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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Mobilisierung am 15. Oktober in Paris

Auch wenn man es ungern ausspricht: In diesem Herbst blieb die Mobilisierung in Paris, anlässlich des weltweiten Demonstrationstages vom 15. Oktober 2011, hinter jenen in manchen deutschen Städten zurück. Von den Mobilisierungserfolgen in Spanien und Italien gar nicht erst zu reden…

Sicherlich gibt es Erklärungsfaktoren für die aktuell (noch?) relativ schwache Mobilisierung in diesem Zusammenhang, was die französische Hauptstadt betrifft. Diese ist zeitlich „eingekeilt“ zwischen die schwere Niederlage der Sozialprotestbewegung im Kampf um die „Rentenreform“ von Anfang November 2010 - die etablierten Gewerkschaftsführungen halben dabei kräftig beim Einfahren einer Niederlage - und dem anstehenden „Superwahljahr“: Am 22. April und 06. Mai 2012 wird der nächste französische Präsident (es dürfte sich um einen männlichen Bewerber handeln, François Hollande oder Nicolas Sarkozy) gewählt, und am 10. sowie 17. Juni ’12 das nächste französische Parlament. Weite Teile der etablierten Linken, aber auch der parteiförmigen radikalen Linken arbeiten bereits jetzt in hohem Grade vorrangig den nächsten Wahlkämpfen zu. - Schon im Frühjahr 2011 hatte die Mobilisierung, die sich in Anlehnung an die Besetzung der Platz der ,Puerta del Sol’ in Madrid auch in Paris zu bilden versuchte (einige Tage lang war der Vorplatz der Bastille-Oper auf eher symbolische Weise besetzt), bereits eine ausgesprochen geringe Ausstrahlungskraft entwickelt, wesentlich schwächer noch als jetzt. An der zeitlich letzten der damaligen Demonstrationen hatten im Juni d.J. nur 450 Menschen teilgenommen. Etwas besser sieht es im Moment schon aus.

Dass es an diesem 15. Oktober innerhalb von Paris drei unterschiedliche Auftakttermine für den Protest der ,Indignés’ (also „Empörten“, nach dem spanischen Begriff ,Indignados’) an jenem letzten Samstag gab - vor mehreren Bahnhöfen, am Saint-Lazare-Platz, … - machte die Sache nicht unbedingt einfacher. Doch ab 17 Uhr liefen diese zunächst getrennt voneinander laufenden Mobilisierungen vor dem Platz des ,Hôtel de Ville’, des Pariser Rathauses, zu einer als ,Assemblée populaire’ (ungefähr: „Versammlung der Unterklassen“) bezeichneten Sitzkundgebung zusammen. Unterbrochen durch Musikaufführungen, dauerte diese Versammlung mit zahlreichen Redebeiträgen einen Gutteil des Abends hindurch an. Die letzten Teilnehmer/innen verließen den Platz gegen 23 Uhr.

Rund 3.000 Menschen nahmen daran teil. Unter den Redebeiträgen wechselte sich Formen von - pardon - naivem Herangehen, Beiträge von politisierten jungen (oder seltener auch weniger jungen) Menschen, Ausdrücke von aktuellen konkreten sozialen Kämpfen und in Einzelfälle auch wirres Zeugs ab. Unter dem Strich bleibt insgesamt zwar kein negativer Gesamteindruck, aber dennoch ein Eindruck von starker Heterogenität zurück.

Eine junge Frau trug so ein (relativ unverständliches) Gedicht vor, das sie als Ausdruck einer „Empörung“ verfasst hatte. Zwei junge Teilnehmer betonten, man müsse sich von Politik fernhalten, diese sei nämlich böse, und sich an inneren Werten orientieren - „Veränderung hängt im eigenen Herzen“ an. Einer meinte, man solle doch am besten stärkst möglich jeglichen Konsum boykottieren, „und am Montag müsst Ihr Euren Job kündigen!“ (Au ja… Tolle Idee, warum kam ich noch nicht früher darauf?) Andere beriefen sich auf Mahatma Gandhi. Eine Frau wiederum wollte unbedingt das „Raus aus der Europäischen Union“ als Allheilmittel betrachten. Doch es fanden sich auch stärker (und progressiver) politisierte Menschen unter den Teilnehmer/inne/n.

Trotz eines dogmatischen „Organisationsverbots“ - das Zu-Erkennen-Geben politischer Zugehörigkeit war durch die Aufrufenden untersagt worden, und es galt neben Parteien inklusive auch für Gewerkschaften - kamen auch einzelne organisierte Linke (NPA, französische KP) zu Wort. Vor allem sprachen sich manche mutmaßlich nicht selbst organisierte Redner/innen dafür aus, dass „die Kräfte von Organisierten und Unorganisierten zusammenfließen“ müssten, denn Frankreich sei ein Land mit starken Kampftraditionen und deswegen auch starker Neigung zur Organisierung von politisierten Menschen. Tatsächlich dürfte ein dogmatisches Festhalten an der vordergründigen Ablehnung jeglicher Organisierung (das der Bewegung vor der Bastille-Oper im Mai/Juni 2011 durch die Hintertür die Teilnahme faschistischer Verschwörungstheoretiker eintrug, welche niemand am Reden hinderte, bis Organisierte auftauchten und sie endlich tatkräftig vor die Tür setzten) dazu führen, dass die vorhandenen Kräfte auseinander gerissen werden.

