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Updated: 18.12.2012 15:51
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Lehren aus den Streiks bei Autozulieferern in Südchina – von Boy Lüthje*

Die Arbeitskonflikte des letzten Sommers in China machten in den chinesischen und internationalen Medien große Schlagzeilen. Als die Beschäftigten von Zulieferfirmen für Honda, Toyota und andere multinationale Autokonzerne die Arbeit niederlegten, ging in den Medien die Furcht vor der »wachsenden Macht der Arbeiter in China« (The Economist) um. Zur selben Zeit brachte eine tragische Selbstmordserie bei Foxconn – dem größten Auftragsfertiger von Computern, iPods und anderen mobilen elektronischen Geräten – die inhumane Natur der Niedriglohn-Massenproduktion für globale Marken wie Apple, HP oder Nokia ans Licht. Beide Ereignisse hatten spürbar eine Wirkung auf Gewerkschaften, Arbeitsexperten und Öffentlichkeit in China – vielleicht eine Wasserscheide im Bezug auf die zukünftige Entwicklung der Arbeitsbeziehungen im Land.

Lean and Mean ...

Das südchinesische Perlflussdelta – um die Städte Hongkong, Shenzhen und Guangzhou – bildet heute die weltweit größte Agglomeration von Produktionsbetrieben. Etwa 25 Millionen IndustriearbeiterInnen – die meisten von ihnen Wanderarbeiter – produzieren Konsumgüter für globale Marken, z.B. Bekleidung, Spielzeug, Möbel oder elektronische Geräte. In den letzten Jahren ist das Perlflussdelta auch ein wichtiges Zentrum der Automobilproduktion geworden. Honda und Toyota haben bedeutende Fabriken in Guangzhou aufgebaut, wo die altbekannten Accords, Civics, Odysseys, Camrys und Corollas produziert werden. BYD, der aufgehende Stern am Himmel der chinesischen Elektroautoindustrie, residiert in Shenzhen. Volkswagen will in der Gegend eine neue Fabrik bauen.

Zulieferfirmen sind in der Folge dieses Booms wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die meisten Fabriken produzieren für den chinesischen Markt. Aber Honda und Toyota haben auch begonnen, Komponenten wie z.B. Motoren in ihre Fabriken in westlichen Ländern zu exportieren.

Die Produktion ist in puncto Technologie und Organisation auf dem neuesten Stand. Die japanischen Autobauer haben ihre berühmten Systeme der Schlanken Produktion nach China gebracht. Dazu gehören Just-in-time-Produktion, Management-by-Stress sowie die Aufspaltung der Beschäftigten entlang der Zulieferketten. Die Arbeitsbedingungen in den Hauptfabriken sind mit denjenigen moderner Autofabriken in entwickelten Industrieländern vergleichbar, für chinesische Verhältnisse jedoch überdurchschnittlich. Die Beschäftigten zählen zu den bestbezahlten IndustriearbeiterInnen in der Region. Grundlöhne liegen bei durchschnittlich 2500 RMB (400 US-Dollar), die Unternehmen zahlen 13 bis 18 Monatslöhne; Gewinnbeteiligungen und Produktivitätsboni sind weit verbreitet. Überstunden bleiben im gesetzlich in China erlaubten Rahmen (36 Stunden pro Monat bei einer 40-Stundenwoche).

Die Bedingungen bei Zulieferunternehmen sehen weit weniger günstig aus. Obwohl die Fabriken meist sauber und mit Klimaanlagen versehen sind (was in Südchinas subtropischem Klima noch immer als Luxus gilt), ist die Arbeit segmentiert und monoton. Die Löhne bewegen sich um das gesetzlich erlaubte Minimum von 700 bis 900 RMB. Überstunden fallen reichlich an und sprengen oft den Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, welche von den Lokalregierungen nicht durchgesetzt werden. Überstunden und Boni machen normalerweise ca. 50 Prozent des regulären Monatslohnes aus, der damit durchschnittlich bei 1200 bis 1500 RMB liegt. Die Fluktuation ist in den meisten dieser Fabriken sehr hoch. Viele Beschäftigte sind als »Praktikanten« angestellt, d.h. sie haben eine zumeist zweijährige Berufsfachschule absolviert und müssen nun das in China obligatorische dritte »Lehrjahr« als niedrig bezahlte Beschäftigte in der Produktion absolvieren.

