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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Neun Jahre nach dem Tod des Zeitungsgründers Norbert Zongo erleben JournalistInnen in Burkina Faso immer noch Repressionen "Norbert Zongo untersucht die Affäre und erhebt über mehrere Monate im L’Independent schwere Vorwürfe gegen François Compaoré und die Präsidentengarde. Zongos Ermordung versetzt das ganze Land in Aufruhr. In den Tagen nach seinem Tod gehen Tausende SchülerInnen, Studierende und GewerkschafterInnen auf die Straße. 20.000 Menschen kommen zur Beerdigung, der Trauerzug zum Friedhof ist über zehn Kilometer lang. Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, oppositionelle Parteien, AnwältInnen und JournalistInnen schließen sich zum Collectif contre l’impunité (Kollektiv gegen die Straflosigkeit) zusammen. Angeführt von der größten burkinischen Menschenrechtsorganisation Mouvement Burkinabè des Droits de l’Homme et des Peuples (MBDHP) fordert das Collectif die Aufklärung der Todesumstände von Norbert Zongo und die Bestrafung der Täter – bis heute" - einer der Kernsätze des Artikels "Grenzen der Meinungsfreiheit" von Bettina Engels vom 15. November 2007. Grenzen der Meinungsfreiheit Sein Bild hängt im Wohnzimmer fast jedes Oppositionellen in Burkina Faso, in den Büros von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen: Norbert Zongo, vor neun Jahren ermordet, war der bekannteste Journalist der ehemaligen französischen Kolonie in Westafrika und ist bis heute eine Symbolfigur der Demokratiebewegung. Am 13. Dezember 1998 wird der Chefredakteur der Wochenzeitung L’Independent zusammen mit drei Begleitern erschossen in seinem Auto aufgefunden, 100 Kilometer von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt. Der Wagen ist zwar verbrannt, die Einschusslöcher sind dennoch deutlich zu sehen. Der von ihm gegründete L’Independent ist zu dieser Zeit das bedeutendste regierungskritische Presseorgan in Burkina Faso. Norbert Zongo berichtet über Korruption, Unterschlagung und Vetternwirtschaft, unter anderem in der staatlichen Textil- und der Goldminengesellschaft. Bei den LeserInnen ist er beliebt, Präsident Blaise Compaoré und seinem semiautoritären Regime jedoch ein Dorn im Auge. Anfang Dezember 1997 werden vier Angestellte von François Compaoré, gleichzeitig Berater und jüngerer Bruder des Präsidenten, von Soldaten der Präsidentengarde festgenommen. Sie werden des Diebstahls verdächtigt. Einer der vier, David Ouedraogo, ehemaliger Chauffeur von François Compaoré, stirbt Mitte Januar 1998 auf der Krankenstation des Präsidentenpalasts an den Folgen von Folter. Norbert Zongo untersucht die Affäre und erhebt über mehrere Monate im L’Independent schwere Vorwürfe gegen François Compaoré und die Präsidentengarde. Zongos Ermordung versetzt das ganze Land in Aufruhr. In den Tagen nach seinem Tod gehen Tausende SchülerInnen, Studierende und GewerkschafterInnen auf die Straße. 20.000 Menschen kommen zur Beerdigung, der Trauerzug zum Friedhof ist über zehn Kilometer lang. Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, oppositionelle Parteien, AnwältInnen und JournalistInnen schließen sich zum Collectif contre l’impunité (Kollektiv gegen die Straflosigkeit) zusammen. Angeführt von der größten burkinischen Menschenrechtsorganisation Mouvement Burkinabè des Droits de l’Homme et des Peuples (MBDHP) fordert das Collectif die Aufklärung der Todesumstände von Norbert Zongo und die Bestrafung der Täter – bis heute. Meinungsfreiheit eingeschränkt Die Presselandschaft in Burkina Faso hat sich in den neun Jahren seit Zongos Tod vergrößert. Vor allem dem Einsatz des Collectif contre l’impunité ist es zu verdanken, dass der burkinische Mediensektor heute pluralistisch ist. Die Burkinabè können zwischen vier Tageszeitungen und etwa 20 Wochen- und Monatszeitungen wählen. Viel wichtiger jedoch sind die zahlreichen Radio- und Fernsehsender. Denn im drittärmsten Land der Welt können