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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ein bisschen Frieden

Fünf Jahre nach dem Putsch ist die Lage in der Côte d'Ivoire immer noch instabil.

Artikel von Bettina Engels*

Vor fünf Jahren putschten ehemalige Militärs in der Côte d'Ivoire. Seitdem ist das Land geteilt: Die ehemaligen Rebellen beherrschen den Norden, Präsident Laurent Gbagbo den Süden. Seit dem jüngsten Abkommen vom März 2007 gibt es erste Fortschritte im Friedensprozess.

"Der Krieg ist vorbei!" verkündet der ivorische Staatspräsident Laurent Gbagbo am 30. Juli 2007 vor 25.000 Menschen im Stadion in Bouaké. Gemeinsam mit Ex-Rebellenchef Guillaume Soro verbrennt er Waffen in der Sportarena. Es ist der erste Besuch Gbagbos im Norden der Côte d'Ivoire seit dem Putschversuch der von Soro geführten Rebellen der Forces Nouvelles vor fünf Jahren. Die Zeremonie mit dem Titel "Flamme für den Frieden" ist ein wichtiges Symbol für das westafrikanische Krisenland. Der Termin für die Präsidentschaftswahlen wird jedoch auf Oktober 2008 verschoben.

Geteiltes Land

In der Nacht vom 18. auf den 19. September 2002 greifen mehrere Hundert Armeeangehörige drei zentrale Standorte in der Côte d'Ivoire an: Korhogo im Norden, Bouaké im Zentrum und Abidjan im Süden. Sie nehmen Korhogo und Bouaké ein, in Abidjan scheitern sie. Anfangs glaubt Präsident Lauren Gbagbo, die Rebellion in wenigen Tagen niederschlagen zu können, doch er täuscht sich: Die Putschisten bringen die Nordhälfte des Landes unter ihre Kontrolle. Vier Wochen nach dem Staatsstreich rufen sie einen einseitigen Waffenstillstand aus. Gbagbo akzeptiert, und damit wird stillschweigend die Teilung der Côte d'Ivoire beschlossen. Seither kontrollieren die Rebellen der Forces Nouvelles (Neue Kräfte) unter der Führung von Guillaume Soro den Norden, der Präsident den Süden des Landes. Dazwischen verläuft eine "Vertrauenszone", militärisch gesichert von Tausenden internationaler Soldaten unter französischem und UN-Kommando.

Der Putsch kommt wenig überraschend. Das Land befindet sich seit langem in einer wirtschaftlichen und politischen Krise: Machtkämpfe der politischen Eliten, weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit, Verfall der Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao, wirtschaftliche Liberalisierung und Strukturanpassung.

Über 30 Jahre lang steht Felix Houphouët Boigny, genannt "der Alte", an der Spitze der ehemaligen französischen Kolonie in Westafrika: von ihrer Unabhängigkeit 1960 bis zu seinem Tod 1993. Als er stirbt, beginnen die Kämpfe um seine Nachfolge. Kommissarisch übernimmt Henri Konan Bédié die Führung der Regierungsgeschäfte. Zwei Kandidaten haben gute Chancen, ihn bei den Wahlen zu schlagen: Oppositionsführer Laurent Gbagbo und Premierminister Alassane Ouattara. Bédié und Gbagbo sind zwar erbitterte Gegner, in einem Punkt sind sich der Interimspräsident und der Oppositionschef jedoch einig: Beide wollen ihren Konkurrenten Ouattara auszuschalten.

Bédié lanciert dazu die Politik der Ivoirité . Übersetzt das "rein Ivorisch sein", bestimmt es nach ethnischer und regionaler Herkunft, wer "echter" und wer "unechter" Ivorer ist. 1994 wird das Wahlrecht dahingehend geändert, dass nur noch "echte" IvorerInnen kandidieren dürfen: Wer bei den Präsidentschaftswahlen antreten will, muss nachweisen können, dass er selbst, sein Vater und seine Mutter in der Côte d'Ivoire geboren sind und er die ivorische Staatsbürgerschaft nie abgegeben hat. Alassane Ouattara wird daraufhin bei den Präsidentschaftswahlen 1995 als Kandidat nicht zugelassen. Er ist im benachbarten Burkina Faso aufgewachsen und gilt als "unechter" Ivorer.

