Home > Internationales > Chile > Arbeitsbedingungen > apfelernte
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Ihr solltet bloß wissen, was für einen Mist Ihr da esst!

Lieben Sie Granny Smith? Sie wissen doch, diese quietschgrüne Apfelsorte aus der « kräftig zubeißen »-Zahnpastawerbung. Schmeckt ein bisschen nach Pestizid, sieht aber schön aus und ist billig. Wird ja auch billig produziert. Die meisten dieser mit Pflanzenschutzmitteln angereicherten «Grannies» kommen, wie 80% der bundesdeutschen Importfrüchte, aus Chile, einem der Länder mit der weltweit höchsten Obstproduktion: 35.000 Hektar dienen dem überwiegend exportorientierten Obstanbau. So gehen pro Jahr 500.000 Tonnen Äpfel ins Ausland, davon 40% nach Europa.

Einige Saisonarbeiterinnen aus der Obst- und Gemüseregion südlich von Santiago haben es satt, sich in den Apfelplantagen und Traubenpflanzungen wie Sklaven ausbeuten zu lassen. Sie haben sich zu der informellen, kämpferischen Gruppe « Trabajadas temporeras de la Region 6 » zusammengeschlossen, um bessere Arbeitsbedingungen für sich zu erkämpfen. Die Frauen geben auch ein Infoblatt für SaisonarbeiterInnen heraus: El Micro, benannt nach dem Minibus, mit dem viele von ihnen zur Arbeit fahren.

Rosa, Christina und Amparo aus dieser Gruppe, die seit vielen Jahren in der Feld- und Erntearbeit tätig sind und, haben uns von ihren Problemen und Kämpfen erzählt.

« Wir wissen nicht mal genau, für wen wir arbeiten », empört sich Rosa. Multinationale Obstfirmen wie Dole, Del Monte, Unifrutti - denen inzwischen so ziemlich der gesamte Grund und Boden der Obstanbau-Regionen gehört - beauftragen Subunternehmer, SaisonarbeiterInnen für die Ernte zu rekrutieren. « Und die hängen einfach Plakate auf: Erntearbeiter gesucht ! Mit einer Telefonnummer. Kein Firmenname, nichts », ergänzt Christina. « Zu den Bewerbungsgesprächen wird man mit dem LKW abgeholt. Sie finden oft 20 km weit entfernt vom Wohnort statt. Meist erfährt erst dort, wie die jeweilige Arbeit entlohnt wird. Wenn man damit nicht zufrieden ist, muss man zu Fuß zurück nach Hause gehen! »

Weniger als fünfzig Prozent der Erntearbeiterinnen erhalten einen Arbeitsvertrag. Der offizielle Mindestlohn beträgt 127 000 chilenische Pesos, also ca. 200 Euro pro Monat.

Doch davon kommen die ArbeiterInnen kaum über den Monat: Eine durchschnittliche Wohnungsmiete liegt etwa bei 70.000 Pesos. Eine Gasflasche, wie sie zum Kochen benötigt wird, kostet 10.000 Pesos. Ein Busticket liegt bei 350, ein Kilo Brot bei 480 Pesos.

Üblich ist es, die Arbeiter nach Leistung, also im Akkord zu entlohnen, dazu kommt ein minimaler Stundensatz und je nach Einsatzgebiet Sondervereinbarungen. Gelegentlich werden Beiträge für Kranken- und Rentenversicherung einbehalten. Verträge sind meist temporär oder aufgabengebunden. Die « feina de terminar »-Verträge gelten für das Abernten der Früchte oder des Gemüses auf einem Hektar Land oder für andere zeitgebundene Tätigkeiten, die der Arbeitgeber gerade benötigt. « Aber meistens müssen die ArbeiterInnen so ziemlich jeden Lohn akzeptieren, besonders im Winter, wenn die Arbeit knapp ist. »

« Wir arbeiten 12 bis 16 Stunden am Tag », ergänzt Amparo. Die extrem lange Arbeitszeit führt zu gesundheitlichen Problemen, etwa Schwierigkeiten mit der Wirbelsäule, besonders Bandscheibenvorfälle. Auch Hitzschläge sind durch die ungeschützte Arbeit in der prallen Sonne häufig. Außerdem bringen die vielen Arbeitsstunden auch ziemliche Probleme für das Familienleben mit sich. Wenn die Frauen alleinerziehend sind oder die Männer ebenfalls arbeiten oder sich - was oft der Fall ist - nicht um den Nachwuchs kümmern, sind die Kinder unbeaufsichtigt und hängen vor dem Fernseher oder auf der Straße herum. Im Februar und März - Hochsaison für chilenische Erntearbeiter - gibt es zwar während einiger Stunden am Tag eine Sommerschule für die Kinder von Erntearbeitern. Aber das genügt nicht. Viele « Temporadas » arbeiten das ganze Jahr über. Und bei der Tomatenernte etwa müssen die Kinder mit aufs Feld: Die ganze Familie arbeitet dann bei der Tomatenernte mit ». Anders als die von uns befragten Frauen kehren die Familien, die auf den Tomatenfeldern arbeiten, abends nach der Arbeit nicht nach Hause zurück sondern hausen in Baracken in der Nähe der Felder.

