letzte Änderung am 27. Mai 2003

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Die kolumbianische Erdölindustrie vor einem Streik

Von Raul Zelik, Caracas

Kolumbien steht offensichtlich vor dem Ausbruch eines schweren Arbeitskampfs in der Erdölindustrie. Wie der für internationale Beziehungen und Menschenrechte zuständige Sprecher der Branchengewerkschaft USO Daniel Rico Serpa mitteilte, habe die Uribe-Regierung ihre Gangart verschärft und strebe mittlerweile nicht mehr nur eine Zerschlagung der Erdölgewerkschaft, sondern auch die des Staatsunternehmens ECOPETROL an.

Der Unión Sindical Obrera (USO), die als kämpferischste Gewerkschaft Kolumbiens gilt, kommt eine Schlüsselrolle in den sozialen Bewegungen des Landes zu. Obwohl die Erdölarbeiter über vergleichsweise hohe Löhne verfügen und nur einen kleinen Teil der kolumbianischen Arbeiterschaft ausmachen, hat sich die Gewerkschaft nie auf die Interessenvertretung ihrer Mitglieder beschränkt. Die Gründung des Staatsunternehmens ECOPETROL und die Teilnationalisierung der Ölindustrie im Jahr 1951 wurde von der USO mit einem Streik durchgesetzt. Diese Haltung hat die Gewerkschaft allerdings teuer bezahlen müssen. Seit 1984 sind über 100 der nur 5000 Miglieder zählenden USO ermordet worden. Von den rechtsextremen Paramilitärs wurde die Gewerkschaft zum militärischen Angriffsziel erklärt, und die Regierung in Bogotá hält die USO gar für so gefährlich, dass sie die Erdölanlagen dauerhaft militarisiert hat. Auf der Raffinerie von Barrancabermeja kommen auf 2000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter 1500 Elitesoldaten.

USO-Sprecher Rico Serpa zufolge strebe die kolumbianische Regierung und der von ihr eingesetzte ECOPETROL-Chef Isaac Yanovich nun die komplette Abwicklung des Staatsunternehmens an. So habe ECOPETROL statt der für den Zeitraum 1998-2003 geplanten 200 Probebohrungen zur Erschließung neuer Vorkommen gerade einmal 4 durchgeführt. Unter diesen Voraussetzungen, so Rico Serpa, werde Kolumbien, im vergangenen Jahrzehnt zu einem der größten Erdölexporteure Lateiamerikas aufgestiegen, in 5 Jahren seinen Eigenbedarf nicht mehr decken können. Die paradox erscheinende Politik der Uribe-Regierung steht in engem Zusammenhang mit den von IWF und US-Regierung gemachten Vorgaben. Die transnationalen Konzerne fordern seit langem die Abtretung von Bohrlizenzen und die Zurückdrängung des Staatsunternehmens. Zwar ist ECOPETROL mit 5 Billionen Pesos jährlich die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle des kolumbianischen Fiskus, doch nationalstaatliche Interessen sind in der lateinamerikanischen Wirtschaftsdebatte längst kein Argument mehr. Die Eliten auf dem Kontinent setzen ihre Privatisierungspolitik trotz erschreckender Exempel (wie des argentinischen Totalzusammenbruchs) unbeeindruckt fort. Für Daniel Rico Serpa ist dies der entscheidende Grund, warum die Verteidigung der nationalen Souveränität für die lateinamerikanische Arbeiterbewegung eine so zentrale Rolle spielt. Die Privatisierung der Ölindustrie ziehe nicht nur die Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung nach sich, sondern werde auch den Staatshaushalt nachhaltig schädigen. ECOPETROL zahle mit 60% Abgaben fast doppelt so viel Steuern wie ein Privatunternehmen. Die Abgabenquoten transnationaler Konzerne lägen, dank flexibler Bilanzierungen und Investitionsförderungen, häufig noch weitaus niedriger. Die Reduzierung der Staatseinnahmen werde sich jedoch v. a. in weiteren Kürzungen im Sozial- und Erziehungswesen sowie neuen Entlassungswellen niederschlagen.

Vor diesem Hintergrund ruft die USO für den bevorstehenden Arbeitskampf zu einem Bündnis von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und internationalen Unterstützern auf. "Mehr als 30 USO-Führer haben in den vergangenen Jahren unschuldig im Gefängnis gesessen. Der Staat hat die Anti-Terrorgesetzgebung gegen uns angewandt, unser Ex-Präsident Hernando Hernández steht unter Hausarrest. Wir brauchen hier internationale Präsenz, um unser Aktionsrecht durchzusetzen." Die kolumbianischen Dachverbände CUT, CGTD und CTC sowie die wichtigsten Menschenrechts- und Frauenorganisationen haben mittlerweile zu einer internationalen Solidaritätsplattform aufgerufen.

Dokumentation:

Das neoliberale Modell hat Kolumbien in eine schwere wirtschaftliche, soziale und politische Krise gestürzt. Die Regierungen der letzten Jahre haben den Multinationalen mehrere Staatsunternehmen unter dem normalen Preis übergeben, die Agrarproduktion zerstört und die nationale Industrie ruiniert. Das hat mehr Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt hervorgebracht und die Abhängigkeit vom internationalen Finanzkapital verschärft. Um diese Politik durchzusetzen, hat die Regierung die soziale und gewerkschaftliche Bewegung unterdrückt und Kolumbien in das Land mit den meisten Morden an Gewerkschaftern weltweit verwandelt. Mehr als 4000 sind es in den vergangenen 15 Jahren gewesen. Das wichtigste Unternehmen Kolumbiens ist ECOPETROL, das für Erdöl und -gas, den wichtigsten Einnahmequellen der nationalen Wirtschaft, zuständig ist. In den letzten 20 Jahren zielte die Politik des kolumbianischen Staates darauf ab, dieses Unternehmen zu privatisieren. Eine seiner Strategien war dabei die Verletzung der Menschenrechte. Führer und Aktivisten der UNION SINDICAL OBRERA, USO, der Gewerkschaft der Erdölarbeiter, wurden kriminalisiert. Mehr als 30 Mitglieder saßen 3 und mehr Jahre im Gefängnis, um dann von der Justiz freigesprochen zu werden. Am 17. Juni wird eine Gerichtsverhandlung stattfinden, um über die rechtliche Situation von 5 weiteren Mitgliedern zu entscheiden, und der Ex-Präsident der Gewerkschaft Hernando Hernández steht nach wie vor unter Hausarrest. Zudem haben die Ermittlungsbehörden in mehreren Fällen eine Komplizenschaft zwischen staatlichen Sicherheitsorganen und paramilitärischen Gruppen bei Anschlägen gegen Gewerkschafter nachweisen können. 2 Gewerkschafter ‘verschwanden’, mehr als 100 wurden ermordet, mehrere Hundert mit dem Tode bedroht.

Im November 2002 hat die USO der ECOPETROL-Führung einen Forderungskatalog übergeben. Die Antwort war einen Gegenkatalog des Unternehmens, der die Privatisierung ECOPETROLs Wirklichkeit werden lassen und den Arbeitern die sozialen und organisatorischen Rechte nehmen würde, die sie in 80 Jahren Kampf erlangt haben. Seit 6 Monaten verhindert die Unternehmensführung Verhandlungen und versucht, die Einrichtung einer Schiedskommission zu erzwingen - ein Organismus, der der Regierung nahe steht und das Unternehmen begünstigt. Im Verlauf des Konflikts hat sich die Repression verschärft. 13 Arbeiter sind entlassen worden, die freie Ausübung der Gewerkschaftstätigkeit wurde verhindert und Gewerkschaftsführern der Zutritt aufs Werksgelände untersagt. Die Regierung hat die Erdölanlagen vollständig militarisiert und jene Arbeiter, die für gewerkschaftliche Forderungen demonstriert haben, angegriffen. Diese Tatsachen zeigen deutlich auf, dass die Existenz ECOPETROLS als Staatsunternehmen, das Überleben der Gewerkschaft und die Rechte aller Arbeiter gefährdet sind. Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass die einzige denkbare Verteidigungsstrategie ein Streik mit patriotischem Charakter ist, der das Eigentum der Kolumbianerinnen und Kolumbianer und unsere nationale Souveränität verteidigt. Ein Streik, der mit großer Wahrscheinlichkeit von den Sicherkräften auf brutale Weise angegriffen werden wird.

In einem Land, das sich wie Kolumbien im Krieg befindet, wird auf Arbeitskämpfe mit militärischen Mitteln geantwortet. Dies zeigt sich auch darin, dass in der Raffinerie von Barrancabermeja, in der 2000 Gewerkschaftsmitglieder arbeiten, permanent 1500 Angehörige der Sicherheitskräfte patrouillieren, um jederzeit einen Streik zu unterdrücken. Vor diesem Hintergrund denken wir, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft ein wichtiger Beitrag sein kann, um die Repression gegen die Arbeiter öffentlich zu machen. Wir rufen die sozialen Organisationen, Menschenrechtsgruppen, Kirchen und Gewerkschaften anderer Länder dazu auf, die kolumbianischen Erdölarbeiter bei dem Konflikt, der ihnen aufgezwungen wird, zu unterstützen. Um eine Präsenz internationaler Delegierter vorzubereiten, werden wir am 28. und 29. Mai in Bogotá ein Internationales Solidaritätstreffen durchführen. Wir rufen die Teilnehmer des Treffens und jene, die die USO während des Arbeitskampfs begleiten möchten, außerdem dazu auf, den Gerichtsprozess am 17. Juni zu besuchen, bei dem über die rechtliche Situation von 5 angeklagten Kollegen entschieden werden soll.

Die USO wird weiterhin Alternativen vorlegen, die ein direktes Abkommen mit der Regierung ermöglichen. Vor diesem Hintergrund bemühen wir uns um ein Gespräch der internationalen Beobachter mit dem Präsidenten Kolumbiens.

Erst-Unterzeichner:
Gewerkschaftsverbände: CUT, CGTD, CTC, Erdölarbeitergewerkschaft USO, Friedensgruppen: Asamblea Permanente de la Sociedad Civil por la Paz und Planeta Paz, Menschenrechtsgruppen: Comite Permanente de Derechos Humanos, Colectivo de Abogados Jose Alvear Restrepo, Comité de Solidaridad con los Presos Políticos, Sembrar, Minga, Reiniciar, Andas, Frauenorganisationen: OFP und Asociación de Mujeres por la Paz, Einzelgewerkschaften: ANTHOC, SINTRAMINERCOL, SINTRAUNICOL, SINTRADEPARTAMENTO ANTIOQUIA, FENASINTRAP, FUNTRAENERGETICA, Vertriebenen und Indigenenorganisaton: ANDICOL.

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