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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Produktionsmodell China? Electronics Contract Manufacturing: globale Produktion und neue Arbeitsregime (Teil I) von Boy Lüthje * In den rasant wachsenden Exportsektoren Chinas gehen die globale Restrukturierung der Produktionsmodelle zentraler Industriebranchen und die Entwicklung neuer Produktions- und Arbeitsformen Hand in Hand. In der IT-Branche wurde China seit dem Crash der so genannten New Economy zum weltweit wichtigsten Standort des Electronics Contract Manufacturing, also der Massenproduktion von High-Tech-Artikeln durch weltweit operierende Auftragsfertiger. Hier tauchen die klassischen Strukturen tayloristischer Serienfertigung wieder auf, allerdings unter den Vorzeichen einer von hochgradig spezialisierten Technologieunternehmen beherrschten Branchenkonkurrenz, in der die führenden Markenfirmen aus den USA und Europa zunehmend ohne eigene Fertigung operieren und auf Basis der Ausbeutung von ArbeitsmigrantInnen in großem Maßstab. Boy Lüthje fragt, was die Konsequenzen dieser Entwicklung für die globalen Strukturen von Produktion und Arbeit in der IT-Industrie sind und welche Herausforderungen sich aus gewerkschaftlicher Sicht stellen. [1] Die Erfolgsgeschichte der New Economy der 1990er Jahre war nicht nur das Ergebnis finanzgetriebener Spekulation auf technologische Innovationen (Brenner 2002), sondern auch eines spezifischen Produktionsmodells, mit dem die IT-Industrie der USA nach der »japanischen Herausforderung« der 1980er Jahre wieder weltweite Dominanz gewinnen konnte. Dieses Modell basiert auf einer weitgehenden Auflösung traditioneller, am Modell des vertikal integrierten Großbetriebes à la Ford ausgerichteter Produktionsstrukturen und der Herausbildung relativ unabhängiger Branchensegmente, welche jeweils die Schlüsselkomponenten wichtiger Produkte der Informationstechnik bereitstellen. Leitbild dieser Entwicklung ist die PC-Industrie, die nicht mehr von Endherstellerfirmen (wie z.B. IBM, Hewlett-Packard oder Siemens) beherrscht wird, sondern von den Lieferanten der beiden wichtigsten Systemkomponenten, Microsoft und Intel. Nicht umsonst wurde das an die Markennamen dieser Firmen angelehnte Kunstwort »Wintelismus« (Borrus/Zysman 1997) zum sozialwissenschaftlichen Logo dieses post-fordistischen Produktionsmodells, das in der Folge auch in zahlreichen anderen Segmenten der IT-Industrie Platz griff. Ein neues Produktionsmodell Ein zentrales Kennzeichen dieses Produktionssystems ist die weitgehende Entkoppelung von Produktinnovation und Fertigung. Da die technologieführenden Markenunternehmen (im Branchenjargon: Original Equipment Manufacturer, OEM) sich ihrer Produktion weitgehend zu entledigen versuchen oder von vornherein als »fabriklos« an den Start gehen, wird die Produktion auf stark integrierte Auftragsfertiger verlagert, welche Montage, fertigungsnahes Engineering, Logistik, Teilebeschaffung und gegebenenfalls auch Reparatur- und Montagedienste im weltweiten Verbund versehen. Dieses Branchensegment entstand in den 1990er Jahren in den USA unter der Sammel-Bezeichnung Contract Manufacturing (CM) oder präziser Electronics Manufacturing Services (EMS) (Sturgeon 1997; Lüthje et al. 2002). Parallel dazu wuchsen die Netzwerke der Auftragsfertigung in Asien (Borrus 2000) - namentlich in Taiwan, wo sich die dort vertretenen, eng mit Silicon Valley verbundenen Subcontractor-Firmen zu veritablen Großunternehmen entwickelten. Im Unterschied zu den amerikanischen EMS-Unternehmen übernahmen diese Firmen auch zunehmend wesentliche Teile der Produktentwicklung, insbesondere von Komponenten und Baugruppen, weshalb auch von Original Design Manufacturing (ODM) gesprochen wird. Ergebnis dieser Entwicklung war eine recht weitgehende Auflösung vertikal integrierter Produktionsformen, die ab Ende der 1990er Jahre auch massiv von traditionellen Elektronikunternehmen in den USA