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Updated: 18.12.2012 15:51
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IMPRESSIONEN AUS DEM ORIENTE ANTIOQUEÑO

September – Oktober 2004

Im September und Oktober 2004 besuchten wir, zwei Mitglieder des “Red Europea de Hermandad y Solidaridad con Colombia” zum zweiten Mal in diesem Jahr fuer einen laengeren Zeitraum verschiedene Siedlungen der Landkreise von Granada und San Luis, im Oriente Antioqueño.
Der vorliegende Bericht gibt persoenliche Eindruecke ueber Aspekte der aktuellen Situation wider, in der diee Bevoelkerung in dieser Zone des Departamentes Antioquia lebt.

Im allgemeinen ist die Situation in der besuchte Zone zur Zeit ruhiger, d.h. die Armee begeht nicht so viele Uebergriffe gegen die Zivilbevoelkerung wie vorher; sie ermorden auch weiterhin Bauern und praesentieren sie als “im Gefecht gefallene Guerrilleros”, stehlen und bedrohen, aber in geringerem Ausmass. Zum Teil geht diese Aenderung im Verhalten auf die grosse Zahl der Anzeigen der Gemeinden und Menschenrechts-Organisationen bezueglich der militaerischen Uebergriffe und die sich daraus fuer die Armee ergebende Notwendigkeit, im Kontext des von der Europaeischen Union unterstuetzten “Friedenslabors” ihr Image zu verbessern, zurueck. Zum Teil auch auf die Verlagerung der Auseinandersetzungen in die laendliche Region des Landkreises San Carlos.

Dennoch sind Truppen permanent in den laendlichen Gebieten von Granada und San Luis praesent. Die Weiler Santa Ana (Granada) und Buenos Aires (San Luis) haben sich praktisch in Militaerbasen verwandelt.
In Santa Ana, bis vor zwei Jahren ein Dorf mit lebendiger kommunaler Dynamik, leben heute ein paar wenige Alte und der Pfarrer. Die frueheren Bewohner haben sich wegen der Besetzung und teilweisen Zerstoerung ihrer Haeuser durch die Armee seit Anfang letzten Jahres auf Hoefe in nahe gelegenen Siedlungen zurueckgezogen. Heute sieht man im Dorf nur Soldaten. Die Leute kommen sonntags zur Messe und um auf das oeffentliche Transportmittel zu warten, danach gehen sie aber wieder auf ihre Hoefe zurueck und Santa Ana wird wieder zum Geisterdorf. Mit der Schule passiert dasselbe: Lehrer und Schueler kommen zum Unterricht, bleiben danach aber nicht im Dorf.
Die Soldaten bitten den Pfarrer und die wenigen Organisationen, die Santa Ana besuchen, ihnen dabei zu helfen, die frueheren Bewohner zur Rueckkehr zu animieren. Aber wozu in ein Haus zurueckkehren, dass zerstoert ist oder sich in bedauernswertem Zustand und permanenter militaerischer Kontrolle befindet?
In Buenos Aires (San Luis) lebt noch mehr Zivilbevoelkerung, aber auch hier zogen viele Bewohner fort. Die Leute kommen zum Gesundheitsposten oder um auf den Transport nach San Luis zu warten, die Kinder gehen in die Schule. Vom frueheren Gemeindeleben bleibt jedoch nur die Seniorengruppe.

Die militaerische und paramilitaerische Wirtschaftsblockade haelt auch weiterhin an. Richtung Granada laesst sie ein bissle nach, Richtung San Luis nimmt sie zu. Von dort verbietet die Armee z.B., Medikamente in eine kleine Gemeinde-Droguerie, die sich in der Schule der Siedlung El Porvenir befindet, zu bringen, weil es sich dabei angeblich um Medikamente fuer die Guerrilla handelt. Ausserdem nutzt die Armee die Kontrollen der Einkaeufe, um inoffiziell Daten der Familien zu sammeln.

Dies alles ist jedoch den Kommunikationsmedien keine Meldung wert. Sie konzentrieren sich auf das Thema der von den Aufstaendischen gelegten Antipersonenminen, vor allem seit der Schaffung der “Humanitaeren Kommission von Antioquia” (Comisión Humanitaria de Antioquia) durch den Gouverneur des Departamentes, Aníbal Gaviria. Die beiden wichtigsten Arbeitsgebiete dieser Kommission sind Humanitaere Abkommen und Aktionen gegen die Minen, die zahlreiche Opfer unter den Bauern fordern. Was jedoch tatsaechlich die Arbeit motiviert, sind nicht so sehr die zivilen Opfer als vielmehr die beachtliche Zahl der durch Minen verwundeten und getoeteten Soldaten. Fuer die Bauern stellen die Minen keines ihrer Hauptprobleme dar, sie haben andere Sorgen.

