letzte Änderung am 7. Okt. 2002 | |
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Am 10./11. Oktober wird in Brüssel ein Tribunal gegen Coca Cola wegen mehrerer Morde an kolumbianischen Gewerkschaftern durchgeführt. Ihr erhebt aber noch andere Vorwürfe gegen das Unternehmen. Es geht z. B. um den Angriff des Konzerns auf Tarifverträge und feste Beschäftigungsverhältnisse. Was hat es damit auf sich?
Coca Cola und andere transnationale Unternehmen (TNUs) haben sich in der ganzen Welt die "Flexibilisierung der Arbeit" auf die Fahnen geschrieben. In Lateinamerika ist dieser Prozess besonders weit fortgeschritten. Die Arbeit in den Abfüllanlagen ist fast vollständig outgesourcet. Ganze 1300 der 10.000 kolumbianischen Coca-Cola-ArbeiterInnen sind noch direkt bei den Lizenznehmern des Konzerns angestellt. Alle anderen sind prekär und über Subunternehmen beschäftigt. Diese Politik zielt auch auf die Zerschlagung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ab. Es geht wie überall in der Welt um "Wettbewerbsfähigkeit". Mit der Vernichtung von sozialen Organisationen werden die Bedingungen für die TNUs auf breiter Front verbessert. Zum einen werden Löhne gesenkt und Sozialabgaben abgeschafft, zum anderen wird allgemein Widerstand gebrochen. Wo sich niemand mehr organisieren kann, wird sich auch niemand mehr gegen Großprojekte zur Wehr setzen.
Besonders weit fortgeschritten ist die Outsourcing-Strategie in der kolumbianischen Blumenindustrie, die zu den größten der Welt gehört. Ihr sprecht von einer Art `biologischen Maquila-Industrie`. Die mehr als 130.000 PlantagenarbeiterInnen, die meisten von ihnen Frauen, arbeiten unter extrem gesundheitsschädigenden Bedingungen, die Löhne liegen oft unter dem Mindestlohn, es gibt keine einzige funktionierende Gewerkschaft. Gleichzeitig haben sich auch in dieser Branche die transnationalen Unternehmen unsichtbar gemacht.
Der Agrarmulti Dole hat vor einigen Jahren 39% der Blumenproduktion kontrolliert und massiv Land in der Hochebene von Bogotá gekauft. Dieses Engagement hat den Konzern aber angreifbar gemacht: Die ArbeiterInnen können einen gemeinsamen Gegner ausmachen, der ökologische Raubbau in der Region es gibt Studien, wonach die Sabana de Bogotá mindestens 20 Jahre brauchen würde, um sich zu regenerieren kann einem Namen zugeordnet werden. Aus diesem Grund hat Dole die Produktion wieder dezentralisiert. Heute sind Landeigentümer, Plantagenbesitzer und Arbeitergeber in der Regel voneinander getrennt. Das Unternehmen Dole kontrolliert nur noch die Vermarktung und schöpft die Gewinne ab. Bei Arbeitskonflikten ist dann niemand mehr verantwortlich. Der Eigentümer verweist auf den Plantagenbesitzer, der Plantagenbesitzer auf den Arbeitgeber, der die Leute angestellt hat, und dieser wiederum sagt, dass er nicht bezahlt worden ist. Die Outsourcing-Strategie vertuscht die Verhältnisse.
Das unterscheidet sich nicht besonders von der Politik Nikes oder Adidas. Naomi Klein beschreibt in "No Logo" sehr gut, wie Sportkonzerne ihre Produktion, also den angreifbarsten Punkt des Unternehmens, mittlerweile fast vollständig abgegeben haben.
Das Wichtigste für die großen Unternehmen ist heute die Marke. Die Firmen konzentrieren sich darauf, ein Image zu etablieren, wegen dem man ihre Produkte kauft. Man sieht tolle Sportler und Schuhe und erkennt die Produktionsverhältnisse nicht mehr. Niemand denkt bei Nike-Artikeln daran, dass Arbeiterinnen zu Hungerlöhnen angestellt werden und 12- oder 14-Stunden am Tag wie Arbeitssklaven malochen müssen.
Dieser Trend ist auch bei uns zu bemerken. Immer weniger Menschen arbeiten direkt bei den transnationalen Unternehmen, und das, obwohl diese immer größere Marktanteile besitzen. Dabei ist das Problem nicht der böse Konzern X oder Y. Das Problem ist ein System, das sich netzwerkartig zusammensetzt und zu dem sowohl transnationale Konzerne wie einheimische Zulieferer gehören. Die Weltmarktproduktion, die diese Firmennetzwerke betreiben, zieht keinerlei Entwicklung nach sich. In der Blumenindustrie beispielsweise wird Wasser in ein Exportprodukt verwandelt und außer Landes geschafft. Die Gewinne bleiben bei den transnationalen Unternehmen, und die Produktion ein paar Plastikfolien kann jederzeit verlagert werden. In Kolumbien wird am Ende nur das Gift bleiben: die Herbizid- und Pestizid-Reste, die schon jetzt die Region nachhaltig verseucht haben. In Bogotá merkt man das überall: Die Vögel da singen nicht, die husten. (lacht)
Der Gewerkschaftsbewegung wird oft vorgeworfen, dass sie ausschließlich die Interessen von Kernbelegschaften vertritt, sich für die Belange der Bevölkerungsmehrheit jedoch nicht einsetzt. Das ist in Lateinamerika und zunehmend auch in Europa ein gravierender Vorwurf, denn mittlerweile sind die festangestellten Belegschaften nur noch eine kleine, privilegierte Minderheit.
