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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ein Anfang. Wofür? Es waren viele Millionen Menschen, die in Portugal, Spanien, Griechenland, Italien, Zypern und Belgien streikten - in allen Branchen: Im öffentlichen Dienst, der Industrie und den Dienstleistungen. Es waren viele Millionen Menschen, die auf die Straßen gingen, um ihre Ablehnung der mörderischen Austeritätspolitik deutlich zu machen. Mörderisch ist wörtlich gemeint: Menschen in Spanien und Griechenland bringen sich um, weil sie aus ihren Häusern, ihrer Existenz vertrieben werden... Die Stimmung ist in vielen Ländern Europas explosiv: Die Armut breitet sich mit der Erwerbslosigkeit – und immer öfter trotz Lohnarbeit - aus, Menschen verlieren ihr Zuhause, Krankenhäuser werden qua betriebswirtschaftlicher Rationalisierung zu Sterbehäusern und wer sich ein Studium leisten kann, bekommt Ausbildung auf der Schmalspur: Nach den Anforderungen der nächstliegenden Personalabteilung, die ihn dann oft dennoch nicht einstellt. Vor diesem Hintergrund ergriff nicht zufällig die portugiesische CGTP-Intersindical die Initiative für einen transnationalen Streiktag - die CGTP wohlgemerkt, und nicht etwa nur ihre KP-Mehrheitsfraktion. Es reichte dann immerhin zu einem transnationalen Aktionstag in fast ganz Europa - auch wenn die Aktivitäten etwa in der BRD, aber auch anderswo, eher schwach waren. Aber dieser Tag stellt einen Fortschritt dar, eben immerhin einen Anfang. Einen Anfang, der gesellschaftliche und politische Dynamik entfaltet hat und ein Steigerungspotenzial besitzt. Schwierigkeiten bekamen jene Gewerkschaften, die sich der gemeinsamen Aktion verweigerten und bestenfalls symbolische Aktionen wollten. Die UGT in Portugal musste zusehen, wie einige ihrer grössten Mitgliedsverbände sich dem Streik der CGTP anschlossen, der FGTB in Belgien versuchte, einen grossen Streik vor allem der Metaller in Wallonien und der Eisenbahner zu übersehen, die CISL in Italien war damit beschäftigt, ihre Büros vor allzuviel Besuch zu schützen, den auch TeilnehmerInnen von CGIL Demonstrationen abstatteten. Die Schwierigkeiten, denen sich Gewerkschaften, die zum Streik aufriefen, gegenübersehen, sind anderer Art - vor allem zwei. Zum einen ergab sich nahezu von selbst die Frage, wie es denn weiter gehen soll, etwa mit einem unbegrenzten Generalstreik? So unwahrscheinlich dies in der BRD klingen mag, die Debatte um die wiederkehrenden eintägigen General(Warn-)Streiks findet in den südeuropäischen Ländern durchaus statt. Zum anderen hatten einige dieser Gewerkschaften verschiedentlich - und immer wieder - deutlich werden lassen, dass sie die Politik der EU im Prinzip mit tragen, seien es die unsäglichen Banken-Schutzschirme, Fiskalpakte oder fragwürdig zustande gekommene Regierungen. Letzteres trifft vor allem für Spanien und Italien zu - von daher kein Zufall, dass in beiden Ländern die Alternativ-, Basis- und KlassengewerkschafterInnen erheblichen Zulauf hatten und eine wichtige Rolle bei der breiten Mobilisierung spielten. Auffällig war auch die breite Beteiligung von “prekär Arbeitenden” in allen diesen Ländern, die nicht nur wesentlicher Bestandteil des neuen Normalarbeitsverhältnisses geworden sind, sondern sich zunehmend auch organisieren, oftmals in ganz neuer Weise. Deutlich sichtbar wurde auch die aktive Beteiligung unterschiedlicher sozialer Bewegungen, die sich oftmals an einem der zahllosen Privatisierungsprojekte