Da ist das Thema der Zufahrtswege. Generell in schlechtem Zustand, verwandeln sie sich in der Regenzeit in Schlammpisten mit Schlagloechern, oder sind teilweise oder ganz gesperrt. So ist z.B. die Strasse zwischen den Kreisstaedten Granada und San Carlos unbefahrbar, weil sie auf der Hoehe der Siedlung Calderas einfach weggespuelt wurde. Der schlechte Zustand der Strassen liegt aber nicht nur in den Starkregenfaellen begruendet, sondern auch in der totalen Vernachlaessigung seitens der Kreisverwaltungen.

Da ist das ziemlich komplexe Thema der Stromversorgung. Die Region produziert ein Drittel der gesamten im Land erzeugten Energie; die Hoefe bleiben jedoch oft im Dunkeln. Bei Gewittern reicht ein starker Blitz, um Stromausfall zu produzieren. Manchmal kommt der Strom am selben Tag zurueck, manchmal in Wochen nicht.
Ein ehemaliger Angestellter von EADE (dem regionalen Stromversorgungsunternehmen) erklaert, dass die Bauern eigentlich gar kein Recht darauf haben, dass das Unternehmen ihre Stromleitungen repariert, da die meisten von ihnen keine Rechnung bezahlen. Er sieht jedoch nicht, dass die meisten Stromzaehler gar nicht funktionieren, dass viele Familien einfach kein Geld haben um Stromrechnungen zu zahlen, oder dass die Techniker aus der Stadt nicht in die Gemeinden kommen, sondern dass diese einen Bauern mit Grundkenntnissen in Elektrizitaet fuer Reparaturarbeiten zahlen. Ebensowenig sieht er, dass die durch die Entfernungen zwischen den Hoefen verursachten vermeintlichen Mehrkosten fuer die Leitungen schon im allgemeinen Strompreis enthalten sind.
Im Grund ist es weniger ein infrastrukturelles denn vielmehr ein politisches Problem, an dessen Wurzel die Frage liegt, wer von der Energieerzeugung im Oriente Antioqueño profitiert.

Ein weiterer mit der Energieerzeugung in der Region verbundener Aspekt sind die Aufforstungsprogramme, die immer mehr gefoerdert werden, um die Zufluesse und Wassereinzugsgebiete der Stauseen zu schuetzen und mehr Regen zu produzieren, der mehr Wasser fuer die Wasserkraftwerke bedeutet. Es gibt z.B. Programme wie “Zukunft Saeen” (Sembrando futuro) – ein Programm im Rahmen des Programmes “Familias en Acción”, das seinerseits teil der sozialen Komponente des Plan Colombia ist – die mehrere Familien zusammenfassen, die jeweils 40 Hektar aufforsten sollen, z.B. mit Fichte. Als Gegenleistung erhalten sie einen Tageslohn von 13.000 pesos (ca. 4 Euros), fast das Doppelte des in der Region ueblichen Tageslohnes, von dem jedoch 3.000 pesos fuer einen Fonds fuer Hausgaerten abgezogen werden, und das Versprechen, in der Zukunft, wenn die Baeume gefaellt werden, 3% des Gewinnes zu bekommen. Kurzfristig bringt das den Familien Geld, mit dem sie einen Teil ihrer Grundbeduerfnisse decken koennen. Sie sehen aber nicht, dass sie damit langfristig zu ihrer Vertreibung beitragen, denn in einer aufgeforsteten Region stoeren die Bauern.

In die gleiche Richtung zielen die assistentialistischen Produktionsprojekte, von denen es im Kontext des “Friedenslabores” immer mehr geben wird. Projekte, die die noetigen Materialien ohne Gegenleistung verschenken, und dies individuell, d.h. ohne einen kollektiven Charakter der Projekte zu foerdern. Letztendlich schaffen Projekte dieser Art Abhaengigkeit von aussen und verstaerken den Individualismus anstatt die Organisation der Gemeinden. Man koennte sogar meinen, diese Projekte sollen dem Staat helfen, sich das Wohlgefallen der Bauern zu gewinnen und so “dem Fisch das Wasser abgraben”, d.h. den in der Region operierenden Aufstaendischen die moegliche soziale Basis zu entziehen.

Zum Glueck gibt es aber auch Projekte wie den Gemeindeladen in der Siedlung Los Medios (Granada), die am vergangenen 5. September eingeweiht wurde. Sie wird finanziert und verwaltet von der “Junta de Acción Comunal”, der Gemeindeorganisation, und politisch unterstuetzt von den Franziskanern sowie von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen. Gemaess ihrer Regeln wird weder an Uniformierte noch an Bewaffnete verkauft, und auch nicht in grossen Mengen, um Missverstaendnisse und Probleme sowohl mit der Armee als auch mit den Aufstaendischen zu verhindern. Bislang hat der Laden problemlos vielen Familien aus Los Medios und Nachbarsiedlungen gedient, und am Wochenende, wenn es oeffentlichen Transport gibt, verwandelt er sich in einen Ort der Freude und der spontanen kleinen Feste.


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