letzte Änderung am 29.Juli 2003

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Mein Erlebnis Belarus

Von Georg Bückle
Bericht von der Teilnahme am 1. Workcamp des Vereins Heim-statt-Tschernobyl in Lepel vom 20.6. bis 10.7.2003/ Fragen, Einschätzungen, Benennung von Problemstellungen und Änderungsvorschläge

Eigentlich durch zwei Treffen im Januar und Mai des Jahres gut vorbereitet machte ich mich mit 24 anderen Menschen (7 Frauen und 18 Männer ­ im Alter zwischen 20 und 65 Jahren) aus ganz Deutschland auf den Weg, um in Stari-Lepel (Altlepel) in ökologischer Bauweise aus nachwachsenden Rohstoffen Lehmhäuser für und mit umsiedlungsbereiten Tschernobyl-Familien zu bauen. Dabei ließ ich mich von den Gedanken eines unbekannten Verfassers (aus Ulrike Jägers Buch "Die vergessenen Frauen vom Narotschsee") leiten:
"Alles Leben beginnt damit, dass man eine Tür öffnet,
heraustritt aus seinem Alltag und bereit ist, Neues zu
entdecken.
Es liegen soviel Geheimnisse hinter den Türen verborgen.
Eine Reise beginnt, wenn einer seine Welt verlässt
und Schritte wagt in ein neues Land.
Mit einer Portion Neugier, etwas Mut und viel Hoffnung.
Nur der wird etwas erleben, der etwas erwartet.
Ich muss mich nur auf den Weg machen.
Meinen Träumen folgen. Offen sein."

Dementsprechend habe ich dann auch wunderschöne, unvergessene Erlebnisse Vorort mit netten Menschen ­ aus Belarus und unserer Gruppe ­ erfahren dürfen. Das Leben in einfachen Verhältnissen zusammen mit völlig unterschiedlichen, aber interessanten Menschen und das Wachsen einer sinnvollen Arbeit unter den Händen vieler Menschen haben mich sehr beeindruckt. Und das alles auf dem Hintergrund der Geschichte - des hier wütenden deutschen Faschismus Anfang der Vierziger Jahre mit Millionen Opfern und der Strahlenkatastrophe von Tschernobyl vor 17 Jahren. Im Laufe der Zeit sind mir aber auch eine Menge Fragen, die das Projekt betreffen, entstanden. Die hier formulierte Kritik kann vielleicht zur intensiveren Reflektion und eventuell auch zu Änderungen beitragen. Bei diesem Besuch wurde mir - besonders auch nach meinen Erlebnissen im letzten Jahr in Kuba (Mithilfe beim Bau einer Klinik für behinderte Kinder) ­ deutlich, dass ich nur einen sehr bescheidenen Einblick in das Land und die Probleme nehmen konnte und daher die Wahrnehmungen und Beschreibungen auch nur äußerst subjektiv sein können.

Das Land Belarus

Mit einer Fläche von rund 210 000 km_ und 10 Millionen Einwohner (allein die Hauptstadt Minsk hat 2 Millionen) liegt das Land umgeben von Russland, der Ukraine, Polen, Litauen und Lettland in Osteuropa. In dem fast überwiegenden Flachland gibt es nur wenige Hügel. Der höchste ist 345 Meter hoch. 45 % nimmt die landwirtschaftliche Nutzung ein, 36 % bestehen aus Wäldern. 6,1 % bilden Naturschutzgebiete. Es gibt über 20 000 Flüsse und Bäche und rund 11.000 Seen.

Über den politischen Zustand des Landes und der Gesellschaft gibt es unterschiedliche Aussagen. Die einen sprechen von einem sozialistischen Land (immerhin sind noch Bildung und Gesundheit frei, das erste Studium ist nach erfolgreichen Prüfungen kostenlos, es existieren noch die alten Organisationsformen wie Dorfsowjet oder die Kolchosen), die anderen von einer Diktatur unter dem keine Opposition zulassenden Lukaschenko. Den Sozialismus habe ich im Alltagsleben nicht wahrnehmen können. Ausgenommen, dass noch überall Lenin-Denkmäler und rote Fahnen und rote Sterne an Häusern zu finden sind, war für mich nichts sicht- und erlebbar. Aber auch von der Diktatur und dem Überwachungsstaat ebenfalls nicht. Im Vergleich zu meinen ägyptischen und südamerikanischen Erfahrungen war hier weder die Polizei noch das Militär im öffentlichen Bild des Dorfes wie auch der Städte präsent. Lukaschenko ist ohne Frage umstritten. Viele Interlektuelle arbeiten z.B. in Piratensendern von Polen aus, oppositionelle Zeitungen sind nicht zugelassen. Kritische Journalisten verschwinden ab und zu. Deshalb wird er besonders von der gebildeten Bevölkerung abgelehnt. Teile der Landbevölkerung stehen aber hinter ihm ("wenn es Probleme gibt, kümmert er sich" ­ oder er schenkt dem Dorf einmal einen Traktor). Die Wirtschaft des Landes drängt mit Macht nach Änderung. In der Zeit der Sowjetunion im Rahmen der Arbeitsteilung des RGW für landwirtschaftliche Produkte und den Landmaschinenbau zuständig, sind nun durch den Wegfall der DDR als Hauptlieferant für Maschinenteile die Grundlagen entzogen worden. Von den Rohstoffen von Russland abhängig (Erdöl, Strom) muss das nun allein über die Landwirtschaft finanziert werden. Aber hier fehlt es an Maschinen. So gibt es für viele ArbeiterInnen der Kolchosen ­ ähnlich wie in Russland aus ­ seit Monaten keinen Lohn, allenfalls ein paar Naturalien. Die Schere der Armut von Stadt- und Landbevölkerung geht daher auch immer weiter auseinander. Einige Kolchosen werden schon vom Ausland aufgekauft (Amerikaner und Deutsche) und betreiben Landwirtschaft - nun mit eigenen Großmaschinen und entlassen die Beschäftigten. Wenn Polen in die EU kommt wird Belarus zum Grenzland für den Ostmarkt und bekommt damit als Transitland für Russland eine noch größere Bedeutung. Putin soll deshalb auch Lukaschenko angedroht haben, wenn er keine durchgreifenden Veränderungen (Privatisierung der Wirtschaft und stabile Infrastruktur- und Rechtsgrundlagen) einleiten würde, würde Russland das Land aufkaufen.

Das Land und die Bevölkerung war und ist schon immer gebeutelt worden: "Es war das Drama einer noch kaum erwachten und schon doppelt geschlagenen Nation ­ aus der sowjetischen Barbarei in die Hölle der SS. Die Weißrussen wären ­ nur weg von Stalin ­ unter Pilsudskis Regime gegangen, aber der polonisierte allzu rabiat. Sie hätten sich unter die Herrschaft der Deutschen begeben, aber deren Krieg rottete fast ein Viertel von ihnen aus. Sie kamen wieder unter die Sowjets, und sie bekamen Tschernobyl. Sie bekamen immer das schlimmste ab und das meiste, im Krieg wie im Frieden, sie kannten Geschichte nur als den grausamen Croupier, der ihnen in einem bösen Spiel das Unglück hinüberschob. Jedes Mal." (aus Wolfgang Büscher: "Berlin-Moskau ­ Eine Reise zu Fuß")

Und damit muss nun besonders die Landbevölkerung leben. Zwar haben sie neben den Kolchosen noch ein wenig eigenes Land und Vieh, aber das reicht dann eben kaum für das Notwendigste. So sind hier auch noch Pferdekarren das häufig anzutreffende Transportmittel. Diese Situation prägt das Bild hin zu einer Frauengesellschaft. Sie stellen die zahlenmäßige Mehrheit in der Bevölkerung, haben das Zepter in der Hand, bringen die Familien durch das Nötigste und sind durch die Zeit der Sowjetunion in traditionelle Männerberufe eingedrungen. Sie sind der aktivere und selbstbewusstere Teil der Gesellschaft ­ auch wenn sie immer noch weniger verdienen und die Männer noch in den wichtigen Ämtern sitzen. Sie haben ein riesiges Problem, nette Männer zu finden. Die wenigen Guten sind schnell verheiratet und die große Masse verfällt bedingt durch die Perspektivlosigkeit (zunehmende Arbeitslosigkeit oder auch Nichtbeschäftigung) dem Suff. Typisch für das Dorfleben sind die taumelnden Männer auf der Straße. Die Jugend dagegen macht noch einen strahlenden. Lebenslustigen Eindruck und strahlen selbstbewusst Lebensfreude aus. Das lässt hoffen!

