Home > Internationales > Frankreich > Politik > 35-Stunden-Woche > 35ade1
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

SEHR kurz vermeldet:

Französisches Parlament verabschiedet neue Arbeitszeitregelung - Gewerkschaftsverbände erfolgreich über den Tisch gezogen

An diesem Montag, 7. Juli, verabschiedete die französische Nationalversammlung endgültig die neuen Regeln zur Arbeitszeitpolitik. Deren Kernbestimmung besteht darin, dass die Pauschalregelungen zur Arbeitszeit ( forfait tout horaires oder forfait-jours ), aufgrund derer die Bemessung der Arbeitsstunden pro Tag entfällt und nur noch die Zahl der Arbeitstage im Jahr bemessen wird, neu definiert werden.

Die Neuregelung beinhaltet einerseits eine Anhebung der "Pauschale" von bislang 218 auf 235 Arbeitstage pro Jahr. Dadurch entfällt quasi die Gesamtheit der rund drei Arbeitswochen an zusätzlichen freien Tagen, die (im Gegenzug zur Einführung der "Pauschalregelungen" und Ausgleich für die abhängig Beschäftigten) gleichzeitig mit den forfait-jours im Arbeitszeitgesetz der damaligen "sozialistischen" Regierung im Januar 2000 eingeführt worden waren.

Auf der anderen Seite wird aber auch das Publikum an abhängig Beschäftigten, auf das solche Arbeitszeit-"Pauschalregelungen" angewendet werden können, enorm ausgedehnt. Denn laut dem Arbeitszeitgesetz, ,Loi Aubry-II' genannt, vom Januar 2000 galt die rechtliche Möglichkeit, durch eine solche Pauschalregelung nur noch die Arbeitstage und nicht mehr die Stundenzahl pro Tag zu Messen, ausschließlich für höhere und leitende Angestellt. Cadres supérieurs also, die man im deutschen Recht als "übertarifliche Angestellte" qualifizieren würde. Nunmehr aber soll diese gesetzliche Möglichkeit für ALLE abhängig Beschäftigten gelten können, die "bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit autonom sind". Potenziell gilt dies, im jetzigen Zustand der Arbeitsverhältnisse, bei dem die Betriebe und Unternehmen zunehmend auf die "autonome Problemlösung" durch die Lohnabhängigen pochen, gilt dies aber für eine zunehmend große Zahl von abhängig Beschäftigten.

Potenziell wird dadurch also jegliche Begrenzung der Arbeitszeit (abgesehen von den jährlichen Urlaubsperioden und einem, gering gewordenen, jährlichen Freizeitausgleich im Gegenzug zur Einrichtung einer solchen Pauschale) ausgehebelt. Und dies für eine wachsende Anzahl von Arbeitskräften. An eine "35-Stunden-Woche" braucht man, im Angesicht eines solchen Mechanismus, gar nicht mehr ernsthaft zu denken. Auch wenn selbige nach wie vor die theoretische Arbeitszeitnorm bildet und nicht formell abgeschafft worden ist.

Diese neue Regelung tritt voraussichtlich in Bälde (nach der sofort anstehenden Beratung im Senat, der zweiten Parlamentskammer) in Kraft, gilt aber nur dann, falls keine im - aus Sicht der Beschäftigten - günstigen Sinne abweichende betriebliche Regelung gilt.

Zur Gewerkschaftspolitik: Wer sich selbst eine Grube gräbt, fällt am Schluss noch hinein

Die größten französischen Gewerkschaftsverbände, CGT und CFDT, schrien zwar zunächst ein kleines bisschen Zeter und Mordio gegen die neue Regelung. Aber letztendlich haben sie sich die Misere selbst (mit) eingebrockt. Denn, für die Gewerkschaftsspitzen - anscheinend - überraschend, hat die konservative Regierung unter François Fillon diese neue Bestimmung in ein Gesetz aufgenommen, das CGT und CFDT ausdrücklich gefordert und begrüßt hatten. Sie wurde nämlich als Passage nachträglich in jenes Gesetz aufgenommen, das (auf der Grundlage einer Vereinbarung der "Sozialpartner" vom 10. April dieses Jahres, Labournet berichtete darüber) die "Repräsentativität" der Gewerkschaften - ihre rechtliche Vertretungsbefugnis für die lohabhängig Beschäftigten - neu regelt und dabei die CGT und CFDT begünstigt. Der Haken kam erst hinterher, nämlich in Gestalt des Überraschungscoups der konservativen Regierung - welche die von den beiden wichtigsten Gewerkschaftsbünden so heiß ersehnte Neuregelung nutzte, um ihnen durch einen "Dolchstoß von hinten" (so ihre subjektive Wahrnehmung) die Neuregelung der Arbeitszeitpolitik reinzuwürgen. Beinahe möchte man schadenfrohe meinen: "Wer sich selbst eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" - bzw. feststellen, dass die Gewerkschaftsführungen durch ihre Naivität im Umgang mit der konservativen Regierung schön dazu beitrugen, dass sie am Ende mächtig vera.. wurden. "Beinahe" aber nur, denn leider müssen letztendlich die Lohnabhängigen nun die Suppe auslöffeln.

In den nächsten Tagen werden wir auf die Hintergründe dieser neuen Arbeitszeitpolitik und auf die Gewerkschaftspolitik zu diesem Punkt noch ausführlich zurückkommen.

Artikel von Bernard Schmid vom 9.7.08


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang