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Die Krise der Renten-Fonds in Chile

Claudio Lara und Cristián Candia

 

Zur Zeit der Militärdiktatur in Chile trat das Gesetz 3500 im Mai 1981 in Kraft, welches ohne vorherige Absprache mit den Arbeitnehmer oder der Bevölkerung ein neues obligatorisches Rentensystem etablierte. Dieses System basiert auf der individuellen Kapitalbildung definierter Beiträge (Umwandlung einer Rente in einen einmaligen Kapitalbetrag, d.R.). Die Verwaltung der Fonds obliegt untereinander konkurrierenden Aktiengesellschaften, die im folgenden kurz AFP (Renten-Fonds-Verwalter) genannt werden. Das neue System basiert auf folgenden Elementen:

 

Das Rentensystem während der vergangenen Jahre: Prinzipielle Probleme

1996 proklamierte die höchste Autorität der obersten Rentenverwaltung, dass dies seit nunmehr 15 Jahren bewährte System der privatisierten und individualisierten Altersvorsorge als Vorbild für Lateinamerika, die USA und Osteuropa dient. Zwar wird hinzugefügt, dass "wir die Rechnung in 15 bis 20 Jahren haben werden, wenn die ersten offiziellen Pensionäre dieses Systems existieren"..."aber, man sagt positive Ergebnisse voraus und wir sind optimistisch".

Nicht alle teilen diesen Optimismus. Laut einer diesjährigen Umfrage des Zentrums für zeitgenössische Studien (CERC) sagten 44 % der Anleger, sie hätten wenig und 10 %, sie hätten gar kein Vertrauen in die Verwaltung der Rentenfonds, auch wenn alle regulär einzahlten. Eine andere Studie, publiziert 1998 vom Programm der Vereinten Nationen für Entwicklung (PNUD), zeigte auf, dass 7 von 10 Befragten schätzen, dass ihre zukünftige Pension ihre Grundbedürfnisse während des Alters kaum oder gar nicht befriedigen könne. In der Praxis hat das Rentensystem bereits fast 20 Jahre lang funktioniert. Zeit genug, um die vorhandenen Probleme zu beobachten. In dieser Arbeit heben wir nur die wichtigsten hervor:

Einer der elementaren Momente, in denen sich das Vertrauen einer Probe unterziehen muss, ist, wenn die monatliche Rentabilität des Fonds bekannt wird, ein wichtiges Faktum in der Bestimmung der Höhe der Renten. Während des Jahres 1998 z.B. betrug die Rentabilität –1,1, was von AFP zu AFP unterschiedliche Werte beinhaltet. Eine negative Rentabilität zu haben bedeutet schlicht und einfach, Geld zu verlieren. Zwischen 1995 und 1998 war dies das 2. Mal, in dem sich eine negative Rentabilität gezeigt hat, ebenso wie 1995, als etwas ähnliches passiert ist, mit einem ungünstigen Ergebnis von 2,5 %. In einem Blick auf all diese Jahre stellt man auch eine schwache Pflichterfüllung fest: eine durchschnittliche Jahres-Rentabilität von realen 1,15 %. Dennoch erreichte der Fonds 1999 eine bedeutsame Rentabilität (16,3%), die vor allem durch Verkauf von Aktiva einiger Unternehmen zustande kam. Aber im Jahr 2000 hatten die Pensionsfonds nur eine reale Rentabilität von 4,4%.

Diese niedrige Rentabilität bedeutet, dass alle Einzahler die Möglichkeit verloren haben, andere, im Vergleich zu den AFPs viel höhere Erträge versprechende Instrumente des Finanzsystems zu nutzen. Eine Liste nach Rentabilität von Anlagen oder von Investitionen, die die Fachpresse (Diario Estrategia 12.01.01) erstellt hatte, platzierte die AFP auf den achten Platz im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten, unter anderem eine Sparanlage, die in einer Anlagefrist von 90 Tagen als Festgeld eine jährliche Rendite von 5,41% abwarf. Das heißt, wenn der Fonds nur mit Festgeldern (den Instrumenten der Fixrente) operiert hätte, hätte dies insgesamt 23% mehr abgeworfen als durch die Verwaltung der Fonds durch die AFP. Einige Studien zeigen, dass ein höherer oder niedrigerer Prozentpunkt an Rendite eine um ungefähr 17% höhere (oder niedrigere) Rente für eine Person, die 20 Jahre bis zum Zeitpunkt der Verrentung eingezahlt hat, bedeutet. Aber wie man weiß, haben die Mitglieder nicht die "Freiheit", sich die Instrumente und Mittel auszuwählen, in denen die Verwaltungen der Fonds "ihre" Ansparungen investieren.