Zu den positivsten Erscheinungen zählte, neben dem Erinnern an den französischen Neokolonialismus durch mehrere Redner/innen - eine in Bangui (Zentralafrikanische Republik) mit karibikfranzösischem Familienhintergrund geborene Rednerin namens Mireille erhielt dafür starken Applaus -, das Aufscheinen realer, konkreter sozialer Kämpfe in manchen Beiträgen. Mehrere vor dem Mikrophon auftretende Menschen warben um aktive Unterstützung für einen aktuell anhaltenden Arbeitskampf der, oft migrantischen, Zimmerfrauen des Luxushotels NOVOTEL-Châtelet im Pariser Stadtzentrum, für den es auch ein Unterstützungskomitee gibt. Ein anderer Redner erzählte vom aktuellen Ausstand der prekär beschäftigten Mitarbeiter/innen beim Umfrageninstitut IPSOS (11 Millionen Gewinn im laufenden Jahr): Nachdem das französische Parlament im Frühsommer 2011 einen Gesetzentwurf zu einem Vorschlag Nicolas Sarkozys angenommen hatte - demnach sollen Dividenden an ihre Aktionäre zahlende, börsennotierte Unternehmen ihren Lohnabhängigen eine Jahresprämie bis zu einer OBERgrenze von 1.000 Euro auszahlen -, hatte IPSOS vor kurzem seine großzügige Sonderzahlung fixiert: 24 Euro Jahresprämie. Doch so viel… Darauf rappelte es bei dem Institut ordentlich. (333, gab’s bei IPSOS Keilerei - nein, stopp, das war noch mal was Anderes.) Bis zur Stunde hält der Streik an, Labournet wird darauf zurückkommen.

Gegen 18.30 Uhr - 19 Uhr forderte eine junge Frau am Mikrophon die Anwesenden dazu auf, sich um das zu kümmern, was sich circa 400 Meter weiter tat: Dort war, auf der Place du Châtelet, eine dreistellige Anzahl von Afrikaner/inne/n durch starke Polizeikräfte eingekesselt. Diese waren Anhänger/innen des im April 2011 durch Frankreich militärisch gestürzten Präsidenten Laurent Gbagbo - eine Unterstützung, die problematisch ist, aber durchaus einige sehr richtige Dinge wie namentlich die Denunzierung der französischen Militärintervention (sowie, auf mitgeführten Plakaten, generell des französischen Neokolonialismus in Afrika) enthielt.

Nach der zweiten, eindringlichen Aufforderung begann sich der Rathausplatz tatsächlich zum Gutteil zu leeren, und mindestens 1.000 Menschen zogen auf den nahe gelegenen Châtelet-Platz - und umzingelten ihrerseits die dort tatsächlich sehr aggressiv auftretende Bereitschaftspolizei. Diese reagierte verwirrt, begann jedoch die sich alsbald zur Sitzblockade niederlassenden jungen Leute zu attackieren und wegzutragen. Kurz darauf setzte sie auch Tränengas ein. Das hatte jedoch zuerst vor allem zum Ergebnis, dass die zahllosen Teilnehmer/innen an der Solidaritätsaktion - Labournet war von Anfang bis Ende dabei - vom Platz weg mitten auf eine vielbefahrene Straßenkreuzung im Zentrum von Paris getrieben wurden. Die Bereitschaftspolizei (CRS) versuchte im Anschluss, nun auch die Kreuzung zu räumen, es war jedoch für mindestens eine Stunde Verkehrsblockade gesorgt. Die Polizei sparte nicht mit dem Gebrauch von Knüppeln und Tränengas; laut mündlichen Informationen wurden um die zwanzig Personen verletzt, einige davon schwer (Schädelverletzungen) und in naheliegende Krankenhäuser eingeliefert. Erst nach anderthalb Stunden flossen die Teilnehmenden zum Rathausplatz zurück.

Dort begrüßten einige der Teilnehmer/innen die Aktion, andere stellten sie tendenziell als Spaltungsmanöver hin oder witterten gar (verschwörungstheoretisch) einen Auftrag der Polizei, um die Sitzkundgebung zu spalten, hinter dem Aufruf zur praktischen Solidarität. Wie immer man auch die Bilanz von Präsident Gbagbo bewerten mag - auch da gibt es einigen Anlass zur scharfen Kritik -, so war die Solidarisierung doch unter dem Strich eine positive Aktion. Einige der betroffenen Afrikaner/innen kamen denn auch später zum Rathausplatz, um sich am Mikrophon zu bedanken und ihrerseits ihre Unterstützung für die Anliegen der dort Demonstrierenden zu erklären.

In heraufziehender klammer Kälte endete die Veranstaltung gegen 23 Uhr, nachdem der Versuch einer Liveschaltung zu gleichzeitig in Brüssel versammelten Platzbesetzer/inne/n an technischen Problemen gescheitert war und nur Videos vom Tage betrachtet werden konnten.

Bernard Schmid, 18.10.2011


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