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Updated: 18.12.2012 15:51
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Informeller Sektor, Privatisierung und Widerstände der Arbeiter gegen die Privatisierung

Von Bernhard Schmid

Die algerische Gewerkschaftszentrale UGTA hat so gut wie nichts von ihren zentralen Forderungen durchbekommen - und will dennoch im kommenden September einen "Wirtschafts- und Sozialpakt" mit der Regierung und dem Arbeitgeberlager abschließen. Das ist das vorläufige Ergebnis der"Tripartite", also des gemeinsamen Gipfeltreffens der Regierung von Ahmed Ouyahia, der UGTA und der Vertreter des (organisatorisch zersplitterten) Arbeitgeberlagers, am vorigen Freitag, dem 4. März 05.

Erhöhung des Mindestlohns: Njet

Auf eine ihrer wichtigsten Forderungen, betreffend die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns SNMG, hin erhielt die UGTA eine faktische Absage. Der monatliche, gesetzlich garantierte Mindestlohn beträgt derzeit 10.000 algerische Dinar (D.A.) Das entspricht nach dem offiziellen, durch die Banken praktizierten Wechselkurs derzeit 120 Euro pro Monat. Da aber der informelle Wirtschaftssektor in Algerien den "legalen" schier aufzufressen droht, ist es für den "einfachen Bürger" de facto ungleich leichter, Devisen auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. Dort aber entspricht der monatliche Mindestlohn im Gegenwert nur (knapp) 100 Euro.

Die Bedeutung des informellen oder parasitären Sektors

Das System funktioniert ungefähr so: Die gesamte Wirtschaft hängt am Tropf der "Ölrente", der Einnahmen der (bisher noch nationalisierten, aber demnächst für privates Kapitel geöffneten) Erdöl- und Erdgasindustrie. Der Staatsanteil daran, der mit einer Teilprivatisierung aber absinken würde, wird in das öffentliche Bankensystem geleitet. Aus diesem Topf werden dann zuerst die Angehörigen der algerischen Oligarchie und ihre Günstlinge bedient. (Die Oligarchie ist zusammengesetzt aus der Staatsbürokratie und einer halb mafiösen Privatbourgeoisie, die freilich eher importiert und Algieren mit den Überschüssen der europäischen/ostasiatischen Industrie überschwemmt denn produziert.) Die übrigen Einwohner des Landes können zwar theoretisch Geld wechseln und Kredite aufnehmen, werden aber erst bedient, wenn die Bedürfnisse des parasitären Wirtschaftssektors abgedeckt sind. Deswegen hält "der einfache Bürger" sich besser gleich an den Schwarzmarkt.

Privatisierungspolitik: Auch deutsche Unternehmen dabei

Um "endlich" einen florierenden Privatsektor, der nicht nur parasitär die Früchte des Landes auffrisst, zu erhalten - so lautet jedenfalls die offiziell formulierte Idee - soll nun rundherum privatisiert werden. Damit sollen produktive Investitionen angelockt werden. Dabei gibt es nur ein riesiges Problem: Bisher finden sich kaum ernsthafte Interessen dafür, wirklich im Lande zu produzieren. Das internationale Kapital ist zwar wirklich daran interessiert, in Algerien zu investieren: Aber nicht, um dort dem produzierenden Sektor auf die Beine zu helfen, sondern nur, um "einen Fuß in die Tür zu bekommen" und für weitere Exporte auf den algerischen Absatzmarkt zu nutzen. (ANMERKUNG 1)

Die algerischen Arbeitgeberverbände wiederum hätten gern die Vorteile, die damit verbunden wären, sich in den Aufbau eines "formellen" und tatsächlich produzierenden Privatsektors zu lancieren - aber bitte schön ohne die Nachteile. So fordert einer der Arbeitgeberverbände, das Forum des chefs dentreprise (FCE), der Staat möge den von Privaten übernommenen, bisherigen öffentlichen Unternehmen die Abnahme eines Großteils ihrer zukünftigen Produktion garantieren, in Form exklusiver Abnahmeverträge. Daneben fordern die algerischen Arbeitgeber selbstverständlich das, was ihre Pendants überall sonst auf der Welt auch fordern: Die Möglichkeit, niedrigere Löhne zu bezahlen; die Lohnnebenkosten und öffentlichen Lasten der Unternehmen sollen "endlich" gesenkt werden; der Abschluss befristeter und andere prekärer Verträge soll erleichtert werden.

Diesen Forderungskatalog präsentierten die Verbände der algerischen Privatwirtschaft der Regierung Ouyahia anlässlich der "Bipartite", des bilateralen Treffens am 16. Dezember 04. Das nennt man: Die Vorzüge der Privatisierung einfordern, aber zugleich die Vorteile eines Staatsunternehmens verlangen. Man muss hinzufügen, dass viele Vertreter des algerischen privaten gewerblichen Sektors, die sich gern als "zwischen dem Staats- und dem informellen Sektor eingeklemmt" bezeichnen, selbst mit mindestens einem Bein im informellen Sektor stehen. Das bedeutet, dass sie einen Teil ihrer Aktivitäten unter Umgehung der bestehenden Vorschriften zur sozialen Absicherung der Arbeitskräfte (sowie zur Absicherung der Staatsinteressen, namentlich an der Erhebung von Steuern) ausüben. Durchschnittlich beschäftigt ein algerischer Arbeitgeber auf dem Papier drei abhängig Beschäftigte. Doch da dürfte noch eine nicht unerhebliche "Dunkelziffer" bestehen...

Der algerische Privatsektor ist also einerseits, jedenfalls als "formeller" produzierender Sektor, relativ schwach und weist einige mafiöse Neigungen auf. Andererseits kann er tatsächlich von seiner Kapitalstärke her kaum mit international tätigen Konzernen mithalten. Tatsächlich bewirbt sich der algerische Privatsektor erklärtermaßen vor allem für die Übernahme kleiner und mittlerer Einheiten (so geht es aus dem Forderungskatalog an die Regierung hervor), nicht so sehr größerer Staatsbetriebe. Und auch die Regierung bevorzugt im Prinzip ausländische Investoren: Dies erklärte Industrieminister Hachemi Djaaboub im Januar dieses Jahres explizit in einer Ansprache vor Studenten einer höheren Handelsschule. ("Ausländische Direktinvestitionen hätten die Präferenz der Regierung ’wegen des Zuflusses an Kapital, wobei der Minister versicherte, ’auch Inländer sind uns willkommen" - nach "Le Quotidien d1Oran" vom 13. 01. 05)

Unter diesen Voraussetzungen wird die Privatisierung des größten Teils der derzeit noch 1.300 Staatsunternehmen (von denen 1.000 seit dem vergangenen Jahresende nunmehr offiziell zum Verscherbeln ausgeschrieben sind, wobei die Privatisierung von insgesamt 1.200 als Ziel ausgegeben wird) eher Allüren eines Kahlschlags und Ausverkaufs denn einer tatsächlichen Fortführung ihrer Aktivitäten unter privater Regie annehmen. Die Übernehmer werden sich wohl höchstens die "Filetstücke" herauspicken und den Rest verkommen lassen. Reales Interesse scheint dagegen in wenigen Sektoren vorhanden.

So im Sektor der Banken, wo die führenden französischen Geschäftsbanken BNP und Société Générale auf einen Einstieg warten (laut dem Staatssekretär für die Reform des Finanzsektors Karim Djoudi, in "La Tribune" vom 6. 12. 04). Im Tourismussektor ist damit zu rechnen, dass einige "Perlen" Abnehmer finden, die zukünftig in Etablissements für Angehörige der internationalen Elite und Geschäftsleute - als eine Art Oasen im Meer der umgebenden Armut, wie anderen Ländern der "Dritten Welt" - umgewandelt werden können. Mit einer solchen Politik hatte der südkoreanische Daewoo-Konzern durch den Kauf der Hilton-Hotels in Algieren 1997/98 begonnen - der Konzern zwang allerdings daraufhin alle Beschäftigten der Hotelkette, in einem "Zusatzvermerk" zu ihrem Arbeitsvertrag auf die Anwendbarkeit des algerischen Arbeitsrechts zu "verzichten" und eine deutliche Verschlechterung ihrer Anstellungsbedingungen zu akzeptieren. Nach zwei Jahre währendem Konflikte wurden alle widerstrebenden Mitarbeiter entlassen.

