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Updated: 18.12.2012 16:00
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Der große Ausverkauf

Assoziierung mit der EU beschlossen, Erdöl und Erdgas teilprivatisiert,
Trinkwasser kommt als nächstes dran

Eine Ära geht unwiederbringlich zu Ende: Am Sonntag, den 20. März hat das algerische Parlament nach 34 Jahren die Nationalisierung des Erdöl- und Erdgassektors aufgehoben. (Der Sonntag ist in Algerien ein normaler Wochentag, da das dortige Wochenende auf den Donnerstag und den moslemischen Gebetstag am Freitag fällt.)

Fast alle Parteien stimmten der Regierungsvorlage zu, mit Ausnahme der zwanzig Abgeordneten der linkspopulistischen und ursprünglich trotzkistischen "Arbeiterpartei" PT (mehr zu dieser Partei: Anmerkung 1). Die Parlamentarier der moderat-islamistischen Partei Islah (Reform)
enthielten sich der Stimme.

Jedoch blieben viele Abgeordnete der Nationalen Befreiungsfront (des FLN, Parti du Front de libération nationale) der Abstimmung fern. Aus ihrer Sicht stellt der Beschluss einen gravierenden Bruch in der Geschichte der ehemaligen Einheitspartei nach der Unabhängigkeit von 1962, die heute der Regierungskoalition neben zwei anderen Parteien angehört, dar. Doch nachdem
zahlreiche FLN-Parlamentarier die Debatte "geschwänzt" hatten, wurden sie kurz vor dem entscheidenden Votum durch die Parteiführung ermahnt: Wer nicht mit abstimme, brauche sich keine Hoffnung zu machen, für die nächsten Wahlen wieder aufgestellt zu werden.

Der Gesetzestext sieht vor, dass ausländische Unternehmen nicht mehr nur Minderheitsbe- teiligungen an Förderstätten und -anlagen erwerben dürfen, sondern bis zu 70 Prozent. Unter bestimmten Bedingungen können westliche Firmen auch hundertprozentige Eigentümer einer Lagerstätte werden. Die PT-Abgeordneten hatten über 80 Änderungsanträge vorgelegt, die aber durch die drei Regierungsparteien (den FLN, den RND und die islamistische Partei MSP-Hamas) ausnahmslos abgeschmettert worden sind.

Was bedeutet der Abschied von der Nationalisierung des algerischen Erdöls?

Welch einschneidende Veränderung die Öffnung des Erdölsektors für westliches Privatkapital bedeutet, ergibt erst die historische Rückschau. Die Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie durch das damalige FLN-Regime im Februar 1971 hatte ursprünglich das Herzstück eines autozentrierten
Entwicklungsmodells gebildet: Die vom Staat abgeschöpfte "Ölrente" sollte in den Aufbau einer diversifizierten Industrie investiert werden. So sollte die strukturelle Unterentwicklung der ehemaligen Kolonie, deren Wirtschaft früher auf die Bedürfnisse der "Metropole" Frankreich zugeschnitten worden war, überwunden werden. Dieses Vorhaben war aber bereits in den achtziger Jahren gescheitert. Dazu trug das Technikdiktat westlicher Konzerne bei, die dem nordafrikanischen Land veraltete, überdimensionierte oder den örtlichen Bedingungen nicht angepasste Anlagen verkauften oder die Algerier in Abhängigkeit von Ersatzteilen und Wartungsarbeiten durch eigene westliche "Experten" hielten. Aber auch die Korruption der einheimischen Eliten, die sich mitunter Schrott andrehen ließen, sofern sie nur selber saftige
Kommissionen kassieren konnten, bildete eine Ursache.

Heute ist Algerien auf den meisten Gebieten extrem importabhängig. Finanzieren kann es seine Bedürfnisse überhaupt nur dank des mächtigen "Motors" seiner Ökonomie, der Öl- und Gasförderung, die über 97 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes einbringt. Doch selbstverständlich wuchsen die europäischen und nordamerikanischen Begehrlichkeiten, einen Fuß auch in diesen Sektor zu bekommen.

