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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Alte Brause in neuen Schläuchen? Interview mit der Kolumbienkampagne Deutschland zur Kampagne gegen Coca Cola. Langfassung des Interviews, ursprünglich erschienen in "ak - zeitung für linke debatte und praxis" Nr. 506 vom 19.05.2006. Wir danken der Redaktion des ak für die freundliche Freigabe des Interviews! Kurz vor der Fußball-WM reagiert Coca Cola auf die andauernde Boykottkampagne mit einem scheinbaren Strategiewechsel. Am 24. März diesen Jahres einigte sich der Getränkeriese mit der ILO auf eine unabhängige Kommission, die die Arbeitsbedingungen in den Abfüllwerken von Coca Cola-Kolumbien untersuchen soll. Seitdem vor einigen Monaten in den USA mehrere Universitäten Coca Cola-Produkte aus ihren Kantinen verbannten und der olympische Fackellauf in Italien durch Proteste gegen den Sponsor Coca Cola empfindlich gestört wurde, hatte die weltweite Kampagne deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Die Kolumbienkampagne Deutschland, die sich seit Beginn an den Protesten beteiligt hat, kritisiert den jüngsten Schritt von Coca Cola heftig. "Wir haben den Eindruck, dass Coca Cola mit der Initiative auf Zeit spielen möchte, um eine schlechte Presse zur WM 2006 in Deutschland zu verhindern", schreibt die Kolumbienkampagne in einer Presseerklärung. Ihr mobilisiert zur WM 2006 zum Boykott gegen Coca Cola. Welche Vorwürfe erhebt ihr gegen das Unternehmen? Paola: Wir werfen Coca Cola vor, von den permanenten Angriffen gegen die Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal, die Beschäftigte in den kolumbianischen Abfüllwerken von Coca Cola organisiert, zu profitieren. Seit Mitte der 90er Jahre wurden neun bei Coca Cola-Kolumbien beschäftigte Gewerkschaftsmitglieder von rechtsgerichteten Paramilitärs ermordet. In einem Fall, der von Sinaltrainal in Florida vor Gericht gebracht wurde, sind Verbindungen zwischen der lokalen Werksleitung und den Todesschwadronen dokumentiert. In mehreren anderen hat der Werkschutz von Coke-Abfüllern Gewerkschafter als "Terroristen" angeschwärzt und unschuldig ins Gefängnis gebracht. Die Gewerkschaft verlor infolge dieser Angriffe viele Mitglieder, wurde in manchen Betrieben völlig zerschlagen. Coca Cola -Atlanta weiß seit 1996 von diesen Vorfällen, hat aber nichts unternommen, um seine Gewerkschafter zu schützen. Im Gegenteil - der Konzern hat Verleumdungsklagen erhoben, damit die Fälle nicht bekannt werden, und die Schwächung der Gewerkschaft genutzt, um eine radikale Reorganisation des Unternehmens voranzutreiben. Heute gibt es dort kaum noch Beschäftigte mit festen Arbeitsverträgen, die Löhne wurden auf ein Drittel gesenkt, Zeitarbeitsverträge eingeführt und gelbe Gewerkschaften etabliert. In Indien werfen Menschenrechtsinitiativen dem Konzern vor, Wasserknappheit und gravierende Umweltschäden zu verursachen. Mit solchen Geschäftspraktiken entzieht Coca Cola dort vielen Bauern die Lebensgrundlage. Um was geht es Euch bei der Kampagne? Paola: Zuallererst geht es uns um konkrete Solidarität. Mit der Kampagne wollen wir die bestehenden Kämpfe um bessere Arbeits- und Organisationsbedingungen und um Entschädigungen unterstützen, die es bei Coca Cola und seinen Abfüllern in Kolumbien gibt. Wir wollen Druck auf Coca Cola ausüben, damit sich für die Beschäftigten vor Ort etwas verbessert. Die Kampagne ist der Versuch, Coca Cola soweit unter Druck zu setzen, bis die Forderungen der Gewerkschaft erfüllt werden. Den Einwand, dass es uns damit um einen "besseren" Kapitalismus ginge, teilen wir nicht. Wir sind der Überzeugung, dass die Kampagne kapitalistische Verhältnisse sichtbar macht. Überall auf der Welt werden Arbeits- und Lebensverhältnissen entsichert und