Das Projekt Lehmhäuser für Tschernobyl-Familien

Durch einen Vortrag von Eberhard Hünig bei den NaturFreunden bin ich darauf aufmerksam geworden. Über den Verein Heim-statt-Tschernobyl sollten zusammen mit umsiedlungswilligen Familien aus Tschernobyl gemeinsam ökologische Häuser gebaut werden. Und das nach dem Leitspruch von Dietrich von Bodelschwingh "Wenn einer Hunger hat, gib ihn keinen Fisch, sondern eine Angel". Nach meinen Erfahrungen in Kuba schien das nun endlich der sinnvolle Ansatz zu sein ­ Ökologie und Mitarbeit von Betroffenen in einem fremden Land -, der auch meinen Erwartungen und Vorstellungen entsprach. Auf den Vorbereitungstreffen, als mir als Atheist die kirchliche Anbindung der Menschen deutlicher wurde, schreckte mich das keineswegs ab. Im Gegenteil lernte ich die Einbindung des Projekts in einem viel weiter gesteckteren Rahmen kennen. Neben dem Verein auf deutscher Seite organisiert Vorort in Belarus der Verein ÖkoDom die Arbeit. Zu den Erfahrungen mit dem Bau von 35 Lehmhäusern in Druschnaja am Narotschsee und nun in Lepel bereits mit 5 Häusern, laufen in Druschnaja seit Jahren auch Mutter-und-Kind-Freizeiten mit Tschernobyl-Familien. Die TeilnehmerInnen kommen bei Gastfamilien in Druschnaja unter. Darüber hinaus organisiert Ulrike Jäger aus Bielefeld im Rahmen einer kirchlichen Organisation seit mehreren Jahren Arbeitseinsätze mit Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren in den Dörfern rund um den Narotschsee. Sie helfen besonders den alten und allein gebliebenen Frau bei notwendigen Reparaturen an den Häusern und den Gartenzäunen. Auch finden in Druschnaja Nähkurse für Frauen aus dem Dorf statt. Und das alles natürlich vor dem Hintergrund der gemeinsamen verwobenen Geschichte. Der deutsche Faschismus hinterließ hier mit über 2 Millionen Toten eine blutige Spur. Deshalb besonders bedeutsam und interessant auch die Geschichtsgruppe mit Hinrich an der Spitze, die Vorort durch Zeitzeugengespräche und Recherchen mehr Licht in die konkreten Fragen bringen konnten und uns dementsprechend auch vorbereiteten.

Das Leben im Camp

Nach der gemeinsamen zwanzigstündigen Bahnfahrt von Berlin-Lichtenberg nach Minsk und einer gut zwei-stündigen Busfahrt erreichten wir im strömenden Regen Stari-Lepel. Das Wetter war uns nicht immer wohlgesonnen. Nur wenige Tage konnten wir in kurzer Hose arbeiten (abends war das wegen der Mücken sowieso ein Abenteuer). Es regnete aber nachts häufiger wie tagsüber, so dass der Regen beim Arbeiten nicht allzu sehr störte. Wir kamen in der Dorfschule (Ferienzeit) unter mit einem Brunnen und einer Küche mit angrenzendem Essraum, wo auch die Kinder während der Schulzeit bekocht wurden. Das Essen war hervorragend nähr- und abwechslungsreich. Dank an unsere Küchenfrauen und Galina für die gute und schmackhafte Küche. Je nach Wetterlage wurde im Essraum (sehr eng für so viele Menschen) oder vor allem an Holzbänken und ­tischen draußen gegessen. Die Idee eines offenen Pavillons war toll, die Farben waren zu aufdringlich und passten aber nicht ganz in das Projekt und in die Landschaft. Einige von uns schliefen in den Räumen der Turnhalle und einige auch in mitgebrachten Zelten, die im Obstgarten auf einer Wiese aufgebaut wurden. In den Gruppenzelten schliefen die 9 belarussischen StudentInnen. Sie hießen Katja, Katja, Natascha, Natascha, Sweta, Svetlana, Olga, Mischa und Denis. 4 von ihnen waren als DolmetscherInnen tätig, die anderen arbeiteten mit und sollten an die deutsche Sprache herangeführt werden. Katja sprach perfekt englisch. Sie waren tolle, freundliche Menschen, haben uns immer geholfen ­ ob bei der Arbeit oder in unserer Freizeit, bei Besichtigungen -. Da sie in der Regel um die zwanzig Jahre alt waren, wurde aber auch deutlich, dass sie sich über bestimmte Fragen des Lebens dort noch keine Gedanken gemacht hatten. Die sanitären Anlagen entsprachen der Idee des Projekts: einfach, aber funktional. Es gab zwei Plumsklos (sogar mit Toilettensitzen) und ein Holzverschlag mit einer Metallwanne mit 4 Wasserhähnen und einem abgeteilten Raum mit einem Bollerofen (Holzfeuer) für warmes Wasser für die Dusche. Wegen der langen Schlangen an der Dusche sollte vielleicht ein weiterer Ofen angeschafft werden (zumal in den nächsten Camps sich die TeilnehmerInnenzahlen noch weiter erhöhen).