und Europa wie z.B. IBM, Lucent, Siemens oder Ericsson nachvollzogen wurde. Im Zuge einer weltweiten Welle von Fabrikverkäufen an Contract Manufacturer wurden die führenden Unternehmen dieses Sektors zu zentralen Akteuren weltweiter Produktionsverbünde, die je nach Berechnungsweise heute etwa 15-20 Prozent der Wertschöpfung der globalen IT-Produktion stellen. Mit dem Niedergang der New Economy ab 2001 wurden die führenden EMS-Unternehmen allerdings auf besondere Weise von den weltweiten Überkapazitäten in der IT-Branche getroffen. Sie wurden zu deren Verwaltern und mussten dabei den Markenfirmen oftmals auch den Abbau überschüssiger Lagerbestände, von Arbeitsplätzen und die Schließung von Betrieben abnehmen. Einige Auftragsfertiger gerieten an den Rand des Abgrunds. Allein Solectron - das Starunternehmen der EMS-Branche in den 1990er Jahren - halbierte nach Firmenangaben die weltweite Zahl seiner Arbeitsplätze zwischen 2001 und 2004 von ca. 80000 auf 40000. Die Krise zeigte die Grenzen des wintelistischen Produktionsmodells und seine besonderen Krisenpotenziale (ausführlich: Lüthje 2005a). Der in diesem Ausmaß ungekannte Aufbau struktureller Überkapazitäten widerspiegelte die durch die neuen Formen der Markt- und Unternehmensorganisation extrem verkürzten Zyklen der Innovation und der Kapitalverwertung. Verstärkt wurde dies durch die Kapitalmarktorientierung des Innovationssystems (Stichwort: Venture Capital) und den spekulativen Aufbau von Zukunftsprojekten im Infrastrukturbereich. Die Aufspaltung der Produktionssysteme erzeugte massive Dominoeffekte innerhalb der Produktions- und Lieferketten und begünstigte die Verlagerung der Krisenfolgen auf Produktionsdienstleister und Komponentenlieferanten. Auf allen Ebenen des Produktionssystems führte die Krise zu Restrukturierungen der Produktions-, Zuliefer- und Einkaufsorganisation, vorangetrieben durch massive Zentralisierungsbewegungen des Kapitals. Fast alle wichtigen Markenführer reorganisierten die Beziehungen mit ihren Kontraktfertigern durchgreifend. Unter dem Druck von 2,5 Mrd. US-$ überschüssigen Lagerbeständen reduzierte z.B. Cisco die Zahl seiner Kontraktfertiger von neun auf vier und die Anzahl der EMS-Produktionsbetriebe von 30 auf 16. Zugleich wurden die Spielräume der Kontraktfertiger bei der Komponentenbeschaffung massiv eingeschränkt. Markenfirmen wie Motorola, HP oder Siemens nahmen diesen strategischen Bereich wieder in eigene Hände und halten seitdem die EMS rigoros von Preiskalkulationen und -verhandlungen über wesentliche Zulieferkomponenten fern (Interviewdaten 2003/04). Netze der Massenproduktion in China und Ostasien Die Restrukturierung der globalen Produktionssysteme geht einher mit einer massiven Verschiebung der Produktion in Niedrigkostenstandorte. Malaysia, Mexiko und Osteuropa waren ab Mitte der 1990er Jahre die bevorzugten Regionen für den Aufbau von EMS-Großbetrieben. Während es dort im Gefolge der Krise zu teilweise massivem Arbeitsplatzabbau kam (zu Mexico: Sproll 2003; zu Osteuropa: Hürtgen 2005), stieg in einer zweiten, vom krisenbedingten Preisdruck in der Branche angetriebenen Runde der Verlagerung China zum wichtigsten low cost-Standort auf. Dort werden heute etwa 30 Prozent der weltweiten IT-Kontraktfertigung abgewickelt. Innerhalb Chinas ist der wichtigste Standort das Pearl River Delta um Hong Kong, Shenzhen und Guangzhou, die heute wohl größte zusammenhängende Industrieregion der Welt. Die Zahl der Beschäftigten bei den großen Kontraktfertigern lässt sich hier allein auf 170000 bis 180000 hochrechnen. Ein zweiter Schwerpunkt ist in der Region Shanghai entstanden, hier konzentrieren sich besonders die Großen ODM-Unternehmen aus Taiwan (Lüthje 2005b). Das Beispiel des weltgrößten Kontraktfertigers Flextronics verdeutlicht die Komplexität der Produktionsstrukturen. Vom Asien-Hauptquartier in Singapur werden etwa 25 Betriebe mit rund 50000 Beschäftigten geführt - über die Hälfte der weltweiten Belegschaft von 95000. Die beiden zentralen Produktionsbasen sind das Umland von Singapur in Südmalaysia und das Pearl River Delta. Wesentlicher Teil dieser Produktionsinfrastruktur sind Großbetriebe der Metall- und Kunststoffproduktion zur Herstellung von Gerätegehäusen aller Art. Die starke vertikale Integration geht einher mit einer ausgeprägten Spezialisierung zwischen den Betrieben und Standorten. Südmalaysia ist z.B. die weltweite Basis für die Produktion von Tintenstahldruckern, Südchina ist vor allem auf Handys und Produkte der Konsumgüterelektronik ausgerichtet. In qualitativer Hinsicht bedeutsam ist, dass in den Großtandorten Ostasiens auch eine massive vertikale Reintegration von Fertigungsstrukturen stattfindet. In ausgeprägter Weise lässt sich dies in den Industrieparks von Flextronics in China oder dem Großbetrieb von Solectron im malaysischen Penang beobachten. Am weitesten gehen aber die Kontraktfertiger aus Taiwan: Foxconn, ein aus dem Metall- und Kunststoffkonzern Hon Hai Precisions stammendes Unternehmen, setzt ausdrücklich auf die integrierte Massenfertigung auch von nicht-elektronischen Zulieferteilen. Sein »Foxconn-City« genannter Industriepark in Shenzhen in Südchina umfasst neben etwa 15 Werkshallen für führende Markenhersteller auch Großbetriebe für Metallbearbeitung, Kunststoffspritzguss und Kabelfertigung. Mit nach Firmenangaben zuletzt etwa 130000 Beschäftigten handelt es sich wohl um den größten Elektronikfertigungsbetrieb der Welt. Diese Betriebe sind indes keineswegs nur Stätten niederwertiger Massenfertigung. Ihre hoch integrierten Strukturen umfassen auch Zulieferproduktion, Logistik, und produktionsnahes Engineering. In zunehmendem Maße werden Prototypen- und Anlaufproduktion sowie komplexeres Engineering in diese Großbetriebe verlagert. Die Kontraktfertiger werden auf diese Weise zu wichtigen Trägern des Transfers von technologischem Know-How im Produktions- und Entwicklungsbereich. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die EMS- und ODM-Firmen aus Taiwan, die bei der Anwerbung qualifizierter Arbeitskraft in China auch ihre sprachlichen und politischen Kulturvorteile einsetzen können. In dem genannten Großbetrieb von Foxconn waren 2004 etwa 5000 aus China stammende Ingenieure beschäftigt. Die massive, aber weitgehend im Verborgenen vorgehende vertikale Reintegration der Produktion bei den Auftragsfertigern ist Motor einer anhaltenden Restrukturierung des Kontraktfertigungssegments insgesamt. Der Trend zur Integration von Produktentwicklung in die Auftragsfertigung wirkt sich zurzeit zu Gunsten der ODM-Firmen aus. Das Dilemma dieser Entwicklung besteht allerdings darin, dass die großen ODMs immer umfassenderes System-Know-How gewinnen, das sie tendenziell zum Aufbau eigener Markenprodukte befähigt. Die meisten ODMs sind etwa bei Laptopcomputern oder Handys in Taiwan, China und einigen asiatischen Entwicklungsländern mit Eigenmarken vertreten. Die spektakuläre Übernahme der Handysparte des Siemens-Konzerns durch eines der führenden taiwanesischen ODM-Unternehmen - BenQ - illustriert die Potenziale dieser Entwicklung und die Ambitionen der Großfirmen des »China-Circle« als zukünftige Global Player der Elektronikindustrie. Die ersten massiven Auftragskürzungen bei BenQ durch Großkunden wie Nokia oder Kyocera nach dem Siemens-Deal (vgl. Digitimes, 24. Juni 2005) zeigen allerdings auch, dass die führenden Markenfirmen nicht bereit sind, ihren neuen Konkurrenten weiterhin als Auftragsfertiger zu akzeptieren. Massenarbeit und industrielle Modernisierung Die Entstehung großflächiger Infrastrukturen der Elektronik-Kontraktfertigung in China und anderen Niedrigkostenstandorten führt zu einem massiven Ausbau fortgeschrittener industrieller Produktionsprozesse mit spezifischen Strukturen der Arbeitsorganisation. Die Arbeitsumwelt in den EMS-Betrieben ist modern, das technologische und fertigungsorganisatorische Niveau gleicht dem in entwickelten Industrieländern. Vorherrschend sind großvolumige, standardisierte Produktionsprozesse, die allerdings rasch durch spezialisierte Produkte mit kleineren Serien und Anlaufproduktionen neuer Modelle ergänzt werden. Auch die umfangreiche Zulieferproduktion im Kunststoff, Metall- und Kabelbereich sorgt für eine rasche Differenzierung betrieblicher Produktionsprozesse. Insbesondere in diesen Bereichen entstehen auch signifikante Sektoren industrieller Facharbeit, etwa in der Instandhaltung von Spritzgusswerkzeugen (Lüthje 2005b). Vorherrschend ist eine massiv tayloristisch ausgerichtete Arbeitsorganisation. Fließbandproduktion mit starker Segmentierung der Arbeitsvollzüge prägt das Bild - insbesondere in Bereichen der Handbestückung und -montage wie z.B. bei Handyschalen oder der Endfertigung von PCs, Computerdruckern oder Spielekonsolen. Dies geht einher mit strikter, personalisierter Kontrolle am Arbeitsplatz durch VorarbeiterInnen und Aufsichten. Obwohl auch in den Großbetrieben der EMS-Produktion viel von Teamwork und modernem Qualitätsmanagement die Rede ist, sind Ansätze gruppenorientierter Arbeitsorganisation kaum zu erkennen. Allerdings lässt sich auch im Montagebereich eine sehr rasche Diversifizierung von Arbeitsprozessen beobachten, die auch nicht-fließbandartige Organisationsformen einschließt, z.B. Inselfertigung in der Endmontage hochwertiger Computer nach Kundenvorgaben. Die Löhne im Arbeiterbereich sind generell niedrig, in Südchina etwa 50 bis 80 Euro pro Monat, in der Region Shanghai um etwa 20 bis 30 Prozent darüber. Hinzu kommen die betrieblichen Sozialleistungen, vor allem Kantinenessen und Wohnheimplatz, die zumeist als Zugabe zum Lohn gewährt werden. Überstunden sind die Regel, die Wochenarbeitszeit beträgt zumeist 50 bis 60 Stunden. In Südchina werden auch in Großbetrieben unter Verletzung bestehender gesetzlicher Vorschriften regelmäßige unbezahlte Überstunden geleistet. Es besteht eine sehr starke Spreizung der Lohnhierarchien; Fach- und Vorarbeiter verdienen oft das Drei- bis Fünffache von einfachen Montagekräften. Dies widerspiegelt den massiven Fachkräftemangel, vor allem in der Pearl-River-Delta-Region (PRD). Im Bereich der angelernten Massenarbeit hat sich der seit 2004 auch in der internationalen Wirtschaftspresse gemeldete Arbeitskräftemangel nach unseren Beobachtungen allerdings nicht in spürbaren Verbesserungen der Lohnsituation im Bereich der angelernten Massenarbeit niedergeschlagen. Ebenso lässt sich feststellen, dass im Bereich der Montagearbeit auch für relativ vielseitige, besser qualifizierte Tätigkeiten kaum höhere Löhne gezahlt werden. Diese Außerkraftsetzung gemeinhin als gültig angenommener Zusammenhänge von Angebot und Nachfrage bei der Lohnfindung hat ihre Ursache in der starken geschlechtlichen und ethnischen Segmentierung von Arbeitsmärkten und Belegschaften im Kontext der massenhaften Arbeitsmigration vor allem weiblicher Arbeitskräfte. In China, insbesondere in der PRD-Region, bestehen die Belegschaften überwiegend aus ArbeitsmigrantInnen, die im großen Stil durch staatliche und private Arbeitsagenturen aus weit entfernt liegenden armen Provinzen Innerchinas rekrutiert werden. In Südchina sind diese Arbeitskräfte fast ausschließlich in Fabrikwohnheimen untergebracht, die zumeist vergleichsweise gute Standards bieten. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/06 Die Langfassung dieses Textes ist im Heft 1/06 der WSI-Mitteilungen mit dem Schwerpunkt: »Weltmarkt und Gewerkschaftsarbeit« erschienen. Boy Lüthje ist Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung Frankfurt/Main und Gastwissenschaftler am East-West Center, Honolulu, Hawaii; seine Arbeitsschwerpunkte sind: Transnationale Produktion, Innovation und industrielle Beziehungen (Ostasien und USA). Die Literaturliste ist über die Redaktion zu beziehen oder in der Langfassung dieses Textes nachzulesen. Das Heft ist zu beziehen über die Hans-Böckler-Stiftung und kostet 7,50 Euro. |