Ein Teil der ehemals staatssozialistischen Eliten Algeriens leistete noch bis vor kurzem heftige Widerstände dagegen. Und am 20. März 2001 sowie Ende Februar 2003 legten Generalstreiks gegen die Öffnung der Ölindustrie die allermeisten Wirtschaftszweige des Landes lahm. Mehrfach hat die Regierung ihren Gesetzentwurf zurückgezogen und für "erledigt" erklärt, um ihn nach
einigen Monaten wieder aus der Schublade zu holen. Doch zu Anfang dieses Jahres hat die UGTA-Führung ihren Widerstand gegen die Privatisierung im Erdölsektor und auch in anderen Bereichen aufgegeben: Ihr Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd erklärte im Januar im algerischen Fernsehen, es gebe "keine ideologischen Tabus mehr" in dieser Frage. Die UGTA fürchtete vor allem, dass eine Privatisierungswelle auch ohne ihre Zustimmung über die Bühne gehe, und dass sie in der Folgezeit keine Vertretung mehr in den Betrieben beibehalten könne. (Siehe ausführlicher zum Positionswechsel der UGTA: Labournet vom 11. März 05)

Internationaler Druck

Doch der Druck der westlichen Gläubigerstaaten und "Wirtschaftspartner" war letztendlich stärker. Algerien will in den kommenden Monaten der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten, wofür es die Unterstützung westlicher Wirtschaftsmächte benötigt ­ und insbesondere der USA, die in dem
Ausschuss von 40 WTO-Mitgliedsländern, der mit Algerien verhandelt, Ton angebend sind.

Die algerische Tageszeitung "La Tribune" vom Donnerstag, 17. März zitiert Staatspräsident Abdelaziz Boutefliqa mit den Worten, die politische Führung habe das Gesetz nicht frohen Herzens angenommen, "es ist uns aufgezwungen worden". Entsprechend habe sich Boutefliqa in einer öffentlichen Rede im Jahr 2004 geäußert. (Der Name des Präsidenten wird auch Bouteflika
geschrieben, je nach Transkription aus dem Arabischen.)

Nach Informationen der "Arbeiterpartei" PT ist der Entwurf "von A bis Z durch eine Kanzlei in New York" formuliert worden. Deswegen, so fährt die Partei der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Louisa Hanoune fort, sei auch erklärlich, dass die Abgeordneten keinen einzigen Buchstaben an der Vorlage verändern durften. Sogar der PT-Antrag, in dem Gesetz festzuschreiben, dass künftig zumindest die staatliche Erdölgesellschaft Sonatrach ­ die nunmehr private Konkurrenz auf ihrem Tätigkeitsfeld bekommen wird ­ nicht privatisiert werden dürfe, wurde abgeschmettert. Dabei hatten Präsident Boutefliqa und Energieminister Chakib Khelil in mündlichen Aüßerungen stets hoch und heilig versichert, eine Privatisierung der Sonatrach komme nicht in Betracht.

Minister Khelil dementierte, dass der Gesetzentwurf aus einer New Yorker Kanzlei stamme, und behauptete, er sei durch algerische Experten formuliert worden. Khelil arbeitete von 1980 bis 1999 bei der Weltbank in Washington, zuletzt als Abteilungsleiter für den Energiesektor in Lateinamerika. Prâsident Boutefliqa holte ihn nach seiner ersten "Wahl" (ohne Gegenkandidat), im April 1999, nach Algier und ernannte ihn kurz darauf zum Minister. Man braucht keine böswilligen Unterstellungen zu betreiben, um Khelil große Nähe zu US-amerikanischen und internationalen Firmen zu unterstellen.

Erhöhung der Energie- und Treibstoffpreise für die Bevölkerung

Nach Angaben der Tageszeitung "Liberté", die ansonsten Privatisierungen im allgemeinen eher befürwortet, wird die erste Konsequenz des neuen Gesetzes für die algerische Bevölkerung aus einer Erhöhung der Energiepreise bestehen.