Neben den Arbeiten war genügend Zeit zum Entspannen, mit dem Fahrrad die Gegend erkunden oder die 8,5 km nach Lepel-Stadt zu fahren, in dem herrlich gelegenen und erfrischenden Lepel-See zu schwimmen, zu lesen, Kartenzuspielen, zusammen mit der belarussische Brigade und auch mit Nachbarn aus dem Dorf Fußball oder Volleyball zu spielen, sich zu unterhalten, zu feiern, zu trinken und am Lagerfeuer zur Gitarre (besonderen Dank an Annemarie) zusammen mit den BelarussInnen Lieder zu singen. Interessant auch das Kennenlernen der unterschiedlichen Geschichten und die Motivation zur Beteiligung hier von den einzelnen TeilnehmerInnen. Mit anderen Worten, jeder konnte mehr oder weniger intensive Freundschaften schließen. Was natürlich bei so vielen Menschen unterschiedlicher Biographie auch immer wieder auftritt, ist die unterschiedliche Verantwortung für das eigene Verhalten ("es wird sich schon eine/r finden, der das wegräumt") oder für die Beteiligung an Aufgaben der Gemeinschaft (z.B. Getränke zu besorgen, Geld einzusammeln usw.). Aber das tat der Stimmung keinen Abbruch.

Die Arbeit auf der Baustelle

Gearbeitet wurde in der Regel nach dem Morgenkreis, der um 8.00 Uhr begann, um 8.30. Gegen 10.30 gab es dann mit Wasser, Tee und Brot, das die Menschen aus der Küche zur Baustelle brachten, eine kleine Pause. Mittagspause gab es von 12.30 bis 13.30 Uhr. Gegen 15.30 Uhr machten wir dann wieder mit Wasser, Tee und Gurke oder Tomate eine kleine Pause ... und Feierabend war um 17.00 Uhr. Bei den Pausen ist es uns ­ obwohl einige darauf aufmerksam gemacht hatten - nicht immer gelungen, genügend für die Menschen, die nicht direkt am Lehmhaus arbeiteten (die belarussischen Arbeiter der Ständerwerkbrigade oder die Menschen der Schilfmattenkolonne), übrig zu lassen, weil sie nicht sofort die Arbeit aus der Hand fallen ließen oder lassen konnten. Nach den Anlaufschwierigkeiten konnte die Arbeit losgehen. Einige schaufelten in den von Ivans (er wurde von der Kolchose samt Traktor für uns freigestellt) Traktor angetriebenen Mischer 70 % Holzhechsel und 30% Lehm. Dann wurde die Mischung mit Schubkarren zum Verfüllort geschafft und dann mit der Schaufel in die zuvor mit Schalbrettern abgedichteten Hohlräume des Holzständerwerkes geschüttet. Danach wurde die Masse mit den selbstgefertigten Holzstampfern durch kräftiges Stampfen verdichtet. Die Dachschrägen und die obere Dachlage wurde in ähnlicher Weise mit einer Menschenkette von bis zu 20 Leuten ­ zum Teil über Leitern - per Eimer beschickt. Dieses Erlebnis ­ wo jeder in der Reihe funktionieren musste, damit das Ganze gelingt, hat sich besonders bei vielen als ein intensives Arbeitserlebnis eingeprägt. Für die höher gelegenen Lagen wurden dann Metallgerüste zum Arbeiten aufgebaut. Die unteren vier Lagen der Verschalbretter wurden nach bestimmter Trockenzeit wieder abgeschraubt und für die höheren Lagen wieder neu angebracht. So wuchs das Haus unter unseren Händen.

Gegen Ende sollten dann die Schräglagen des Daches mit 5 cm dicken Schilfmatten doppellagig zwischen den Dachbalken isoliert werden. Leider waren die Dachbalken in völlig unterschiedlichen Abständen angebracht, was den einheitlichen Zuschnitt der Schilfmatten erschwerte.