Dagegen ist abzusehen, dass jene noch vorhandenen industriellen Produktionseinheiten, die dereinst als Vorzeigeprojekte des autozentrierten Entwicklungsmodells und der erfolgreichen Industrialisierungspolitik Algeriens gegolten haben, aufgelöst und in Einzelteile zerlegt werden müssen. Das gilt etwa für die SNVI, den Hersteller industrieller Nutzfahrzeuge (von landwirtschaftlichen Maschinen, Bussen, Lastwagen oder auch Gabelstapler, die als einzigem Land der Region in Algerien fabriziert werden können) in Rouiba, einem Vorort von Algier. Dereinst arbeiteten hier bis zu 40.000 Arbeiter, vor zehn Jahren noch 15.600; heute sind es noch 8.000.

Nunmehr wollen französische Großunternehmen, darunter der Renault-Konzern sowie Caravel und BTK, in einzelne Unternehmensteile einsteigen - die Rede ist von "vier Segmenten von sieben". Voraussetzung aber ist, dass das bisherige Modellunternehmen Algeriens dabei zerlegt wird. Auch ein Joint-Venture mit dem deutschen Unternehmen ZF beim Bau von Kupplungen ist nicht ausgeschlossen; dabei will aber ZF das Tochterunternehmen, das allein für die Durchführung des Geschäfts zuständig sein soll, zu 80 Prozent kontrollieren. (Vgl. "El Watan" vom 7. Dezember 04 und Interview mit dem SNVI-Direktor Chahboub in "Liberté" vom 08. 01. 2005)

Ein weiterer deutscher Konzern, der in Algerien dabei aktiv geworden ist, sich einige "Filetstücke" zu sichern, ist der Waschmittel- und Chemieproduktehersteller Henkel. Der deutsche Konzern hatte sich bereits im Jahr 2000 an drei Filialen des nationalen algerischen Waschmittelherstellers ENAD beteiligt; eine Klausel des Vertrags sah dabei die Möglichkeit vor, die gesamten Anteile an diesen Filialen zu erwerben. Nachdem das Geschäft dieser Filialen gut lief, wollte Henkel nunmehr 100 % der Anteile erwerben. Dabei kam es aber zum Zerwürfnis mit dem algerischen öffentlichen Unternehmen.

Eine Vertragsklausel sah jedoch ebenfalls vor, dass im Fall eines Streits zwischen Henkel und ENAD die Angelegenheit der Zuständigkeit der algerischen Justiz entzogen sei und vor einem internationalen Schiedsgericht entschieden werden müsse. Und so entschied die Industrie- und Handelskammer in Brüssel zugunsten von Henkel (vgl. "El Watan" vom 8. 12. 04) Der deutsche Konzern kontrolliert nunmehr rund 60 Prozent des algerischen Absatzmarkts für Waschmittel.