Wie läuft der eigentliche Arbeitstag der Erntehelferinnen ab, gibt es geregelte Pausen? « Wir machen ab und zu eine kurze Pause, wenn wir mit dem Abernten einer Reihe von Weinstöcken fertig sind », erzählt Christina. «Unser Vorarbeiter ist ganz nett. Aber das ist eher selten... und hängt vom guten Willen des jeweiligen Chefs ab.»

Auf den Feldern gibt es keine sanitären Anlagen, keine Tische oder ähnliches für mitgebrachtes Essen. «Wir leben wie Tiere!» entrüstet sich Rosa. «Und wenn der Hubschrauber mit den Pestiziden kommt, werden wir vorher nicht informiert. Manchmal bringt man die Kühe vorher weg, die in den Plantagen weiden, damit die keinen Schaden nehmen. Aber wir ArbeiterInnen können höchstens ein bisschen zur Seite gehen, und kaum ist der Hubschrauber weg, müssen wir weiter arbeiten! »

Mindestens 60 % der SaisonarbeiterInnen sind Frauen. Oft werden junge und hübsche Frauen bevorzugt eingestellt,weil sich die Vorarbeiter erhoffen, mit ihnen anbändeln zu können. Sexuelle Belästigung ist an der Tagesordnung. « Ich habe einen Job deshalb verloren», sagt Christina. « Und ich musste mir einen Vorarbeiter mit gezielten Tritten vom Leib gehalten», ergänzt Amparo.

Mutterschutz gibt es in der Praxis überhaupt nicht. Oft gehen schwangere Arbeiterinnen bis wenige Tage vor der Niederkunft noch auf die Plantage arbeiten - weil sie das Geld brauchen, und weil sie Angst haben, den Job zu verlieren. Auffällig oft kommt es zu Fehlgeburten, immer wieder kommen missgebildete oder kranke Kinder von Erntearbeiterinnen zur Welt. Natürlich glauben viele, dass die Pestizidverwendung in den Pflanzungen damit zusammenhängt. Statistiken darüber gibt es aber nicht. Eine Ärztin,die sich bemüht hat, den Ursachen für die anscheinend erhöhte Säuglingssterblichkeit auf die Spur zu kommen, verließ urplötzlich die Region, und keine ArbeiterIn hat je wieder von ihr gehört.

Stellen die Arbeitgeber Arbeitskleidung, Handschuhe oder Schutzmasken gegen die Pestiziddämpfe zur Verfügung? «Leider Fehlanzeige», stellt Amparo fest. «Wir haben Schutzkleidung bekommen, nachdem wir ganz schön lange dafür gekämpft haben», ergänzt Christina.

Wie kommt es eigentlich, dass die Frauen keine «richtige» Gewerkschaft gründen wollen? Wer offen als Gewerkschafter auftritt, riskiert den Job, und die Subunternehmer führen «schwarze Listen». Wer auf einer solchen Lister steht, hat es verdammt schwer, anderswo je wieder einen Job bei der Obsternte zu bekommen. Christina hat trotzdem jahrelang versucht, gewerkschaftliche Gruppen zu gründen und zu mobilisieren. Bis sie Morddrohungen bekam.

Was sind die Ziele der Gruppe «Trabajadas temporeras de la Region 6» ? Ganz klar : «Wir brauchen Arbeitsverträge! Wir wollen pro Arbeitsstunde bezahlt werden, und nicht nach Ertrag! Geregelte Arbeitszeiten, geregelte Pausen!» erklärt Amparo. «Der Umgang mit Pestiziden muss radikal verändert werden. Außerdem brauchen wir sanitäre Anlagen und Orte, an dem wir unser mitgebrachtes Essen verzehren können!» fordert Rosa. «Unsere Kinder sollen nicht mehr unbeaufsicht herumhängen!» unterstreicht Amparo. «Menschenwürdige Löhne. Auch, damit wir den Kindern eine Ausbildung bezahlen können », ergänzt Christina. Das ist in Chile, wo das weiterführende Schul- und Universitätssystem nahezu vollständig privatisiert sind, eine extrem teure Angelegenheit, und viele Familien verstricken sich in Schulden und nehmen immer neue Wucher-Kredite auf, um diese zu bezahlen.

Noch am gleichen Abend, an dem unser Gespräch mit den den « temporadas » stattfindet, haben die Frauen ein Treffen mit Gewerkschaftern aus der Region, unter anderem Bergarbeitern, organisiert, um die Netzwerkarbeit kämpferischen Gruppen voranzutreiben.

Was erwarten die Erntearbeiterinnen von den Menschen in Europa? Ein Unterstützungskomitee wäre nicht schlecht. So ähnlich, wie es auch Kampagnen für fair hergestellte Kleidung gibt. «Aber zuallererst solltet Ihr in Europa mal wissen, was ihr für einen Mist esst », findet Christina : «Zum Beispiel : In den Scheunen, in denen die Tomaten püriert werden, gibt es Ratten. Deshalb werden die Tomaten mit Rattengift behandelt. Und Ihr esst dann Tomatenmark mit Rattengift!»

Guten Appetit, Europa.

André Alegre und Katharina Müller, 14. Mai 2006

Die Namen der Erntearbeiterinnen haben wir auf deren Wunsch geändert


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang