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Updated: 18.12.2012 15:51 |
AKW-Dinosaurier wer'n immer trauriger In Wirklichkeit bereitet sich Frankreich keineswegs auf einen Abschied von der Atomindustrie vor. Vielmehr würde diese auch unter einer möglichen ,rot-grün' geführten Regierung ab Frühsommer 2012, trotz mittelfristig verminderten Atomstrom-Anteils, eine Bestandsgarantie auf längere Sicht erhalten. Und auch bei Teilen der Gewerkschaften sieht es in Sachen Atompolitik doch ziemlich zappenduster aus... "Überraschung: französische Atomkraftwerke doch nicht total sicher!" Mit dieser sarkastischen Erklärung reagierte das "Netzwerk Atomausstieg", Réseau Sortir du nucléaire , auf den Untersuchungsbericht der Reaktorsicherheitsbehörde ASN aus der ersten Januarwoche. Dieser war infolge des Atomunfalls im japanischen Fukushima in Auftrag durch die Regierung gegeben worden. Er kommt nunmehr zu dem Schluss, es müsse angeblich kein einziger der derzeit 58 laufenden Reaktorblöcke in Frankreich abgeschaltet werden. Allerdings seien umfangreiche Investitionen erforderlich, um dennoch erforderliche Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Sicherheit vorzunehmen. So sollen die Betreiber bis zum 30. Juni einen "harten Kern" ihrer Reaktoren definieren, in Gestalt einer befestigten Kommandozentrale, die auch bei größeren Krisen oder Unfällen - wie Erdbeben oder Flugzeugabstürzen - widerstandsfähig wäre. Ferner soll jeder Reaktor über einen spezifischen Strom- und Wasserkreislauf verfügen, welcher im Falle eines Zusammenbruchs des Kraftwerkbetriebs nicht mit ausfällt. Aus der Empfehlung lässt sich entnehmen, dass nicht einmal dies bis heute überall der Fall ist. Bis Ende 2014 soll ferner eine nukleare "Eingreiftruppe" einsatzbereit sein, die im Krisenfall in alle Reaktoren eines Kraftwerks entsandt werden kann. 50 Milliarden Euro möchte die ASN in den kommenden Jahren für diese Zwecke aufgewendet sehen. Henri Proglio, der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns EDF ( Electricité de France ) - des Hauptbetreibers französischer Atomanlagen - beeilte sich, zu erklären, in Wirklichkeit handele es sich nur um Kosten in Höhe von zehn Milliarden. 40 Milliarden seien nämlich bereits bislang programmiert gewesen, um die Laufzeit der im Betrieb befindlichen französischen Atomkraftwerke auf - mehr als stattliche - 60 Jahre ausdehnen zu können. Diese Ausgaben seien für die kommenden dreißig Jahre vorgeplant gewesen. Andere Quellen, etwa durch Le Monde befragte Experten, sprechen zwar eher von fünfzehn statt zehn zusätzlich erforderlichen Milliarden. Doch Regierungsmitglieder beeilen sich ebenso wie EDF-Vertreter, den Aufwand herunter zu spielen. Industrieminister Eric Besson etwa erklärte umgehend, der Strompreis für die Verbraucher werde "dadurch nicht einmal um zwei Prozent der Stromrechnung" steigen. Es deutet sich also jedenfalls an, dass die zu erwartenden Mehrkosten für die Laufzeitverlängerung auf die Konsumenten abgewälzt werden sollen. Bislang behauptete Frankreich zwar offiziell stets, der Preis einer Kilowattstunde Strom sei billiger als in Nachbarländern wie Deutschland - wobei EDF, um seine gigantischen Kapazitäten an Atomstrom loszuwerden, seit den siebziger Jahren den Privatkunden unsinnige und verschwenderische Einrichtungen wie uneffiziente elektrische Heizungen aufgedrängt hatte und dadurch ihren Verbrauch in die Höhe trieb. Aber nunmehr kommt auch in der französischen Debatte um die Atompolitik, die seit dem Fukushima-Unfall erstmals stärker kontrovers geworden ist, ans Tageslicht, dass es dabei hohe "verdeckte Kosten" gibt. Der Umgang mit dem anfallenden Atommüll ist ebenso wenig in die offiziellen Kosten einbezogen worden wie der Sicherheitsaufwand oder die in Zukunft anstehenden Lasten für den Abriss von