... mit chinesischen Besonderheiten

Während das Modell der schlanken Produktion den meisten Autobeschäftigten in der Welt bekannt vorkommen mag, so hat es hier doch einige chinesische Besonderheiten.

Erstens: Die Kernfabriken von Honda und Toyota sind Gemeinschaftsunternehmen mit Guangzhou Automotive Group (GAG), einem der sechs großen staatseigenen Autobauer in China, der von der Stadtregierung von Guangzhou und von der Provinzregierung von Guangdong kontrolliert wird. Das ist auf die Politik der chinesischen Regierung zurückzuführen, ausländische Autounternehmen nur als Joint Ventures mit staatlichen chinesischen Autobauern zuzulassen. Die Zulieferunternehmen allerdings gehören direkt Honda und Toyota, manche auch gemeinsam mit Stadt- oder Bezirksregierungen oder mit privaten Investoren aus China oder Hongkong.

Zweitens: Die Belegschaften der Kernunternehmen bestehen aus einheimischen Arbeitern aus Guangzhou, während die Zulieferer meist Wanderarbeiter aus den ländlichen Regionen beschäftigen. Die chinesische Politik weist Wanderarbeitern den Status von Bürgern zweiter Klasse zu, ähnlich Einwanderern in den USA oder Europa. Sie haben keine sozialen oder politischen Rechte; ihr Zugang zu Gesundheitsleistungen ist eingeschränkt, ebenso zu Unfall- und Arbeitslosenversicherung; darüber hinaus haben sie nicht das Recht, sich dort, wo sie arbeiten, dauerhaft niederzulassen. Ähnlich wie bei den Zulieferern sind die Belegschaften in den Kernfabriken sehr jung – bei Toyota durchschnittlich knapp 24 Jahre, bei Honda knapp 28. Dennoch sind ihr Status und ihre Lebensbedingungen sehr unterschiedlich.

Diese Differenzen spiegeln sich auch in der Struktur der Gewerkschaften wider. In den Kernfabriken ist der offizielle Gewerkschaftsverband All China Federation of Trade Unions (ACFTU) gut vertreten. Eine extensive Gewerkschaftsbürokratie verwaltet die großzügigen Wohlfahrtsprogramme der Unternehmen und berät das Management in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen (auch wenn es keine Tarifverträge gibt, die Löhne, Arbeitszeiten und Sozialleistungen allgemein regeln). In den meisten Zulieferbetrieben gibt es überhaupt keine Gewerkschaften, oder sie wurden von lokalen Arbeitsbehörden, Parteichefs oder Managern eingesetzt.

Honda Nanhai: Arbeiter gegen Kapital und lokale Regierung

Eine Honda-Zulieferfabrik im Bezirk Nanhai der Stadt Foshan wurde zum Brennpunkt der Arbeitskonflikte. Etwa 2000 Beschäftigte, fast alle Wanderarbeiter, fertigen in dieser Fabrik Getriebe. Auslöser des Streiks war eine Anhebung des vor Ort gültigen gesetzlichen Mindestlohnes von 770 auf 920 RMB, die von der Stadtregierung von Foshan am 1. Mai in Reaktion auf die rapide steigenden Lebenshaltungskosten in der Gegend verkündet wurde. Die Arbeiter in der Fabrik erwarteten eine Lohnerhöhung. Das Management stockte den monatlichen Basislohn um 150 RMB auf, reduzierte aber die monatlichen Zulagen (z.B. für Essen, Unterkunft und regelmäßige Anwesenheit) von 300 auf 180 RMB. Im Ergebnis blieb der reguläre Monatslohn fast unverändert.