Der Staat lässt zur Privatisierung bestimmte Unternehmen systematisch verkommen

Um das Terrain für die Privatisierung vorzubereiten, begleicht der Staat regelmäßig seine Schulden bei öffentlichen Unternehmen nicht, um diese systematisch in die roten Zahlen zu drücken. Die Zeitung "Alger Républicain" (eine prestigereiche ehemalige KP-Zeitung, die seit anderthalb Jahren wieder erscheint und konsequent den Widerstand gegen Privatisierungen und den Ausverkauf des Landes unterstützt) beschreibt den Mechanismus wie folgt: "Der Regierungschef (nennt) astronomische Zahlen: 1.000 Milliarden Dinar interner Verschuldung (d.h. vor allem der öffentlichen Unternehmen; die offiziellen Zahl lautet 880 Milliarden, Anm. B.S.). Aber wer sind die Gläubiger? Kann man von echten Schulden sprechen, wenn der Staat selbst sein Haupt- oder einziger Gläubiger ist? (...) Die Schuldenlast der öffentlichen Betriebe ist in den 90er explosionsartig angewachsen. Sieht man von den Effekten der Korruption ab, so ist dies vor allem auf die Effekte der Abwertung des Dinar und die Zinssätze der (staatlichen) Banken zurückzuführen. (...) Ein französischer Franc war 1989 ungefähr einen Dinar wert. 1996 betrug der Wechselkurs 10 Dinar für einen Franc. Die Verschuldung der öffentlichen Unternehmen stieg damit in wenigen Jahren rechnerisch auf das Zehnfache (Anm. B.S.: weil sie in Devisen berechnet wurde). Doch das ist nicht alles. Seit 1990 berechnen die Banken einen jährlichen Zinssatz von 24 Prozent. (...) Kein Unternehmen kann dieser mathematischen Aufblähung seiner Schuldenlast standhalten, mit Ausnahme derer, die ihre Produkte gegen Devisen verkaufen, und auch diese nur, wenn sie keine Anfangsschulden mit sich herumschleppen." (Zitiert nach "Alger Républicain" vom 1. Dezember 04, vgl. auch "Liberté" vom 6. 12. 04). Auf diesem Wege treibt der algerische Staat viele Staatsbetriebe, die für die Privatisierung vorgesehen sind, künstlich in den Ruin.

Positionen der UGTA zur Privatisierung:

1) Die offizielle "Linie"Die UGTA hat sich seit Jahresbeginn 2005 offiziell zu einer Pro-Privatisierungs-Position "bekehrt". Anfang Januar 05 erklärte ihr Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd im algerischen Fernsehen, die Privatisierung sei für seinen Verband "kein Tabu" mehr, und man kenne nicht länger ideologische Dogmen in dieser Frage. Im Hintergrund steht einerseits die enge Verflechtung des früher (zur Zeit der Einheitspartei FLN, 1962 bis 1989) "staatsoffiziellen" Gewerkschaftsverbands auch mit der heutigen Staatsmacht. Jedenfalls der Funktionärskörper ist dicht in die Oligarchie eingeflochten und eingebunden.

Ferner ist der Apparat eng mit den Partei-Funktionskörpern der beiden heutigen Nachfolgeparteien der ehemaligen Staatspartei, dem weiterhin existierenden FLN sowie dem Mitte der 90er Jahre von ihm abgespalteten RND, verbunden. Der Sekretär der UGTA für Organisations-Angelegenheiten (der über Funktionärskarrieren entscheiden kann), Abdelkrim Harchaoui, ist beispielsweise gleichzeitig Parteisekretär des RND (Rassemblement national démocratique, Nationale Demokratische Sammlung) für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sowohl der FLN als auch der RND sind, neben der"moderat"-islamistischen Partei MSP-Hamas, an der Drei-Parteien-Regierungskoalition unter Premierminister Ahmed Ouyahia beteiligt.

Ein zweiter Grund für die passive und nunmehr sogar offen zustimmende Haltung des UGTA-Funktionärskörpers zu den Privatisierungen ist, dass der Apparat intern zu der Einschätzung gekommen ist, dass man den Prozess ohnehin nicht mehr verhindern könne. Also sei es besser, dabei zu sein und quasi "mit den Wölfen zu heulen". UGTA-Generalsekretär Abdelmajid Sidi Saïd gab zu Anfang dieses Jahres, anlässlich einer gemeinsamen Tagung mit dem französischen sozialliberalen Gewerkschaftsbund CFDT über "Arbeitsrecht und Globalisierung", seine Einschätzung bekannt: Nur weniger als 1 Prozent der Lohanbhängigen im heutigen Privatsektor seien gewerkschaftlich organisiert (während der Organisationsgrad in den Staatsbetrieben noch immer rund 20 Prozent im Durchschnitt betragen dürften, wobei jedoch die Gewerkschaftsbeitritte häufig auch mit örtlichen Korruptionsfilzen zu tun haben). Deswegen müsse man sich auf einen Deal einlassen und sozusagen irgendwie bei der Privatisierung mit dabei sein - um einen halbwegs ansehnlichen Organisationsgrad auch über die Privatisierung hinüber zu retten. Na, wenn dieses Kalkül mal aufgeht...

