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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Schwierigkeiten, Bruder ? Eigentlich wollte Mohammad Morsy gar kein Politiker werden. Aber dann wollte der Militärrat keinen profilierten Muslimbruder als Kandidat und nun ist er da. Und muss feststellen, dass es erstens nicht gut kommt, wenn man an einem Tag das eine sagt und am anderen das andere tut - wie im Falle der IWF-Kredite. Ein neues Gewerkschaftsgesetz bringt dann nicht nur die neuen unabhängigen Gewerkschaften, sondern auch Teile des immer noch bestehenden alten Verbandes gegen die Bruderschaft auf. Ärzte streiken, die Metro auch, sogar auf dem Land wollen sie kein AKW haben. Da muss dann ein Selbstermächtigungsgesetz her, wie bestellt zur Verabschiedung durch eine eigene parlamentarische Mehrheit in einem zunehmend leerer werdenden "hohen Haus". Seit einer Woche wird immer heftiger protestiert - Polizeirepression wirkt bisher eher weiter mobilisierend, am Samstag den 1.12 sollen die Brüder jetzt für Morsy demonstrieren. Unsere ausführliche Materialsammlung "Schwierigkeiten, Bruder?" vom 30. November 2012. Schwierigkeiten, Bruder? Der "neue Pharao" - das ist eines der gängigsten Schlagworte, mit denen die Initiative des Präsidenten Morsy bezeichnet wurde - der also, der über jedem Gesetz steht. Vielleicht auch noch anders vergleichbar? Die Pharaonen hatten schliesslich, etwa Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung auch ein paar Hundert Jahre lang erhebliche Schwierigkeiten mit denen "die das unterste nach Oben" wollten... Das Gesetz Al Ahram Online dokumentiert am 22. November 2012 den Gesetzentwurf in Englisch: "English text of Morsi's Constitutional Declaration" ist ein recht kurzer, aber "inhaltsvoller" Text. Der so kommentiert werden kann: "In der Präambel seiner aktuellen verfassungsrechtlichen Erklärung vom 21. November 2012 bezieht sich der ägyptische Präsident Mursi auf die verfassungsrechtlichen Erklärungen von 13. Februar 2011 (erlassen vom Militärrat nach dem Abgang von Mubarak), von 30. März 2011 (erlassen vom Militärrat als eine Übergangsverfassung) und vom 11. August 2012 (erlassen von ihm persönlich), was bedeutet, dass er faktisch diese Dokumente zur Grundlage seiner Handlung erklärt. Zudem legt er in der Präambel weiter fest, dass die Revolution ihm allein die Verantwortung übertrage, alle Maßnahmen zu treffen, um sie zu schützen und ihr zu ermöglichen, die erhofften Ziele zu erreichen. Insbesondere habe er durch die Revolution die Aufgabe übertragen bekommen, gegen das alte Regime und seine Akteure zu kämpfen und die Gesellschaft von dessen Anhängern zu säubern. Außerdem sei er auf Basis der Revolution verpflichtet, neue Legitimation aufgrund einer neuen Verfassung zu etablieren, um das Streben des Volkes nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu erfüllen. Darüber hinaus erklärt er sich in Artikel 6 der Erklärung für den »Obersten Hüter« der Revolution gegen Mubarak, indem er sich selbst ermächtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, sollten die Revolution, die Nation, die nationale Einheit und die Unversehrtheit des Heimatlandes bedroht oder die Arbeit der staatlichen Institutionen behindert sein" - das ist die Skizze der Faktenlage, die in dem Beitrag "Gnadenschuss für den Rechtsstaat" der Verfassungsrechtler Nassef Naeem am 27. November 2012 bei Zenith Online zeichnet. Und fährt fort: "Von daher kann man behaupten, dass die Selbstpositionierung Mursi in der aktuellen verfassungsrechtlichen Erklärung vom 21. November als dem Hüter der Revolutionsziele eine Fortsetzung der am 11. August mit der Entmachtung des Verfassungsgerichts in dieser Frage begonnenen Politik der Machtkonzentration darstellt. Des Weiteren ist nicht nur das Verfassungsgericht sondern die gesamte Rechtsprechung nach der aktuellen verfassungsrechtlichen Erklärung (Artikel 2) untersagt, Entscheidungen des Staatspräsidenten und die von ihm erlassenen Gesetze beziehungsweise verfassungsrechtlichen Erklärungen in irgendeiner Weise zu kontrollieren. Dies gilt rückwirkend für den Zeitraum ab dem Amtsantritt Mursis am 30. Juni 2012 und nicht nur bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung, sondern vielmehr bis zur Wahl des neuen Parlaments auf Grundlage der neuen Verfassung. Zudem sind die laufenden Verfahren gegen irgendeinen Akt des Präsidenten sofort von allen Gerichten zurückzuweisen". Mit dieser fachmännischen Kritik steht der Autor keineswegs alleine da: "Mursi agiere wie ein „neuer Pharao“, indem er sich de facto über das Gesetz stelle, empört sich der Friedensnobelpreisträger Mohammed Baradei. „Er hat der Revolution einen schweren Schlag versetzt, der gravierende Folgen haben könnte.“ Mursis Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Juni, Amr Moussa, fürchtet erneute Rebellionen. Andere Kritiker, wie Hossam Essa, Professor für Rechtswissenschaften, sprechen gar von „absolutem Faschismus“. Es sind Dekrete, mit denen der Ägyptens erster freigewählter Präsident Donnerstag seine Macht drastisch ausweitete, die diese Empörung auslöste. Mursis Beteuerung, es ginge ihm nur darum, die Errungenschaften der Revolution zu schützen, überzeugen in diesen Kreisen kaum jemanden. Mursi nützte seinen ersten außenpolitischen Erfolg – Vermittlung eines Waffenstillstandes zwischen den Palästinensern in Gaza und Israel -, um die Macht der Justiz drastisch zu beschneiden. Alle Verfassungszusätze, Entscheidungen und Gesetze, die er seit seiner Machtübernahme im Juni erlassen hatte, seien endgültig. Keine Rechtsmittel könnten mehr gegen sie eingelegt werden. Damit werden alle von der Justiz für ungültig erklärten Dekrete Mursis wieder wirksam. Vor allem ging es dem Präsidenten darum, das in eine schwere Krise geratene Verfassungskomitee vor einer von seinen Gegnern betriebenen Auflösung zu schützen. Kein Justizorgan hat nunmehr das Recht, dieses Komitee oder den Schura-Rat, die zweite Kammer des Parlaments, aufzulösen. Die hundert Mitglieder zählende Verfassungsgebende Versammlung sollte bis Dezember ein neues Grundgesetz erarbeiten. Nach dessen Billigung durch das Volk in einem Referendum sollen die Ägypter ein neues Parlament wählen. Doch der Prozess geriet in die Sackgasse, weil die islamistische Mehrheit im Komitee Verfassungsartikel durchzuboxen versuchte, die den Weg Ägyptens zu einer islamischen Republik zu ebnen drohten, die Gleichberechtigung der Frauen und der religiösen Minderheiten nicht garantiere. Ein Drittel der Ratsmitglieder – alle Vertreter der liberalen und säkularen Strömung im Land, sowie der acht Millionen Kopten und anderen christlichen Minderheiten – verließen aus Protest die Versammlung und verloren nach ihren Aussagen die Hoffnung, ein Grundgesetz zu schreiben, das auf Konsens beruht und allen Bevölkerungsgruppen im Land gerecht wird" - so werden Positionen in dem Beitrag "Mursi erhebt sich zum "neue Pharao"" von Birgit Cerha am 23. November 2012 bei IFAMO skizziert. Die Einschätzung "Mit seinen jüngsten Dekreten bündelt Mohamed Morsi die Staatsgewalt in Präsidentenhand. Damit verschärft sich der Machtkampf zwischen den Institutionen des alten Regimes und den Muslimbrüdern. Die liberalen und linken Bevölkerungskreise drohen dabei zwischen den Fronten zerrieben zu werden" die zu Beginn des Beitrags "L'Etat c'est moi" von Martin Hoffmann am 26. November 2012 in telepolis getroffen wird, gibt die dadurch entstandene komplexe Lage durchaus wieder. Auch in dem Beitrag "Absolute Power: Morsi Decree Stuns Egyptians" am 22. November 2012 in Al Monitor nimmt der Autor Bassem Sabry eine differenzierte Analyse vor, die sich auch mit Morsys vorgeblichem Kampf gegend as alte Regime befasst, dem die Maßnahmen dienen sollen, was der Autor entschieden zurückweist. Die Ausgangslage Dass diese Kritik deutlich ausfällt und auch einigermassen naheliegend erscheint, hat auch mit der generellen politischen Situation zu tun, in der diese Schritte unternommen wurden, die keinswegs von einem strahlenden Gaza-Präsidenten geprägt ist - sondern von sozialen Protesten und Widerständen sozusagen ohne Ende. "Zwanzig Monate sind seit dem erfolgreichen Volksaufstand gegen das Mubarak-Regime in Ägypten vergangen. Ein Vierteljahr ist es her, daß mit Mohammed Mursi der erste frei gewählte Präsident am Nil gewählt wurde. Doch noch immer beherrschen Proteste die Szenerie. Während die parlamentarische Demokratie, wenn auch unter erheblichen Geburtswehen, Gestalt annimmt, gehen immer mehr Menschen für spürbare Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen auf die Straße. Jüngster Höhepunkt waren Mitte Oktober zwei Großdemonstrationen binnen acht Tagen. Gewalttätige Anhänger der Moslembruderschaft hatten am 12.Oktober Teile des Kairoer Tahrir-Platzes gestürmt und eine der Rednertribünen niedergebrannt. Ein Bündnis aus 29 linken und linksliberalen Parteien, Bewegungen und Gewerkschaften organisierte daraufhin am 19. einen erneuten Sternmarsch zum Ort der Revolution vom Januar/Februar 2011. Zehntausende beteiligten sich. »Wir wollen soziale Gerechtigkeit schaffen, eine ausgewogene Verfassung und Gerichtsverfahren gegen die Mörder von Demonstranten«, hieß es im gemeinsamen Aufruf. Konkret gefordert wird die Einführung eines monatlichen Mindestlohns von 1500 Ägyptischen Pfund (etwa 191 Euro), Kontrolle der rapide steigenden Preise durch die Regierung sowie die Rückführung des Kapitals, das von Vertretern des ehemaligen Regimes in Ausland geschafft wurde. Außerdem lehnt das progressive Lager den von Mursis Kabinett beim IWF beantragten Kredit von 4,8 Milliarden Dollar wegen der damit verbundenen neoliberalen Bedingungen ab" - ein Schlaglicht aus dem Bericht "Streikwelle am Nil" von Raul Rigault am 06. November 2012 in der jungen welt. In dem Streikbericht "Egyptian Doctors' Strike and the Quest for Bread, Freedom, and Social Justice" von Gillian Kennedy am 17. November 2012 bei Jadaliyya wird deutlich, dass die Bruderschaft, die seit langer Zeit die Organisationen der Berufsstände dominierten, nicht nur bei den Ärzten echte Probleme bekommen haben, geht es bei der geschilderten Auseinandersetzung doch keineswegs nur um die Interessen der Ärzte, sondern auch um eine Auseinadersetzung um das gesamte Gesundheitssystem. Auch etwa der kleine afp-Bericht "Egyptian army fights Cairo squatters, 3 dead" über die Erschiessung dreier Hausbesetzer in einem längeren Feuergefecht im Süden Kairos am 18. November 2012 bei mail.com wird deutlich, dass die tragenden Kräfte der Regierung eben auch zunehmend Probleme mit Menschen bekommen, die eher zu ihrem eigenen Anhang gehören, als zu linken oder liberalen Kräften. Und die antworten - mit einer Straßenblockade, wie in dem Bericht "Qursaya residents block traffic artery as Armed Forces claim ownership" ebenfalls am 18. November 2012 im Egypt Independent deutlich wird. Noch ein Beispiel - selbst auf dem Land, im Norden: "In Dabaa, the fight to halt nuclear power continues" berichtet am 20. November 2012, ebenfalls im Egypt Independent Megan Detrie über den Widerstand gegen ein geplantes AKW. Was die angestrebte Anleihe beim IWF schliesslich betrifft, so wurde der Brief "Letter to IMF From Egyptian Parties, NGOs, Syndicates and Political Movements" am 11. November 2012, hier dokuemntiert bei Jadaliyya von über 20 recht unterschiedlichen und durchaus wichtigen Organisationen veröffentlicht - auch vom unabhängigen Gewerkschaftsverband EFITU und der Föderation der Lehrergewerkschaften. Die Auseinandersetzungen Ebenfalls bei Jadaliyya dokumentiert ist die gemeinsame Stellungnahme "Joint Statement by Twenty-Two Egyptian Rights Organizations on Morsi Declaration" vom 24. November 2012 in der bekannte Menschenrechtsorganisationen die Gesetzesintiative morsys ablehnen. "Massenproteste gegen Präsident Mursi" von Johannes stern am 29. November 2012 ist einer der vielen Berichte über die aktuellen Auseinandersetzungen. Eine tägliche Chronologie der jeweiligen Ereignisse gibt auf seiner Seite "Anthologie du présent" Alain Bertho, hier als Beispiel "Manifestations anti-Morsi : affrontements au Caire – 28 novembre 2012" mit englischen und französischen Medien. Auch die englischsprachige Ausgabe von "Al Akhbar" hat unter dem Titel "Live Blog: Egyptians rally against Mursi power grab" eine chronologische Dokuemntation der Proteste, inklusive jener gegen die Ermordung eines jungen linken Aktivisten - und vieler Kommentare dazu. Die Stellungnahme des unabhängigen Gewerkschaftsverbandes EFITU dokumentiert das MENA Solidarity Network am 27. November 2012 "Independent union federation rejects president’s power grab" - worin unterstrichen wird, dass bisher diese Regierung keinen einzigen Erlaß zugunsten der ArbeiterInnen verabschiedet habe... Neben den kontinuierlichen Auseinandersetzungen in Kairo und den anderen Großstädten - die mit der für Samstag einberufenen Pro-Morsy-Demonstration der Muslimbrüder einen neuen Höhepunkt finden könnten - ist vor allem der massive Proteste der Belegschaft des Textilriesen in Mahalla hervorzuheben - ein Ort, eine Fabrik, die durch ihren Kampf gegen Mubarak (und seine Gewerkschaften) einen besonderen Status in Ägypten erlangt haben. In dem kurzen Bericht "Thousands of Mahalla workers march against Morsy" am 29. November 2012 beim MENA Solidarity Network wird die Beteiligung mehrerer Tausend ArbeiterInnen hervorgehoben... 30. November 2012 hrw |