Außer ihm betrifft die Ivoirité gut vier Millionen Menschen im Land. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung in der Côte d'Ivoire sind MigrantInnen bzw. deren Kinder und Enkel. In den ersten 30 Jahren nach der Unabhängigkeit haben sie weitgehende Rechte. Aufenthaltserlaubnis und Staatsbürgerschaft sind einfach und kostengünstig zu bekommen, die doppelte Staatsbürgerschaft ist weit verbreitet.

Vom Wunder in die Krise

Unter Houphouët werden ArbeitsmigrantInnen gezielt angeworben, vor allem aus den armen Sahelstaaten. In den 1970er und 1980er Jahren erlebt die Côte d'Ivoire ein regelrechtes Wirtschaftswunder. Arbeitskräfte werden vor allem in der Landwirtschaft dringend gebraucht. Kakao und Kaffee haben die Côte d'Ivoire, den weltweit größten Kakaoproduzenten, zum reichsten Land Westafrikas gemacht. Ende der 1980er Jahre fällt der Weltmarktpreis für Kakao. Das Land ist insolvent. Unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme wird der Kakaosektor liberalisiert. Die Kasse zur Stabilisierung der Kakaopreise, die den ProduzentInnen feste Abnahmepreise garantiert, wird Anfang 1999 abgeschafft. Erstmals seit 1955 sind die KakaoproduzentInnen direkt dem Weltmarktpreis ausgesetzt.

Am Weihnachtstag 1999 putschen Teile der Armee, stürzen Bédié und setzen an seiner Stelle den ehemaligen Armeechef Robert Guéi als Präsidenten ein.

Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2000 werden Ouattara und Bédié nicht als Kandidaten zugelassen - Guéi hat kurz zuvor eine weitere Verschärfung des Ivoirité-Wahlrechts eingeführt. Als sich abzeichnet, dass Laurent Gbagbo die Wahl gewinnen wird, lässt Guéi die Auszählung der Stimmen stoppen, den Vorsitzenden der Wahlkommission inhaftieren und ernennt sich selbst zum Präsidenten. Hunderttausende folgen dem Aufruf Gbagbos und marschieren vor den Präsidentenpalast. Die Proteste, bei denen es über 20 Tote gibt, zwingen Guéi zur Flucht. Die Wahlkommission setzt die Auszählung fort und erklärt Gbagbo zum Sieger.

Wieder gibt es Massenproteste: Diesmal von AnhängerInnen Ouattaras, die Neuwahlen unter dessen Beteiligung fordern. Fast 200 Menschen sterben bei den Zusammenstößen. Gerichtshof und Wahlkommission bleiben bei ihren Entscheidungen, Gbagbos Gegner fliehen ins Exil, die meisten von ihnen ins benachbarte Burkina Faso.

Putsch aus dem Exil

In dessen Hauptstadt Ouagadougou sind es vor allem ehemalige Militärs, die sich zum Mouvement Patriotique de Côte d'Ivoire (MPCI) zusammenschließen und den Sturz des Präsidenten Gbagbo planen. Zwei Monate nach dem Putsch vom 19. September 2002 tauchen im Westen des Landes zwei weitere bewaffnete Gruppen auf. Zu ihnen gehören Einheiten, die schon in den langjährigen Kriegen in Liberia und Sierra Leone gekämpft haben. Anfang 2003 schließen sich die drei Rebellengruppen offiziell zu den Forces Nouvelles de Côte d'Ivoire zusammen. Das MPCI unter Führung von Guillaume Soro erhofft sich von dieser strategischen Allianz mehr Kontrolle über die Truppen im Westen und Zugang zu dem wichtigen Hafen von San Pedro im Südwesten des Landes. Er spielt für den Export von Kaffee und Kakao, aber auch von Tropenholz aus Liberia und Sierra Leone eine wichtige Rolle.

Der Krieg in der Côte d'Ivoire dauert nur kurz, der Friedensprozess dafür umso länger. Auf Druck der früheren Kolonialmacht Frankreich wird im Januar 2003, vier Monate nach dem Putsch, das erste Friedensabkommen unterzeichnet. Gekämpft wird trotzdem noch. Es folgen weitere Abkommen: 2004 im ghanaischen Accra, 2005 im südafrikanischen Pretoria. Dort werden die vollständige Entwaffnung der Rebellen und Milizen und Wahlen für Oktober des gleichen Jahres vereinbart. Sechs Wochen vor dem angesetzten Wahltermin kündigt UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Verschiebung um ein Jahr an. Die organisatorischen Schwierigkeiten sind zu groß, die politischen Konflikte nicht gelöst, die Entwaffnung hat nicht einmal begonnen.

Das Gleiche wiederholt sich im Jahr darauf: Der Wahltermin wird verschoben, Gbagbo bleibt Präsident qua Mandat des UN-Sicherheitsrates. Anfang März 2007 schließlich unterschreiben Guillaume Soro und Laurent Gbagbo in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou das jüngste und bislang aussichtsreichste Abkommen. Es ist das vierte Friedensabkommen in fünf Jahren. Soro avanciert vom Rebellenchef zum Ministerpräsidenten der neuen Übergangsregierung.

Insgesamt entspannt sich die Lage in der Côte d'Ivoire nach dem Abkommen von Ouagadougou, es gibt Anzeichen für erste Fortschritte im Friedensprozess. Die symbolische Waffenverbrennung in Bouaké ist eines davon.

Drei Millionen Papierlose

In beiden Lagern herrscht allerdings keine ungeteilte Zustimmung zu der neuen Einigkeit zwischen Gbagbo und Soro. Letzter entgeht im Juni 2007 nur knapp einem Anschlag. Viele BeobachterInnen vermuten die Täter im eigenen Lager, in dem sich nicht wenige von ihrem Chef und neuen Premierminister Soro verraten fühlen. Auch in den Reihen der Gbagbo-treuen Milizen gibt es viele, die weiter kämpfen wollen. Insgesamt sollen über 40.000 Kämpfer aus beiden Lagern ihre Waffen abgegeben und ins zivile Leben zurückkehren.

Die letzten Präsidentschaftswahlen in der Côte d'Ivoire liegen sieben Jahre zurück. Der schon zweimal verschobene Wahltermin ist derzeit für Oktober 2008 angesetzt. Bis dahin bleibt allerdings viel zu tun. Aufgrund der Ivoirité -Gesetzgebung besitzen derzeit mehr als drei der knapp 19 Millionen EinwohnerInnen des Landes keine gültigen Papiere. Die meisten von ihnen leben im von den Forces Nouvelles beherrschten Norden. Ob und welche Papiere sie bekommen, ist ein entscheidender Faktor im Kräfteverhältnis zwischen Gbagbo und Soro.

Auch ist nicht klar, ob die beiden Protagonisten als Kandidaten bei den Wahlen antreten dürfen. Das westafrikanische Forum der Zivilgesellschaft , ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen aus den ECOWAS-Staaten, schlägt das Modell vor, das bei den ersten Nachkriegs-Wahlen in Liberia praktiziert wurde: Wer in der Übergangsregierung vertreten ist, darf bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht kandidieren. Das würde Guillaume Soro ausschließen, aber auch Laurent Gbagbo, wenn er Präsident der Übergangsregierung bleiben will. Dass beide freiwillig auf das höchste Staatsamt verzichten, ist unwahrscheinlich.

Bettina Engels ist Politikwissenschaftlerin und promoviert an der FU Berlin.


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