In ihrer Montagsausgabe (21. März) zitiert die Zeitung die Artikel 9 und 10 der Loi sur les hydrocarbures (Gesetz über die Kohlenwasserstoffe), so lautet der offizielle Gesetzestitel. Ihren Bestimmungen zufolge sollen die Preise für Haushaltsgas, Strom und Benzin sowie Diesel künftig nicht mehr durch die Regierung ­ die immerhin noch für politischen Druck anfällig ist ­ festgelegt werden, sondern durch eine speziell eingerichtete "Regulierungsbehörde". Die neue Behörde soll sowohl die Interessen der staatlichen Sonatrach als auch der künftigen privaten Investoren vertreten und gegeneinander abwägen. Die beiden Gesetzesparagraphen schreiben ihr vor, die Energie- und Treibstoffpreise künftig in einer Weise festzulegen, die eine Rentabilisierung der durch private Unternehmen getätigten Investitionen erlaubt. Liberté setzt hinzu: "Die Regierung scheint keine Garantien für die Kaufkraft der Bürger abgegeben zu haben."

Assoziierungsvertrag mit der EU: Ein weiterer Schritt in dieselbe Richtung

Just am Montag, 14. März 05 wurde auch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vom Parlament in Algier ratifiziert, das ebenfalls eine weitgehende "Liberalisierung" der algerischen Ökonomie und Marktöffnung vorschreibt. In seinem Artikel 61 sieht der Assoziierungsvertrag auch eine Liberalisierung des Energiesektors vor, was in offenkundigem Zusammenhang
mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz steht.

Der Assoziierungsvertrag mit der EU wurde im April 2002 im spanischen Valencia unterzeichnet. Inzwischen ist er durch Algerien und 14 von 15 damaligen EU-Mitgliedern (die erst später beigetretenen, neuen Mitgliedsländern brauchen ihn nicht zu ratifizieren) auf parlamentarischem
Wege ratifiziert worden. Nur die Niederlande müssen ihn jetzt noch ratifizieren, damit er in Kraft tritt.

Das Abkommen sieht die vollständige Liberalisierung des algerischen Marktes bei Ein- und Ausfuhren, sowie eine beschränkte Öffnung der EU für algerische Exporte vor. Der Abbau von Handels- und Konkurrenzhemmnissen sowie Zollschranken soll in zwei Jahren beginnen. Bis in zwölf Jahren, also bis 2017, soll der Zugang zum algerischen Markt vollkommen frei sein. Die
Tageszeitung "La Tribune" zitiert den EU-Botschafter in Algier, Lucio Guerrato, mit den Worten: "Die algerischen Wirtschaftsakteure werden damit (neben den europäischen) auf eine Autobahn gesetzt, von der es keine Ausfahrt gibt."

Dieselbe Zeitung (16. März 05) wirft freilich die Frage auf, ob die algerische Ökonomie in der Lage sei, "dem Orkan standzuhalten", den "zukünftig die mit der europäischen Konkurrenz einher gehenden Spielregeln" zu entfachen drohten.

Positionen der politischen Parteien zum Assoziierungsvertrag

Die drei Parteien der Regierungskoalition sehen den Auswirkungen des Assoziierungsabkommens, wie es ihrer Rolle geziemt, mit Optimismus entgegen. Die ehemalige Staatspartei FLN und der (Mitte der 90er Jahre aus einer Abspaltung von ihm hervor gegangene) RND behaupteten, die algerische Ökonomie habe genügend Zeit, sich auf die wirtschaftlichen Folgen vorzubereiten. Die ebenfalls mit regierende islamistische Partei MSP-Hamas kommentierte kurz und knapp: "Wir gehören einer Regierung an, die dieses Abkommen unterzeichnet hat. Also können wir nur Ja sagen." Auch die oppositionelle, "moderat"-islamistische Partei Islah (Reform) stimmte
ihrerseits für den Assoziierungsvertrag.

