Home > Internationales > Burundi > bschmid1_
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Burundi und Rwanda: Zivilgesellschaft, Gewerkschaften/NGOs, der Kampf um demokratische Freiheiten und die gefährliche „Rassifizierung“ der sozialen Fage (im Jahr 15 nach dem rwandischen Genozid)

Landung in, der Hauptstadt von Burundi, unsere erste Station im französischsprachigen Afrika. (Danach wird es noch nach Rwanda und in den Osten der Demokratischen Republik Kongo – RDC – weitergehen, aber dies wird Gegenstand eines anderen, späteren Artikels werden.) Der Flughafen von Bujumbura ist fast winzig klein. Vier runde Waben beherbergen fast die gesamte Einrichtung. Draußen auf den Parkplätzen werden wir erwartet. Die knapp zehn Kilometer lange Straße ins Zentrum der Hauptstadt von Burundi führt durch das Industriegebiet, wo ein Großteil der wenigen Industrien des Landes – das noch zu 96 Prozent von Agrarproduktion und Agrarexporten (Kaffee, Tee) lebt – konzentriert ist: Fabriken für Farben, Lacke, aber vor allem Bierbrauereien. Dazwischen von Stacheldraht geschützte, große und auffällige Niederlassung der UN und ihres „Büros der Vereinten Nationen in Burundi“, BINUB, und wieder Brauereien. Bierfabriken haben in der gesamten Region, in Burundi und in den Nachbarländern, regen Absatz. Hergestellt werden vor allem Biere belgischer Herkunft in lokaler Lizenzproduktion, Amstel und Primus, neben Heineken, einer Marke niederländischen Ursprungs. Lange ziehen sich die Außenmauern der Brauereien hin: Kirinyota mugenzi! (Auf Deinen Durst, Freund!) Kleine Gruppen stehen zu jeder Tageszeit Schlange, um am Eingang Eisbarren zu erwerben: Viele Einwohner besitzen keine Kühlschränke, aber wer an der Brauereitür den gefrorenen Stoff erwirbt, dem bleibt die Kühlwirkung einige Stunden lang erhalten.

Wir wurden erwartet, da wir von Paris aus Kontakte aufgenommen hatten. Zwei Gruppen von Europäern treffen an diesem und am folgenden Tag in der Hauptstadt Burundis ein. Unsere Gruppe besteht überwiegend aus AktivistInnen von Menschenrechtsvereinigungen und anderen NGOs aus Frankreich, die zu Treffen mit örtlichen Organisationen verabredet sind.

Wir treffen anfänglich mit Führungsleuten von der burundischen Liga für Menschenrechte - auch „la Ligue Iteka (Ehre) genannt -, dem „Forum von Organisationen der Zivilgesellschaft“ FORSC und der „Koalition der Zivilgesellschaft für die Überwachung der Wahlen“ (COSOME) sowie Journalisten zu angeregten Gesprächen zusammen. Der FORSC ist eine Koalition aus 146 Verbänden und NGOs, unter ihnen mehrere Gewerkschaften; Letztgenannte sind in Burundi vor allem unter den Lehrerinnen und Lehrern von Bedeutung, wobei mehrere konkurrierende Gewerkschaften im Bildungswesen (STEB, SLEB...) anzutreffen sind. Später folgen noch die „Beobachtungsstelle für die Rechte der Kinder“, die sich etwa auch um die Demobilisierung früherer Kindersoldaten – von denen es im Bürgerkrieg in Burundi (1993 bis 2008) mehrere Tausend gab – kümmert, und die Vereinigung für die Rechte von Häftlingen. Überall können wir mit wichtigen Leitungsmitgliedern sprechen: Monsieur Pacifique, Monsieur Jean-Marie, Monsieur David...

Konsequenzen eines Wahlsystems...

