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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Überleben – oder mehr? BekleidungsarbeiterInnen in Bangladesch gehen auf die Straße, aber am Ende hilft nur gewerkschaftliche Organisierung Arbeiterunruhen haben Bangladesch in diesem Sommer so stark geschüttelt, dass sogar die hiesigen Mainstream-Medien nicht umhin konnten, davon Notiz zu nehmen. Die Geschichte der Bekleidungsindustrie – 75 Prozent der Deviseneinnahmen stammen aus den Exporten dieser Branche, von der hierzulande vor allem Billig-Modekonzerne wie H&M und KiK profitieren – ist geprägt von miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen der FabrikarbeiterInnen sowie einer Aneinanderreihung katastrophaler Ereignisse, die bereits vielen Beschäftigten Gesundheit oder Leben gekostet haben. Das ExChains-Projekt, ein internationales Netzwerk von ArbeiterInnen entlang der globalen Zulieferkette der Bekleidungsproduktion, schildert in seinem aktuellen Rundbrief exemplarisch zwei Ursachen für die Misere der Menschen, die in Bangladeschs Fabriken Kleidung für den Export herstellen. Amirul Haque Amin und Sultana Begum von der National Garment Workers Federation sollten im September auf Einladung des TIE-Bildungswerks e.V. in Deutschland über die Situation der ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie und die Aktivitäten ihrer Gewerkschaft berichten. Leider bekamen sie die benötigten Visa für die Einreise nach Deutschland nicht. Das wird das Netzwerk nicht daran hindern, die multinationalen Abnehmerkonzerne weiter in die Verantwortung zu nehmen. Das erste Halbjahr 2010 war für die Gewerkschaft National Garment Workers Federation (NGWF), Partnerin im ExChains-Projekt, sehr ereignisreich. Die politischen Ziele sind dieselben, die auch schon 2002 oder 2006 auf der Tagesordnung standen, allen voran:
Das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung ist das wichtigste von vielen Rechten, die den Beschäftigten in Bangladesch längst laut Gesetzestext, aber noch lange nicht in Wirklichkeit zugestanden werden. Leider ist es aber auch dasjenige, das von Fabrikeigentümern und Vorgesetzten am massivsten ignoriert oder gar bekämpft wird. Mit dem faktisch immer noch weithin vorherrschenden Verbot, sich auf Fabrikebene gewerkschaftlich zu organisieren und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in die eigenen Hände zu nehmen, lässt sich auch erklären, dass sich die Verzweiflung und der Unmut der Beschäftigten in schöner Regelmäßigkeit in heftigen Gewaltaktionen und Zusammenstößen Bahn brechen – in den Fabriken, wo dann meist v.a. die Einrichtung zu Bruch geht, oder auf der Straße, wo sich (vorwiegend männliche) Beschäftigte Schlachten mit Wachpersonal und Polizeikräften liefern. Ursache der Verzweiflung sind die häufig miserablen Arbeitsbedingungen; Löhne, von denen man vielleicht vegetieren, nicht aber würdig leben kann; und eine Perspektivlosigkeit, die über der Existenz von ArbeiterInnen hängt, die daran gehindert werden, an ihrer Situation durch Organisierung und kollektive Aktivität etwas zu ändern. Die NGWF kämpft unter schwierigsten Umständen seit nunmehr 26 Jahren systematisch für die Rechte der Beschäftigten in den Bekleidungsfabriken. Hinter allen Bemühungen steht das Ziel, das Recht der Beschäftigten auf gewerkschaftliche Organisierung auf der Fabrikebene durchzusetzen. Im ersten Halbjahr 2010 galten zwei konkrete Kampagnen der Frage der Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns für die Beschäftigten der Bekleidungsindustrie in Bangladesch sowie einer Brandkatastrophe mit vielen Todesopfern bei einem H&M-Zulieferer in Dhaka. Noch lange kein Existenzlohn – die Erhöhung des Mindestlohns In Bangladeschs Bekleidungsindustrie erwirtschaften weit über zwei Millionen ArbeiterInnen in Tausenden Fabriken drei Viertel der gesamten bangladeschischen Exporterlöse. Dennoch zählen die Löhne in Bangladeschs Bekleidungsfabriken nicht nur zu den niedrigsten weltweit, sondern sie sind auch im landesweiten Branchenvergleich bei weitem die niedrigsten. Der gesetzliche Mindestlohn für den Sektor war im Oktober 2006 zum letzten Mal angehoben worden und betrug seitdem 1662 Taka (ca. 18 Euro) im Monat für eine Arbeiterin der niedrigsten Qualifikationsstufe (Stufe 7). Die meisten Beschäftigten verdienen aktuell zwischen 2000 und 3000 Taka (21 bis 33 Euro). Allerdings hat sich das Leben in Bangladesch in diesen knapp vier Jahren stark verteuert. Vor