![]() |
|
Home > Internationales > Bolivien > mai06 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Verstaatlichung, Demagogie - und getrennte Demonstrationen Am 1. Mai verkündete Präsident Evo Morales ein Dekret, das in den diversen Erzeugnissen der Medienwirtschaft als "Verstaatlichungsdekret" gehandelt wurde - und im benachbarten Brasilien beispielsweise veröffentlichten nahezu alle grossen Zeitungen und TV-Stationen Bilder bolivianischer Soldaten vor den Toren der Petrobras-Raffinerien in Bolivien. Die bolivianische Gewerkschaftszentrale COB bezeichnete das Dekret als "demagogisch", da es in Wirklichkeit nur eine Ausführungsbestimmung zu eben jenem Gesetz 3058 sei, mit dem die radikal abgewählte frühere neoliberale Regierung den bolivianischen Energiesektor marktgerecht gestalten wollte. Vor dem Hintergrund der Versuche der Regierung, die sozialen Bewegungen des Landes und die Gewerkschaften unter ihrer Führung neu zu gruppieren gewinnen diese Kritiken neue Dimensionen - wie sie auch im Maiaufruf der Regierungspartei MAS deutlich werden, der ausgesprochen gegen den Maiaufruf des COB gerichtet war und zu getrennten Demonstrationen in La Paz führte. Eine kleine aktuelle Materialsammlung "Morales gegen COB" vom 4. Mai 2006. Morales gegen COB Wesentlicher Inhalt des Dekrets: innerhalb von sechs Monaten müssen neue Verträge ausgehandelt werden; die "Royalties" - also Abführungen an Bolivien - werden erhöht und die Regierung beansprucht die Aktienmehrheit von 67 Ölfeldern. Gesellschaften, die sich weigern, neue Verträge auszuhandeln, müssen das Land verlassen. (Nach Power and Interest News Report vom 4. Mai 2006). Dazu muss unterstrichen werden, dass nicht nur jenes allseits
bekämpfte Gesetz 3058 eben jene selben sechs Monate Frist für
neue Verträge setzte, sondern auch, dass - damals wie heute - der
Spruch des Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) vom 7. April 2005
gilt, demnach alle 78 bisherigen Veträge mit Repsol, Petrobrás,
Total, Enron, Shell, British Petroleum, Vintage und anderen ungültig
seien, weil sie gegen die bolivianische Verfassung verstoßen - so
wird es in dem redaktionellen (spanischen) Bericht "LA
NACIONALIZACIÓN FICTICIA DE EVO" In dem redaktionellen (spanischen) Bericht "EVO
DA 180 DIAS PARA QUE LAS PETROLERAS FIRMEN NUEVOS CONTRATOS"
Die heftige Kritik des COB an dem Dekret drückte sich auch darin aus, dass es eben diesmal zwei Maidemonstrationen in La Paz gab, eben die des MAS und die des COB. Die komplexe Lage im Land auch darin, dass die Bevölkerung von der Nachbarstadt El Alto eine eigene Maidemonstration organisierte und mehrheitlich zu keiner der beiden anderen ging. Stichpunkte zur Lage Der durchschnittliche Monatslohn eines Arbeiters in Bolivien beträgt gegenwärtig etwa 100 US Dollar, der Mindestlohn liegt bei 55 Dollar - während die Gewerkschaften in einem Maiflugblatt berechnen, dass in den städtischen Zentren etwa 900 Dollars nötig wären, um einigermassen vernünftig leben zu können. Die einst versprochene Verdreifachung des Mindestlohns scheint von Morales bisher ebenso auf Eis zu liegen, wie der Mindestlohn selbst. Die Beschäftigten des Erziehungs- und Gesundheitswesens, deren Einkommen zwischen 120 und 140 Dollars im Monat liegen haben in der letzten Zeit in verschiedenen Protestaktionen der Gewerkschaften eine Erhöhung über jene nominal 7 Prozent hinaus gefordert, die die Regierung zugestanden hat - die real drei Prozent bedeuten. An diesen Auseinandersetzungen hat sich aber auch die Politik der MAS und der Regierung deutlich gezeigt: den Lehrern in der Stadt wurden grössere Erhöhungen zugestanden und ihre Gewerkschaften zu weiteren Gesprächen eingeladen. Verstaatlichung der Gewerkschaften ? In dem redaktionellen (spanischen) Artikel "AVANZA
LA ESTATIZACIÓN DE LOS SINDICATOS" Die Probleme der Orientierung jener politischen Strömungen, die Morales Regierung kritisieren, weil sie nicht mit dem neoliberalen Modell breche, sind in Bolivien ähnlich wie in anderen lateinamerikanischen Staaten - inklusive der direkten Einmischung der Regierung - in Bolivien aktuell sichtbar anhand der Absetzung von Felipe Quispe als Vorsitzender der wichtigsten Bauernorganisation (die natürlich ebenfalls eine indigene Organisation ist) und seiner Ersetzung durch einen Gewährsmann der Regierung. (hrw) |