Der dem FLN angehörende algerische Außenminister Abdelaziz Belkhadem zeigte sich anlässlich der Ratifizierung des Abkommens mit der EU beruhigt, und beruhigend gegenüber seinen Landsleuten: Die Auswirkungen auf die algerischen Ökonomie würden sich "erst ab 2017" bemerkbar machen, und bis dahin habe die Wirtschaft des Landes reichlich Zeit, sich zu modernisieren und konkurrenzfähig zu machen. Aber dem Text des Abkommens zufolge beginnt der Abbau von Schutzvorrichtungen für die einheimische Produktion bereits zwei Jahre nach Inkrafttreten des Assoziierungsvertrags! Belkhadem, der zum "islamo-konservativen" Flügel des FLN gehört, hatte früher selbst gegen das Abkommen opponiert. Allerdings eher aus ideologischen Gründen denn aufgrund einer Analyse seiner sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Algerien. Nunmehr hat er, mit der gesamten algerischen Elite, seine Weste umgedreht.

Die linkspopulistische "Arbeiterpartei" PT hat, wie erwähnt, im Parlament als einzige Partei gegen den Assoziierungsvertrag gestimmt. (Ausführlicher zum PT: vgl. Anmerkung 1)

Dagegen lagen die Parteien der in Europa gern so genannten "demokratischen Opposition", einmal mehr, gründlich daneben. Unter dieser Bezeichnung werden in Europa vor allem die Regionalparteien der berberischen Region Kabylei gerechnet, die in Algerien Minderheitenparteien darstellen - aber als einzige Parteien in der insgesamt eher "staatsfernen Gesellschaft" Algeriens
(neben der Staatspartei FLN und den Islamisten) eine wirkliche soziale Verankerung aufweisen. Je nach Standpunkt, verkauft man in der europäischen Presse die eine oder andere der beiden bürgerlichen Regionalparteien der Kabylei als "die algerischen Demokraten": Für die Liberalen ist es eher der RCD ("Sammlung für Kultur und Demokratie", gemeint ist: für die Berberkultur) unter Saïd Sadi, der stärker anti-islamistisch ausgerichtet ist und auch die französischsprachigen "modernen Eliten" der Hauptstadt Algier repräsentiert.

Die europäischen Sozialdemokraten verkaufen eher den FFS (Front des forces socialistes) unter Hocine Aït Ahmed als "die Demokraten". Die so genannte "Front der sozialistischen Kräfte" hat nicht mit einer sozialistischen Organisation zu tun, sondern ist eine bürgerliche Regionalpartei, die vor allem die Interessen der europäischen Sozialdemokratie in Algerien vertritt. In den 90er Jahren hatte die Partei sich zeitweise in ein taktisches Bündnis mit den Islamisten begeben. Der FFS ist Mitglied in der so genannten "Sozialistischen Internationalen", dem transnationalen Zusammenschluss sozialdemokratisch-staatstragender Parteien. Und sein innerparteilich
autokratisch agierender Chef, Hocine Aït Ahmed, lebt seit Jahrzehnten nicht mehr in Algerien, sondern im schweizerischen Lausanne, wo es ja auch schön ist. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen: Aït Ahmed lebte von Dezember 1989 bis Juli 1992 in Algerien. Einige Jahre später kandidierte er nochmals zu den Präsidentschaftswahlen: Damals reiste er am 2. Februar 1999 nach Algerien ein, um zur Präsidentschaftswahl vom 15. April 1999 anzutreten. Und als er zwischendurch Herzprobleme hatte, ließ er sich damals ausfliegen, um sich nicht etwa in Algerien, sondern in der Schweiz behandeln zu lassen. Man ahnt also, dass dieser Mann und die Funktionärsstruktur seiner Partei der europäischen Presse, sozialdemokratischen Parteifunktionären in Europa und den intellektuellen Salondemokraten weitaus "näher steht" ­ als den Problemen der "Masse" der Algerierinnen und Algerier.

