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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der Rais reist nicht und seine Freunde sind besorgt.. Jetzt ist er also noch nicht weg, der Freund der Merkels und Westerwelles (und Schröders und Fischers). Und wie sie alle um einen Übergang besorgt sind, der das Chaos vermeidet und, dass auch ja nur keiner eine Gewalt anwenden tut ist ihre allergrößte Sorge, was in den letzten 30 Jahren nicht so war. Dieweil tut Mubarak, wofür man ihn schätzt: Reaktionäre mobilisieren, wofür es bei einem riesigen Spitzelheer einige Reserven gibt und schiessen gelernt haben sie auch - mit Tausenden deutscher Maschinenpistolen etwa. Ja, und dann sind da noch die Plünderer in Kairo. Eine Erscheinung, die in den letzten Tagen sogar der fundamentalistischen Gefahr den Rang abgelaufen hatte, die sonst so gerne beschworen wird. Die umfangreiche, kommentierte und teilweise mit zusammenfassenden Übersetzungen versehene Materialsammlung "Morgendämmerung" vom 04. Februar 2011. Morgendämmerung Im Gespräch mit dem Sender ABC sagte Mubarak das, wovon er und alle befreundete Regierungen ausgehen: "Wenn ich zurücktrete, kommt das Chaos...". (Siehe etwa: "Wenn ich heute zurücktrete, wird Chaos ausbrechen" von Christiane Schlötzer in der Süddeutschen Zeitung am 03. Februar 2011). Entsprechend laviert seine neue Regierung, sich einmal entschuldigend für die Angriffe auf die Demonstranten, die gleichzeitig als Chaosmacher diffamiert werden - und immer auf kommende Veränderungen vertröstend, die - wer auch sonst - der große Führer Mubarak einleiten werde oder schon eingeleitet habe, wie es auch in dem Bericht "Die gekaufte Wut" von KARIM EL-GAWHARY in der taz vom 03. Februar 2011 deutlich wird. Jetzt, Freitag früh... ...da diese Zeilen geschrieben werden, weiss niemand so recht, wie die Auseinandersetzungen weiter verlaufen werden. "Protests continue in Cairo" titelt Al Jazeera seinen neuesten Bericht von 2.37 Uhr Ortszeit am 04. Februar - mit Verweis auf die neuen Demonstrationsaufrufe nach den heutigen Freitagsgebeten. Nicht ganz so aktuell, aber mit vielen Sichtweisen von AktivistInnen aus Ägypten die Sonderseite des Bloggersammlers Global Voices Online "Egypt Protests 2011" die tägliche mehrere Zusammenfassungen veröffentlicht, gegenwärtig neuester Stand sind Blogs vom 02. Februar 2011. Weniger vielfältig und ganz in der offiziellen Stromlinie die laufende Chronologie von Spiegel Online "Wüste Schlachten auf Kairos Straßen" die ungefähr um Mitternacht des 03. Februar 2011 endet. Stromlinie heisst: In einem Ton mit der Bundesregierung "Gewalt" bedauern, ohne klare Definitionen und Standpunkte, wird auf Dauer schon wirken ist die Ausrichtung solcher Erzeugnisse. Oder eben so: "Westliche Regierungen halten unterdessen an ihrer verständnisvollen Haltung gegenüber dem Regime in Kairo fest. »Wir verurteilen alle, die Gewalt ausüben oder dazu ermuntern«, heißt es diplomatisch ausgewogen in einer gemeinsamen Erklärung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien am Donnerstag veröffentlichte. »Nur ein zügiger und geordneter Übergang zu einer Regierung, die sich auf eine breite Basis stützt, wird es ermöglichen, die Herausforderungen, vor denen Ägypten heute steht, zu bewältigen.