Ein Hindernis für die UGTA ist dabei, dass sie (trotz aller Korruptionsverfilzung quer durch ihren Apparat) noch immer eine Basis von zwischen einer Million und 1,5 Millionen Mitgliedern hat, auf die sie irgendwie Rücksicht nehmen muss. Deswegen ist es Bestandteil der offiziellen UGTA-Position, dass ihr "Ja" zur Privatisierung mit einer Reihe von Forderungen verbunden sei. Diese beinhalten u.a. die Ablehnung von Entlassugen, die Beibehaltung des gesamten Personals durch den Aufkäufer im Zuge von Privatisierungen, die Aufrechterhaltung und Verbesserung der vorhandenen Produktionstechnik... Das könnte man, jedenfalls in einem Kontext wie dem in Algerien real existierenden, die Forderung nach Quadratur des Kreises nennen. Was die UGTA sich - jedenfalls offiziell - unter Privatisierung vorstellt, lässt sich so beschreiben: "Wenn mein Onkel kein Schwänzlein hätte, dann wäre s meine Tante". Keine Privatisierung wird erfolgreich mit den Zielen, die die UGTA zumindest offiziell zu verfolgen vorgibt, ablaufen.

2) Widerstände und die Debatte in den UGTA-Strukturen

Deswegen kommt es auch zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der UGTA. Seitdem die Leitung des UGTA-Dachverbands am 30. November 04 ankündigte, im Januar eine Konferenz zum Thema abzuhalten, um über die Privatisierungsstrategie der Regierung zu beraten (und dabei bereits ihre eigene De facto-Kapitulation vorbereitete: Es gebe "keine Dogmen"), kam es zu Reaktionen. Bereits auf der Tagung der Branchengewerkschaft für Holz und Baustoffe Ende November, anlässlich derer ein Vertreter der UGTA-Führung diese Nachricht just bekanntgab, wurde die Opposition deutlich. Die Mehrheit der Branchengewerkschaft bestritt, dass es den öffentlichen Unternehmen wirklich so schlecht gehe, wie durch die Regierung dargestellt wird, um die Privatisierung zu rechtfertigen. Und sie drohte sogar mit einem"Generalstreik", falls der Sektor, indem sie tätig ist, zerschlagen werden solle ("La Tribune", 1. Dezember 04).

Die UGTA-Gewerkschaft der Bauindustrie ihrerseits wandte sich strikt gegen"jede Form der Privatisierung", auch in Gestalt eines Einstiegs privaten Kapitals ("Le Quotidien d1Oran", 16. 12 04). Denn die Gewerkschaften hegen die dringende Befürchtung, dass ihr Sektor vollständig liquidiert werde, wenn private Investoren über ihn zu entscheiden hätten - zugunsten ausländischer Firmen. Bereits heute sind Firmen aus der VR China in Algerien tätig, die "ihre eigenen" Arbeiter mitgebracht haben, die sie nach (schlechteren) chinesischen Verhältnissen beschäftigen; 70.000 Arbeiter aus der VR China sollen derzeit im Land aktiv sein. Ähnlich sieht die Lage im Textilsektor aus, der bereits in den vergangenen Jahren die Entlassung vonüber der Hälfte der Beschäftigten (40.000 von 70.000) über sich ergehen lassen musste. Da zum Jahreswechsel 2004/05 das "Multifaser-Abkommen" auslief und damit die bisherigen Importquoten in den reichen Industrieländern fallen, womit vor allem die gigantische Textindustrie der VR China profitieren dürfte, wird ohne öffentliche Intervention der endgültige Untergang des algerischen Textilsektors befürchtet. Am 27. Dezember beschloss die Branchengewerkschaft ihrerseits, "Nein" zu den Privatisierungsaussichten zu sagen. Sie rief für den 24. Februar 05 zu einem landesweiten Aktionstag gegen Privatisierung und Ausverkauf auf.