Die Menschenrechtsaktivisten sind besorgt. Im kommenden Jahr, 2010, ist in Burundi ein „Superwahljahr“ angesetzt: Im Frühjahr und Sommer werden sowohl der Präsident als auch das Parlament und die Kommunalversammlungen alle nacheinander neu gewählt. Die Manöver haben bereits begonnen. Eine der großen Diskussionen des Augenblicks zwischen der Regierungspartei CNDD-FDD (Nationale Koalition zur Verteidigung der Demokratie – Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) und den anderen politische Parteien dreht sich um die Frage des Abstimmungsmodus. Die Alternative lautet bulletin unique oder bulletins multiples. In Europa würde es sich um eine Frage nach technischen Modalitäten handeln: Die eine Möglichkeit läuft darauf hinaus, wie in Deutschland auf einem einheitlichen Stimmzettel ein Kreuzchen hinter dem Namen – oder eher dem Bildsymbol, da große Teile der Bevölkerung keine Schulbildung genossen haben – einer Partei zu machen. Die andere Möglichkeit beruht auf dem französischen Wahlsystem: Auf einem Tisch im Wahlbüro liegen mehrere Stimmzettel bereit, für jede antretende Kandidatenliste gibt es einen. Davon wirft die Wählerin einen in einem Umschlag in die Urne, die übrigen nimmt man mit hinaus.

In Frankreich ist dieser letztgenannte Wahlmodus unbedenklich, und die nicht benutzten Stimmbulletins landen im Papierkorb. In einem Land wie Burundi, wo der politische Wettbewerb in den letzten Jahren häufig mit Waffengewalt und unter Rückgriff auf „ethnische“ Zugehörigkeiten ausgetragen wurde – und in einer Region, wo alle benachbarten Länder (Rwanda, Burundi, RDC) derzeit von früheren bewaffneten Rebellenbewegungen regiert werden – hingegen nicht. Bei der letzten Wahl im Juni 2005, bei denen die regierende CNDD-FDD mit über 60 Prozent gewann, wurden die Wähler in den Dörfern im Nachhinein von Waffen tragenden Anhängern der Gewinnerpartei dazu aufgefordert, die nicht benutzten Bulletins vorzuzeigen. Eine einfache Methode, um zu kontrollieren, wer wie gestimmt hat – unter Androhung von ernsthaften Repressalien.

... „Konsolidierung der (jungen) Demokratie oder neue Gewalt?

Im Augenblick hat die Regierungspartei bereits entschieden, bei den Urnengängen im kommenden Jahr erneut das System der „vielfachen Stimmzettel“ (bulletins multiples) zu benutzen. Die Menschenrechtsorganisationen und NGOs fürchten deshalb, vor diesem Hintergrund, bereits ein erneutes Aufflammen von Spannungen und Gewalt. Zumal es auch in diesem Jahr schon ein paar ernstere Zwischenfälle gegeben hat, vor allem die Ermordung des Aktivisten Ernest Manirumva, der unermüdlich gegen Korruption und Selbstbereicherung der Eliten gekämpft hatte. Am 30. April wurde er in seinem Haus in der Avenue Sanzu im Stadtteil Mutanga-Sud – in dessen unmittelbarer Nachbarschaft wir, zufällig, untergebracht werden - von Bewaffneten entführt. Seine Leiche, so erzählen es Nachbarn, wurde kurz darauf dorthin zurückgebracht. Niemand in der Umgebung hatte reagiert, die Nachbarschaft war offenkundig eingeschüchtert. Offiziell handelt es sich um eine Tat von „Unbekannten“. Die Regierung unter Präsident Pierre Nkurunziza weiß von des Hintergründen des Mordes angeblich nichts, was sehr Viele bezweifeln. Deshalb hat die Regierung, um ihre „Unschuld“ zu bewiesen, Beamte der US-amerikanischen Bundeskriminalbehörde FBI neben denen der eigenen Polizei zu den Ermittlungen hinzugezogen. Seitdem sind die Erkenntnisse jedoch um keinen Millimeter vorangekommen. Viele sind jedoch der Auffassung, in Wirklichkeit bräuchte man nicht lange zu suchen, um den Auftraggebern auf die Spur zu kommen.

Rückblick auf ein Jahrzehnt des Horrors – und die historisch-sozialen Hintergründe (Oder: Hutu und Tutsi, die „Rassen“ wurden vor 100 Jahren gemacht)

Burundi wurde ab 1993 von einem Bürgerkrieg erschüttert, der laut Auffassung von UN und Menschenrechtsverbänden rund 300.000 Menschenleben kostete und dessen letzte Ausläufer sich bis im Juni vergangenen Jahres hinzogen. Deswegen die massive, auffällige Präsenz der Vereinten Nationen im Land. Zahlreiche Waffen befinden sich jedoch noch im Umlauf, die bei Gewaltkriminalität und besonders bei Konflikten um die Landverteilung – in einem Land, dessen Agrarfläche mit steigernder Bevölkerungszahl (derzeit acht Millionen bei 27.000 Quadratkilometern) und bei geringer Produktivität allmählich deutlich zu klein wird – zum Einsatz kommen.

Die Hintergründe des Konflikts in Burundi ähneln denen im nördlichen Nachbarland Rwanda, aber mit zum Teil umgekehrten Fronten. Sie wurzeln in einer gemeinsamen Geschichte. Beide Staaten sind, aufgrund ihrer geographischen Situation als küstenferne Bergländer „im Herzen Afrikas“, erst spät von Europäern entdeckt und kolonisiert worden, nachdem sie – aus geographischen Gründen – als einzige von den Aktivitäten und Streifzügen europäischer sowie arabischer Sklavenhändler verschont geblieben waren. Nach der Berliner Konferenz, bei der Afrika 1884 unter den Kolonialmächten aufgeteilt worden war, wurden beide Königreiche zunächst dem damaligen „Deutsch-Ostafrika“ zugeschlagen, das überwiegend aus dem späteren Tanzania bestand. Die deutsche Kolonialmacht reagierte aber äußerst indirekt und gestützt auf die traditionelle Monarchie und Feudalelite. Im Ersten Weltkrieg verlor das Deutsche Reich die Oberhoheit, zurück blieb ein deutscher Soldantefriedhof in Cibitoke im Nordwesten Burundis, der heute noch von der Landstraße aus gut sichtbar ist.

Belgien erhielt später das Mandat des Völkerbunds – des Vorläufers der UN -, um das Gebiet der beiden Länder (gemeinsam als „Ruanda-Urundi“ bezeichnet) zu verwalten, und schlug es seiner damaligen Kolonie „Belgisch-Congo“ hinzu. Die Eliten der beiden Kolonialmächten, in Berlin und in Brüssel, waren von der damals in Europa weit verbreiteten Ideologie und Pseudowissenschaft der „Rassenkunde“ beeinflusst. Sie glaubten, in Rwanda und Burundi jeweils zwei verschiedene „Stämme“ – oder getrennte „Ethnien“ – anzutreffen, die Hutu und die Tutsi, und beschrieben sie nach „Rassenmerkmalen“: Die Tutsi seien relativ hellhäutig, groß gewachsen und intelligent, eine Art natürlicher Elite, die Hutu hingegen dunkelhäutiger und eine stumpfsinnig vor sich hinbrütende Masse. In Wirklichkeit gab es jedoch nie zwei getrennte ethnische Gruppen, vielmehr bildeten Hutu und Tutsi in der prä-kolonialen Feudalgesellschaft zwei soziale Kasten. Ihr Unterschied deckt sich ungefähr mit der sozialen Aufteilung zwischen Ackerbauern und (damals wohlhabenderen) Viehzüchtern und –besitzern. Um es ihrer Verwaltung einfach zu machen, schuf die belgische Kolonialmacht jedoch im Jahr 1931 starre Kategorien und teilte die gesamte Bevölkerung in getrennte „Ethnien“ auf: Wer mehr als zehn Rinder besaß, wurde einfach administrativ zum „Tutsi“ erklärt, und wer weniger oder gar kein Vieh hatte, wurde zum „Hutu“. Erstere machten knapp 15, die Letztgenannten 85 Prozent der Bevölkerung aus. Daneben gab es als kleine Restgruppe die Twa oder BaTwa, eine kleinwüchsige Bevölkerungsgruppe, die man als Pygmäen bezeichnen könnten und die bis vor wenigen Jahren zurückgezogen in Wäldern lebten. Die belgische Herrschaft versuchte sich dabei anfänglich besonders auf die Tutsi und ihr Königshaus zu stützen.

