Home > Internationales > Frankreich > Arbeitskämpfe > Putzgewerbe en lutte > accoraktiv | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Die Kosten rebellieren weiter »Ungebetene Gäste« bei Accor – Solidaritätskomitee weiter aktiv Im express Nr. 6-7/04 hatten wir berichtet über Planungen zu einem europaweiten Aktionstag anlässlich der Entlassung von Faty Mayant, »Putzfrau« bei dem für die Hotelkette Accor tätigen Reinigungs-Subunternehmer Arcade und Gewerkschaftsdelegierte der französischen SUD Nettoyage (neugegründeter Zweig der SUD im Reinigungsgewerbe). Wir berichten über Stand und Fortgang der Auseinandersetzungen seit dem Aktionstag. Der Aktionstag, der am 23. Juli stattfand und in Frankreich, Spanien, England, Italien und Deutschland zu einer Reihe von Aktivitäten in bzw. vor Accor-Hotels führte, war Resultat einer von »kein mensch ist illegal«, »tie-Bildungswerk« und express angebotenen AG auf der Dortmunder Konferenz »die Kosten rebellieren«. Unter dem Titel »Kein Ort. Nirgends? Neue Ansätze der Organisierung in prekären Beschäftigungsverhältnissen« diskutierten die TeilnehmerInnen gemeinsam mit Jeffrey Raffo (einem Campaigner von Orka, Organisierung & Kampagnen), Faty Mayant und ihren Kollegen von der SUD sowie Monica Santana vom Latino Workers Center (New York) über mögliche Strategien der Organisierung von prekären und migrantischen Beschäftigten. Der Aktionstag selbst entsprang der Überlegung der TeilnehmerInnen, nicht nur Unterstützung im konkreten Fall der Entlassung von Faty Mayant zu organisieren, sondern die Praktiken und Arbeits-bedingungen in den Hotels des Multis Accor, der mittlerweile rund 3700 Hotels in 90 Ländern unterhält, exemplarisch unter die Lupe zu nehmen und öffentlich zu machen. Dieses Ziel verfolgt auch das gewerkschafts- und organisationsübergreifende Solidaritätskomitee, das während des ersten Arbeitskampfes bei Accor/Arcade mit publikumswirksamen Aktionen, Info-Veranstaltungen, Medienarbeit und regelmäßigen Treffen von und für AktivistInnen und Betroffene eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung gespielt hatte. Anlässlich der Entlassung von Faty hat es seine Arbeit nun wieder aufgenommen. Zur Erinnerung: Gemeinsam mit rund 30 Kolleginnen hatte Faty Mayant gegenüber Arcade nach einem knapp einjährigen Arbeitskampf eine Reihe von Forderungen durchsetzen können, die Ausnahmecharakter in dieser Branche haben: Einfluss auf das Arbeitstempo, die Festlegung von Arbeits- und Ruhezeiten sowie die Erstellung von Schichtplänen. Dieser Erfolg war umso bemerkenswerter (und dürfte einer der Gründe für Fatys Entlassung gewesen sein), als die Beschäftigten dieser Branche in einem »System der Gesichtslosigkeit« arbeiten, das sie als tendenziell unorganisierbar erscheinen lässt. Die »Zimmermädchen« werden oft nicht von den Hotels selbst, sondern von Subunternehmern angestellt, Auftraggeber und Einsatzorte wechseln häufig, die Fluktuation unter den – meist migrantischen – Beschäftigten ist hoch, Sprachprobleme, Probleme mit dem Aufenthaltsstatus, mangelnde Kenntnis der Arbeitnehmerrechte etc. stellen erschwerte Bedingungen für die Artikulation und Organisierung von Interessen der ArbeiterInnen dar. Nicht zuletzt deshalb sind neue Formen und Elemente des Arbeitskampfes und der Unterstützung wichtig, die der Tatsache Rechnung tragen, dass der Arbeitsplatz selbst oft nicht mehr ein selbstverständlicher Ort der Organisierung ist: Wie schon der Streik in 2002/2003 wurde auch der Aktionstag am 23. Juli von jenem »Solidaritätskollektiv« in Paris unterstützt, das sich anlässlich einer Reihe von Arbeitskämpfen prekär Beschäftigter bei McDo-nalds, Virgin, Euro Disney gebildet hatte. In dem Solidaritätskomitee, das auch als Ansprechpartner für den europäischen Aktionstag gegen Accor fungierte, haben sich – bemerkenswert genug – VertreterInnen ver-schiedener sozialer und politischer Organisationen sowie von Gewerkschaften, Beschäftigte und Einzelpersonen zusammen geschlossen. Sie begleiten die juristische Auseinandersetzung um die Entlassung der aktiven Gewerkschafterin und die weiteren Aktivitäten gegen Accor, setzen sich jedoch auch bei anderen Konflikten im Bereich prekärer Arbeit wie den jüngst wieder ausgebrochenen Streiks bei McDonalds ein. Zwei Momente stehen dabei aktuell auf der Tagesordnung: Zum einen geht es darum, die Wiedereinstellung von Faty Mayant als aktiver Gewerkschafterin zu erwirken. Nicht von ungefähr war die Entlassung ihr gegenüber ausgesprochen worden, denn Faty hatte den ersten langen Arbeitskampf maßgeblich mitvorbereitet und dabei ihre Gewerkschaft im Rücken. Die Entlassung kam zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen viele seiner letztes Jahr gemachten Zusagen revidiert hatte und damals getroffene Vereinbarungen nicht mehr einhielt: Überstunden wurde nicht mehr aufgeschrieben, Arbeitszeitvereinbarungen nicht mehr eingehalten, das Arbeitstempo wieder verschärft, Fahrkarten für den ÖPNV wurden nicht mehr erstattet. Die Beschäftigten standen vor der Frage, wie sie mit diesem Bruch von Vereinbarungen umgehen sollten, ein neuer Arbeitskampf schien nicht ausgeschlossen. Insofern ging es für das Unternehmen darum, möglichen Widerstand zu brechen. Accor ist hier jedoch kein Einzelfall, sondern steht in einer Reihe mit einer zunehmenden Anzahl von Repressionen gegen aktive GewerkschafterInnen in ganz Frankreich. Das Solidaritätskomitee plant, diese Entwicklungen stärker in seine Arbeit einzubeziehen und Verbindungen zwischen diesen Fällen herzustellen. Zum zweiten geht es um die Beziehung zwischen General- und Subunternehmer, kurz: um die Verantwortung in der Zulieferkette. Erste Erfolge der zahlreichen kleinen Nadelstich-Aktionen vor und in den Accor-Hotels – von Picknicken auf dem Bürgersteig über das Verteilen von Postkarten an die Kunden mit der Bitte, diese an das Accor-Management bzw. die Hotelleitung zu senden und die Wiedereinstellung von Faty zu fordern, bis zu Diskussionen mit Hotelgästen und -personal über die Arbeitsbedingungen des Reinigungspersonals – sind schon absehbar: Die Leitung der Accor-Hotels hat in der Libération erklärt, sie wolle die Fremdvergabe der Putzdienste stoppen und die Reinigung wieder in das Unternehmen zurückholen. Im Folgenden dokumentieren wir ein Flugblatt, das über den Fortgang der Aktivitäten seit dem 23. Juli in-formiert: »Faty Mayant, Delegierte der französischen Gewerkschaft SUD im Reinigungsunternehmen Arcade, büßt immer noch dafür, den Streik der 30 überwiegend afrikanischen Reinigungskräfte gegen die Hotelkette Accor von März 2002 bis Februar 2003 mitgemacht und gegenüber ihrem Unternehmen wie auch dessen Auftraggeber – der transnationalen Hotelkette Accor – in den Verhandlungen die berechtigten Forderungen teilweise durchgesetzt zu haben. Am 11. März 2004 wurde sie entlassen wegen Überschreitens der gewerkschaftlichen Freistellungszeiten, obwohl es bei Arcade zur Frage der gewerkschaftlichen Vertretungszeiten keine festen Regeln gibt. Faty war die einzige Delegierte, die dafür bestraft wurde. Die staatliche Arbeitsaufsicht akzeptierte die Entlassung vom 11. Mai. Faty legte Widerspruch gegen diese Entscheidung ein. Viele Argumente von ihr wurden bei der Entscheidung nicht berücksichtigt bzw. ignoriert. Am 9. September muss Faty zur staatlichen Aufsichtsbehörde, um Auskunft zu geben über ihre Einsprüche. Das Solidaritätskomitee ruft für neun Uhr zu einer Versammlung vor der Behörde auf. Am 27. August fand das erste öffentliche Auftreten des Komitees vor dem Firmensitz von Arcade statt, um diese » Sklavenhalterfirma« daran zu erinnern, dass der Kampf weitergeht, dass »wir nicht locker lassen«, aber auch als Warnung an den Auftraggeber »Accor«, dass wir dessen Verantwortung nicht vergessen haben. Nach dem Besuch bei Arcade erhielten zwei Hotels Besuch von Mitgliedern des Solidaritätskomitees: Zunächst gingen wir zum IBIS-Hotel in der Rue Louis Blanc, wo sich ein junger Rezeptionist weigerte, seine Chefs zu rufen, dafür aber die Polizei herbeiholte. Diese stellten unsere Anwesenheit fest und verschwanden wieder. Wir waren einfach ungebetene Gäste, potentielle Kunden also, was sollten sie da machen. Im zweiten Hotel von IBIS war der Empfang eher höflich – das Empfangspersonal kennt uns inzwischen –, aber auch hier weigerten sich die Angestellten, uns die Ruheräume für die Beschäftigten der Fremdfirmen zu zeigen. Das Unternehmen Accor, das ständig in der Reklamewelt präsent ist, scheint etwas verbergen zu wollen. Wir bleiben dran. Bei beiden Besuchen war die Reaktion der Gäste überwiegend von Sympathie gekennzeichnet, mehr als einer versprach, die verteilten Protestkarten an die Leitung von Accor weiterzuschicken.« Für die UnterstützerInnen in Deutschland – AktivistInnen in Freiburg, Dortmund, Berlin, Köln und Frankfurt am Main – stellt sich die Frage, ob und wie die Auseinandersetzung um die Entlassung von Faty und die Untersuchung der Arbeitsbedingungen in den hiesigen Accor-Hotels vorangetrieben werden kann. Eine Überlegung aus dem UnterstützerInnenkreis besteht darin, Faty Mayant an die Orte, in denen Aktionen stattgefunden haben, einzuladen. Frei nach dem Motto: »Die Kosten rebellieren weiter«. Weitere Informationen: www.ac.eu.org
;
Libération vom 11. August 2004 Willi Hajek, Kirsten Huckenbeck Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
9/04 |