letzte Änderung am 14.März 2003 | |
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Die folgende Zuschrift des Kollegen Steinhäuser ist natürlich seine persönliche Sicht der Dinge - in diesem Fall der Entwicklung innerhalb der CUT.
Lieber Helmut Weiss,
mit Verwunderung las ich im Labournet die Beschreibung und Kommentierung zum Beschluss des CNM-Vorstandes vom 19. Dezember 2002. Richtig ist, dass sich die brasilianische Gewerkschaftsbewegung gerade im Wandel befindet. Richtig ist auch, dass das nicht ohne Diskussionen und Schwierigkeiten zu erreichen ist. Insbesondere innerhalb von CUT und damit auch CNM als deren Metallsektion sind in den vergangenen Jahren verschiedene Entwicklungen zu beobachten.
Ich selbst habe im Januar 2003 sowohl in Porto Alegre als später auch noch einmal in São Paulo mit dem scheidenden CNM-Vorsitzenden Guiba und auch dem neuen CNM-Vorsitzenden Fernando Lopes zu unter anderen auch diesen Fragen gesprochen. Dabei wird überaus offen dazu Stellung bezogen, dass weder CUT noch CNM homogene Vereinigungen seien, sondern demokratisch. Ziel und wesentliche Forderungen der CUT sind vor allem die Änderung der derzeitigen Gewerkschaftsstruktur, also die Überwindung der Zersplitterung und zugleich die Abschaffung der Gewerkschaftssteuer. Eine bundesweite Kampagne für die Schaffung einer Einheitsgewerkschaft ist längst auf dem Weg. Das stößt in manchen Regionen auf Widerstand, ist jedoch Beschlusslage innerhalb der CUT. Bereits 2001 wurde im CUT-Vorstand offen darüber nachgedacht, wie damit zu verfahren sei, wenn Mitgliedsgewerkschaften der CUT deren Mehrheitsbeschlüsse nicht respektieren und umsetzen. Es ist eben nicht so, dass trotz Mitgliedschaft in einem Dachverband jede lokale Gewerkschaft über die Umsetzung der CUT- oder CNM-Beschlüsse noch einmal abwägen könnte. Richtig ist, dass jede Gewerkschaft alle drei Jahre darüber abstimmen kann, ob sie überhaupt in einen Dachverband eintritt und wenn, in welchen. Ist sie aber Mitglied eines solchen Dachverbandes wie der CUT, ist sie auch an deren Statut und Beschlüsse gebunden. Das hat nichts mit "würgen" zu tun, sondern viel mehr mit Demokratie. In einer Demokratie ist es schlicht nicht möglich, dass sich alle in vollem Umfang verwirklichen können. Hier geht es um Mehrheiten, die dann aber gemeinsam umgesetzt werden. Im Übrigen gilt das auch für die IG Metall, für die ich mehrere Jahre die Kontakte nach Brasilien und einen Jugendaustausch begleiten konnte. In unseren Gesprächen in Brasilien, auch mit kritischen Betrachtern wie in Belo Horizonte (MG), wurde zu keiner Zeit bestätigt, dass Zersplitterung eine positive Errungenschaft sei. Auch in Brasilien ist bekannt, dass Gemeinsamkeit stärkt. Gerade in BH wird beklagt, dass das Lohnniveau bei einem Drittel dessen im ABC liegt. Und die Antwort ist auch bekannt: Die Kraft der Gewerkschaften unterscheidet sich. Alles richtig. Also kann die Antwort nur lauten, sich zu vereinen und gemeinsam zu agieren.
Als wir 2001 in Belo Horizonte (Minas Gerais) waren, wurde uns auch die neugegründete Metallarbeiterföderation vorgestellt. Diese entstand in Opposition zur CNM. Der CUT-Vorstand erwog bereits 2001 den Ausschluss der beteiligten Gewerkschaften. Im November 2001 fanden zwei sogenannte Bundeskongresse statt: Einer der CNM in SP und einer der neu autonomen FSDM (Federação Sindical e Democrática dos Metalúrgicos) in Campinas. Sehr schnell wurden die Unterschiede deutlich: FSDM möchte am Pluralisamus festhalten. In der Metallgewerkschaft von Belo Horizonte als einem Wortführer der FSDM führte das inzwischen dazu, dass die Mitgliederzahlen drastisch sinken, weil sich die Gewerkschaft vor allem um sich selbst und ihre Struktur, aber weniger um die Mitglieder kümmert. Im Vorstand (44 Personen) der Gewerkschaft sind alle gleichberechtigt. Es gibt keinen Vorsitzenden mehr. Das erschwert zudem Meinungsfindeungsprozesse. Außerdem erklärten mir im Januar Vertreter aus Belo Horizonte, dass jetzt offen über einen Austritt aus der CNM/CUT diskutiert werde, da sich eine solche "Zwitterposition" nicht vertreten lasse. Und damit meinten sie genau vorab Beschriebenes: Entweder Mitglied der Vereinigung mit der Anerkennung des Statuts oder bei Opposition dagegen in Form von Mißachtung Austritt (vor Ausschluss). In Belo Horizonte (BH) erscheint der Konflikt als einer zwischen Anhängern der PT- und PSTU-Parteienlager. Dabei kommen gewerkschaftliche Themen und Ansätze selten zur Diskussion.
Anbei ein Material über die Struktur der brasilianischen Gewerkschaften und auch der CUT. Diese Unterlage verwenden wir im Rahmen des Jugendaustausches zur Vorbereitung der Jugendlichen. Wir verstehen uns seit jeher als kritisch gegenüber dem Apparat. Und ebenso kritisch fragen wir auch nach - in der eigenen Organisation aber auch bei unseren Partnern in Brasilien und anderswo. Ich persönlich finde eure Darstellung sehr einseitig und vor allem unvollstädnig, da eine Bewertung der Vorgänge nicht mit "mitteleuropäischer Brille" gelingen kann. Dafür finden sich vor Ort völlig andere Verhältnisse. Auch erscheint mir generell ein Vergleich zwischen der IG Metall und brasilianischen Gewerkschaften unverhälnismäßig. Unser gemeinsames Motto lautet: Aprender junto - gemeinsam lernen! Und in diesem Prozess tauschen wir uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Mir ist keine Forderung bekannt, die IG Metall der CUT "über zu stülpen".
Mit kollegialem Gruß Thomas Steinhäuser
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