letzte Änderung am 12. Sept. 2002 | |
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Finn Sörensen ist optimistisch. Der Vorsitzende der Kopenhagener Brauereiarbeiter ist der Meinung, dass die konservativ-liberale Regierung die dänische Gewerkschaftsbewegung aufgeweckt habe. In der linkssozialistischen Zeitschrift »Solidaritet« beschrieb Sörensen dieses Aufwachen im Mai als »Neuorientierung, die quer zu den traditionellen Grenzen der Arbeiterbewegung verläuft«.
Auf den ersten Blick scheint an dieser Einschätzung etwas dran zu sein. Am 1. März fand in Silkeborg (Jütland) eine Konferenz statt, die von der Gewerkschaftslinken organisiert wurde. Die Versammlung war mit über 750 TeilnehmerInnen die bei weitem größte, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Nur die »Vertrauensleutetreffen«, die während des Massenstreiks von 1998 stattgefunden haben, konnten eine ähnlich breite Beteiligung vorweisen. In den größeren Städten haben sich seit der Konferenz von Silkeborg die Netzwerke der Gewerkschaftslinken (»Vertrauensleuteringe«) wieder aktiviert, die von vielen schon für Geschichte gehalten wurden. Neu ist aber auch, dass die Gewerkschaftsvorstände die »roten« Konferenzen nicht mehr als »Spaltungsmanöver« denunzieren. Vor dem Hintergrund der Angriffe der rechten Regierung setzt auch der Gewerkschaftsapparat momentan auf die Duldung von Aktivitäten der Basis. Dies gilt insbesondere für die SiD (Gewerkschaft der »Spezialarbeiter«, zweitgrößte Einzelgewerkschaft) und die Metallgewerkschaft, aber auch für eine Reihe kleinerer Verbände. Die Führungen beider Gewerkschaften bestehen aus parteitreuen Sozialdemokraten, die SiD auf dem linken Flügel, die Metaller rechts bei den »Modernisierern«. Die Mitglieder der SiD sind jedoch zu einem beträchtlichen Teil Wähler der rechtspopulistischen »Dänischen Volkspartei«, während ein bedeutender Teil der Metaller die rechtsbürgerlichen Parteien, die die jetzige Regierung stellen, bis zu den letzten Wahlen unterstützt haben. Was dagegen tun? Eine Mobilisierung in Maßen zulassen, bei der man aber die Kontrolle behält und zugleich vortäuschen kann, dass »etwas« getan wird. Aus diesem Grunde sind im Moment die »Roten« Konferenzen opportun.
Ein Grund für die momentane Offenheit des Gewerkschaftsapparates ist sicherlich die konfrontative Politik der neuen Regierung. So brachten Rechtsliberale und Konservative im Juni ein Gesetz über »Teilzeitbeschäftigung« durch das Parlament, wobei ihnen die populistische und rassistische »Dänische Volkspartei« zur Mehrheit verhalf. In Dänemark wurden Lage und Dauer der Arbeitszeiten bislang kollektiv geregelt, das heißt durch Vereinbarung zwischen Gewerkschaft einerseits und Unternehmerverband oder Unternehmen andererseits. Das Anfang Juni verabschiedete Gesetz bricht mit dieser Tradition. Es wird von der Regierung mit dem Argument der »Vertragsfreiheit« begründet, eine Be-schönigung aus dem Arsenal neoliberaler Ideologie, was in der Praxis nichts anderes bedeutet, als dass die sozialen Rechte und kollektiven Ansprüche der Beschäftigten zurückgedrängt werden sollen.
Weitere Gesetzesvorhaben weisen in eine ähnliche Richtung. So sollen »Exklusivabsprachen« zwischen Unternehmern und Gewerkschaften verboten werden, die besagen, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft Voraussetzung für eine Einstellung ist. Außerdem soll es den bisher vergleichsweise unbedeutenden »gelben Gewerkschaften« er-leichtert werden, Tarifverträge abzuschließen. Der wichtigste bevorstehende Einschnitt ist jedoch die Einschränkung des Streikrechtes: Solidaritätsstreiks innerhalb einer Branche sollen ebenso verboten werden, wie das in Dänemark recht häufige Kampfmittel des gewerkschaftlichen Boykotts von Betrieben, die gegen Tarifverträge und Arbeitsrechte verstoßen.
Mit dieser Politik liegt die dänische Regierung, die vor ein paar Wochen den EU-Vorsitz übernommen hat, im europäischen Trend. Der Glaube, auf die sozialpartnerschaftliche Vermittlungsfunktion der Gewerkschaften verzichten zu können, ist, wie wir aus Beispielen von Rom bis Hamburg wissen, durchaus typisch für rechte und rechtspopulistische Regierungen. Gleichzeitig befindet sich die Sozialdemokratie als traditionelle »Hauspartei« der Gewerkschaftsführungen in der Krise. Ihre Rolle als parlamentarische »Opposition« wird ihr in der Bevölkerung immer weniger abgenommen. Zu recht verweist die neuen Regierung darauf, dass diese oder jene Kürzungsmaßnahme eine bruchlose Fortsetzung sozialdemokratischer Politik ist. Hinzu kommt, dass auch in Ländern mit »New-Labour«-Regierungen, wie in England und zuletzt bis zu einem gewissen Grade auch in der BRD, zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften Differenzen entstanden ist. Den Gewerkschaftsvorständen bleibt oft nichts anderes übrig, als sich stärker auf die Forderungen außerparlamentarischer Gruppen, soweit sie Einfluss unter Gewerkschaftsmitgliedern gewinnen, einzulassen.
Der Trend geht im Apparat deshalb auch in Richtung einer gewissen Akzeptanz von »Selbstorganisation« durch untere Gliederungen. Die Konferenz in Silkeborg schloss, wie Finn Sörensen beschrieben hat, mit dem Vorhaben, eine Kampagne gegen die Regierungspolitik zu machen. Dabei war Konsens, auch bei den teilnehmenden Gewerkschaftsoffiziellen, dass »eine Alternative gegenüber der Regierungspolitik nicht von Schreibtischgeneralen erfunden werden darf, sondern breit und ergebnisoffen diskutiert werden muss«. Ob die Akzeptanz solchen Vorgehens nur ein Ausdruck der vorläufigen Ratlosigkeit der »Schreibtischoffiziere« ist, oder ob sich hier eine nachhaltige Demokratisierung der Gewerkschaftskultur andeutet, hängt von den Kräften ab, die sich darum bemühen. Demokratie bekommt man nicht, sie muss erkämpft werden.
Vor kurzem jedenfalls verzichteten die Gewerkschaften anlässlich der ersten Großkundgebung gegen die Regierung am 20. März auf die »Meinungsführerschaft«. Es sollte ausdrücklich keine »Gewerkschaftsdemo« werden: Gegen die Verabschiedung des Haushaltes demonstrierte man zusammen mit verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen, von Künstlern bis zu Studenten, die von den Sparmaßnahmen betroffen sind. Am gleichen Tag und aus dem gleichen Motiv fand ein politischer Streik mit etwa 5.000 TeilnehmerInnen statt. Schwerpunkt war der Kopenhagener Flughafen. Auch, dass die Gewerkschaften derartige »wilde« und illegale Streiks nicht rundheraus verurteilen (wozu sie schon wegen der drohenden Strafgelder angehalten sind), ist neu.
Als die Regierung das erwähnte »Teilzeitgesetz« beschloss, wurde der Protest aus den Betrieben sogar noch größer. Kein Wunder, denn was die Regierung als »die Freiheit, einen Teilzeitjob anzunehmen« bezeichnet, ist für die Beschäftigten eine bittere Erfahrung. Jeder fünfte Däne ist mittlerweile teilzeitbeschäftigt, drei Viertel davon sind Frauen. Besonders hoch sind die Zahlen in Niedriglohnbereichen: So sind über 40 Prozent der Frauen, die in Handel, Hotel oder Gaststättengewerbe beschäftigt sind, Teilzeitlerinnen. Die neue »Flexibilität« wird von vielen Beschäftigten folgerichtig nicht als Freiheit, sondern als Zwang erlebt. Sie hat dazu geführt, dass die Zahl der Menschen, die mehr als ein Beschäftigungsverhältnis haben, sich seit 1995 verdoppelt hat. Auch in Dänemark gibt es einen Trend zu den »working poor« (Arbeitsplätze, die arm machen).
Am 16. Mai kam es zu einem wilden Streik gegen das »Teilzeitgesetz«, an dem sich etwa 20.000 Beschäftigte beteiligten die größte irreguläre Streikbewegung seit mehr als sieben Jahren. An dem Arbeitskampf beteiligten sich KollegInnen vieler große Industriebetriebe (Lindö-Werft, Danish Crown-Betriebe fast im ganzen Land etc.), aber auch kleinere Betriebe und zu einem geringeren Teil Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Der Flughafen von Kopenhagen war wieder ein Schwerpunkt der Aktion. Allerdings gelang es nicht, das Gesetzesvorhaben der Regierung zu stoppen. Dem »wilden Streik« gegen die Regierung folgten im Juni/Juli kleine, lokale »wilde« Streikbewegungen, wobei es u.a. um Entlassungen von gewerkschaftlich aktiven Busfahrern auf Fyn, sowie um eine mit »Freisetzungen« verbundene Firmenverlegung bei dem Lebensmittelgroßhändler COOP ging. Der letztgenannte Streik erstreckte sich über ein paar Tage und weitete sich von einem Betrieb in der Nähe von Aarhus auf das ganze Land aus, wobei es zeitweise auch zu Blockaden der Lagerhallen kam. Während die kleine Bewegung der Busfahrer erfolgreich war, kam es bei der COOP nur zu einem Kompromiss, der die Zahl der Entlassungen einschränkte und diese »sozialverträglich« gestaltete.
Es gibt allerdings auch Tendenzen, die der Hoffnung auf eine »Erneuerung« der Gewerkschaftsbewegung Grenzen setzen: In den letzten Monaten erschütterten mehrere Affären die zweitgrößte Einzelgewerkschaft SiD, die das Bild von den »korrupten Bürokraten an der Gewerkschaftsspitze«, auf das auch die neue Regierung einen Teil ihrer Agitation aufbaut, zu bestätigten schienen. So hatte der Vorsitzende der SiD »vergessen«, einen Teil der Rechnung zu bezahlen, die er einer gewerkschaftseigenen Firma für den Umbau seines privaten Hauses schuldete. Wie auch immer dieser Vorfall zu bewerten ist, bei dem es umgerechnet um einige zehntausend DM ging, den Unmut der Gewerkschaftsbasis erregte auch die Gehaltserhöhung, die sich die SiD-Führung fast gleichzeitig selbst genehmigte und die die Gehälter in der Chefetage der SiD auf etwa 50.000 DKK im Monat (fast 15.000 DM) ansteigen lässt.
Auch auf anderer Ebene wächst der Missmut der Gewerkschaftsbasis, ohne dass dies zu einer stärkeren Selbstorganisation oder zu einer breiten Unterstützung der Gewerkschaftslinken geführt hätte. Anfang Juni kam bei einem Teil der Betroffenen große Unzufriedenheit mit den Resultaten der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst auf. Trotz der dahingehenden Kampagne der Gewerkschaftslinken drückte sich dies nicht im Versuch aus, einen besseren Lohn und den Verzicht auf die Einführung von »Nasenprämien« bei der Lohngestaltung zu erstreiken. Die Erfahrung dieser Tarifrunde entspricht der Tendenz der letzten Jahre: Vertauensleute und linken GewerkschafterInnen bemühen sich mit ihren Kampagnen redlich, bleiben letztlich aber erfolglos. Auch der Wahlsieg der rechten Parteien, insbesondere der der »Dänischen Volkspartei«, die viele Arbeiterwähler mobilisieren konnte, schien ja diese pessimistische Einschätzung zu bestätigen. So gesehen scheint ein Aufbruch der Gewerkschaftsbewegung in weiter Ferne zu liegen.
Die Entwicklung der dänischen Gewerkschaftsbewegung ist mit anderen Worten widersprüchlich. Der Tendenz der Demokratisierung und Selbstorganisation stehen verbreitet Passivität und Rechtsorientierung gegenüber. Noch ist fraglich, ob der Protest des Frühjahres als Anfang einer »größeren Widerstandsaktion« gesehen werden kann, wie der eingangs zitierte Finn Sörensen hofft. Vorläufig haben die Aktivisten der verschiedenen Städte sich verabredet, die Silkeborg-Konferenz vom März im September zu wiederholen, mit dem Ziel einer »Verdopplung der Teilnehmerzahl« und in Erwartung neuer Angriffe der Regierung auf die sozialen Rechte der Beschäftigten. Der Ausgang der Auseinandersetzung mit der Regierung ist natürlich offen, aber eins ist sicher: Die Aktivitäten der gewerkschaftlichen Linken sind unverzichtbar, wenn die Rechtswende in Dänemark wirklich gestoppt werden soll.
Der Konsens in den Gewerkschaften wie in den sozialen Protestbewegungen ist derzeit nahezu ausschließlich die Ablehnung der rigiden Regierungsmaßnahmen. Jede Gruppe bringt ihr Thema in die gemeinsame Agenda ein, Differenzen werden jedoch nicht ausgetragen. Gerade wenn es nicht allein um Gewerkschaftspolitik geht, sind Unterschiede innerhalb der Bewegung gegen die Fogh-Regierung unübersehbar, beispielsweise, wenn man daran denkt, dass Flüchtlingspolitik oder die »aktivierende« Sozialpolitik der alten Regierung von großen Teilen der Gewerkschaften zumindest stillschweigend akzeptiert worden sind.
Aus ähnlichen Gründen ist auch das von Finn Sörensen begrüßte Bündnis innerhalb der Gewerkschaftsbewegung brüchig, denn die Erfahrungen zeigen, dass eine Sozialdemokratie in der Regierung erst einmal mit Schonung durch die Gewerkschaften rechnen kann. Eine Korrektur der Rechtswende, die die Sozialdemokratische Partei seit Anfang der 90er Jahre durchgemacht hat, ist derzeit nicht in Sicht. Von daher wird ein Regierungswechsel die Unterstützung eines, vielleicht etwas reformierten, »New-Labour«-Konzeptes durch die Gewerkschaften bedeuten. Linksparteien wie die »Einheitsliste« sind zur Zeit zu schwach, um eine verbindliche Diskussion über diese Differenzen anzustoßen. Längerfristig wird es unumgänglich sein, dass die dänische Linke sich auf gemeinsame Ziele einigt, die über die Ablehnung von bürgerlicher Regierung und »Rechtspopulismus« hinausgehen. Vielleicht sind die bevorstehenden Proteste gegen den EU-Gipfel eine Gelegenheit, solche Ziele im europä-ischen Zusammenhang zu diskutieren.
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