« " , wie es in dem redaktionellen Artikel "EU hätschelt Diktatoren" in der jungen welt vom 04. Februar 2011 unterstrichen wird. Ausnahmen gibt es natürlich: Etwa der Beitrag "Mubaraks Schergen schießen auf Demonstranten" von Martin Gehlen in der FR Online am 02. Februar 2011. Was in all diesen Berichten deutlich wird - mal ausgesprochen, mal indirekt - ist auch, dass es schon erheblicher Zufall wäre, wenn es etwa in der Riesenstadt Kairo so viele Leute gäbe, die Pferde und Kamele halten (und Waffen besitzen), wie die oft genannten Anhänger Mubaraks. Allein diese Erscheinungen weisen schon auf Organisation im Hintergrund hin - was sich sowohl vom Millionenheer der IM-Spitzel rekrutieren kann, von denen viele Rechenschaft fürchten werden, als auch von Mubaraks NDP, eine Partei die große und kleine Privilegien zu verteilen hatte - und die, ja wirklich, am 31. Januar 2011 aus der Sozialistischen Internationale ausgeschlossen wurde...(siehe beispielsweise Wikipediaeintrag "NDP"). Und während in vielen Medien die sichtbare Aggression gegen die Arbeit ausländischer Medienvertreter im Mittelpunkt der Empörung steht, gilt die volle Wucht der Repressionsversuche naheliegenderweise der Opposition gegen das "System Mubarak": "Keine Maßnahme des Mubarak-Regimes konnte die Zornigen stoppen. Nicht die Gewalt von Polizei- und Sicherheitskräften, die in den ersten Tagen 137 Menschen töteten, wie der Ägyptische Menschenrechtsverein bisher dokumentierte. UN-Organisationen gehen von mehr als 300 Toten aus. Auch die vom Geheimdienst und Innenministerium organisierte Plünderungswelle scheiterte. Sie sollte nach dem kompletten Rückzug der Polizei am Freitag die Menschen in ihren Wohnvierteln terrorisieren. Die Erklärung, die Proteste würden von der Muslimbruderschaft gesteuert, ist zwar in europäischen Staaten auf fruchtbaren Boden gefallen, doch die Ägypter, die täglich an den Protesten teilnehmen, wissen sehr wohl, daß das nicht stimmt. Die Bruderschaft selbst erklärte, die Protestwelle sei »größer als wir«. Ihre Anhänger würden sich als Ägypter beteiligen, nicht aber als Muslimbrüder" schreibt Karin Leukefeld in "Handfeste Revolution" am 04. Februar 2011 in der jungen welt. Eine Bewegung entfaltet sich: Gewerkschaften und andere Verdächtige... Eines der "Geheimnisse" der Entwicklung des Widerstandes in ganz Ägypten ist der geringe Grad klassischer Organisation und die zentrale Rolle neuer Medien (deswegen auch als erstes der Crackdown auf Internet und Mobiltelefone mit Hilfe großer Unternehmen) bei den entschlossensten Kräften vor allem unter den jungen ÄgypterInnen. Einen Überblick darüber gibt in "Egypt: A revolution reflected" Patrick Burnett am 03. Februar 2011 in Pambazuka 515. (In derselben Ausgabe zeichnet in "Egypt: Log on to the revolution" Khadija Sharife nach, wie die Schliessung des Netzes umgangen wurde...) Ein relativ breiter Zusammenschluss ist etwa die Jugend des 6. April, die am 03. Februar 2011 den weltweiten Solidaritätsaufruf "Urgent call from the Egyptian demonstrators who are defending their country and for their right to live a free respectable life" verbreitete, in dem in aller Direktheit die Untaten des Regimes in den letzten Tagen zusammengefasst werden, ganz ohne das "strategische" Geschwätz jener, die Mubarak unterstützen, indem sie keinen Druck machen. Auch das Egyptian Center for Housing Rights hat bereits am 26. Januar 2011 in seiner Erklärung "People want to overthrow the regime" die in Wirklichkeit recht einfachen aktuellen Fragestellungen deutlich gemacht: Geht er, oder geht er nicht? In der kurzen Erklärung "The workers are angry!" vom 01. Februar 2011 hat das CENTER FOR TRADE UNION WORKERS AND SERVICES (CTUWS) - das vorher bereits auf die Streikbewegung etwa in Suez verwiesen hatte - die Bestrebungen publiziert, dem mubaraktreuen Gewerkschaftsverband ETUF ein Ende zu setzen, mit der Ankündigung des Beschlusses mehrerer unabhängiger Gewerkschaften, eine neue Föderation gründen zu wollen...Das CTUWS hatte bereits vorher die Erklärung "Government-Dominated "Official" Labour Federation is One of Reasons Led to Crisis" am 27. Januar 2011 die ETUF als einen Grund für die Krise bezeichnet - mit dem Höhepunkt des Rundschreibens des ETUF Vorstandes wenige Tage vorher, jeden Ansatz betrieblicher Unruhe zu melden. In dem Buch "Egyptian politics: the dynamics of authoritarian rule" von Maye Kassem (hier Auszüge bei google) schreibt der Autor im Kapitel Zivilgesellschaft einen ganzen Abschnitt darüber, dass die "Kooptierung der Gewerkschaftsstrukturen" unter Mubarak so weit gegangen sei, dass jede betriebliche Aktion nur noch selbstständig möglich gewesen sei - und von daher stets auch ein Akt der Opposition. Einen kurzen Abriß der ägyptischen Gewerkschaftsgeschichte seit der Gründung des Gewerkschaftsbundes 1921 gibt in "Egypt's Long Labor History" Atef Said bereits 2009 bei der (trotzkistisch orientierten) Solidarityseite in den USA. Wobei er sich eben nicht nur auf die letzten Jahre beschränkt, als die Widersprüche zwischen ArbeiterInnen und Gewerkschaftsapparat immer deutlicher wurden, sondern beim antikolonialen Kampf beginnt. In der gemeinsamen Erklärung vieler Kairoer DemonstrantInnen "Déclaration commune de toute l'opposition égyptienne, appuyée par la société civile en lutte" vom 31. Januar 2011 werden vier Punkte genannt: Rücktritt Mubaraks, Aufhebung der Ausnahmegesetze, eine verfassungsgebende Versammlung aus unbescholtenen BürgerInnen und eine Regierung der nationalen Rettung, die die sozialen Bedürfnisse des ägyptischen volkes verwirklicht, in erster Linie die Einführung eines Mindestlohns, der zum Leben ausreicht und Maßnahmen gegen die Erwerbslosigkeit, allessamt mehr als deutliche Hinweise auf den demokratischen und sozialen Inhalt der Bewegung (und die rolle gewerkschaftlicher Kräfte darin), ein krasser Gegensatz zu den üblichen westeuropäöischen Medienspekulationen über den Einfluss dieser oder jener Organisation oder Strömung. In "Egypt: Roots of the Revolution" einer Zusammenstellung der russischen chto delat Seite vom 01. Februar 2011 wird unter anderem auf den Polizeimord an einem Blogger im Herbst 2010 verwiesen - einer der Gründe für die massive Präsenz junger Leute im Protestnetz... Und: In dem Beitrag "Soccer clubs central to ending Egypt's Dictatorship of Fear" schildert Dave Zirin am 31. Januar 2011 in Sports Illustrated die große Rolle die Fußball-Fangruppen in der ganzen Auseinandersetzung gespielt haben und noch spielen - eben weil vor allem die jungen Menschen von der schweren sozialen Situation betroffen sind. Abschliessend: Was die in den USA und in Europa so viel diskutierten Muslim Brüderschaftler betrifft, so ist die Reaktion aller vor Ort ziemlich einhellig, wenn auch vielleicht nicht so pointiert wie es in "Ägypten ist nicht Gaza" am 03. Februar 2011 in der jungleworld Hamed Abdel-Samad vertritt: "Die Muslimbruderschaft wurde in den vergangenen Jahren in Ägypten geschwächt. 