Die Isolierung mit Schilfmatten entsprang der Notwendigkeit aus den Erfahrungen von Druschnaja. Da die Winter doch bis zu minus 30° kalt werden können, reicht die Lehmwand mit einer davor gelagerten Holzabverkleidung nicht aus. In Druschnaja haben ja die Bewohner bereits zwei Häuser mit einer zusätzlichen Steinwand versehen. So entstand die Idee, den nachwachsenden Rohstoff dieser Region ­ das Schilf ­ zur Isolierung zu verwenden. So wurde das Schilf im Winter auf den zugefrorenen Seen geerntet und in einer kleinen Fabrik mit mehreren Beschäftigten zu Schilfmatten verarbeitet.

Eine Gruppe von 8 Leuten begann zusätzlich auch nach 1 _ Wochen mit der Isolierung durch Schilfmatten am Haus 1. Ohne große Anleitung mussten wir uns die geeignetesten Arbeitsabläufe selbst herausfinden und organisieren. Dazu gehörte als erste der Bau eines Arbeitstisches. Es wurde viel improvisiert ­ machte aber trotzdem riesigen Spaß. Die Flächen wurden ohne große Probleme bearbeitet, aber dann begann die Fummelei und der Kleinstzuschnitt der Matten an den Fenstern und den Dachübergängen. Aber dafür, dass wir Laien auf dem Gebiet waren, sind wir relativ weit gekommen. Erst am letzten Tag, als ich Slava, einem Belarussen aus Druschnaja, in die Abläufe der Schilfmattenisolierung einarbeiten sollte (ich glaube, er wusste und konnte vielmehr wie ich) kam das Erlebnis einer Arbeitssituation auf, die ich mir so sehr gewünscht hatte. Wir saßen zusammen, radebrechten, schrieben zur Erklärung und gegenseitiger Verständigung etwas in den Sand und arbeiteten zusammen. Das hätte ich mir für das gesamte Workcamp gewünscht und auch erwartet.

Die Menschen auf der Baustelle ­ es fehlten also die Familien, die in die Häuser einziehen sollten ­ die deutschen Workcamp-TeilnehmerInnen zusammen mit den belarussischen StudentInnen ­ brachten natürlich ihre unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten ein. Einigen ging die Arbeit leichter von der Hand, einigen weniger leicht. Einige hatten tolle Ideen zur Veränderung von unnötigen Arbeitsabläufen oder waren total kreativ bei der Erstellung von Hilfswerkzeugen. Einige guckten nicht so sehr auf die Zeit und richteten sich mehr nach den aktuellen Notwendigkeiten ­ andere ließen immer pünktlich den Hammer fallen oder begannen schon vor Feierabend mit dem Reinigen der Werkzeuge. Trotz dieser Unterschiede hatten aber alle uneingeschränkt das Ziel, dass das Haus fertig werden musste. Das haben wir dann ja auch mehr oder weniger geschafft.

Die Probleme des Projekts

Die anfangs tolle Idee, Tschernobyl-Familien durch Hilfe zur Selbsthilfe aus dem verstrahlten Gebiet umzusiedeln ­ ohne bürokratischen Aufwand etwas praktisch anzuschieben ­ und das noch verbunden mit ökologischen Vorstellungen scheint sich nun zunehmend in Frage zu stellen. In Lepel sind von den nunmehr 6 fertigen Häusern nur bislang 2 vergeben (wer ist eigentlich nach Andre von Haus 1 die zweite Familie?). Während unserer Zeit stellten sich zwar 4 Familien vor und besichtigten die Häuser. Da sie sich noch nicht entscheiden konnten, arbeiten sie nun ersteinmal 4 Wochen dort (und wenn sie Aussteigen, bekommen sie ihre Arbeit bezahlt). Entscheidend ist aber die Tatsache, dass mit uns zusammen keine Familie gearbeitet hat. Bei vielen tauchte hier die Frage nach dem Sinn unsere Arbeit auf. Das allein mit der Politik der herabgesetzten Strahlenwerte (und damit mit der drastischen Eingrenzung der Verstrahlungsbetroffenen) durch die Regierung zu begründen reicht nicht aus. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Landschaft gegangen ist, konnte auch andere Problemfelder wahrnehmen.