Am Morgen des 17. Mai hielten zwei Arbeiter in der Abteilung für Automatikgetriebe das Band an, indem sie den roten Knopf drückten, der normalerweise Notabschaltungen im Fall von Qualitätsproblemen erlaubt. Der japanische Manager der Fabrik traf sich mit den Beschäftigten in der Cafeteria und versprach, innerhalb von einer Woche auf ihre Forderungen zu antworten. Zur Nachtschicht desselben Tages nahmen die Beschäftigten die Arbeit wieder auf. Im Laufe der folgenden Tage fand eine Reihe von Verhandlungen zwischen Management, Arbeitern und Betriebsgewerkschaft (von deren Existenz viele Arbeiter gar nichts wussten) statt, begleitet von weiteren Arbeitsniederlegungen.

Das Unternehmen bot einige Erhöhungen der monatlichen Boni und Zuschläge für unterschiedliche Beschäftigtengruppen an, aber die Arbeiter insistierten auf einer generellen Erhöhung des Grundlohns. Die Tarifverhandlungen landeten in der Sackgasse, nachdem Gerüchte kursiert waren, das Unternehmen werde Ersatzarbeitskräfte von weiter weg anheuern. Gleichzeitig kündigte das Unternehmen die Arbeitsverträge der beiden Beschäftigten, die ursprünglich das Band angehalten hatten.

Am 24. Mai wurde der Streik auf unbestimmte Zeit verlängert, was bald Auswirkungen auf Hondas Kernfabriken in Guangzhou und Wuhan in Zentralchina hatte. Beide Fabriken mussten die Produktion am 26. und 27. Mai stoppen. Das erregte die Aufmerksamkeit nationaler und internationaler Medien und machte den Streik in China zum öffentlichen Thema. Die Lokalregierung nahm gemeinsam mit Gewerkschaft und Management eine immer aggressivere Haltung ein, die in der Mobilisierung einer Gruppe von etwa 100 Schlägern in Gewerkschaftsuniformen gipfelte, welche die Arbeiter physisch attackierten. Die Situation um das Werk geriet damit außer Kontrolle, was auch massiven Druck auf die Stadtregierung von Foshan auslöste, den Konflikt zu beenden.

In Reaktion auf diesen Vorfall schrieben die Arbeiter einen offenen Brief, der in den chinesischen Medien und auf Webseiten im Internet breit veröffentlicht wurde. Dieses einzigartige Dokument begründete den Kampf der Arbeiter für soziale Gerechtigkeit und ihre Forderungen. (S. dazu auch express, 5-6/2010) Kernforderung war eine Lohnerhöhung um 800 RMB für alle, dazu für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit 100 Yuan mehr im Monat und garantierte Lohnsteigerungen von 15 Prozent im Jahr. Außerdem wollten sie in Zukunft ihre Gewerkschaftsvertreter selbst wählen. Eine solche Änderung der Lohnstruktur hätte längere Betriebszugehörigkeit und Arbeitserfahrung belohnt und einen Qualifizierungsanreiz für die Beschäftigten geschaffen.

Vermittlung oder Kollektivverhandlung?

Die Eskalation führte zum direkten Eingreifen von Guangzhou Automotive (GAG), dem chinesischen Mutterunternehmen der Honda-Kernfabriken. Der Chef dieses Unternehmens, der auch dem gesetzgebenden Organ Chinas, dem Nationalen Volkskongress angehört, übernahm die Verhandlungen mit den Beschäftigten. Der japanische Manager der Zulieferfabrik wurde durch einen Chinesen von GAG ersetzt. Auch Gewerkschaftsvertreter von GAG und aus den Hauptfabriken waren an den Verhandlungen beteiligt.

Ein prominenter Professor für Arbeitsrecht aus Beijing, Berater des Nationalen Volkskongresses und des Arbeitsministeriums, wurde als Rechtsberater der Arbeiter hinzugezogen. Beide erschienen am 4. Juni in der Fabrik zu einer Reihe dramatischer Verhandlungen. An diesen waren das Fabrikmanagement und 30 gewählte Arbeitervertreter beteiligt, von denen fünf Rederecht hatten. Im Verlauf der Verhandlungen erklärte der Experte den Arbeitern, Streikaktionen während der Verhandlungen wären international akzeptierten Regeln zufolge illegal.

