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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Yes, we camp " Live-Schaltungen nicht nur von der Madrider Besetzung, sondern auch von zahlreichen anderen Orten im spanischen Fernsehen. Massenaufgebot an Repressionskräften, ganz traditionsbewusst im Stile der Guardia Civil agierend. Überraschung bei den Gewerkschaften. Das Volk geht auf die Straße - und läßt sich auch von den Ordnungskräften nicht davon abhalten. Insbesondere junge Menschen - nirgendwo in der EU sind die Jungen so sehr dem Diktat der Verfügbarkeit unterworfen - sammeln sich unter dem Slogan "Wir sind keine Ware" - und "Wirkliche Demokratie, jetzt!". Eine kommentierte Materialsammlung zu den Massenprotesten in Spanien im europäischen Kontext ist "Wir sind keine Ware" vom 19. Mai 2011. Wir sind keine Ware ! Nicht nur in Spanien ist man überrascht, in ganz Europa - und die Meldungen von den kontinuierlich weiteregehenden Platzbesetzungen in großen wie in kleinen Städten machen auch rund um die Welt Schlagzeilen. Weil es viele Menschen sind, die da laut werden. Weil sie nicht diese oder jene Teilproblematik aufgreifen, sondern das Ganze: Wir sind keine Ware. Kein Zufall, dass es viele junge Menschen sind und die Aktionsformen entsprechend: Spanien wurde längere Zeit als "Weltmeister der Zeitarbeitsverträge" genannt. Wer die ProtestiererInnen sind, was sie wollen und machen? Liest man am besten auf der Madrider Seite nach, die sie selbst im Netz permanent betreiben, da es ja das wichtigste Instrument der Mobilisierung ist: "No nos vamos" (Wir weichen nicht) heisst die Seite, auf der auch Videos von der Puerta del Sol (Stadtzentrum, der Kilometer Null spanischer Entfernungsberechnungen) zu sehen sind, die auch für nicht spanisch sprechende sehr informativ sind. Eine fast komplette laufend aktualisierte Chronologie der Ereignisse in ganz Spanien versucht Kaosenlared unter dem Titel "Se extienden por toda España las acampadas permanentes tras las manifestaciones 15M, exigiendo una salida social a la crisis capitalista" seit dem Beginn der Aktionen am 15. Mai 2011. Bei Kaosenlared unter vielen anderen auch ein Video mit zwei "Jugendlichen" im zarten Alter von etwa 70, die erklären, warum sie sich beteiligen, ebenfalls am 19. mai 2011 aufgenommen. Wie insgesamt die in den ersten Tagen gepflegte Berichterstattung, es handele sich um Jugendproteste inzwischen von den je eigenen Bildern widerlegt ist. Einen Knotenpunkt vieler lokaler Besetzerblogs stellt die Seite "Democracia real ya" seit dem 15. Mai 2011 dar. Schliesslich gibt es aus Madrid auch noch "Vídeo en directo desde Sol 15mani acampadasol" seit dem 17. Mai 2011 bei bambuser der andauernde Livestream von der Puerta del Sol. Warum wirkliche Demokratie? Der unmittelbare Anlaß waren die anstehenden Regional- und Kommunalwahlen, mit denen eine ständig wachsende Zahl von Menschen ständig wachsende Probleme haben - Probleme im übrigen, die auch dem einen oder anderen hierzulande bekannt vorkommen dürften. Zur Wahl stehen Parteien, die alle daselbe anpeilen: Banken retten, Sozialabbau, Arbeitskräfte weiter verbilligen. Das muss eben sein, sagen die Herren und Damen Kandidaten. Das muss eben nicht sein - dann wollen wir eben euer System nicht mehr, sagen in diesen Tagen Hunderttausende in Spanien. In dem Beitrag "Spain's Tahrir Square" von Pablo Ouziel am 18. Mai 2011 bei commondreams wird diese Konstellation nachgezeichnet und Paralellen nicht nur zu jenseits des Mittelmeeres gezogen, sondern auch die Frage begonnen zu diskutieren, ob spanien seine radikale Vergangenheit wieder findet, die durch Faschismus und Transition vernichtet und verschüttet wurde. Der Aufruf Democracia Real YA! (Wahre Demokratie jetzt!), der die Inhalte der Proteste und Aktionen zusammenfasst, ist auf deutsch (etwas holperig) übersetzt in "Spanien, Funkenflug über das Mittelmeer" vom uprising blog, am 18. Mai 2011 gespiegelt bei indymedia. "Die junge Frau gehört zu der in Spanien sogenannten verlorenen Generation. Seit dem Ende des Baubooms und dem Beginn der Finanzkrise sind in Spanien 20 Prozent ohne Arbeit. Unter den jungen Menschen sind es mehr als doppelt so viele. Paloma, die mit 19 zu Hause auszog, schlägt sich mit "schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs und einem Kredit der Eltern" durch, "bis ich hoffentlich eine Doktorandenstelle in der Forschung finde". Ob das jemals klappt, weiß sie nicht" - dieser Absatz aus dem Artikel "Schluss mit der Farce!" von Reiner Wandler am 18. Mai 2011 in der taz wirft ein zutreffendes Schlaglicht auf die Situation vor allem junger Menschen, egal mit welcher Ausbildung, im heutigen Spanien. "Da die Bewegung Durchhaltevermögen zeigt, wird es vor dem 22. Mai schwierig, sie wegzuprügeln, wie das im Spanien der "Zweiparteiendiktatur" der "PPSOE" durchaus üblich ist" schreibt in "Indignaos! Indignez vous! Empört euch!" Ralf Streck am 18. Mai 2011 in telepolis. In dem Beitrag "15-M: El lenguaje de la revolución, una gramática de la libertad" versucht der Autor Luis Martin-Cabrera am 20. Mai 2011 bei rebelion.org die Ereignisse in Spanien mit jenen in den arabischen ländern und den Massenmobilisierungen in den USA (Wisconsin) zusammen zu sehen - als einen möglichen Knotenpunkt neuer Tendenzen: Wenn das Unmögliche unumgänglich wird... Gewerkschaften? Welche? Die von vielen AktivistInnen ins Zentrum gestellte Frage der Demokratie wird völlig zu recht erhoben: In einem Land, in dem ein Fluglotsenstreik qua Militäreinsatz zerschlagen wird, in einem Land in dem eine alternative, lebendige Gewerkschaft wie die andalusische SAT von Prozessen und Festnahmen regelrecht überzogen wird kann man den demokratischen Charakter dieses Staates wahrlich in Frage stellen: Nur die Wahl zwischen zwei PR Agenturen ist noch lange keine Demokratie. Klar: Die Gewerkschaften, wie die UGT und auch die CCOO, die die Grundsätze der vorherrschenden Politik akzeptieren, die die Serie von gebrochenen Wahlversprechen der PSOE mit dem kleineren Übel entschuldigen, die haben die meisten Probleme mit der eigenen Mitgliedschaft. Wer es anders versucht, und das sind in Spanien viele hat vielleicht keine Probleme mit der Mitgliedschaft, wohl aber mit Polizei, Justiz und Medien. Während zumindest auf den Netzseiten des Gewerkschaftsbundes UGT die Bewegung bisher (20.5) gar nicht auftaucht, während die CCOO in der Erklärung "CCOO cree que sobran razones para la movilización social" vom 18. Mai 2011 die Proteste rechtfertigt - aber, wie schon die Überschrift nahe legt, beschränkt sich auf die sozialen Gründe und nennt die ganze politische Dimension der Proteste nicht einmal beim Namen... Aber auch die alternativen Gewerkschaften waren von der Entwicklung offensichtlich überrascht. So hat die anarchosyndikalistische Föderation CGT am 16. Mai 2011 zwar einen Aufruf "La CGT, con las manifestaciones del 15 de mayo" verabschiedet, der die Proteste begrüsst, die Represionsversuche verurteilt und zur künftigen Teilnahme aufruft - aber eben erst am 16. Mai, nachdem die Ereignisse schon landesweit passierten. Zusammengestellt und kommentiert von hrw |