Sicherlich wurde auch mir in den Gesprächen (besonders mit einer Künstlerin ­ Teilnehmerin an der Mutter-Kind-Freizeit- aus Gommel) deutlich, dass die Verharmlosung der Verstrahlung auf fruchtbaren Boden bei der Bevölkerung fällt. Hinzu kommt allerdings (und das hat uns auf der langen Fahrt von Minsk nach Lepel auch der Taxifahrer Alexandr bestätigt) eine totale Familienverbundenheit und damit eine Ortsfixierung der Menschen. Viele wollen nicht aus ihrer gewohnten Umgebung (Eltern, Geschwister, Tanten, Onkel) heraus. Wenn ich den vielen SchreiberInnen über und KennerInnen von Belarus Glauben schenken darf, dann haben die engverknüpften Familien- und Dorfbande ein besonders hohen Stellenwert. Der Wechsel der Staatsformen, der unterschiedlichen Herrschaft über die Jahrhunderte hatte deshalb nie so eine große Bedeutung für die Menschen. Ebenso wenig das Verständnis von Nationalität.

Deshalb wäre die Frage aufzuwerfen, ob man es nicht schaffen kann, einen ganzen Familienzusammenhalt geschlossen umzusiedeln ?

Der nächste Punkt ist die neue Umgebung. Einmal abgesehen davon, dass ich mich über den schnurgeraden Eigenheim-Siedlungscharakter in Druschnaja erschrocken habe (die belarussischen Dörfer sind organisch gewachsen) drängt sich die Frage auf, wer will schon in eine Gegend ziehen, "wo der Hund begraben ist", mit kaum vorhandener Infrastruktur und noch weniger vorhandener Arbeit ? Dazu kommt die Beurteilung durch die bereits ansässige Bevölkerung der Umgebung. Ersteinmal werden die Umsiedler kritisch beäugt, ob sie nicht etwas "Ansteckendes" an sich haben ­ sie kommen ja immerhin aus dem verstrahlten Gebiet. Dann bekommen sie komfortable Häuser mit fließend Wasser (dazu noch warmes), mit Elektrizität und Zentralheizung, mit gefliester Küche und Badezimmer, während sich die Dorfbevölkerung um ein Holzfeuer scharren und Wasser in Milchkannen auf Karren vom nahegelegen Gemeinschaftsbrunnen holen müssen. Die neidische Distanz ist hiermit klar vorprogrammiert und erschwert zusätzlich ein "Fußfassen". Sollte das Projekt eine Zukunft haben, muss auch über eine intensivere örtliche Vernetzung nachgedacht werden. Eventuell eine Mischbesetzung aus örtlichen Kolchosarbeitern aus der Dorfbevölkerung mit Tschernobyl-Familien. Zwar wurde bei Druschnaja der Fußboden des Kindergartens erneuert, die Schilfmattenproduktion eingerichtet und in Lepel der Bau einer Brücke geplant, aber vielleicht sollt auch mehr in Richtung arbeitsintensiver Projekte mit der Dorfbevölkerung nachgedacht werden. Und wenn hier unser "deutscher" Verstand nicht ausreicht, ist es vielleicht auch notwendig sich einmal mit professionellen Entwicklungsgesellschaften zusammen zu setzen.

Probleme bei der ökologischen Bauweise

Während der Baumaßnahme fielen mir Probleme auf, die den Anspruch einer ökologischen Bauweise widersprechen und nach einer Lösung rufen.

Probleme mit der Arbeitsorganisation

Im Laufe des Workcamps wurden mir auch Probleme bei der Arbeitsorganisation deutlich.

Das Erlebte möchte ich nicht missen !

Ich bin der festen Überzeugung, dass die hier erlebten Widersprüche zum Umdenken und zu praktischen Änderungen führen werden. Ich schätze die Organisation und die hier verantwortlich tätigen Menschen nicht als so starr ein, das nicht noch Bewegung möglich ist (vielleicht schon während des Schreibens dieser Zeilen). Denn der Gedanke von der Hilfe zur Selbsthilfe ist und bleibt ja ein unumstößlich guter Grundsatz dieser Arbeit.

Trotz der Widersprüche hat mich das Erlebnis Belarus tief beeindruckt und glücklich wie auch traurig gestimmt. Glücklich, weil ich hier in einem fremden Land mit interessanten netten Menschen leben und arbeiten konnte, gemeinsam mit den Händen etwas Sinnvolles schaffen und neue Freundschaften schließen konnte. Traurig, weil ich davon nur sehr wenig in die zunehmend entfremdete Lebens- und Arbeitswelt nach Deutschland hinüberretten kann.

"Der aus den Büchern erworbene Reichtum fremder Erfahrung
heißt Gelehrsamkeit.
Eigene Erfahrung heißt Weisheit.
Das kleinste Kapitel von dieser ist mehr wert
Als Millionen von jener."
(G.E.Lessing)
Dortmund, 24.7.2003
Fragen, Kritiken usw an: Georg Bückle

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