Die Branchengewerkschaft der mechanischen, Metall- und Elektroindustrie wollte am 19. Dezember ihre eigene Konferenz abhalten, um über die Privatisierungsfrage zu beraten. Diese verwandelte sich dann aber in eineöffentliche Protestversammlung mitsamt Sit-in gegen die Privatisierungspläne. Die Arbeiter hissten Transparente mit der Aufschrift:"Nein zum Ausverkauf des öffentlichen Sektors!" Der Sprecher der Gewerkschaftssektion beim Nutzfahrzeug-Hersteller SNVI, Zetoutou, erklärte dabei, "keinerlei solche Erfahrung" wie der Einstieg der deutschen ZF in eine zu 80 Prozent von ihr kontrollierte und vom algerischen Unternehmen abgetrennten Filiale werde "künftig mehr akzeptiert". Im Metallsektor haben die Gewerkschaften allerdings das Problem, dass das größte Metallunternehmen des Landes, der Stahlindustriekomplex El-Hadjar im ostalgerischen Annaba, bereits 2001 mit aktiver Kooperation der UGTA-Sektion an den anglo-indischen Konzern ISPAT verkauft worden ist. Die neuen Eigentümer haben die Aufrechterhaltung der Produktion für ein knappes Jahrzehnt garantiert. Allerdings ist ISPAT in Annaba verantwortlich für eine jähe Erhöhung ihrer Zuliefererpreise um 76 Prozent, die nunmehr das größte nationale Unternehmen - die SNVI - in Schwierigkeiten stürzt. Auch deswegen könnte die SNVI in naher Zukunft ihre Zerlegung hinnehmen müssen.

Im Hotel- und Tourismussektor kam es ebenfalls den ganzen Monat Dezemberüber zu Protestäußerungen. Zwar wird den "Perlen" des Sektors eine bessere Zukunft versprochen, und die Regierungspolitik versucht die Beschäftigten mit der Aussicht zu "ködern", künftig zu den privilegierten Sektoren zu gehören und dann (angeblich) ein Drei- bis Fünffaches ihres jetzigen Gehalts zu verdienen. Doch den Großteil der bisherigen staatlichen Hotelbetriebe dürften weniger rosige Aussichten erwarten. Am 12. Dezember erklärten die Gewerkschaftssektionen des staatlichen Tourismusunternehmens EGT Est, das mehrere Hotelgebäude in Ost- und Nordostalgerien verwaltet, ihre Ablehnung der durch die Regierung beschlossenen Privatisierung. Ein Verkauf einzelner Etablissements, Stück für Stück, komme nicht in Frage. Allenfalls wolle manüber den Einstieg eines "Partners", der Investitionen mitbringe und die bisherigen Anlagen erhalte, mit sich reden lassen. Das Vorstandsmitglied der UGTA-Gewerkschaft der Tourismusarbeiter (Syndicat national des travailleurs du tourisme), Azira Mohammed, erklârte seinerseits im Januar in der Presse: "Die Arbeiter haben uns ein Mandat erteilt, um mit den zuständigen Behörden über andere Wege als über den Verkauf zu verhandeln. Sie haben sogar damit gedroht, auch gegen ihre Gewerkschaft zu rebellieren, wenn dieser dem Verkauf im Grundsatz zustimmt." ("Liberté" vom 03. 01. 05)

Anlässlich seines Fernsehauftritts vom 4. Januar 05, und wenige Tage später innerhalb des UGTA-Vorstands, hat der Generalsekretär des Dachverbands Abdelmajid Sidi-Saïd nach dieser anfänglichen "Gärungsphase" jedoch die offizielle Linie festgelegt: "Es gibt kein ideologisches Tabu - es kommt allein darauf an, gute Bedingungen für die Privatisierung herauszuholen". Dennoch ist davon auszugehen, dass es auch weiterhin zu erheblichen Widerständen auch innerhalb der UGTA kommen wird. Diese stoßen jedoch auf zweierlei Probleme. Das erste besteht darin, dass aufgrund der oftmals existierenden örtlichen Korruptionsfilze in der und um die UGTA die Lohnabhängigen den offiziellen Gewerkschaftsstrukturen wenig über den Weg trauen. In den Augen der Arbeiter erscheinen die Widerstände einiger UGTA-Strukturen gegen die Privatisierungsdrohung oftmals vor allem als Manöver, mittels derer sich Funktionäre im Vorfeld des Kongresses in circa einem Jahr in eine günstige Ausgangsposition begeben wollen, um über Posten im Apparat zu verhandeln. (In Einzelfällen kann das sicherlich nicht ausgeschlossen werden!)