In der aktuellen Frage des Assoziierungsabkommens und seiner Folgen wird man vom FFS dementsprechend nicht enttäuscht: Er kritisiert mit keinem Wort die europäischen Interessen in Algerien ­ sondern allein das algerische Regime. Der Artikel 2 des Vertrages, der den Respekt der Menschenrechte als "Ziele des Abkommens festhält (das gehört zum symbolischen Klimbim, in dem
die Wirtschaftsinteressen verkleidet werden), werde durch die algerische Seite nicht respektiert. Der FFS beklagte einen "mangelnden politischen Willen", den Inhalts des Abkommen "effektiv" zu machen, da es auf algerischer Seite keine wirklich funktionierenden staatlichen Institutionen
gebe, aufgrund der Korruption. Nach Ansicht der Partei sollten "die europäischen Partner" stärkeren Druck entfalten, um wirklich auf die Einhaltung der schönen Versprechungen des Artikels 2 zu drängen. (Als hätte die europäische Seite in Wirklichkeit irgend etwas mit den Menschenrechten am Hut...) Der FFS sorgte sich ferner über die "Möglichkeiten der europäischen Partner, mit der verallgemeinerten Korruption fertig zu werden" und die Regeln der so genannte "good governance" durchzusetzen, welche das Abkommen voraussetze. (Zitate nach "El Watan" vom 16. März)

An die wirtschaftlich stärkere Seite im Norden zu appellieren, gegen die algerische Seite Menschenrechte und "good governance" umzusetzen: So kann man die Position von Lakaien des europäischen Imperialismus treffend zusammen fassen.

Der RCD unter Saïd Sadi seinerseits wünschte, auf Nachfragen algerischer Journalisten, keinerlei Stellungnahme zum Assoziierungsabkommen abzugeben. Es wäre freilich das erste Mal, würde die Partei Kritik am Wirtschaftsliberalismus äußern, der ja schließlich « modern » ist.

Die Ex-Kommunisten des MDS (Demokratische und soziale Bewegung), die im Namen des allein entscheidenden Abwehrkampfs gegen den Islamismus jede soziale Kritik längst aufgegeben haben und zu Liberalen mutiert sind, erklärte "weder besorgt noch überrascht" von dem Assoziierungsabkommen zu sein. Ohnehin würden 90 Prozent des algerischen Außenhandels mit Europa abgewickelt, also sei das Abkommen nur eine logische Folge. Schnarcht weiter, "Genossen"...

Und jetzt noch das Trinkwasser...

Anfang kommender Woche (die in Algerien am Samstag beginnt) beginnt im algerischen Parlament zudem noch die Debatte über die Privatisierung des Trinkwassers. Die Artikel 100 und 103 des debattierten neuen Wassergesetzes sehen die Möglichkeit für die staatlichen Behörden vor, die Wasserversorgung an öffentliche oder private Akteure abzutreten.

Der französische Vivendi-Konzern sitzt bereits auf den Rängen, um sich in den Sektor einzukaufen.

Allgemeines Fazit

Es fällt kurz und knapp aus: Was nach alldem von der Souveränität des Landes letztendlich übrig bleiben wird, ist derzeit eine offene Frage.


Bernhard Schmid, Paris

ANMERKUNG 1: Der PT ging bei der Einführung des Mehrparteiensystems 1989 aus einer kleinen trotzkistischen Organisation hervor, die seit circa 1974 illegal existierte, der Organisation socialiste des travailleurs (OST). Die unbestrittene Galionsfigur des PT ist die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Louisa Hanoune. Ursprünglich war die Partei einerseits durch einen extremen Dogmatismus charakterisiert, andererseits durch eine mitunter äußerst kuriose Strategie.

Denn die OST bzw. der PT entstand als algerischer Ableger einer französischen trotzkistischen Richtung, die dort als "Lambertisten" bekannt ist. Diese extrem autoritäre und sektierische Spielart des vielfältigen französischen Trotzkismus unterstützte im antikolonialen Befreiungskrieg
Algeriens nicht den FLN (die Nationale Befreiungsfront), sondern eine konkurrierende Bewegung, den MNA (Algerische nationale Bewegung). Dabei behaupteten die "Lambertisten" nach einer äußerst holzschnittartigen und darüberhinaus ziemlich unsinnigen Analyse, der FLN repräsentiere eine «bürgerliche Führung», der MNA dagegen «die proletarische Revolution» innerhalb der antikolonialen Bewegung Algeriens. Dabei war der MNA mit Sicherheit kein bisschen sozialistischer als der von ihm abgespaltenee FLN.

Die algerische Organisation hat dieses Schema auch später aufrecht erhalten ­ und war deswegen immer der Hinsicht, dass der FLN «die algerische Revolution usurpiert» habe und deswegen als absoluter «Hauptfeind» zu bekämpfen sei. Daraus folgerte er u.a. die kuriose, ja abenteuerliche
Strategie, in den frühen 90er Jahren das Bündnis mit den aufsteigenden, radikalen Islamisten der «Islamischen Rettungsfront» (FIS) zu suchen.

Heute hat der ursprüngliche PT es geschafft, sich in eine breitere, aber inhaltlich diffuse Vorfeldorganisation zu verwandeln (der trotzkistisch-lambertistische «harte Kern» bleibt daneben noch bestehen). Bei den Parlamentswahlen vom 30. Mai 2002 trat diese eher linkspopulistische
Umfeldpartei als einzige anti-wirtschaftsliberale und konsequent gegen Privatisierungen eintretende Opposition an. Und konnte so gut 20 Parlamentssitze erobern.

Gleichzeitig ist die Parlamentspartei PT aber auch unverkennbar links-nationalistisch ausgerichtet: Er kritisiert (zu Recht) das ausländische Kapital, das Algerien faktisch seiner Souveränität berauben
wolle, aber weit weniger die einheimische Bourgeoisie und die korrupten Eliten. Der PT appellierte wiederholt an Präsident Boutefliqa/Bouteflika als « Sachwalter des nationalen Interesses». Beispielsweise auch bei den (sozial motivierten und sich gegen Polizeigewalt richtenden) Unruhen in den berbersprachigen Bezirken im Frühjahr und Sommer 2001. Damals warnte die Partei vor einer «Gefährdung der Einheit der Republik» und vor «Tendenzen zur nationalen Spaltung». Anstatt die Revoltierenden zu unterstützen und ihnen eine andere Orientierung zu geben als ihre oftmals dem Traditionalismus verhafteten örtlichen Führungszirkel (die so genannten Aarouch), stellte die Partei sich so außerhalb der ­ keineswegs «ethnisch» ausgerichteten ! ­ Revolte und beschwor die Einheit der Nation. Allerdings muss man dem PT zugestehen, dass er zugleich nie den antiberberischen Chauvinismus breiter Kreise der politischen Klasse geteilt oder praktiziert hat.

Der PT ist ferner nicht zu verwechseln mit dem wesentlich undogmatischeren PST (Sozialistische Arbeiterpartei) unter dem ehemaligen Eisenbahner Chawki Salhi. Zweiterer hat nie mit den Islamisten geflirtet, sondern immer sowohl das bestehende Regime als auch diese reaktionäre "Alternative" kompromisslos bekämpft. Die kleine Partei tritt jedoch seit Jahren nicht zu Wahlen an.

Letzte Anmerkung dazu: Eine Kritik des PT an der Rolle des ausländischen Kapitals ist deshalb manchmal vor dem Vordergrund zu sehen, dass die Partei die Kritik an den nationalen Eliten mitunter vernachlässigt. Deswegen ist es einerseits ideologisch konnotiert, aber dennoch im Kern richtig (betrachtet man den real ablaufenden ökonomischen Prozess), wenn der PT den "nationalen
Ausverkauf" Algeriens anklagt.


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