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Updated: 18.12.2012 15:51 |
10 Jahre Bauarbeiter in den USA: Rückkehr im Sarg André Luis Ferreira aus dem Städtchen Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais ist 32 Jahre alt geworden. In der Nacht zum 1.April 2005 starb der Bauarbeiter bei einem "Autounfall" an der mexikanisch-amerikanischen Grenze beim Versuch - wieder einmal - die Grenze ohne Erlaubnis zu übertreten. 1995 hatte er das erstmals gemacht, 1999 war er zu Besuch in Brasilien - und jetzt, weil seine Tante schwer krank war. Ein Gespräch mit seinem Bruder Silvio Roberto. Silvio, kennst du die genauen Umstände des Todes Deines Bruders? Nein, die kenne ich nicht, die kennt ausser den dort anwesenden niemand - und dass heist, die wird nie jemand anderes kennen. Wir gehen eigentlich davon aus, dass es eine Verfolgungsjagd gab, und dass dabei der sogenannte Autounfall stattfand, aber Beweise gibt es keine, nur Wahrscheinlichkeiten: sehr viele Berichte über solche Verfolgungsjagden. Sowohl durch die Grenpolizei der USA, als auch durch Privatinitiative im wahrsten Sinne des Wortes: Vigilanten, rassistisches Pack, das morden als Hobby betreibt. Was hat Dein Bruder in den USA gemacht? Na, das, was sie alle machen: gearbeitet wie ein Tier. Im Sommer 12 Stunden am Tag, oft jeden Tag die Woche. Das ist doch auf der ganzen Welt daselbe: freie Wahl des Wohnorts, dort eine Weile bleiben und möglichst viel Geld verdienen und dann nach Hause gehen. Auf den Baustellen wo er war, hat er mir am Handy gesagt, keine US-Bürger, nur Migranten, mit und ohne Papiere. Das sind doch alles keine Revolutionäre, keine Gewerkschafter - dass sind einfach Menschen, die meinen, sie hätten ein Recht auf das Allermindeste, was in dieser Welt gebraucht wird: Geld verdienen. Haben sie natürlich nicht, glaubt Dir aber keiner. Es ist ein Grundrecht, ein gutbürgerliches Grundrecht, das man sich nehmen muss. Und dann hat er natürlich der Familie Geld geschickt, wie alle das tun - zumindest solange sie noch an die Rückkehr glauben. André war so jemand, zumal er dort recht wenig menschliche Kontakte hatte, da ist ja eine komplexe Atmosphäre des Mißtrauens. Wenn Du sagst, Ihr habt viele Berichte über Verfolgungsjagden - wie ist das, woher, gibt es da irgendeine Organisierung? Nun ja, aus unserer Gegend arbeiten ungefähr 2.500 meist junge Leute in den USA, die Familien kennen sich oft, man tauscht sich aus - und das ist in den letzten 3-4 Jahren von einigen systematisch betrieben worden, das hat begonnen als im Jahr 2000 die ersten beiden Todesopfer zu betrauern waren - einer bei einer Polizeikontrolle erschossen, weil er in Panik fliehen wollte, der andere, auch Bauarbeiter, mitsamt dem Gerüst 4 Stockwerke gestürzt, beide innerhalb von 3 Tagen, beide in Houston. 2.500 also - wieviele davon haben Papiere? Nein, nein, das sind alle die, die keine Papiere haben. Du kannst als Brasilianer oder Brasilianerin recht leicht eine Greencard bekommen, wenn Du aus jenen Berufen kommst, die die USA brauchen und von denen bekannt ist, dass die brasilianische Ausbildung auf international hohem Level ist: das betrifft vor allem Zahnärzte und Mathematiker. Cape Kennedy sitzt voll mit brasilianischen Mathematikern. Die anderen, die billigen, die der Kapitalismus auch braucht, für die Drecksarbeiten, die müssen halt sehen, wie sie zurecht kommen. Und ich meine: Immer noch besser USA als Europa - denn in den USA kannst Du auch als sogenannter Illegaler gewerkschaftliche Rechte haben, in der EU bist Du totaler Ausschuss. Hast Du eine Ahnung, wieviele BrasilianerInnen ohne Papiere in den USA leben? Das hat keiner. Aber es gibt hier eine offizielle US-Meldung vom März 2005, daß in den zuvorliegenden sechs Monaten 10.400 Brasilianer und Brasilianerinnen in den USA ohne Papiere festgenommen worden seien und demnächst ausgewiesen werden. Wenn man jetzt erfahrungsgemäß sagt, jeder fünfte wird erwischt, dann würde das 50.000 bedeuten - im letzten halben Jahr...Ich gehe nach Miami ist hier Grundwortschatz geworden. Und wenn Du mal die Schlangen vor dem Konsulat der USA in Rio de Janeiro siehst, bekommst Du einen Eindruck davon, wie gross der Drang raus hier ist. Und es sind fast immer die USA. Wenn du das hier in Südamerika anschaust, dann ziehen die aus Bolivien und Peru hierher, und da blüht auch in Brasilien der Rassismus, die Argentinier - die laut einem alten brasilianischen Witz ja eh meinen, sie seien Europäer im Exil - ziehen nach Italien und Spanien und die Brasilianer gemeinsam mit den Mittelamerikanern eben in die USA. Wie sieht es denn mit Deutschland aus? Naja, soweit ich das beurteilen kann, recht wenig. Dunkelhäute haben bis heute oft eine instinktive Abneigung dagegen, nach Deutschland zu gehen. Und wir sind nun mal ein Totalgemisch, wenigstens 80 Prozent der BrasilianerInnen, schau André an, mein Bruder war dunkelhäutig und schau mich an, glaubt keiner dass wir Brüder sind. Das haben uns aber unsere Eltern versichert und das gibt es in Wirklichkeit oft, Geschwister mit ganz unterschiedlicher Hautfarbe. Und wie siehst du die Zukunft, was die Migration betrifft? Nun, Migration hat es immer gegeben, wird es immer geben - und auch und gerade ohne offizielle Stempel. Das ist ja ein innerer Widerspruch des Kapitalismus - suche Dein individuelles Glück in Konkurrenz zu den Anderen, das ist die Muttermilch des Systems. Und wenn die Menschen sich daran halten, werden sie gejagt - von wegen freie Wahl des Wohnorts, der Nationalstaat geht vor. Und was würdest Du sagen, wenn ich Dir jetzt entgegenhalte a) Gewerkschaften sind ein Teil des Problems und nicht der Lösung und b) das pochen auf nationale Souveränität kann potentiell immer auch heissen "Ausländer raus!"... Nun ja, beim ersten magst Du aktuell recht haben, aber es sollte anders sein. Eine internationale gemeinsame Politik der Gewerkschaften für gleiche Rechte für alle Arbeiter und Arbeiterinnen und Arbeitssuchenden - darin sehe ich die Lösung und das versuchen wir auch innerhalb der CUT zum Alltag zu machen. Mit bisher bescheidenem Erfolg, zugegeben. Beim zweiten weiss ich nicht, das müsste man mal ausführlich und gründlich diskutieren. (Gesprächsführung : Helmut Weiss) |