Obwohl die Mitgliederzahl im privaten Rentensystem einen konstanten Anstieg verzeichnet, hat sich die Wachstumsrate seit 1995 dramatisch verringert. An dieser Mitgliedschaftssteigerung kristallisiert sich ein anderer kritischer Aspekt des chilenischen Rentensystems heraus: Die Verringerung der regulären Einzahler in Relation zu den Mitgliedern. Diese wachsende Kluft zwischen der Mitgliederzahl und der Anzahl der Einzahler erklärt sich einfach durch die dramatische Abnahme einzahlender Mitglieder. Im Oktober 2000 zählte der Fonds 6,27 Millionen Mitglieder, von denen nur 2,68 Mitglieder regulär einzahlten. In Prozenten ausgedrückt: nur 42,7% der Mitglieder sind zu einer effektiven Zahlung durch das Rentensystem berechtigt. Das heißt, es existieren 3,6 Millionen Arbeitnehmer, denen nicht regulär gezahlt werden wird; sie werden das Minimum von 240 monatlichen Einzahlungen, die verlangt werden, um eine Minimalrente zu bekommen, nicht erreichen.

Diese niedrige Zahlung führt zu berechtigter Sorge über die Zukunft der Renten aller Rentennehmer im privaten System. Dem schon zitierten Bericht von PNUD zufolge werden zwischen 30% und 40% der Mitglieder (zwischen 1,7 und 2 Mio. Menschen) nicht das notwendige Einkommen erreichen, um ihre Mindestrente erzielen zu können. Sicherlich greift diese Einschätzung noch zu kurz, wenn wir das fortschreitende Ansteigen von nichtzahlenden Mitgliedern seit exakt 1995 berücksichtigen, d.h. von 2.358.000 auf 3.163.000 Arbeitnehmer. Dieser enorm große Anteil der chilenischen Bevölkerung, der sich zur Zeit am Rande sozialer Sicherheit befindet, badet die hausgemachten Risiken des privaten Rentensystems völlig wehrlos aus.

Die meisten Chilenen zweifeln nicht daran, dass die hohen Arbeitslosenzahlen (über 9%) und die zunehmende Unsicherheit der Beschäftigungsverhältnisse - die Grundlagen des Erfolgs des ökonomischen Modells, die heute durch die Rezession verschärft werden - in letzter Instanz die schweren Defizite in der Rentendeckung verursachen, und sich in die "Achillesferse" des Systems verwandeln. Sowohl in der Asociacion wie in der Zentralverwaltung der AFP fährt man fort von hohen Einkommen der Arbeitnehmer, stabilen Beschäftigungsverhältnissen und einer nichtirritierbaren Zahlungsdisziplin auszugehen; denn die regelmäßige Zahlung liegt in der individuellen Verantwortung jedes Einzelnen. Doch scheint alles darauf hinauszulaufen, dass in Zukunft das private Rentensystem weder mehr als der Hälfte der chilenischen Arbeiternehmer versichern noch das Recht auf eine Mindestrente einlösen wird.

Wie wir am Anfang feststellten, macht die obligatorische Renteneinzahlung der Arbeitnehmer 13% ihrer Bruttovergütung aus. Doch nur 10% dieser Einnahmen gehen in den individuellen Kapitalfonds. Ungefähr 1% davon wird genutzt, um Versicherungen abzuschliessen und annähernd 2% gehen an die AFP für die Verwaltungskosten. Einige Studien schätzen, dass die reale Kommission der AFP für die Rentenfonds im Zeitraum von 1981-1999 27,4% betrug mit einer Abnahme des gesamten Fonds um 4.441 Millionen US-Dollars.