Klar, und es ist ein berechtigter Vorwurf. Das System hat einen großen Teil der internationalen Gewerkschaftsbewegung kooptiert. Viele von diesen Gewerkschaften kämpfen nicht einmal mehr für ihre Mitglieder, sondern sind einfach eine weitere Struktur im Unternehmen geworden, mit deren Hilfe dafür gesorgt wird, dass die Mehrwertproduktion weitergehen kann.
Wir denken, dass Gewerkschaften Teil einer breiten Bewegung sein sollten, die mehr als nur die Interessen der Arbeiter vertreten. Wir tragen Verantwortung für die Probleme der Gesamtbevölkerung. Das heißt für SINALTRAINAL, dass wir bei Verhandlungen mit den Unternehmen nicht nur Tarifforderungen stellen. Ein Unternehmen wie Coca Cola beutet ja nicht nur Belegschaften, sondern auch die Bevölkerung einer Region und die Natur aus. Wer Trinkwasservorräte verbraucht, genetisch manipulierten Zucker unter die Leute bringt und Agrarprodukte zu niedrigen Preisen kauft, lebt nicht allein auf Kosten der Belegschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen unserer Kampagne erreichen, dass Coca Cola zur Einhaltung eines moralisch-ethischen Kodex gezwungen wird, der all diese Punkte beinhaltet: Arbeitsbedingungen, Ökologie, Vertrieb, Menschenrechte, Konsumentenschutz ... Und wir fordern schon jetzt bei Tarifverhandlungen, dass die Gemeinden, in denen Coca Cola produziert, für den Verbrauch von Ressourcen entschädigt werden. Dass der Konzern also z. B. eine Schule in einem Armenviertel baut oder eine öffentliche Bibliothek einrichtet.
Ihr führt mit Leuten aus anderen sozialen Bewegungen zur Zeit ein Art "militante Untersuchung" durch: Bauernorganisationen, Studentengruppen, Gewerkschaftszellen und Stadtteilbewohner untersuchen ihre Situation und versuchen Alternativen zu den Verhältnissen zu entwickeln. Wie muss man sich das vorstellen?
Das Projekt heißt "Schule für soziale Aktivisten" und ist nicht besonders groß. 30, 40 Leute machen da mit. Das Ziel dieser Schule ist es, sich Kenntnisse anzueignen, wie man soziale Bewegungen stärken und eine Grundlage für ein anderes Kolumbien legen kann. Eine gesellschaftliche Alternative kann nur von unten aufgebaut werden. Die Comunidades die Dorfgemeinschaften, Stadtteile, Belegschaften und sozialen Organisationen müssen selbst Konzepte entwickeln, was im Land verändert werden soll. Aber um solche Vorschläge hervorbringen zu können, brauchen die Comunidades analytisches und organisatorisches Handwerkszeug. Und die Aktivisten-Schule soll dazu etwas beitragen.
Die Treffen dieser "Schule" werden im ganzen Land durchgeführt, überall dort, wo die Gruppen aktiv sind. Also bei Gewerkschaften genauso wie in Kriegsgebieten. Dafür nehmt ihr oft lange und gefährliche Anreisen in Kauf. Warum?
Die soziale Wirklichkeit Kolumbiens lässt sich nicht überwiegend vom Schreibtisch und auch nicht unbedingt von den Städten aus erfassen . Die Bevölkerungsmehrheit lebt zwar gezwungenermaßen in den Großstädten, aber der Schwerpunkt des Konflikts ist in den ländlichen Regionen.
Wir bemühen uns deshalb darum, dass die Gruppen, die im Rahmen der Schule zusammenarbeiten, integral zusammengesetzt sind: ein Erdölgewerkschafter, ein Kollege aus der Nahrungsmittelindustrie, eine Bauer, eine Studentin. Auf diese Weise entstehen hoffentlich ein umfassenderer Begriff von Veränderung, ein Begriff, der wirklich von der sozialen Realität im Land ausgeht. Anders als Projekte, die in Bogotaner NGO-Büros von so genannten Spezialisten entwickelt werden.
Ein konkretes Beispiel dafür ist euer "Agrar-Nahrungsmittel-Projekt". Worum geht es da?