Beruhte die administrative Einteilung auf sozialen Kategorien, so fuhren die Europäern gleichzeitig vor, Hutu und Tutsi als angebliche unterschiedliche Rassen zu beschreiben. Angeblich seien sie sogar getrennten geographischen Ursprungs: Die Hutu seien, so stand es bis in den achtziger Jahren in zahllosen Lehrbüchern, seien „Bantuneger“ (so ein deutsches geographisches Lexikon im Jahr 1983), die Tutsi hingegen stammten vom Nil, aus Ägypten oder dem Vorderen Orient. Diese Mischung aus Rassen- und weitgehend mythischer Herkunftslehre, traditionellen Ungleichheiten in der Feudalgesellschaft und moderner sozialen Ungleichheit wurde zur explosiven Mischung. Denn viele Hutu erklärten sich von nun ab, sobald die Unzufriedenheit wuchs, ihre schlechte soziale Situation aus der Vorherrschaft der „Tutsi-Rasse“ – und sie glaubten, dank der von den Europäern verbreiteten „wissenschaftlichen“ Lehre auch die „Lösung“ für das Problem zu besitzen: Diese „fremdstämmige Rasse“ solle doch das Land verlassen und „zu ihren Ursprüngen zurückkehren“. Die Rassifizierung der sozialen Frage hatte perfekt funktioniert.

Rwanda und Burundi wurden am 1. Juli 1962 formal unabhängig. Ökonomisch und politisch blieb eine starke Kontrolle und Vorherrschaft zunächst bei Belgien, später bei Frankreich, das Brüssels Rolle in Zentralafrika abzulösen begann. Der wichtige Unterschied lag jedoch darin, dass die alte Tutsi-Elite in Rwanda bei der Unabhängigkeit entmachtet worden war, was seit 1959 mit Massakern an Zivilisten unter den Tutsi einhergegangen war und zu Flüchtlingsbewegungen nach Uganda und Tanzania führte. Doch in Burundi behielten die Eliten unter „den Tutsi“ die politische und, vor allem, militärische Macht bei. Als Ethno-Extremisten aus den Reihen der Hutu auch in Burundi Massaker an der Minderheit vorbereiteten, schlug die – nach wie vor von Tutsi dominierte – Armee im Jahr 1972 präventiv zu und löschte einen Gutteil der Hutu-Elite, vom Offizier bis zum Oberschüler, neben zahlreichen Zivilisten aus.