radioaktiv verseuchten Anlagen der Nuklearindustrie. Ende Januar dieses Jahres wird nunmehr die Cour des comptes - der nationale Rechnungshof - eine erste Preiskalkulation für die "verborgenen Kosten" vorlegen. So ist es jedenfalls geplant. Angesichts der geplanten, relativ horrenden Ausgaben stellen sich viele Beobachter die Frage, warum überhaupt noch einmal Dutzende von Milliarden in eine Technologie gepumpt werden sollen, die in weiten Teilen der Erde inzwischen als diskreditiert gilt. Nicht nur die Parteichefin der französischen Grünen, Cécile Duflot, ist der erklärten Auffassung, dass diese Summen "für die Entwicklung und den Ausbau anderer Technologien der Energieversorgung" viel besser ausgegeben wären. Französische Regierungspolitiker und EDF-Vertreter setzen jedoch weiterhin stur und starr auf die Atomtechnologie, weil sie sich davon versprechen, nach wie vor könne Frankreich von ihrem Export in so genannte Schwellenländer mit ansteigendem Energiebedarf profitieren. Henri Proglio versuchte Anfang November, in die propagandistische Offensive für den Erhalt der Technologie zu gehen, und malte der französischen Öffentlichkeit die Konsequenzen eines auch nur phasenweisen und mittelfristigen Ausstiegs schwarz in schwarz. Eine Million Arbeitsplätze würde ein Atomausstieg kosten, behauptete er, natürlich ohne sich auch nur einen Gedanken um eine mögliche Konversion dieser Stellen durch andere Aktivitäten im Energieversorgungsbereich zu machen. 400.000 Arbeitsplätze gingen angeblich im Atomsektor direkt und indirekt verloren, behauptete Proglio, 500.000 in energieintensiven sonstigen Energiezweigen, und 100.000 im Export. Aber auch in Frankreich glauben immer weniger Menschen an die Unausweichlichkeit einer Fortentwicklung der Atomtechnologie oder an die fatalerweise katastrophalen Folgen eines Ausstiegsszenarios. Anfang Dezember vergangenen Jahres konnte ferner Greenpeace der offizieller "Sicherheits"propaganda einen Schlag versetzen: Per Überraschungscoup und ohne Vorwarnung drangen eines frühen Morgens, am 05. Dezember, Aktivisten von Greenpeace problemlos in mindestens ein französisches AKW ein, in Nogent-sur-Marne. Von drinnen heraus meldeten sich durch Veröffentlichung von Fotos und Filmen. In zwei anderen Atomanlagen, in Blaye und Cadarache, wurde gleichzeitig ein Eindringen versucht. Um die Behörden zu wurmen forderte Greenpeace sie dazu auf, selbst herauszufinden, wo noch Aktivisten ins Innere vorgedrungen sein könnte, ohne ihren Aufenthalt zu verraten. Auch auf politischer Ebene ist die Atomtechnologie unterdessen, erstmals ernsthaft, zum Streitgegenstand der französischen Innenpolitik geworden. Am 16. und 17. November vergangenen Jahres hatte das Abkommen zwischen Sozialdemokratie und Grünen für eine Regierungsbildung im Frühsommer dieses Jahres vorübergehend auf der Kippe gestanden. Am Abend des ersten Tages hatte sich herausgestellt, dass die französische Nuklearfirma AREVA unmittelbar in die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien eingegriffen hatte. Im Vorgriff auf einen Wahlsieg hatten beide sich auf einen politischen Grundlagentext geeinigt. Die Sozialistische Partei wollte dadurch sicher gehen, nicht nach den Wahlen oder zwischen ihren beiden Durchgängen, wenn eine Stimmenübertragung von den ausscheidenden Listen auf die stärkeren Parteien für die Stichwahl erforderlich wird, mit "überzogenen" inhaltlichen Forderungen konfrontiert zu werden. Das Wahlbündnis aus Grünen und Linksliberalen, Europe Ecologie-Les Verts (EE-LV), dagegen wollte eine Garantie über eine bestimmte Anzahl von Parlamentswahlen frühzeitig festzementiert wissen. Auch, um bei einem schwachen Abschneiden der Präsidentschaftskandidatin von EE-LV, Eva Joly, dann nicht in Sachen Sitze leer auszugehen. Die Einigung zwischen beiden