaben der Kommission erklärte er, dieses theoretische Prinzip bedeute ja nicht, dass man einem "Prinzip der Untätigkeit" gehorchen müsse. Für "Anfang Februar" wurde ein Regierungsseminar zum Thema angekündigt. Präsident Sarkozy erklärte zugleicht, dass im Anschluss an dieses Seminar die von ihm (mittels der so genannten ,Lettre de mission') definierten Aufträge der einzelnen Minister entsprechend abgeändert bzw. ergänzt würden, um die Vorschläge der Kommission dort noch aufnehmen zu können. Das geplante Regierungsseminar hat am Freitag, den 1. Februar tatsächlich stattgefunden. Im Anschluss an die Tagung erklärte Premierminister François Fillon, nunmehr werde in jedem Ministerium ein "Aktionsplan" zur Umsetzung der Vorschläge des "Attali-Reports" ausgearbeitet und der "Dialog mit den Sozialpartnern" solle sich in naher Zukunft an den ihn betreffenden Kapiteln des Untersuchungsberichts orientieren. (Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2008/02/01/rapport-attali-fillon-annonce-un-plan-d-action-dans-chaque-ministere_1006454_823448.html) Unterdessen hatte auch die Europäische Kommission in Brüssel ihre Unterstützung für die, von einem brachialen Neoliberalismus geprägten, "Reform"vorschläge der Kommission von Jacques Attali erklärt. Ihre Umsetzung "wäre sehr gut für die französische Ökonomie", erklärte der für Wirtschafts- und Finanzfragen zuständige EU-Kommissar Joaquim Almudia auf einer Pressekonferenz. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/depeches/0,14-0,39-34110351@7-37,0.html) Er fügte hinzu: "Ich sehe eine lange Liste von Maßnahmen, die, glaube ich, geeignet wären, das potenzielle Wachstum Frankreichs zu vergrößern, die französische Wirtschaft zu verbessern, das Funktionieren der Finanzmärkte zu verbessern und dort mehr Flexibilität einzuführen, wo nicht genügend (Flexibilität) vorhanden ist." Erste Proteste regen sich Aber inzwischen hatten sich auch erste Widerstandspotenziale aufgetan, und zwar insbesondere in den Berufszweigen, die von Vorschlägen der Attali-Kommission zur "Dereglementierung" betroffen sind (während auch manche Gewerkschaften wie FO, der christliche Gewerkschaftsbund CFTC und der Verband von Lehrer- und Bildungsgewerkschaft sich inzwischen verbal mit scharfer Kritik zu Wort meldente). Das gilt insbesondere für die Taxifahrer/innen (vgl. im Labournet-Artikel vom 25. Januar für den entsprechenden Vorschlag der Kommission zur "Öffnung" des Arbeitsmarkts, der viele Taxifahrer/innen beim Verdienst unter das Existenzminimum drücken würde). Diese waren am Donnerstag, 31. Januar zu einem ersten "Aktionstag" in Paris und anderen französischen Großstädten aufgerufen. Der Aufruf zu Aktionen wurde jedenfalls in Paris auch sehr stark befolgt: In der französischen Kapitale blockierten abgestellte, von ihren Fahrer/inne/n abgeschlossene und verlassene Taxis in einer kilometerlangen Schlange stundenlang jeglichen Verkehr von der Gare du Nord (dem Nordbahnhof) her kommend bis zur Place de la République und weiter in Richtung Place de la Nation. Der dadurch bewirkte Verkehrsstau (aber auch das dazu gehörige Aufgebot an Polizei) wirkte schon ziemlich beeindruckend. Premierminister Fillon reagierte darauf am folgenden Tag - am Ausgang des Seminars seines Kabinetts zum ,Rapport Attali' -, indem er ankündigte, man werde mit den Verbänden der Taxifahrer versuchen zu verfahren "wie mit den Gewerkschaften bei der Modernisierung des Arbeitsmarkts". Im letzteren Falle hatte die Regierung mit einem gesetzgeberischen Eingriff gedroht, aber letztendlich waren es die (Mehrzahl der) Gewerkschaften selbst, die es vorzogen, mit dem Arbeitgeberlager ein "sozialpartnerschaftliches" Abkommen zur "Modernisierung des Arbeitsmarkts" abzuschließen - nach dem Motto: "Das Zweitschlimmste aushandeln, um das Schlimmste zu verhindern". (Labournet berichtete ausführlich) Unterdessen hatten die Verbände der Taxifahrer/innen für Mittwoch, den 6. Februar zu einem neuen Aktionstag aufgerufen. Am gestrigen Tage fiel dieser neue Protest wiederum beeindruckend aus. In einem sehr langen Autokorso zogen protestierende Taxifahrer/innen von den beiden Pariser Flughäfen, Roissy (im Norden) und Orly (im Süden), an die Pariser Stadteinfahrt Porte de Maillot im Westen der Hauptstadt und sorgten durch ihr Zusammenströmen für massive Verkehrsstörungen. Am Abend des gestrigen Mittwoch erklärte Premierminister François Fillon - welcher Vertreter der Taxifahrer-Verbände an seinem Amtssitz im Hôtel Matignon empfing, seinen "Verzicht" auf eine Umsetzung desjenigen Vorschlags der Attali-Kommission, der ihren Berufsstand betroffen hätte. Bernhard Schmid (Paris) 07. Februar 2008
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