Die traditionelle Konstellation verfestigte sich noch, bis Anfang 1993 in Burundi erstmals ein Präsident aus den Reihen der Hutu demokratisch gewählt wurde: Melchior Ndadaye. Sein Portrait steht heute auf einem zentralen Platz in Bujumbura, umrahmt von der Aufschrift: „Held der Demokratie“, und ziert einen viel benutzten Geldschein. Melchior Ndadaye wurde nach nur drei Monaten im Amt durch führende Militärs ermordet. Hutu-Extremisten, die schon vor seiner Amtseinführung – in der anfänglichen Erwartung, dass die Elite ihn gar nicht erst ins Präsidentenamt einziehen lassen würden – Massaker an Tutsi vorbereitet hatten, nahmen dies als Anlass zum Zuschlagen und zum Morden. Im Gegenzug löschte die nach wie vor von Tutsi dominierte Armee ganze Dörfer aus. Auch Tutsi-Extremisten verübten, „ethnisch“ motivierte, Anschläge und warfen etwa in Ngozi in Nordburundi Handgranaten in Schlafsäale für Schüler eines Internats. In der Hauptstadt Bujumbura bildeten sich „ethnisch reine“ Wohnbezirke: Tutsi-Zivilisten mussten aus von Hutu dominierten Stadtteilen – wie dem von radikalen Hutu-Kräften dominierten Armenviertel Kamenge – fliehen, und umgekehrt. Wer am falschen Ort angetroffen wurde, konnte durch die „Halskrause“, einen um den Hals gehängten und angezündeten Autoreifen, eines qualvollen Todes sterben. Und doch gab es die ganze Zeit über auch Menschen und Kräfte, die dieser Ethno-Logik aktiven oder (vor allem) passiven Widerstand leisteten: Das riesige Jugendzentrum von Kamenge etwa blieb während der ganzen Dauer des Konflikts über ausdrücklich für Kinder und Jugendliche aus allen „Ethnien“ offen, und kassierte deswegen finstere Drohungen. Auch heute macht das Jugendzentrum weiter, wo Sporteinrichtungen und Computerkurse zahllose Besucher anlocken - während, wie man uns dort erzählt, der nahe Stadtteil inzwischen wieder in Ansätzen „ethnisch gemischt“ geworden ist.

Im Jahr 2000 wurde im tanzanischen Arusha ein Friedensabkommen geschlossen und beendete offiziell den Bürgerkrieg. Es sieht u.a. vor, dass erstmals auch Hutu expliziten Zugang zu den Offiziersrängen der Armee haben und dort künftig 40 % der Rangträger stellen sollen. Aber auch danach blieb eine bewaffneten Bewegung - mutmaßlich mit Unterstützung aus Libyen – aktiv, die ursprünglich aus der 1980 damals in der Illegalität gegründeten „Bewegung für die Emanzipation der Hutu“ (Palipehutu) hervorging wie mehrere andere Parteien, unter ihnen auch die aktuelle Regierungspartei CNDD-FDD. Die verbleibende Guerillabewegung nannte sich „Nationale Kräfte für die Befreiung“ (FNL, oder Palipehutu-FNL). Ihre Anführer waren zum Teil auch von christlich-fundamentalistischen Heilslehren beeinflusst und glaubten in ihrem zum Teil religiösen Wahn, Gott habe ihnen eine politische Mission verliehen. Vorwiegend vom dörflichen Hinterland der Hauptstadt, der Provinz Bujumbura-Rural, aus kämpften die FNL weiter. Ihre Guerilla rekrutierte auch Hunderte, vielleicht Tausende von Kindersoldaten, denen oft die Trommelfelle durchbohrt wurden, damit sie bei Angriffen nicht das Gewehrfeuer hören und „ängstlich flüchten“ könnten. Noch im April und Mai 2008 bombardierten sie die Hauptstadt Bujumbura, von den nahe gelegenen Hügeln aus, mit Granatwerfern.

Waffenruhe in Burundi seit gut einem Jahr

Aber am 10. Juni 2008 unterzeichneten sie eine Vereinbarung, die die Niederlegung ihrer Waffen und ihre Umwandlung zu einer politischen Partei – ähnlich jener der früheren Guerillabewegung und jetzigen Regierungspartei CNDD-FDD – vorsieht. Auch die FNL möchten nun im kommenden Jahr zu den allgemeinen Wahlen im Land antreten. Einer ihrer Anführer, Agathon Rawsa, wurde vor kurzem zum Präsidenten der Nationalen Sozialversicherungskasse (INSS) ernannt. (Vgl. auch die Liste der auf hohe Posten ernannten FNL-Anführer externer Link pdf-Datei) Es ist auch sonst generell nicht untypisch, dass Einstellungen auch auf hohen Positionen nicht nach Eignung, sondern nach rein politischen Kriterien vorgenommen werden. So leitet ein früherer Klempner heute das Office national du thé, das den zweitwichtigsten Ausfuhrartikel und Devisenbringer Burundis – den Tee – international vermarktet. In einem Interview mit der Zeitung Iwacu (Zusammen) bedauerte Agathon Rawsa Ende Juli/Anfang August 2009, ein massenhaftes Rekrutieren eigener Anhänger auf Posten in der Struktur bis zu den Wahlen sei ihm u.a. deswegen nicht möglich, „weil die Rekrutierung immer zu Jahresanfang stattfindet“. (Vgl. Artikel externer Link)

