letzte Änderung am 04. März 2003 | |
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Selbst dass die nationale Champions League im Fußball - und der spielt in allen nordafrikanischen Ländern eine wichtige Rolle - seinetwegen um mehrere Wochen verschoben werden musste, änderte nichts daran. Der Generalstreik in Algerien vom Dienstag und Mittwoch voriger Woche war ein voller Erfolg. Eine Streikbeteiligung von 90 Prozent am ersten Tag, mit Streikposten in allen wichtigen bestreikten Sektoren, und 93 Prozent am darauf folgenden Tag - an dem die Lohanbhängigen dann freilich eher zu Hause blieben - kann sich sehen lassen. Es war der erste Generalstreik dieser Größenordnung seit jenem vom März 1991. (Ein weiterer allgemeiner Streikaufruf von Februar 1996 fiel noch in die Endphase der Bürgerkriegssituation, die landesweit von 1992 bis circa 1998 andauerte, und fand daher keinen rechten Widerhall.) Die UGTA (Allgemeine Union der algerischen Arbeiter) organisiert heute rund 1,3 Millionen jener knapp fünf Millionen Männer und Frauen, die heute in Algerien in geregelten Normalarbeitsverhältnissen stecken - und nicht im bedeutenden informellen Sektor beschäftigt sind, oder zu den offiziell 30 Prozent Erwerbslosen zählen. Über vier Millionen Beschäftigte folgten vor einer Woche ihrem Streikaufruf, den sie am 17. Februar lanciert hatte. Zur Forderungsplattform gehörten vor allem der Stopp des “unkontrollierten” Privatisierungsprozesses sowie die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns. Jener beträgt derzeit 8.000 algerische Dinar, das entspricht knapp 120 Euro, im Monat. Dabei ist die UGTA, die einen Tag vor Streikbeginn feierlich den 47. Jahrestag ihrer Gründung beging, durchaus keine klassenkämpferischer Verband. Denn im Unterschied etwa zur UGTT im benachbarten Tunesien (die schon mal einen Generalstreik lancierte, dessen Unterdrückung durch den Sicherheitsapparat 100 Tote kostete - das war 1978 - und die sich trotz effizienter Diktatur einen Rest klassenpolitischer Unabhängigkeit bewahren konnte) war der algerische Arbeiterverband von Anfang an keine unabhängige Klassenorganisation. Anfang 1956 mitten im Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich gegründet, bildete die UGTA zunächst einen verlängerten Arm der nationalen Befreiungsbewegung FLN. Als der FLN nach der Unabhängigkeit 1962 zur Einheits- und Staatspartei - mit einer neuen herrschenden Schicht, bestehend aus Militärs und Nomenklatura, an der Spitze - wurde, blieb der UGTA-Apparat ihm eng verbunden. Auch heute noch, der 1988 durch eine breite soziale Revolte entmachtete und später “gewendete” FLN ist seit knapp einem Jahr wieder die führende Regierungspartei, bestehen enge Bindungen zwischen beiden Apparaten. So sitzt der Chef der mächtigen Ölarbeiter-Sektion der UGTA, Mohammed L. Badreddine, heute zugleich als FLN-Abgeordneter im Parlament.
Doch tobt derzeit ein heftiger Streit gerade innerhalb der politischen und ökonomischen Eliten, bei dem es um die Frage des Ausmaßes an wirtschaftlicher Öffnung und Privatisierung geht. Seit dem Amtsantritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika 1999 sind letztere zwar offizieller Bestandteil des Regierungsdiskurses. In der Praxis hat sich aber nicht so viel getan, wie von den Einen erhofft und den Anderen befürchtet wurde. Aufgrund diverser Faktoren - mangelnde Rechtssicherheit und Korruption; die Schwierigkeit, Grund und Boden zu erwerben - zeigen die Investoren bisher geringes Interesse an der algerischen Ökonomie, von der sie gern nur Filetstücke herausbrechen würden. Jedenfalls, solange das Herzstück dieser Ökonomie nicht auf den Verhandlungstisch kommt: Die Öl- und Gasproduktion, die bisher immer noch von der - bei der Nationalisierung des Erdöls 1971 geschaffenen - nationalen Gesellschaft Sonatrach dominiert wird.
Um das abzustellen, hatte Energieminister Chikab Khelil im Vorjahr einen Gesetzentwurf präsentiert, der ausländischen (vor allem US-amerikanischen) Firmen einen direkten Zugriff auf den Ölsektor ermöglichen sollte. Die Widerstände der Gewerkschaftsbasis, aber auch protektionistisch motivierter Teile der Eliten - welche die algerische Ökonomie bereits unter vollständiger Kontrolle von außen sahen - waren jedoch erheblich. Am 24. Dezember 02 zog Präsident Bouteflika den Entwurf offiziell zurück, voraus gingen u.a. massive Streikdrohungen im Erdölsektor. Aber wenige Woche später reiste Minister Khelil in die USA und warb weiterhin für das Projekt, das nach seinen Worten keineswegs beerdigt sei. Daher hatte die UGTA auch Teile der Eliten hinter sich, als sie zum Ausstand gegen “den Ausverkauf” rief, so auch die Mehrheit des nationalen Unternehmerverbands FCE (Forum des chefs d'entreprise).