Laut einem Artikel im Gewerkschaftsblatt »Chinesischer Arbeiter« hatte das Unternehmen angeboten, den monatlichen Gesamtlohn von etwa 1500 auf etwa 2100 RMB zu erhöhen. Der Löwenanteil sollte jedoch aus Erhöhungen von Boni und Zulagen bestehen – bei unverändertem Grundlohn. Viele Beschäftigte lehnten das ab, weil es so nur einen höheren Leistungslohn gäbe, der bei der nächsten Gelegenheit wieder gestrichen werden könnte. Sie insistierten auf einer Erhöhung der Grundlöhne, wodurch der reguläre Lohn im Arbeitsvertrag eines jeden Arbeiters steigen würde. Dadurch würde auch die Überstundenentlohnung steigen, die laut geltender Rechtslage als 1,5-faches des Grundlohns zu kalkulieren ist. Auch die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung werden auf Grundlage des Basislohns berechnet.

In der Endphase der Verhandlungen wurde vorgeschlagen, den Grundlohn um 300 statt 200 RMB zu erhöhen, wie es das Unternehmen anbot. Die Arbeiter hätten ihrerseits eine leichte Reduktion im Volumen des Gesamtpaketes von 2100 auf 2044 RMB akzeptiert. Nach dem letztendlichen Abschluss wurden die Monatslöhne durchschnittlich um 500 RMB angehoben. Dies teilte sich auf in eine Erhöhung des Grundlohns um 300 und der Zulagen um 66 RMB sowie einen speziellen Bonus von 134 RMB. Der höhere Lohn sollte rückwirkend ab 1. Mai gezahlt werden, und die Beschäftigten mussten die Arbeit am nächsten Tag wieder aufnehmen.

Aus Sicht der Beschäftigten blieben viele Forderungen unerfüllt. Da die Vermittler die Delegierten gedrängt hatten, sich auf »wesentliche Forderungen« zu konzentrieren, wurde die Verhandlung auf eine Vereinbarung über Zulagen beschränkt, um die Arbeiter zu beruhigen. Die Lohnerhöhung blieb schließlich weit unter der ursprünglichen Forderung von 800 RMB für alle. Lohnzuschläge für längere Betriebszugehörigkeit wurden als »zu kompliziert« abgelehnt und auf spätere Konsultationen verschoben. Eine allgemeine Lohnerhöhung, wie von den ArbeiterInnen gefordert, hätte sicherlich das herrschende System niedriger Basislöhne und hoher Leistungszulagen in Frage gestellt. Honda und Guangzhou Automotive haben damit grundlegende Veränderungen des Lohnsystems wirksam abgeblockt und zugleich einen Präzedenzfall für Autozulieferer in der Region und die breite Masse der Niedriglohnbetriebe in ganz China verhindert.

Honda Nansha: Die Gewerkschaft übernimmt

Die Ereignisse bei Honda Nanhai lösten unter den Arbeitern in den Autozuliefer- und Elektronikfabriken im ganzen Perlflussdelta eine Kettenreaktion aus. Laut der Guangzhou Federation of Trade Unions gab es in der Gegend zu dieser Zeit über 100 Streiks. Nur über einige wenige von ihnen wurde in den chinesischen und internationalen Medien berichtet. Im Umfeld der ultramodernen Toyota-Fabrik in Guangzhou Nansha gab es bei acht von 14 Direktzulieferern Arbeitskonflikte. Aktionen von Arbeitern breiteten sich auf andere Gegenden in China aus. Bei einer Reihe von Elektronikfabriken in der Nähe von Shanghai und einem weiteren Toyota-Zulieferer in Tianjin gab es mehrtägige Streiks.

Die meisten Streiks im Perlflussdelta wurden ähnlich beigelegt wie in Nanhai, allerdings mit weniger Aufmerksamkeit von Topmanagement, Regierung und Medien. Die Lohnerhöhungen waren in den meisten Fällen vergleichbar. Die Aktionen der Beschäftigten sorgten wirksam dafür, dass sich ein gewisses einheitliches Muster der Lohnerhöhungen herausbildete. Die Arbeitgeber versuchten ihrerseits, hinter den Kulissen zu koordinieren. So versammelte sich kurz nach den Verhandlungen von Nanhai in Guangzhou eine Gruppe von 100 Vertretern der Autozulieferer, um Obergrenzen für Lohnerhöhungen im Fall von Arbeitskonflikten zu diskutieren.