Zum Zweiten sind all die Sektoren, die oben als "Widerstandsnester" innerhalb der UGTA genannt wurden, für die Mehrwertproduktion in Algerien nicht von zentraler Bedeutung. Der wirklich nennenswerte Anteil an Mehrwert, der auf nationaler Ebene anfällt, wird momentan allein im Erdöl- und Erdgassektor abgeschöpft. An den würde das internationale Kapital selbstverständlich auch sehr gern `ran, und das ist zahllosen Basismitgliedern der UGTA auch (als Risiko) bewusst. Nur: In diesem strategisch entscheidenden Sektor lässt die Regierung ebenso wie die zentrale UGTA-Bürokratie bisher nichts anbrennen. Den Ölarbeitern bei der nationalen Erdölgesellschaft Sonatrach, als einer Art "Arbeiterelite" (von der freilich ein Teil, vor allem der eher mit Zuarbeiter-Tätigkeiten befasste, mittlerweile in prekären Verhältnissen beschäftigt ist!), sichert man bisher noch das Ausbleiben jeder negativen Veränderung zu. Erstens solle die Sonatrach als solche nicht angetastet, also privatisiert oder aufgelöst werden: In einer ersten Zeit werden die europäischen oder nordamerikanischen Konzerne wahrscheinlich neben der Sonatrach aktiv werden, bevor sie irgendwann (in Zukunft) auch Kapitalanteile an dieser werden erwerben können. Zweitens wird bisher eine Bestandsgarantie für alle Arbeitsplätze bei der Sonatrach abgegeben. Drittens geht die Offensive der Regierung zugunsten einer "Öffnung" des Erdölsektors für private Konzerne derzeit auch mit angekündigten Lohnerhöhungen für die Sonatrach-Mitarbeiter, jedenfalls im mittleren und oberen Bereich, einher.

Abzuwarten bleibt, ob die anstehende "Öffnung", d.h. Teilprivatisierung derÖl- und Gasförderung tatsächlich so reibungslos über die Bühne laufen wird. Der entsprechende Gesetzentwurf soll bereits in der, im März beginnenden Sitzungsperiode vom algerischen Parlament debattiert und angenommen werden.

Die UGTA-Spitze hat den ganzen Januar und Februar über verlautbart, man kenne den Entwurf noch nicht - bisher habe man ihn noch nicht gesehen, und vielleicht habe er sich ja auch gegenüber den Vorlagen von 2001 und 2003 (die durch die UGTA jeweils durch Generalstreiks im ganzen Land abgewehrt wurden) positiv verändert. Man kann sich auch dumm stellen: Die algerische Presse berichtete gleichzeitig, der Entwurf habe sich nicht wesentlich verändert, und interpretierte es bereits als bemerkenswert, dass der "Sozialpartner" dieses Mal (angeblich!) nicht vorher konsultiert werde. Man darf also darauf gespannt sein, was noch passiert, und welche Verrenkungen es noch geben wird.

Widerstand der Arbeiter gegen Privatisierung

Aber auch außerhalb der UGTA (in deren Reihen es wegen der drohenden Privatisierungswelle stellenweise mächtig brodelt) kommt es u.U. zu erheblichen Widerständen.

Über das spektakulärste Beispiel der jüngsten Zeit berichtete die Tageszeitung "El Watan" auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 1. März 05. Es handelt sich um eine Ziegelfabrik in Remchi, im westalgerischen Bezirk Tlemcen. Wie anderswo auch, hatte der Staat die Privatisierung durch ein "Verkommenlassen" des Betriebs vorbereitet - um (wie es derzeit übliche Praxis ist, s.o.) sagen zu können, das Staatsunternehmen funktioniere ohnehin nicht und solle deswegen durch die Privatisierung erst "wieder flott gemacht" werden.