2005 war sie sehr stark und konnte viele Sitze im Parlament erobern. Aber die Bevölkerung hat gemerkt, dass sie nur Slogans bietet, aber keine Konzepte. Die Muslimbruderschaft hat selber zugegeben, mit diesen Demonstrationen nichts zu tun zu haben. Sie haben es nicht geschafft, die Menschen zu mobilisieren, es war die Facebook-Jugend, die es geschafft hat. Die Muslimbrüder laufen mit, aber die Massen wollen ihre islamistischen Parolen nicht hören. Hier geht es um eine Demokratie, um eine neue Zivilgesellschaft und das Ende des Mubarak-Regimes. Die Leute wollen nicht vom Regen in die Traufe kommen". Die Freunde des Herrn Mubarak Die Appelle - an "alle Seiten" - auf Gewalt zu verzichten standen in den letzten Tagen im Mittelpunkt der Reaktionen in Europa und den USA. Was an sich schon alles sagt - schliesslich hat niemand behauptet, die Mubarak Gegner würden von Dächern schiessen... Aber die - keineswegs nur in bürgerlichen Kreisen verbreitete - Haltung "der Feind meines Feindes..." engt den Spielraum ein. Viel ist darüber gesagt und geschrieben worden, dass Mubaraks Ägypten - nach Israel - grösster Empfänger von Militärhilfe ist - und dass auch aktuell geliefert wird. So berichtet in "Most US aid to Egypt goes to military" am 29. Januar 2011 der Telegraph, dass die USA jährlich rund 2 Milliarden Dollar für Agypten ausgeben, wovon 1,3 Milliarden Militäraufträge sind und 250 Millionen Wirtschaftshilfe - Zahlen die sich, unabhängig von dem Namen des Präsidenten in all den letzten Jahren glichen und auch ungefähr für 2011 gelten sollen. Dabei wird in dem Bericht vor allem auf die Lieferungen der Flugzeugindustrie Bezug genommen. Die "Southern Studies" haben am 03. Februar 2011 eine lange Liste der US-Firmen, die Militärgüter nach Ägypten liefern publiziert, aus den Unterlagen des Verteidigungsministeriums. Und die deutschen Freunde? Keinesfalls untätig. " Die Einzelgenehmigungen für ,Kleinwaffen' sind aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer, so Jürgen Grässlin. Die für ihre rücksichtslose Vorgehensweise bekannte ägyptische Polizei verfüge über Maschinenpistolen des Typs MP5, entwickelt von Heckler & Koch in Oberndorf. Allein im Jahr 2009 habe Ägypten weitere 884 Maschinenpistolen und Bestandteile im Wert von 866.037 Euro erhalten" - ein kleiner Auszug aus der Pressemitteilung "Friedensorganisationen kritisieren Waffenexporte an Ägypten" vom 30. Januar 2011 beim Rüstungsinformationsbüro. Im Zusammenhang mit Netz- und Telefonssperren wurde aber auch deutlich, dass Ägypten inzwischen, etwa als Standort für englischsprachige Call Center, eine wichtige Rolle spielt - die Regierung Mubarak fuhr dabei einen Kurs, als Subunternehmen indischer Unternehmen Marktanteile zu erringen, wird in dem Bericht "L'Egypte, l'autre pays des centres d'appel" am 28. Januar 2011 in Le Monde festgehalten, wobei auch die Anwesenheit zahlreicher Weltfirmen deutlich wird: etwa Microsoft, Oracle, Alcatel oder auch Vodafone, das heftig kritisiert wurde, weil es sich an den Telefonssperren beteiligte - und an seine Kunden Aufrufe für pro-Mubarak-Demosntrationen verschickte. Es sei leider, leider dazu gezwungen worden meinte die britische Unternehmensleitung, berichtet ebenfalls Le Monde am 03. Februar 2011 in "Egypte : Vodafone dit être forcé de relayer des messages pro-Moubarak" . Von der Anwesenheit solch bekannter deutscher Unternehmen wie Siemens (weltweit inzwischen bekannt für seine Großzügigkeit beim Bewerben um Aufträge) Uhde und andere erfährt man nur, weil bekannt wird, dass sie ihre deutschen Beschäftigten evakuieren. Auch wenn er bereits 2007 publiziert wurde, ist der Aufsatz "The Popular Uprisings in North Africa" von Helmi Sharawy und Azza Khalil (hier gespiegelt bei Unionbook) eine recht umfassende und tiefgehende Analyse der Hintergründe und Ursachen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Region, mit einem Schwerpunkt Ägypten. Darin wird die Entwicklung nachgezeichnet seit dem ersten Übereinkommen Sadats mit dem Internationalen Währungsfonds 1974 und den ersten massenhaften - unterdrückten - Protesten 1977. Zusammengestellt von hrw |