Formationen bezog also sowohl inhaltliche Aspekte als auch Fragen von Sitzverteilung und parteipolitischen Interessen mit ein. Aus diesem Grunde wurde er vielfach und von unterschiedlichen Seiten her kritisiert, denn er erschien letztendlich als "ein Tauschbasar, auf dem Grundsatzüberzeugungen gegen Parlamentsmandate eingetauscht werden". In ihrer ersten Fassung enthielt die Einigung eine Aussage, wonach eine "Konversion" der derzeitigen MOX-Industrie - also der Produktion von Brennelementen, welche aus einer Mischung von Uran und Plutonium bestehen - angestrebt werde. Also ein Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze, die aber für andere Aktivitäten umgewidmet werden sollen, genannt wurden die zukünftige Einlagerung von Atommüll und der spätere Abriss von ausgedienten Atomanlagen. Doch ohne ihre Intervention im geringsten zu verbergen, schaltete die Atomfirma AREVA - Betreiberin der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague , wo das Plutonium aus dem anfallenden Atommüll abgetrennt wird - sich ein. Sie bedrohte die französische Sozialdemokratie mit "schwerwiegenden Konsequenzen", falls ein Ausstieg aus der MOX-Produktion erfolge, etwa in Form der Bedrohung von Arbeitsplätzen. Daraufhin zog die Sozialistische Partei die Passage im Einigungstext einseitig zurück. Dies sorgte für einen Aufschrei bei den Grünen, und Eva Joly wollte nun gar nicht mehr sein, im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl überhaupt für François Hollande stimmen zu können. Innerhalb weniger Stunden wurde die ursprüngliche Fassung daraufhin wiederhergestellt. Diese präzisiert jetzt, es sei keineswegs ein Ausstieg aus der Fabrikation von MOX-Brennelementen geplant, sondern nur ihre Verringerung proportional zur vorgesehenen Reduzierung des Atomenergie-Anteils an der globalen Energieversorgung. Dem Abkommen zufolge soll diese, bis 2025, von derzeit 74 Prozent auf geplante 50 Prozent zurückgehen. Die anteilsmäßige Reduzierung der Brennelemente-Herstellung aus MOX soll mit einer Bewahrung der Arbeitsplätze und ihrer Umwidmung einhergehen. Für das geplante, jedoch umstrittene Atommüll-Endlager im lothringischen Bure wird eine Bestandsgarantie abgegeben. Insofern wird auch unter einer eventuellen künftigen Mitte-Links-Regierung nicht mit einem scharfen Bruch mit den bisher in Frankreich geltenden Dogmen der Atompolitik zu rechnen sein. Zumal im Milieu der französischen KP, aber auch bei den Gewerkschaften in Teilen noch immer eine beinharte Position der "Verteidigung aller Arbeitsplätze" vorherrscht. Am Standort des AKW im elsässischen Fessenheim, das schon seit 1977 in Betrieb ist und - als älteste laufende "zivile" Atomanlage im Land - unter einem Präsidenten François Hollande und eventuell sogar bei einer Wiederwahl Sarkozys als Abschaltkandidat gilt, organisieren Gewerkschafter etwa einen örtlich stark verankerten Widerstand dagegen. Sie beklagen einen Verrat durch die Politik, die aufgrund kleinlicher Parteiinteressen "ihren Standort zu opfern" bereit sei. Vergleichbare Positionen gelten bislang noch für eine Mehrheit der größeren Gewerkschaften (ohne SUD-Basisgewerkschaften). Teile der CGT-Energie wären sogar bereit, einen Streik gegen eine Verringerung des Atomenergie-Anteils unter einer späteren "rot-grün" geführten Regierung zu organisieren. Allein die heute rechtssozialdemokratisch geführte CFDT, welche in den 1970er Jahre eine linksalternativ und ökologisch beeinflusste Periode durchlief, bleibt noch ein Erbe gewerkschaftlicher Atomkraftkritik übrig. Auch ihre, seit langem nicht mehr als links zu bezeichnende, Gewerkschaftsführung erklärte sich dazu bereit, einen teil- und schrittweise Atomausstieg unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung konstruktiv zu begleiten. Bernard Schmid, Paris, 12.01.2012 |