das Recht auf unabhängige Interessenorganisation angegriffen. Die Politik eines multinationalen Konzerns wie Coca Cola spiegelt diese Praxis wider. Natürlich nimmt diese Entwicklung von Land zu Land sehr unterschiedliche Formen an. Aber man kann am Beispiel Coca Cola sehr gut aufzeigen, wie prekäre Arbeitsverhältnisse mitunter auf äußerst brutale Weise durchgesetzt werden. Schließlich verstehen wir die Kampagne als Schnittstelle zwischen Leuten aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Wir haben in Deutschland immer wieder die Unterstützung der Gewerkschaften gesucht, nicht immer erfolgreich. Ver.di hat zwar bereits 2003 auf dem Bundeskongress beschlossen, Coca Cola-Produkte aus seinen Einrichtungen zu verbannen, aber geschehen ist faktisch nichts. Insgesamt fällt die Reaktion der großen Gewerkschaften in Deutschland verhalten aus. Meist sind es einzelne Ortsverbände, einzelne kritische Gewerkschafter oder gewerkschaftliche Arbeitskreise, die die Kampagne unterstützen. Na, und zuletzt geht es uns auch darum, eine internationale Kampagne zu machen. Sozusagen auf der Höhe von Zeit und Kapitalverhältnissen. Mittlerweile wird die Coca-Cola-Kampagne in etwa 15 Ländern aktiv getragen. Die NGG hat auch einen Konflikt mit Coca Cola und hat sogar mit einem Streik zur WM gedroht, sollte Coca Cola seine Pläne, 3000 Stellen abzubauen, wahr machen. Wie seht ihr das? Paola: Die NGG hat die Kampagne gegen Coca Cola bislang immer bekämpft, weil sie mit einer gelben Gewerkschaft in Kolumbien namens SICO arbeitet, die überhaupt erst entstand, weil die paramilitärischen Angriffe Sinaltrainal aus einem Betrieb gewalttätig verdrängt hatten. Als wir die NGG während einer Veranstaltungsrundreise mit Edgar Paez von Sinaltrainal 2002 zu einer Auseinandersetzung aufforderten, hat die NGG sich taub gestellt. Die offizielle Begründung war, dass unklar sei, wie sich Sinaltrainal finanziere. Ähnlich Diffamierungen gingen auch vom internationalen Lebensmittelgewerkschaftsdachverband IUF aus. Die IUF lehnt den Boykott gegen Coca Cola auch aus politischen Gründen ab. Sie vertritt die Mehrheit der Coca Cola-Arbeiter weltweit und will selbst die Verhandlungen bezüglich Kolumbien führen. Demgegenüber hat sich Sinaltrainal unlängst solidarisch mit den Beschäftigten in den deutschen Abfüllanlagen erklärt. Wir sind das natürlich auch. Worin besteht die Kampagne? Paola: Der erste Schritt von Sinaltrainal bestand in einer Klage, die die Gewerkschaft 2001 mit Unterstützung der United Steel Workers of America und dem International Labor Rights Fund in Florida gegen Coca Cola und seine kolumbianische Tochter Panamco eingereicht hat. In Kolumbien konnte die Gewerkschaft der aggressiven Politik von Coca Cola und den Morden allein ja nicht mehr viel entgegen setzen. Verhandelt wird inzwischen nur noch über die Klage gegen die kolumbianische Firma Panamco. Wichtige Etappen der Kampagne waren dann drei große öffentliche Anhörungen im Jahr 2002 in Atlanta (USA), Brüssel (Belgien) und Bogotá (Kolumbien), in denen Coca Cola öffentlich angeklagt und die weltweite Boykottkampagne beschlossen wurde. Unterstützt wurden die Anhörungen von Kirchen, Solidaritätsinitiativen, StudentInnen, und Gewerkschaften, es waren auch Journalisten und sogar ein paar Europaabgeordnete anwesend. Auch dieses Frühjahr hat es wieder eine solche öffentliche Anhörung gegen Konzerngewalt in Bogotá gegeben. Auf der Anklagebank saßen neben Coca Cola auch Nestlé und Chiquita. Seitdem besteht die Kampagne im Wesentlichen aus dem Boykott von Coca Cola-Getränken, in Protestaktionen und Öffentlichkeitsarbeit, die auf Imagebeschädigung abzielen. Bislang konnte sich die Kampagne wenig Gehör verschaffen, doch in den letzten Monaten hat sich einiges getan. Die olympischen Spiele