über 80 Prozent der Menschen nicht lesen und schreiben. Heute sind in den burkinischen Medien auch kritische Beiträge möglich. Bei heiklen Themen ist die Meinungsfreiheit jedoch nach wie vor eingeschränkt. Insbesondere Kritik an Präsident Blaise Compaoré und seinen engen Verbündeten wird nicht geduldet. Die Journalistenvereinigung Association des journalistes du Burkina (AJB) beklagt regelmäßig Repressionen gegen JournalistInnen. Als 2003 Reporter ohne Grenzen einen Bericht anlässlich des fünften Todestages von Norbert Zongo veröffentlichen, lädt ein Militärrichter kurzerhand alle Zeitungen vor, welche die Informationen der Nichtregierungsorganisation veröffentlicht haben. 2004 lösen die Sicherheitskräfte gewaltsam eine Vollversammlung der HändlerInnen auf dem Großen Markt von Ouagadougou auf. JournalistInnen, die über die Ereignisse berichten wollen, drängt das Militär brutal zurück, beschlagnahmt ihr Material, Aufnahmegeräte und Kameras. Jüngstes Beispiel ist der populäre Musiker und Radiomoderator Karim Sama alias Sams’k le Jah, der sich in seinen Texten kritisch gegenüber der staatlichen Elite äußert. Im April 2007 erhält er mehrfach Morddrohungen per Email. Am Abend des 28. September geht sein Auto in Flammen auf. Sams’k le Jah bleibt unverletzt – er moderiert gerade eine der beliebtesten Radiosendungen des Landes. Der Tod Norbert Zongos steht heute in ganz Westafrika symbolisch für staatliche Willkür und Unterdrückung der Menschenrechte. Am 13. Dezember, seinem Todestag, demonstrieren in zahlreichen Städten Burkina Fasos alljährlich Tausende von Menschen gegen Folter, Straflosigkeit und Korruption, für Demokratie und Meinungsfreiheit sowie für ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte, die in der ärmsten Region der Welt eine besonders wichtige Rolle spielen. Aufklärung unerwünscht Der Tod von Norbert Zongo und seinen Begleitern Ablassé Nikiema, Ernest Zongo und Blaise Ilboudo ist bis heute nicht aufgeklärt. Im Fall des zu Tode gefolterten David Ouedraogo wurden drei Mitglieder der Präsidentschaftsgarde wegen Mordes verurteilt. Gegen François Compaoré wurde ebenfalls Anklage erhoben, dann jedoch fallengelassen. Der Druck des Collectif contre l’impunité zwang Präsident Blaise Compaoré dazu, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Todesumstände von Norbert Zongo einzusetzen. Verurteilt wurde 2006 jedoch nur ein einziger Beschuldigter – Sergeant Marcel Kafando, Mitglied der Präsidentschaftsgarde, einer der drei wegen des Mordes an David Ouedraogo Verurteilten. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes jedoch befindet sich Kafando nicht in Haft, sondern lebt in seinem Haus in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou unter Hausarrest – und bezieht nach wie vor seinen Sold als Mitglied der burkinischen Armee. Der zweimal monatlich erscheinende Evènement veröffentlicht im Oktober 2006 ein Foto von François Compaoré mit der Überschrift „Affaire Norbert Zongo, ainsi donc c'est lui“ („die Affäre Norbert Zongo, das ist er“). Herausgeber Germain Bitiou Nama und Chefredakteur Newton Ahmed Barry erhalten prompt eine Klage und müssen sich vor Gericht wegen „Diffamierung“ und „Schändung der Ehre“ des Präsidentenbruders verantworten. Beide werden zu zwei Monaten Haft auf Bewährung sowie zur Zahlung von 300.000 Francs CFA (rund 450 Euro) Entschädigung an die Familie Compaoré verurteilt. Zudem muss der Evènement die Entscheidung des Gerichts auf eigene Kosten in drei Tageszeitungen in der Hauptstadt veröffentlichen. Für den AJB-Vorsitzenden Jean Claude Méda ist das Verfahren ein klarer Einschüchterungsversuch gegenüber der burkinischen Presse, die nach neun Jahren immer noch versucht, Licht in die „Affäre Norbert Zongo“ zu bringen. Präsident Blaise Compaoré feiert unterdessen am 15. Oktober 2007 sein 20jähriges Dienstjubiläum – unter dem Motto „für mehr Frieden, Freiheit und Wohlstand“.
Bettina Engels ist Politologin und promoviert an der FU Berlin. |