Zugleich wurde der Streikaufruf zum Katalysator des allgemein verbreiteten sozialen Unmuts mit den Lebensbedigungen. Denn die reale Streikbewegung lässt sich keineswegs auf eine Manipulation durch einen Teil der Eliten reduzieren, wie es ein in Algerien unter Intellektuellen und bei bestimmten Parteien beliebtes Spiel will - letztere interpretieren einfach jede gesellschaftliche Bewegung als Ausdruck des "Kampfs der Clans im Militär". Diese Idee drückte der Karikaturist "Dilem" (Zeichner der Tageszeitung 'Liberté', die dem kabylischen Milliardär Ibrahim Rebrab gehört und die kabylische Regionalpartei RCD unterstützt) vorige Woche so aus: Die Botschaft des Streiks an Präsident Bouteflika komme durch die Worte "Generalstreik", "Union générale" (UGTA = Union générale des travailleurs algériens) und "Generalsekretär der UGTA" zum Ausdruck - nämlich "General". Kurz, es handele sich um einen Wink mit dem Zaunpfahl der Militärs. Nur, nach dieser Logik, die einen beliebten intellektuellen Sport in Algerien darstellt, lässt sich einfach alles auf das Ziehen irgendwelcher Clans an "Marionettenfäden" reduzieren, und am Ende ist jegliches Handeln in diesem totalisierenden Interpretationsschema gefangen. Die Islamisten waren beim letzten erfolgreichen Generalstreik der UGTA, jenem vom 12. und 13. März 1991(damals ging es um die Verarmung und die Erhöhung der Löhne), einem ganz ähnlichen Irrtum aufgesessen. Damals die aufstrebende politische Kraft, hatten sie die Streikbewegung sträflich unterschätzt und als "reine Manipulation der (damaligen) Regierung von Mouloud Hamrouche" dargestellt, die auf diese Weise eine ihr genehme Pseudo-Opposition simuliere. Das war allerdings an den realen Erfahrungen der Arbeiter vorbei argumentiert, und der Pseudo-Gewerkschaft der Islamisten (dem SIT, Syndicat islamique du travail) sollte es niemals gelingen, wirklich Fuß in der Arbeiterschaft zu fassen. (Der SIT wurde 1992, zusammen mit der Islamistenpartei FIS, verboten und aufgelöst.) Die industrielle Arbeiterschaft wurde nie zum Sektor, in welchem die Islamisten sehr stark gewesen wären, selbst als sie 1991 zeitweise in subproletarischen Milieus (Landflüchtlinge, Arbeitslose, Beschäftigte im informellen Sektor) und im Kleinbürgertum massenhafte Unterstützung fanden.
UGTA-Chef Abdelmadschid Sidi Saïd erklärte Mitte voriger Woche ganz offiziell, ihm gehe es darum, den FLN-Chef und amtierenden Premierminister Ali Benflis zu unterstützen - gegen seine privatisierungswütigen Minister Khelil und Abdelhamid Temmar (zuständig für Privatisierungen), die sich nicht an Benflis’ Anweisungen hielten. Im Kontext der Vorbereitung der Präsidentschaftswahl von 2004 hofft man damit, dem für maximale “Öffnung” der Ökonomie eintretenden Teilen der politischen Klasse das Wasser abzugraben, notfalls auch einer erneuten Kandidatur Bouteflikas. Die beiden genannten Minister stehen Staatspräsident Bouteflika nahe. Mit diesem Unterstützungskurs für einen anderen Flügel der politischen Klasse wird man allerdings, vermutlich, im derzeitigen politischen (auch internationalen) Kontext, bestenfalls eine Softversion des gleichen Programms erhalten....
Minister Temmar ließ sich allerdings nicht beeindrucken: Noch am ersten Tag des Generalstreiks gab er ein Schreiben heraus, in dem er für 40 rentable Unternehmen - Filetstücke - die Einleitung konkreter Privatisierungsstudien fordert. Dazu gehören Zementwerke in Meftah (30 Kilometer südlich von Algier) und M’sila (weiter im Landesinneren), aber auch 22 Agrarbetriebe - wie der nationale Milchhersteller Gisplait, der im Vorjahr einen Reingewinn von einer halben Milliarde Euro erzielte. Zugleich steht damit die Aufhebung des bisher öffentlich festgelegten Milchpreises auf dem Programm, die vielen in Algerien den Zugang zu dem Produkt unmöglich machen würde. Bei Besuchen in Meftah und bei Gisplait drohte UGTA-Generalsekretär Sidi Saïd bereits mit der Ausweitung von Aktionen gegen eine “unkontrollierte” Liberalisierung, “zumal dann, wenn der Sozialpartner” - also die UGTA - “mit keinem Wort gefragt wird”. Da die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr näher rücken, ist allerdings damit zu rechnen, dass die Privatisierungswut in den kommenden Monaten eher gedämpft werden will. Soziale Grausamkeiten begeht man gewöhnlich nicht kurz vor Wahlen.
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