Für den einzelnen Arbeitnehmer bedeutet das einen Prozentsatz in Höhe von 18% seines Rentenbeitrags, der an seine AFP geht. Im Vergleich mit anderen Kapitalmarktinvestitionsformen ist das skandalös kostspielig. Am Beispiel wird es deutlich: Eine typische Kommissionsgröße eines gängigen Fonds liegt bei 0,6% der eingezahlten Summe, d.h. 30 mal weniger als die Kommission, die die AFP verlangt. Wenn wir das chilenische System nun mit einem ausländischen Fonds wie dem Central Provident Fund, der seit 1957 die Renten der Angestellten Singapurs verwaltet, so stellen wir fest, dass die AFP eine 10-mal höhere Kommission abkassieren.

Diese Situation wirkt sich direkt auf die Rentabilität des Rentenfonds aus. Die offiziellen Organe und die Verbände der AFP verkünden "fröhlich" eine Rentabilität von 11,2% im Jahresdurchschnitt für die Zeit von 1982-1999. Diese Ziffer ist korrekt, wenn man sie mit den 10%, die die Arbeitnehmer in den Fond einbringen vergleicht. Doch die Analyse die gemacht werden muss, um die reale effektive Rentabilität zu kennen, muss die gesamten 13%, die die Arbeitnehmer einzahlen, einbeziehen. Neue Studien, die diese Methode benutzen, zeigen, dass die interne jährliche Auszahlungsrate bei nur 6,38% liegt. Das ist nur fast die Hälfte von dem, was die Propagandisten dieses Systems mit viel Pomp anpreisen.

Zudem muss gezeigt werden, dass unter den Arbeitern, die nicht als Beitragszahler erscheinen sich diejenigen Mitglieder befinden, denen ihre Arbeitgeber (Unternehmen, Gemeinden, etc.) legal die Rentenbeiträge vom Lohn abhalten, diese aber nicht in die AFP einzahlen. In den letzten Jahren hat sich zum Großteil wegen der rezessiven Krisensituation, die die chilenische Ökonomie durchlebte, dieses Problem der vorläufigen Zahlungssäumnis durch eine signifikante Anzahl von Unternehmern erhöht. Um nur einige illustrative Fälle zu nennen: Allein die vorübergehende Zahlungssäumnisse der chilenischen Profi-Fußballvereine und deren Spieler wird für die Zeit von 1995-96 auf 12.300.000 US-Dollar geschätzt. Und um ein anderes Beispiel zu geben: Allein eine einzige Gemeinde der metropolitanen Region, die Gemeinde San Miguel, hat vorrübergehende Schulden von ca. 3.500.000 US-Dollar, die 315 Lehrer und 100 Gemeindefunktionäre im Bildungsbereich betreffen. Der Ursprung dieser Schulden wurzelt darin, dass die aktuelle Rechtssprechung es den Arbeitgebern erlaubt, nur die Höhe der Zahlungen anzugeben, die Anteile aber später zu bezahlen. In der Praxis heißt dies, dass die Unternehmen über eine "Finanzreserve" verfügen, die die Arbeitnehmer mit ihren Abzügen (13% des Lohnes eines jeden Arbeiters) füllen. Nur im Falle der Entlassung muss der Arbeitgeber die gesamten Einzahlungen des Arbeiters an die AFP übergeben haben. Diese Regelung wurde aber auch erst in den 90er Jahren eingeführt. Vorher hatten die Unternehmer die absolute Verfügungsgewalt und haben Arbeiter entlassen, obwohl sie mit ihnen noch Schulden bei den AFP hatten.

Heute schätzt man die fehlenden Zahlungen allein im Bereich der AFP auf 240 Millionen US-Dollar. Es wird geschätzt, dass deswegen über 200.000 Klagen anhängig sind. Diese überlasten die Arbeitsgerichte so, dass sie sich kaum den Fragen des Arbeitsrecht widmen können. Und dennoch: Angesichts dieser Tatsachen, die die Arbeitnehmer benachteiligen, hat sich die Regierung der Concertación entschlossen, die gegenwärtige Verfahrensweise beizubehalten. Die staatliche Superintendencia der AFP hat trotz der Verpflichtung zu überwachen und zu kontrollieren, weder eingegriffen noch Empfehlungen zur Unterbindung dieser Delikte, die sich ist Einführung dieses Systems beständig begangen werden, unternommen.

Der größte Schaden besteht für die Arbeitnehmer darin, dass ihre Ersparnisse verringert werden und folglich weniger Geld für ihre Rente zur Verfügung steht. Die beschriebene Situation weist alarmierende Kennzeichen auf, die auf eine Krise des durch die Diktatur Pinochets autoritär eingeführten privaten Vorsorgesystems hinweisen. Für alle Mitglieder ist es offensichtlich, dass ein System, welches in den letzten Jahren einen so hohen Grad von sozialer Exklusion hervorgerufen hat, das Verluste oder geringe Gewinne zu verzeichnen hat und das von ihnen das Bezahlen hoher Beiträge verlangt, sich in einer tiefen Krise befindet. Folglich steigt die Frage auf, ob dieses System in der Lage sein wird, sein aktuelles Deckungsniveau zu verbessern. Denn wenn dies nicht der Fall ist, könnte es die Hälfte der Arbeitskraft des Landes zu dem denkbar schlechtsten Nicht-Schutz oder zu einer staatlichen Mindestrente, die nur das reine Überleben in der Armut sichern könnte, verurteilen. Unglücklicherweise weisen die Prognosen mittlerer Reichweite, die von niedrigen Löhnen, hohen Arbeitslosenraten, prekären Beschäftigungen und von geringeren Wirtschaftswachstumsraten sowie einer systematischen Erhöhung der ökonomisch passiven Bevölkerung ausgehen, drauf hin, dass es keine größeren Veränderungen geben wird.

Es ist möglich, dass die Rentabilitätsraten sich mittel- und langfristig verbessern können, aber es ist nahezu unmöglich, dass sie das Niveau von vor 1995 erreichen. Davon gehen selbst die privaten Rentenunternehmen nicht aus. Verbesserungen hingen von den Resultaten ab, die sich auf Grund von möglichen Reformen, die zum Teil bereits seit Jahren im Kongress liegen, einstellen könnten. Diese Reformen ruhen sich zum Großteil auf dem Vertrauen in den Markt aus, ohne jedoch auch nur zu erwähnen, dass es sich um einen oligopolen Markt handelt. So konzentrierten alle in die vier größten AFP im Oktober 2000 86,3% der Mitglieder auf sich. Die restlichen 13,7% verteilen sich auf die vier kleineren AFP. Und es ist gut möglich, dass es auf diesem Markt weitere Fusionen geben wird, wobei die größeren die kleineren AFP schlucken. Der Konzentrationsprozess setzte bereits in den 90er Jahren ein, als es noch 16 AFP gab. Neben diesen wenigen Akteuren gibt es einen gebundenen Markt, der durch die Arbeiter entsteht, die per Gesetz gezwungen sind, diese Dienstleistung zu kaufen. Das Wichtigste aber ist das Vertrauen in das Recht jedes einzelnen Menschen auf eine würdige Rente und das Recht der Teilnahme an der Verwaltung seiner eignen Rentenfonds zu haben.

 

Übersetzung: Claudia Höchst, Barbara Imholz und Olaf Kaltmeier.

Die Autoren sind Mitarbeiter des CILAS-Chile. Bei dem Text handelt es sich um die Kurzfassung einer ausführlichen Studie. Siehe auch die spanische Fassung im LabourNet Germany

Erschienen in: SOLIDARIDAD Berichte und Analysen aus Chile. 21.Jg., Nr.212, Jan-Feb. 2001; Bezug: KSHG, Frauenstr. 3-7, 48153 Muenster. Tel: 0251-41300; soli@muenster.de
Jahresabo/ 6 Ausgaben: 24,-DM


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