Ausblick

Droht nun im kommenden Jahr die Gewalt wieder aufzuflammen, nachdem sich schon jetzt andeutet, dass es zu massivem Wahlbetrug kommen könnte? Nicht sicher, meinen die Menschenrechts- und NGO-Aktivisten sowie burundischen Journalisten, mit denen wir sprechen können. „Heute verläuft der Machtkampf nicht mehr entlang <ethnischer> Grenzen, sondern zwischen so genannten Hutu-Parteien“, meint einer von ihnen. Sowohl die Regierungspartei CNDD-FDD als auch die stärkste Oppositionspartei FRODEBU (Demokratische Front Burundis) wie auch die FNL stammen alle aus der, früher einheitlichen, Hutu-Bewegung. Deswegen, und weil viele Menschen im Lande von den Schrecken des Bürgerkriegs die Nase voll haben, habe sich die Mobilisierungskraft des <ethnischen> Bezugs abgenützt.

„Die Leute sehen, dass die <ethnische> Politik zum Teil Kasperltheater ist, hinter dem sich nur der Wunsch verbirgt, zu den Fleischtöpfen der Macht vorzudringen“ berichtet die burundische Journalistin Alice. Dies desillusioniert ihrer Auffassung nach. Anlässlich einer Verhandlungsrunde zwischen burundischen Parteien in Arusha habe der frühere südafrikanische Präsident Nelson Mandela die Teilnehmer auf den verschiedenen Seiten beobachtet – und zunächst geglaubt, die Gegensätze zwischen ihnen seien unversöhnlich. Danach habe er die Hutu- und Tutsi-Vertreter beim gemeinsamen Besäufnis am Abend wiedergetroffen, und sein Urteil revidiert. Dies, immerhin, könnte im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven tröstlich wirken. Das Urteil fällt in Bezug auf Rwanda, wo die jüngere Geschichte anders verlief, jedoch unterschiedlich auf.

Sowohl die Burunder als auch die Menschen in Rwanda, mit denen wir später sprechen können, formulieren im Hinblick auf das nördliche Nachbarland Rwandas ein pessimistischeres Urteil: Dort ist es seit dem militärischen Sieg der früheren Tutsi-dominierten Guerilla RPF über die Organisatoren des Völkermords – im Juli 1994 – in der Öffentlichkeit tabu, die „ethnische“ Zugehörigkeit zu erwähnen. Die Erwähnung der Kategorien „Tutsi“, „Hutu“ oder „Twa“, die seit 1931 auf den Ausweisen gestanden hatte, ist ersatzlos gestrichen worden. Doch wiederholt müssen wir hören, dass im persönlichen Gespräch „jeder sich nach zehn Minuten im Klaren darüber ist, ob er es mit einem Hutu oder einem Tutsi zu tun hat“. Mehrere unserer Gesprächspartner sind der Auffassung, dass Rwanda „auf die Dauer auf einer Zeitbombe sitzen“ könnte, jedenfalls wenn das aktuelle Regime unter dem früheren RPF-Chef und jetzigen Staatspräsidenten Paul Kagamé destabilisiert werde oder die Kontrolle verlieren. Alte, zerstörerische Leidenschaften könnten durchaus neu entfesselt werden.

Bernard Schmid, 07.09.2009


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang