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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Gestohlene Revolution? Karin Zennig* über Bewegung von unten gegen die Restauration des Regimes in Ägypten Es sind nicht viele ausländische Gäste, die dieser Tage in Kairo zu finden sind. Die Restaurants und Hotels sind gähnend leer. Der arabische Frühling kann offensichtlich die verschreckten Strand- und Pyramidentouristen nicht einfach so kompensieren. Aber auch der Prozess der Revolte ist ins Stocken geraten. Jeden Tag sind die Zeitungen voll mit Nachrichten über den Amtsmissbrauch von Polizisten, über Korruption, über Verhaftungen von AktivistInnen und Folter oder Repression gegenüber streikenden ArbeiterInnen. All das, was zur Sprache kommt, was vorher nur im Stillen, verdeckt, undokumentiert passiert ist, ist jetzt für alle Augen sichtbar und wird in kleinen YouTube-Videos festgehalten und der Weltöffentlichkeit präsentiert. Das ist Ausdruck genau dessen, was sich verändert hat: die Öffentlichkeit, die tausendfache Gegenwehr gegen diese Zurichtungen – und hinterlässt doch gleichzeitig für viele das Gefühl, dass sich durch die Revolte nichts an den alltäglichen Problemen verändert hat. Und auch wenn jeder, den ich auf der Straße treffe, stolz von den Ereignissen im Januar spricht und seine Geschichte der 18 Tage auf dem Tahrir berichten kann, wirkt die Stimmung fatalistisch. »Die Revolution ist uns gestohlen worden«, so der vorherrschende Eindruck. Tatsächlich sind die Kräfte der Verteidigung des alten, ins Wanken geratenen Regimes sehr stark. Die Teile der ökonomischen Oberschicht, die ihren Arbeitern im Januar noch Busse finanzierten, um sich an den Demonstrationen in Kairo beteiligen zu können, weil der von der Korruption profitierende Kreis um Mubarak selbst für sie zu klein geworden war, sind dieselben Kräfte, die jetzt die andauernden Streiks, Arbeitskämpfe und Demonstrationen als selbstsüchtiges und schädigendes Verhalten für Ägypten denunzieren. Diese Oberschicht sieht das einzige Problem in der Korruption, nicht aber im Verhältnis der Produktion und Verteilung gesellschaftlichen Reichtums. Damit ist sie sowohl diskursiv als auch ideologisch durchaus anschlussfähig an den politischen Liberalismus der ägyptischen Mittelklasse. Die soziale Frage gerät damit aus dem Blick. Die Einheit der Forderungen der Revolte nach Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Würde wird zu-nehmend aufgedröselt und zudem durch medial forcierte Debatten wie die über das Pro und Contra einer Säkularisierung verdrängt. Gleichzeitig gibt es sehr viel Bewegung von unten. Die Institutionen des alten Regimes existieren, haben aber im Vergleich zu vorher erheblich an Macht und Wirkung auf die Bevölkerung verloren. Kein Tag vergeht ohne Streiks. Im bisher komplett unorganisierten privaten Sektor gründen sich unabhängige Gewerkschaften. Überall im Land gibt es Kämpfe und aufflammende Auseinandersetzungen. Mittlerweile haben sich 20 unabhängige Gewerkschaften neu gegründet, wobei fast wöchentlich neue hinzukommen. Die mitgliederstärksten unter ihnen sind die der Grundsteuereintreiber mit ca. 40000 und des öffentlichen Verkehrs mit ca. 10000 KollegInnen. Auf Initiative der Gewerkschaften der Grundsteuereintreiber, der ArbeiterInnen im Gesundheitsbereich und erstaunlicherweise der Rentnergewerkschaft soll jetzt ein Dachverband der unabhängigen Gewerkschaften gegründet werden, dem auch bereits der DGB seine Aufwartung gemacht hat. Obwohl viele Parteien und politische Organisationen die neuen Gewerkschaften umwerben, gibt es unter den ArbeiterInnen ein starkes Abgrenzungs- und Unabhängigkeitsbedürfnis. Sie wollen nicht an eine Partei gebunden sein oder von ihr vereinnahmt werden; dies gilt allerdings auch für ausländische Geldgeber – eine Skepsis, die generell in Ägypten sehr ausgeprägt ist. Ihre Durchsetzungsfähigkeit müssen die neuen Gewerkschaften aber noch entwickeln und unter Beweis stellen, vor allem angesichts des Antistreikgesetzes, das zwar bisher noch keine Anwendung findet, aber bereits im April vom Militärrat abgesegnet wurde und für schlechtere Zeiten parat ist. Einer der wohl vielversprechendsten Prozesse hat allerdings bisher wenig Beachtung gefunden: der Versuch, durch Stadtteilräte die Revolution in den Alltag, in die Nachbarschaften und Stadtteile zu tragen. Diese Komitees haben sich anfänglich als reiner Selbstschutz gegründet, als Reaktion auf Mubaraks Taktik, durch gezielte Abwesenheit von Sicherheitskräften die Revolte noch in ihren Anfängen zu zerschlagen. Während dieser Wochen haben die Menschen in den Komitees alles miteinander geteilt, ihre Ängste, ihr Essen, ihre Decken, ihre (Lebens-)Geschichten. Nachdem die Schutzfunktion nicht mehr notwendig war, haben sich etliche dazu entschieden weiterzumachen – zur Verteidigung der Revolution, wie sie sagen –, um in ihren Stadtteilen mit politischem Druck das durchzusetzen, was ihnen so lang versprochen und noch immer nicht zuteil geworden ist. Sie bilden damit auch eine unmittelbare Konkurrenz für die sogenannten local councils, die, als Bestandteil des politischen Systems gewählt, theoretisch zur Repräsentation der Nachbarschaften dienen sollen, aber unter Mubarak wesentlicher Bestandteil des Patronagesystems und der Korruptionsmaschine der Nationaldemokratischen Partei Ägyptens (NDP), der Partei Mubaraks waren. Es sind zur Zeit über 50 Komitees, Anzahl steigend, bestehend jeweils aus bis zu einigen hundert AktivistInnen, die untereinander über Delegiertentreffen vernetzt sind, Erfahrungen weitergeben und gegenseitige Unterstützung organisieren. Ihre Arbeit ist sehr vielfältig und reicht vom Boykott der Schwarzmarktökonomie mit Mehl, die kontinuierliche Knappheit der Brotversorgung verursacht und damit die Preise in die Höhe treibt, der Kontrolle von Verwaltungs- und Polizeibeamten in »name and shame«-Kampagnen, um gegen Erpressung und Korruption vorzugehen, dem Bau billiger, öffentlicher Gesundheitsversorgungseinrichtungen bis zur Frage der Budgetzuweisungen an die Stadtteile, in der die Verteilungsfrage von unten aufgemacht wird. Wie gut das funktioniert, lässt sich an den harschen Reaktionen der angegriffenen Verwaltungen und politischen Akteure ablesen. Die Erfolge der Komitees werden als Erfolge der NDP verbrämt, um der Basisorganisierung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Kommunikation wurde durch Internetangriffe gezielt gestört, Aktive und ihre Familien wurden physisch bedroht und angegriffen, Beamte der Verwaltungen, die sich auf Verhandlungen einließen oder auf Druck hin längst versprochene Bauaufträge unterschrieben, wurden versetzt. Dass die local councils auf die Forderung der Protestbewegung hin durch eine richterliche Anordnung vom Juni aufzulösen sind, ist vor diesem Hintergrund als ein wichtiger Schritt, den herrschenden Eliten ihre Macht zu entziehen und als Vergrößerung der Handlungsspielräume für reale Selbstorganisierungsprozesse zu sehen. Dass die Mobilisierung und der bisher entfaltete Druck dem aktuell regierenden Militärrat bereits Konzessionen abzuringen in der Lage war, kann man an der Kabinettsumbildung Ende Juli ablesen, die der Forderung nach einer zivilen Regierung wenigstens teilweise Rechnung trägt. Dennoch hat das Militär noch immer nicht die Kontrolle über die Schlüsselministerien, vor allem das Justizministerium abgegeben und beabsichtigt auch nicht, der Forderung nachzukommen, die Protagonisten des alten Regimes strafrechtlich zu verfolgen, oder den Verfassungsprozess vor den für Ende des Jahres angekündigten Wahlen durchzuführen. Wird die Verfassung aber erst nach den Wahlen geschrieben, wird sie geprägt sein von den dann und dort gebildeten Mehrheitsverhältnissen. Die drei aus den Protesten hervorgegangenen linken Parteigründungsinitiativen (die Demokratische Arbeiterpartei, die Sozialistische Volksallianz und die Sozialistische Partei Ägyptens) werden – nicht zuletzt durch das aktuelle Parteiensystem, das große und finanzstarke Parteien bevorzugt – zu einem so frühen Zeitpunkt nicht in der Lage sein, das »neue Ägypten« vertreten zu können. Vielmehr rechnen alle meine GesprächspartnerInnen mit einem eindeutigen Ausgang der für Herbst anstehenden Wahlen zugunsten des Großbürgertums und der Muslimbruderschaft. Der Restaurierung des Regimes kann nur durch die Fortsetzung des Drucks von der Straße, aus den Betrieben und den Stadtteilen aufgehalten werden. Dafür bedarf es einer Ausweitung des Prozesses, Trainings für Multiplikatoren in den Betrieben und Stadtteilen, um die Demokratisierung auch als gemeinsame politische Erfahrung zu verankern, und eines Wissenstransfers, um den oben beschriebenen medial forcierten Debatten zur Spaltung der Bewegung etwas entgegensetzen zu können. Hilfreich wäre dabei, gerade angesichts der vielen deutschen, in Ägypten tätigen Unternehmen, eine inter-nationale Solidarität, die sich nicht auf den Kauf der von Straßenhändlern nach dem Wegbleiben der Touristen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes dargebotenen T-Shirts mit Revolutionsmotiven beschränkt. * Karin Zennig ist Politikwissenschaftlerin und Aktivistin, arbeitet als Jugendbildungsreferentin bei ver.di und lebt in Marburg. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/11 express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express |