Das kolumbianische Problem lässt sich in jedem wirtschaftlichen Bereich aufzeigen. Als Nahrungsmittelgewerkschaft haben wir uns mit der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln beschäftigt und untersucht, wer welche Märkte kontrolliert, wie die Versorgungslage ist, warum Konzerne Lebensmittel importieren usw. Die Situation im Land ist absurd: Kolumbien ist zwar eines der fruchtbarsten Länder der Welt, aber ein erheblicher Teil der Bevölkerung leidet an Hunger. Nach Angaben der bürgerlichen Zeitung El Tiempo sind allein in Medellin mehr als 200.000 Kinder unterernährt, jeden Tag sterben ein bis zwei Kinder. Die neoliberale Globalisierungspolitik hat dazu geführt, dass in der früheren Kornkammer des Landes, in der Hochebene von Bogotá, heute Exportblumen angebaut werden. Hunderttausende von Mais-, Milch- und Kaffeebauern sind wegen der ausländischen Konkurrenz pleite gegangen, und gleichzeitig führen transnationale Unternehmen mehr als 8 Millionen Tonnen Lebensmittel ein. Die Landkonzentration steigt rapide, Millionen von Kleinbauern sind abgewandert oder vertrieben worden.
Unser Projekt versucht Wege aufzuzeigen, wie sich die Situation verändern lässt. Ein paar Stichpunkte wären: Landreform, Förderung von Konsumenten-Produzenten-Genossenschaften, alternative Entwicklungsmodelle, Demokratisierung von Eigentum und Produktion, Zurückdrängung der transnationalen Konzerne. Was ist das für ein Schwachsinn, dass Tausende von kolumbianischen Milchbauern ins Elend abrutschen, während allein Nestlé letztes Jahr 10.000 Tonnen Milchpulver das entspricht 70 Millionen Liter Milch importiert?
Ihr wollt einen demokratischerem Kapitalismus mit einheimischen Industrien?
Nein, es geht darum, dass transnationale Unternehmen unseren Ländern nicht mehr ihre Politik aufzwingen können. Unsere Bevölkerung ist noch nie gefragt worden, was für ein Land sie eigentlich will. Die soll das selbst entscheiden können. Dass das transnationale Unternehmen X oder Y dabei nicht das Problem ist, sondern das ökonomische System, das solche Strukturen hervorbringt, habe ich schon vorher gesagt. Unserer Meinung nach sind Konzerne wie Coca Cola oder Nestlé Speerspitzen des Imperialismus, aber wenn sie beseitigt würden und die Ausbeutung outgesourcet und auf andere Weise organisiert wird, hat man noch nichts gewonnen.
Worum es uns geht sind prinzipielle Fragen: Demokratisierung, Grundversorgung, Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungen, Entwicklungskonzepte, die von den Bedürfnissen und Wünschen der Leute ausgehen.
Im Rahmen der Kampagne gegen Coca Cola schlagt ihr vor, ein internationales Netzwerk zur Beobachtung transnationaler Unternehmen, ein so genanntes "Observatorio", aufzubauen.
Die Coca-Cola-Kampagne organisiert drei Meinungstribunale. In Atlanta haben sich im Juli 100 Vertreter US-amerikanischer Kirchen-, Menschenrechts- und Gewerkschaftsgruppen getroffen, in Brüssel findet die Tage das Forum "Kolumbien Laboratorium des Neoliberalismus" statt, und vom 5.bis 7. Dezember wollen wir in Bogotá mit Gruppen aus verschiedenen Kontinenten über "Transnationale Unternehmen und Menschenrechte" diskutieren. Ich war vor einigen Wochen in Ecuador und Bolivien. Es war erstaunlich, wie stark sich die Erfahrungen von indigener Bevölkerung und Arbeitern in der Nähe der von Oxy und Repsol unterhaltenen Erdölfelder in den beiden Ländern mit unseren in Ostkolumbien ähneln. Wir denken, dass man Globalisierungswiderstand an konkreten Fällen festmachen sollte. Wie gehen Erdölkonzerne international vor? Was machen Lebensmittel-Multis? Wie lassen sich Proteste gemeinsam organisieren? Die Informationen zusammenzutragen und international gegen transnationale Unternehmen vorzugehen, eröffnet neue Möglichkeiten für lateinamerikanische Organisationen. Diesen Vorschlag wollen wir auch beim ESF in Florenz vorstellen.
Der "Plan Colombia" ist mittlerweile zur "Anden-Initiative" geworden, mit der die reibungslose Durchsetzung der FTAA-Freihandelszone bis zum Jahr 2005 garantiert werden soll. Gibt es Entwicklungen in Lateinamerika, die dem Widerstand entgegensetzen könnten ?
Die Indígena-Bewegung in Ecuador mit der Organisation CONAIE ist vielversprechend. Das ist ein Beispiel für Lateinamerika. In Peru entstehen, nach der Fujimori-Diktatur, allmählich wieder soziale Organisationen, die Bewegung der Koka-Bauern um Evo Morales in Bolivien ist wichtig, und natürlich auch die brasilianische Landlosen-Organisation MST.
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