entwickelt hatten: Vor allem der Gesundheits- und Ausbildungsbereich waren breitem Protest ausgesetzt. In dieser Situation ist es weniger wichtig, wer sich als Organisator des ganzen Protests profilieren möchte. Es ist viel wichtiger, deutlich zu machen, welche Kritik an der EU-Politik zu entwickeln ist, weil diese ja die Formulierung der Alternativen vordefiniert. Denn wer sich unter Parolen wie “Für ein soziales Europa” sammelt, müsste mindestens erklären, welche EU-Verträge dann seiner Meinung nach aufgekündigt werden müssen - denn Neoliberalismus ist in der EU per Vertrag Geschäftsgrundlage. Gerade wenn verschiedenste Formen der Organisation und Mobilisierung wirksam waren, eröffnet dies auch mehr Räume und Möglichkeiten für Neuerungen im Widerstand, wie es die Prekären ebenso vorgemacht haben, wie etwa die StudentInnen in Italien, Nachbarschaftszusamenschlüsse in Spanien, wie einige Alternativgewerkschaften, wie diverse oppositionelle und kritische Strömungen in den streikenden Gewerkschaften. Entweder war dies lediglich ein Anfang (vom Ende?) eines Widerstandes, der sich auf bewährte Bahnen begibt und für eine andere, gemäßigtere EU-Politik an die Regierungen appelliert. Dies entspräche sicherlich der EGB- und DGB-Politik. Oder es war der Anfang des Zusammenkommens vieler Widerstände, wobei die Formulierung von Zielen, die sich eben nicht im vorgegebenen EU-Rahmen bescheiden, ein Prozeß ist - der nicht viel Zeit hat. Dieser Prozeß hat aber viele Quellen: Von jenen Hartz IV- und Ähnlichem-BezieherInnen, die sich gegen Elend und Erniedrigung wehren, über jene, die sich den Diktaten einer perversen Gesundheitswirtschaft als Beschäftigter oder Versicherter verweigern, all den vielen, die eine Ausbildung zur Mündigkeit machen wollen oder zu solcher erziehen wollen, und so weiter - bis hin zu den Niedriglöhnern und all jenen, die immer mehr arbeiten sollen. In Ländern, in denen Lohnsenkungen oder Erwerbslosigkeit direkt in die Armut führen und in denen familiäre Puffer und Reserven nie bestanden oder längst aufgebraucht sind – in diesen Ländern käme es dem Zynismus gleich, die Losung nach Arbeitsplätzen zu kritisieren. Und doch spielte sie eine erstaunlich untergeordnete Rolle gegenüber elemanteren Ansprüchen an Lebensqualität und Daseinsvorsorge. Hier könnte die mörderische Austeritätspolitik der EU eine lang ersehnte Klammer für vielfältige Widerstandsbewegungen liefern, die noch eine Gemeinsamkeit haben: Die Aufhebung der schizoiden aber ökonomisch erwünschten Persönlichkeitsspaltung in Lohnabhängige, Privatmenschen, Kunden, Patienten, politisch Aktive (nach Feierabend). Arbeitsamtsangestellte, Briefträger, Schaffner (Frankreich) machen es bereits länger vor. Mautkontrolleure, LehrerInnen und Ärzte (Griechenland) folgen schon länger. Rund um den N14 kamen erstaunliche Berufsgruppen z.B. in Spanien hierzu: Richter, die Zwangsräumungen verweigern und offenbar auch Teile der Polizei, die sich zumindest entschuldigen. Wohl nur die Verweigerung gesellschaftlicher Arbeiten, die eben nicht gesellschaftsdienlich sind, kann die Grundlage für einen wirklich wirkungsvollen und dauerhaften Generalstreik bieten. Es steht zu befürchten, welche Gewerkschaften sich dagegen verwehren würden. Es ist zu hoffen, dass ihnen die Gefolgschaft (endlich) gekündigt wird. Redaktion LabourNet Germany, 21. November 2012 Zu den Hintergründen siehe N14 - Generalstreik in (Süd)Europa! und dort die Themen- und Länderseiten |