Im Verlauf dieser Streikwelle waren in der Haltung der lokalen Gewerkschaften bemerkenswerte Veränderungen zu beobachten. Als die Beschäftigten einer anderen Honda-Zulieferfabrik im Bezirk Nansha von Guangzhou am 21. Juni die Arbeitsplätze verließen, mischte sich die Gewerkschaft ein und übernahm die Verhandlung. Diese Fabrik mit einigen hundert Beschäftigten hatte sogar eine Betriebsgewerkschaft, die das Vertrauen der Arbeiter allerdings völlig verloren hatte.

Als die übergeordnete Gewerkschaft, die Bezirksgewerkschaft von Nansha, gebeten wurde, im Konflikt zu vermitteln, lehnte sie ab und forderte das lokale Arbeitsbüro (die Regierungsbehörde, die die Arbeitsbeziehungen überwacht) dazu auf, die Verantwortung zu übernehmen. In einer Erklärung an die lokalen Medien sagte der Vorsitzende der Zentralgewerkschaft von Guangzhou, es sei Aufgabe der Gewerkschaft, auf der Seite der Arbeiter zu stehen. Die Regierung – nicht die Gewerkschaft – solle als Vermittler agieren.

Die Gewerkschaftsfunktionäre wurden zunächst von den Arbeitern zurückgewiesen. Dennoch machte der lokale Gewerkschaftsvorsitzende klar, dass die Gewerkschaft nur im Namen der Arbeiter sprechen werde, obwohl das lokale Arbeitsbüro ihr die Vermittlerrolle angetragen hatte. Gleichzeitig lehnte die Gewerkschaft die Anordnung der lokalen Polizei ab, die Arbeitervertreter in das Polizeibüro zu bringen, um Fragen der öffentlichen Sicherheit zu diskutieren. Der Bezirksbürgermeister war empört über dieses Verhalten der Gewerkschaft, das in China sehr ungewöhnlich ist.

Das änderte die Einstellung der Arbeiter, und die Gewerkschaft konnte eine Wahl von Arbeitervertretern für den Verhandlungsprozess initiieren. Zu Anfang waren die Arbeiter noch widerwillig, aber schließlich wurden sechs Vertreter gewählt. Einmal mehr wurde der Chef von Guangzhou Automotive als Verhandlungsführer der Unternehmensseite geschickt. Schnell wurde eine Einigung erzielt: eine allgemeine Lohnerhöhung für die Arbeiter um 800 RMB.

Veränderungen in den Arbeitsbeziehungen

Die Streikbewegung verursachte nicht nur große Besorgnis unter den multinationalen Konzernen in China. Sie stellte wirksam das existierende System der Arbeitskontrolle in den boomenden modernen Industrien des Landes in Frage. Typischerweise diktieren stillschweigende Koalitionen zwischen multinationalen oder heimischen Kapitalisten und Lokalregierungen die Bedingungen in den Fabriken. Gewerkschaften spielen in ehemaligen Staatsbetrieben und in Vorzeige-Joint Ventures eine Rolle, nicht aber in den meisten Privatunternehmen. Lokale Regierungen unterstützen die Verletzung existierender arbeitsrechtlicher Vorschriften durch große Investoren, wie bereits in zahlreichen Fällen von Zulieferern multinationaler Unternehmen wie z.B. Wal-Mart, Apple oder Nike dokumentiert.

Unter den Bedingungen rasanten Wirtschaftswachstums und hochmoderner Produktion werden die existierenden Kontrollmethoden zunehmend unwirksam. Hunderte von Arbeitskonflikten kamen in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zum Ausbruch, die 2008 und 2009 Millionen chinesischer Arbeiter traf. Nach der wirtschaftlichen Erholung suchen die Arbeiter nun eine Stimme. Während der Lohnanteil an Chinas Nationaleinkommen seit den 1990er-Jahren kontinuierlich gefallen ist, ruft die chinesische Regierung offiziell nach höheren Löhnen, um die Binnennachfrage anzukurbeln. Selbst einige Experten der internationalen Finanzwelt unterstützen diese Sichtweise.

Arbeiter nutzen diese Situation, da sie ihren Kämpfen Legitimität verleiht. Das veränderte Klima spiegelt sich auch in einer wachsenden Offenheit der Medien wider. Über den Fall der Honda-Streiks sowie die tragische Selbstmordserie bei Foxconn wurde in beispielloser Weise berichtet. Gleichzeitig spitzen sich die Widersprüche hinsichtlich der Reform des chinesischen Arbeitssystems innerhalb der Regierung und der Partei zu.

Der KP-Führer der Provinz Guangdong, Wang Yang, hat öffentlich seine Sympathie mit den Forderungen der Arbeiter nach höheren Löhnen zum Ausdruck gebracht und unterstützt Versuche lokaler Gewerkschaften, in Tarifverhandlungen eine Rolle zu spielen. Diese Haltung findet sich auch in Teilen der Gewerkschaftsführung auf Provinz- und lokaler Ebene wieder. Die Provinz-Gewerkschaft hat auf breiter Basis Untersuchungen über die Perspektiven demokratischer Gewerkschaftswahlen in Fabriken durchgeführt, mit Honda Nanhai als Modellfall.

Obwohl Guangdong den Ruf hat, die am meisten kapitalistisch und marktorientierte Provinz Chinas zu sein, steht die Provinzregierung bei der Reform des Arbeitssystems an vorderster Front. Nach dem Streik wurde ein »Entwurf für eine Direktive über demokratisches Management« veröffentlicht, der demokratische Wahlen von Betriebsgewerkschaften, Verhandlungsrechte für Arbeiter auf Betriebsebene sowie eine größere Rolle für die Gewerkschaften bei Verhandlungen auf lokaler und auf Provinzebene vorsieht. Mit diesen Gesetzen wird das Ziel verfolgt, einen neuen Rahmen für die Arbeitsbeziehungen zu etablieren, der westlichen Modellen der Kooperation zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierung ähnelt, wie etwa in Deutschland oder Singapur.

Solche Maßnahmen treffen auf harte Opposition seitens lokaler Kapitalisten in Guangdong, einschließlich derjenigen aus Hongkong und Taiwan. Ihre Geschäftspartner in den Lokalregierungen schließen sich an und widersetzen sich jeglichen demokratischen Reformen von lokalen Regierungen oder Gewerkschaften. Die Macht dieser lokalen Koalitionen wurde bei Honda Nanhai nach dem Streik sichtbar. Der Vorsitzende der existierenden Betriebsgewerkschaft mit seinem Jahresgehalt von 260000 RMB konnte trotz des kontinuierlichen Drucks der Provinz-Gewerkschaftsführung bis heute nicht abgesetzt werden.

Der Kampf für Reformen des Arbeitssystems in China bleibt schwierig. In den meisten anderen Provinzen zeigen die Behörden Arbeitskonflikten gegenüber eine viel härtere Haltung. Die nationale Führung der All China Federation of Trade Unions hat keinerlei substanzielle Schritte zu einer größeren Unabhängigkeit von Gewerkschaften unterstützt, trotz einiger aufwendiger Anläufe, bei multinationalen Unternehmen wie Wal-Mart eine Gewerkschaft zu etablieren. Dennoch hält der Aktivismus junger WanderarbeiterInnen, die fast überhaupt keine Erfahrung mit gewerkschaftlicher Organisierung am Arbeitsplatz und mit Kollektivverhandlungen mitbringen, Lektionen für die Gewerkschaften bereit – nicht nur in China, sondern überall in der industrialisierten Welt.

Übersetzung: Anne Scheidhauer

* Boy Lüthje ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. mit dem Schwerpunkt globale Produktion in China und Ostasien. Er ist seit vielen Jahren in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/10
express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express externer Link


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