So war es auch bei dem Staatsunternehmen, das diese Ziegelfabrik betrieb. Aufgrund ihrer desaströsen finanziellen Situation hatte dieses, das öffentliche Unternehmen EPRO, an 163 Arbeiter bereits seit 14 Monaten keine Löhne mehr ausbezahlt. Die Arbeiter wurden nunmehr mit der Auskunft abgespeist, künftig sei der private Aufkäufer für sie zuständig. Der freilich hätte bestimmt von solchen "Altlasten" nichts mehr wissen wollen...

In den letzten Februartagen wurden nunmehr leitende Angestellte der EPRO bei der Ziegelfabrik vorstellig, in der Absicht, die Arbeitsgeräte und Anlagen offiziell dem neuen Eigentümer zu übergeben und diesen in die Abläufe "seines" neuen Betriebs einzuweihen. Da hatten sie die Rechnung jedoch ohne die seit längerem aufgestaute Wut der Arbeiter gemacht. Diese verhinderten, indem sie sich physisch dazwischen stellten, die geplante Übergabe der Fabrik. Die Beschäftigten zündeten Autoreifen auf dem Fabrikgelände an und warfen das Fahrzeug der EPRO-Funktionäre um, bevor sie auf deren Oberkarnickel direkt loszugehen drohten. "Das schnelle Eingreifen der Sicherheitskräfte verhinderte Schlimmeres", schreibt die (bürgerliche) Tageszeitung "El Watan" dazu, die ansonsten detailliert und unter Angabe der (guten) Gründe der Arbeiter die Aktion beschreibt. Daraufhin wurde eine Delegation der Präfektur (juristische Vertretung des Zentralstaats im Département; in Algerien heißen die Verwaltungsbezirke"wilayas") entsandt, um mit den Arbeitern zu verhandeln. Gewählte Vertreter der abhängig Beschäftigten wurden benannt, die nunmehr mit den Verantwortlichen verhandeln sollen. Der Fortgang der Ereignisse ist bisher noch offen.

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ANMERKUNG 1:

Dass tatsächliche Produktivinvestitionen im Lande eher die Ausnahme bleiben, wird im offiziellen algerischen Diskurs bisher (noch) damit erklärt und quasi gerechtfertigt, dass Algerien nach wie vor durch die Außenministerien der USA, Großbritanniens und Frankreichs als "risikobehaftetes Reiseland" eingestuft werde. Tatsächlich haben die wichtigsten westlichen Staaten die Reisewarnungen für das algerische Territorium aufrecht erhalten, obwohl das Terrorismusrisiko dort völlig unvergleichbar mit dem realen Gefahrenniveau der 90er Jahre ist. (Vgl. "Liberté" vom 9. März 05. Die privatisierungsfreundliche Zeitung bemerkt dazu in fast unterwürfigem Tonfall: "Wenn die ausländischen Direktinvestitionen gering bleiben, führt es zu nichts, die ausländischen Wirtschaftsakteure zu beschuldigen. Algerien ist nicht das Zentrum der Welt. Der ausländische Investor hat mehrere Alternativen. Unser Land steht mit anderen Ländern im Wettbewerb um (das Anziehen von) Direktinvestitionen". Dabei ist letztere Bemerkung als Tatsachenfeststellung sicherlich richtig.) Auf der anderen Seite wird von Forschern, die für die Investionsvermittlungs-Agentur im Mittelmeerraum ANIMA tätig waren, festgestellt: In den Augen potenzieller Investoren bilde "die soziale und politische Situation eine langfristige Bedrohung. Die Eliten scheinen westliche Lebensweisen und Werte angenommen zu haben, aber nicht die Bevölkerungen. Manche Investoren fürchten ’die Forderungen der Straße. Dennoch antwortet ein Strategiedirektor eines weltweit führenden Baumaterialen-Konzerns: ’(...) Die Mehrzahl dieser Länder (Anm.: Nordafrikas und des Nahen Ostens) müssen wahrscheinlich, um ihren Staatsapparat zu entwickeln, eine islamistische Phase durchlaufen." (Zitiert nach "Le Quotidien d1Oran", 17. Januar 05) Schöner könnte man den Zynismus nicht auf den Punkt bringen: Der reaktionäre und totalitäre Charakter des (radikalen) politischen Islamismus ist nicht das Problem, wohl aber die soziale Instabilität aufgrund der "Forderungen der Straße"...


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