in Turin diesen Winter wurden von Protesten gegen den Sponsor Coca Cola begleitet. In den USA, Kanada aber auch in Irland haben inzwischen über 20 Universitäten aufgrund der Studentenproteste ihre Verträge mit Coca Cola gekündigt oder ausgesetzt. Und auch in Deutschland gab es eine Zeitlang ein relativ großes mediales Interesse an der Kampagne. Wie erklärt ihr Euch die jüngsten Erfolge? Paola: Die Kampagne wurde in Europa zunächst von kleineren Initiativen koordiniert, wie hier in Deutschland von der Kolumbienkampagne oder in England von der Colombia Solidarity Campaign. Die Vernetzung und Verbreitung der Kampagne fand z.T. über die Sozialforen statt, darüber ist auch der Kontakt mit den Leuten aus Indien entstanden. Mit der Zeit wurde die Idee der Kampagne dann von anderen Akteuren aufgegriffen. In Italien z.B. hat sich die Metallarbeitergewerkschaft der Kampagne angenommen, was ihr dort letztendlich zum Erfolg verholfen hat. Daneben haben sich dort während der olympischen Spiele mehrere Städte und Gemeinden dem Boykott angeschlossen, darunter auch fünf römische Bezirke. Vor allem die Entscheidung des Turiner Stadtrates, in öffentlichen Gebäuden keine Coca Cola-Produkte mehr auszuschenken und die Weigerung zweier römischer Bezirke, das olympische Feuer durch ihre Straßen passieren zu lassen, hat für Aufmerksamkeit gesorgt. In Deutschland haben wir zwar auch schon lange versucht, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, aber letztlich war es die Berichterstattung über die Studentenproteste in den USA, die der Kampagne hier zu neuem Schwung verholfen hat. Wir glauben, dass das deswegen funktioniert hat, weil "Spiegel" und SZ geschrieben und gesagt haben, dass der Cola-Protest an die Geburt einer neuen Studentenbewegung erinnere. Daraufhin haben dann viele weitere Zeitungen über die Kampagne berichtet. Das ist ja insofern lustig, als es zeigt, dass linke Inhalte nicht prinzipiell zensiert werden. Manchmal ist es sogar genau andersherum. Die Medienvertreter hoffen, dass etwas passiert. Sie möchten den Trend, der sich angeblich abzeichnet, als erste entdecken und beschreiben. Und so kriegen wir immer wieder - solidarisch gemeinte - Anfragen von Journalisten, die sich erkundigen, wann wir endlich mal was Spektakuläres, Öffentliches machen. Wir sagen dann immer, dass wir nicht die Kampagne sind. Ob was passiert, hängt davon ab, ob Leute die Initiative ergreifen und sich selbst was ausdenken. Z.B. jetzt zur WM. Vielleicht verspürt ja jemand von euren LeserInnen großen Tatendrang. Wie hat Coca Cola auf die wachsenden Proteste reagiert? Paola: Unsere Kampagne schafft Arbeitsplätze! Einen ersten, gut finanzierten haben wir bereits geschaffen: die Coca Cola-Zentrale in Atlanta hat als Reaktion auf den Protest einen Kolumbienbeauftragten eingestellt und Extra-Webseites eingerichtet. Der Job muss schön sein. Der Beauftragte Pablo Lagarcha war zu einem Trip in Deutschland und hat hier mit Engelszungen die Angestellten der Coca Cola-Abfüller über die sozialen und ökologischen Aktivitäten seines Arbeitgebers aufgeklärt. Ein netter Mensch. Er will Coca Cola jetzt zum Leader in sozialen und Arbeitsrechten umbauen. Was den Konzern angeht, ist das natürlich eine Farce. Coca Cola weiß seit langem von der Situation in seinen kolumbianischen Abfüllbetrieben, hätte also die Möglichkeit gehabt, Konsequenzen zu ziehen. Die Schutzgesuche der Gewerkschaft wurden ebenso konsequent ignoriert wie die Forderungen nach Aufklärung der Morde, nach Wiedereinstellung der geflohenen ArbeiterInnen, nach Entschädigung der Opfer und einer öffentlichen Verurteilung der paramilitärischen Gewalt. Stattdessen hat Coca Cola Sinaltrainal weiter mit Klagen und Terrorismusvorwürfen überzogen. Erst die jüngsten Proteste haben dazu geführt, dass der Konzern zu den Vorwürfen Stellung nahm. Wie sieht die Stellungnahme aus? Paola: Natürlich ist Coca Cola weit davon entfernt, eine Mitverantwortung für die Angriffe einzugestehen und seine Politik grundlegend zu ändern. Der Konzern streitet die Vorwürfe nach wie vor ab. Dabei stützt sich der Konzern auf zwei angeblich "unabhängige" Untersuchungen, die beweisen sollen, dass es keinerlei Angriffe gegen Gewerkschaftsmitglieder gegeben haben soll. Deren Unabhängigkeit kann man aber aus gutem Grund bezweifeln. Die erste Untersuchung wurde von der Anwaltsfirma durchgeführt, die Coca Cola vertritt. Die zweite von einem Unternehmen, dass selbst in den großen US-amerikanischen Medien wegen seiner Schlampigkeit kritisiert wird. Darüber hinaus vertritt Coca Colas Kolumbienbeauftragter den Standpunkt, man könne das Unternehmen nicht allein für die Gewalt in Kolumbien verantwortlich machen. Coca Cola hat mit dem Bürgermeister von Rom eine Untersuchungskommission vereinbart. Was ist mit der Kommission passiert? Paola: Den Untersuchungskommissionen, die 2005 in den USA und Italien mit Protestierenden vereinbart worden waren, hat das Unternehmen Bedingungen aufzuzwingen versucht und damit das Zustandekommen der Kommissionen verhindert. In Kolumbien selbst werden Coca-Cola-Arbeiter zur Zeit darauf hingewiesen, dass, wenn sie ihre Vorwürfe gegenüber ausländischen Delegationen aufrecht erhalten, Anlagen in Kolumbien geschlossen werden müssten. Inzwischen hat Coca Cola mit der ILO (der Arbeitsorganisation der UNO) eine Untersuchungskommission vereinbart. Die Beteiligung der betroffenen Gewerkschaft Sinaltrainal an der Kommission ist nicht vorgesehen. Interessanterweise fordert auch die IUF (International Union of Food Workers) die ILO-Untersuchung. In der IUF ist aber nicht Sinaltrainal, sondern die nach deren Zerschlagung in den Abfüllanlagen von Carepa neu gegründete unternehmensnahe Cola-Gewerkschaft SICO affiliiert. Bislang ist eine Untersuchungskommission zu den Vorgängen in den kolumbianischen Abfüllbetrieben innerhalb der ILO von Arbeitgebervertretern und dem kolumbianischen Staat immer wieder erfolgreich blockiert worden. Dass sie jetzt von Coca Cola selbst gefordert wird, spricht dafür, dass das Unternehmen die Vorwürfe nicht mehr ignorieren kann und deshalb einen möglichst freundlichen Bericht durchsetzen möchte. Die Colombia Solidarity Campaign hat in einem Bericht darauf hingewiesen, dass Coca Colas neuer Direktor für globale Arbeitsbeziehungen, Ed Potter, gleichzeitig als Repräsentant der US-Arbeitgebervertreter einen einflussreichen Posten innerhalb der ILO bekleidet. Zudem berichtet Sinaltrainal, dass das Unternehmen Coca Cola FEMSA, das die meisten der Cola-Abfüllerwerke in Kolumbien besitzt, bereits angekündigt hat, die Zeugen für die Untersuchung selbst auszuwählen. Misstrauen ist also angebracht! Sind konkrete Projekte zur WM geplant? Paola: Das habe ich ja eigentlich schon gesagt: Die Kolumbienkampagne besteht nur aus einer Handvoll Leuten, und wir konzentrieren uns deshalb darauf, Informations- und Anlaufstelle zu sein. Die Kampagne lebt von den Initiativen vor Ort. Wir hoffen, dass die Initiative zur WM noch einmal von möglichst vielen Menschen aufgegriffen wird und in Unis, Schulen und Gewerkschaften getragen wird. In Berlin werden wir sicher noch eine Aktion zur WM organisieren, letzten Monat hat es eine Kundgebung vor einem von Coca Cola organisierten Fußballturnier in Berlin gegeben. Am 6. Juni ist eine Veranstaltung zu Coca Cola in der NGBK in Kreuzberg geplant. Was dann noch kommt, müssen wir sehen. Es wäre auf jeden Fall toll, wenn sich noch etwas tut, denn Coca Cola ist nervös und jetzt hat man die Möglichkeit tatsächlich etwas durchzusetzen. Kontakt, Informationen und Material: |