allem die Preise für Grundnahrungsmittel sind massiv gestiegen. Von ihren Löhnen können die ArbeiterInnen kaum selbst leben, geschweige denn Familienmitglieder ernähren. Die Gewerkschaft NGWF hatte bereits im Frühjahr 2009 eine Kampagne für die Anpassung des Mindestlohns begonnen und immer wieder die Forderung vorgebracht, den Mindestlohn so anzuheben, dass er ein Leben ohne Mangelernährung und in Würde ermöglicht. Die Gewerkschaften des Sektors zogen schließlich sogar gemeinsam an einem Strang und forderten geschlossen einen neuen Mindestlohn, der bei 5000 Taka (ca. 54 Euro) im Monat für die niedrigste Qualifikationsstufe beginnen sollte. Immerhin erfüllt ein Monatseinkommen von unter 4200 Taka laut Weltbank den Tatbestand von Armut, so ihr Argument. Das Arbeitsrecht schreibt fest, dass der Mindestlohn alle drei Jahre von einer Lohnkommission, an der neben Regierungsvertretern auch VertreterInnen von Fabrikbesitzern und Gewerkschaften beteiligt sind, neu festgelegt werden muss. Und: Falls es besondere Umstände wie z.B. erhebliche Preissteigerungen erfordern, soll der Mindestlohn bereits vor Ablauf von drei Jahren angepasst werden. Doch trotz der starken Preissteigerungen und entsprechender Forderungen der Gewerkschaften war man sich nach Ablauf der drei Jahre noch nicht einmal über die personelle Besetzung der Lohnkommission einig geworden. Seit Beginn des Jahres 2010 hatten Beschäftigte in den Bekleidungsfabriken immer wieder höhere Löhne gefordert, hatten z.T. die Arbeit verweigert und waren ab Juni auch weiter auf die Straßen gezogen, um sich dort Schlachten mit der Polizei zu liefern. Zu diesem Zeitpunkt war die Lohnkommission zwar endlich zusammengetreten, aber ein diskussionsfähiges Angebot der Arbeitgeber lag noch nicht auf dem Tisch. Seit Beginn der Unruhen hatte die Regierung sowohl Beschäftigte als auch GewerkschaftsaktivistInnen, die die ArbeiterInnen angeblich zum Widerstand aufgestachelt hatten, verfolgt, festgesetzt, geschlagen und bedroht. Nun kündigte sie verschärft massives Durchgreifen gegen »Unruhestifter« an. Schließlich lag ein Angebot für ein Lohnschema auf dem Tisch, das mit 3000 Taka im Monat für die niedrigste Lohnstufe (Stufe 7) beginnt. Nach anfänglicher Ablehnung akzeptierte eine Mehrzahl der Gewerkschaften in der Branche das Angebot grundsätzlich. Auch die NGWF akzeptiert die Mindestlöhne, die in dem Modell für die Lohnstufen 1–4 und 7 vorgesehen sind. Die neuen Löhne für Stufe 5 und 6 allerdings, in welche die meisten Beschäftigten eingruppiert sind, lehnt sie ab und fordert eine Anhebung, da sie kaum eine Verbesserung bedeuten. Gleichzeitig fordert die Gewerkschaft ein Ende von Drohungen und Gewalt staatlicher Organe gegen Beschäftigte und GewerkschaftsaktivistInnen. Unmittelbar nach der grundsätzlichen Zustimmung zum neuen Lohnschema veranstaltete sie eine Demonstration und Kundgebung mit diesen beiden Forderungen. Bis das neue Lohnschema umgesetzt sein wird, kann es dauern: Noch heute zahlt ein Viertel der Fabriken seinen Beschäftigten weniger als den Lohn, der 2006 festgesetzt wurde. Wenn die neuen Löhne irgendwann bei den ArbeiterInnen ankommen, werden viele von ihnen nicht mehr so sehr unter Mangelernährung leiden müssen wie bisher. Ein Leben der Beschäftigten und ihrer Familien in Würde garantiert allerdings auch das noch lange nicht. Dafür muss vielmehr zweierlei gewährleistet sein:
Brand gelöscht, Proteste entbrannt Am 25. Februar 2010 wurden durch einen Brand bei der Bekleidungsfabrik Garib&Garib in Dhaka 22 Beschäftigte getötet und 50 teils schwer verletzt. Der Brand breitete sich vom ersten Stock des siebenstöckigen Gebäudes schnell aus. Vermutlich sind nur aufgrund der nächtlichen Stunde nicht noch mehr Todesopfer zu beklagen. Hauptabnehmer H&M reagierte prompt und behauptete, die Zustände in der Fabrik seien in Ordnung gewesen. Die von der Regierung eingesetzten Gutachter halten in ihrem Untersuchungsbericht allerdings fest, dass die Sicherheitslage in der Fabrik miserabel war. Konkrete Aufforderungen der Behörden zu Brandschutz-Maßnahmen nach zwei Vorfällen in 2009 – bei einem davon war bereits ein Feuerwehrmann zu Tode gekommen – hatte das Unternehmen ignoriert. Wie so oft siegte hier das Profitstreben über die Sorge um die Sicherheit der Beschäftigten, denn laut Untersuchungsbericht war das Gebäude schlecht ventiliert, so dass der Rauch nicht abziehen konnte – die Opfer sind erstickt. In einem brauchbaren Zustand waren weder die obligatorischen Notausgänge (zugestellt mit Materialkisten) noch die Feuerlöscher (defekt). Weder Wachleute noch Beschäftigte wussten die Feuerlöscher zu bedienen. Bauliche Veränderungen, unsachgemäße Lagerung von leicht brennbaren Stoffen sowie ein abgesperrter Hauptausgang kamen hinzu. Die NGWF begann bereits am Tag nach dem Unglück eine Kampagne, in der es zunächst um schnelle Aufklärung der Brandursachen und Bestrafung des verantwortlichen Fabrikbesitzers ging sowie um eine unbürokratische erste Unterstützung für die Angehörigen der Verletzten und Toten. Im weiteren Verlauf der Kampagne wurden zentrale Forderungen entwickelt und vorgebracht:
Zur Durchsetzung dieser Forderungen organisierte die NGWF im Frühsommer immer wieder Demonstrationen und Kundgebungen. Im späteren Verlauf des Sommers mussten diese Straßenaktivitäten zunächst zurückgefahren werden, um nichts ins Visier der staatlichen Repression gegen alles zu geraten, was nach Arbeiteraufstand roch. Darüber hinaus überreichte sie den wichtigsten Adressaten jeweils öffentlich ein Memorandum mit den genannten Forderungen: dem Arbeitsministerium, dem Arbeitgeberverband sowie dem Produktionsbüro von H&M in Dhaka. Der deutsche Gesamtbetriebsrat von H&M hat seine Unterstützung für die Forderungen der NGWF kundgetan und die H&M-Geschäftsleitungen in Deutschland und in Schweden dazu aufgefordert, den Forderungen nachzukommen (im Fall von Forderung 1) bzw. sich bei ihren Zulieferern dafür einzusetzen (im Fall von Forderung 2 und 3). Aktuell scheint eine Erfüllung aller drei Forderungen allerdings noch in weiter Ferne. Hinsichtlich der Entschädigungsforderung, die sich an H&M selbst richtet, sind die Vorschläge der Beschäftigtenorganisationen bislang nicht aufgenommen worden. Stattdessen hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit drei willkürlich ausgewählten Nichtregierungsorganisationen selbst ein Modell erarbeitet, das neben einmaligen Zahlungen lediglich für die Kinder aus Angehörigenfamilien eine langfristige Entschädigung vorsieht, und zwar bis zu deren 18. Lebensjahr. Die Höhe dieser Entschädigung ist nicht, wie gefordert, an den entgangenen Lohn der Getöteten gekoppelt, sondern in einem nicht offen gelegten Verfahren einseitig festgesetzt worden. Entgegen öffentlicher Verlautbarungen von H&M wurden unabhängige Beschäftigtenorganisationen wie die NGWF in den Prozess der Entscheidung über ein Entschädigungsmodell bislang nicht einbezogen. (Hierzu hat die Kampagne für ›Saubere‹ Kleidung eine Eilaktion laufen, siehe www.saubere-kleidung.de oder www.cleanclothes.org) Hinsichtlich der beiden anderen Forderungen – der Umsetzung der bereits auf dem Papier existierenden Rechtsansprüche der Beschäftigten auf Arbeitsschutzkomitees in den Fabriken unter ihrer Beteiligung sowie auf gewerkschaftliche Organisierung – fährt H&M eine Doppelstrategie, wie es praktisch alle Käuferunternehmen tun: In öffentlichen Verlautbarungen und CSR-Broschüren in den Käuferländern wird betont, man unterstütze die Rechte der Beschäftigten unbedingt. Allerdings wird gleichzeitig die eigene Macht als häufig größter, manchmal sogar einziger Abnehmer in fast schon grotesker Weise systematisch heruntergespielt, indem behauptet wird, man könne den Zulieferunternehmen ja viel sagen, aber wenn diese partout nicht hören wollten, könne man eben auch nichts machen. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Den ArbeiterInnen in den Fabriken der Zulieferländer ist völlig egal, was in einer Hochglanz-CSR-Broschüre steht. Es ist nicht für sie geschrieben, und es hat auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen keinerlei Auswirkungen. Was hingegen darüber bestimmt, ob die ArbeiterInnen und ihre Familien ein Leben in Würde führen können oder nicht, das ist das Verhalten der großen multinationalen Abnehmer, vorneweg im Bezug auf Stückpreise und Lieferfristen. Die kann ein großer Abnehmer im harten globalen Wettbewerb nämlich praktisch diktieren. Und so bleibt den Zulieferern oft gar keine andere Wahl, als die Beschäftigten mit Hungerlöhnen abzuspeisen, sie zu Nachtschichten zu zwingen, an der baulichen Sicherheit zu sparen und jede gewerkschaftliche Organisierung rabiat zu unterdrücken, wenn der Betrieb unter den vom Abnehmer diktierten Bedingungen überleben soll. In dieser Gemengelage bietet allein die Existenz unabhängiger, engagierter Beschäftigtenorganisationen eine Gewähr dafür, dass die Beschäftigten und ihre gesetzlich verbrieften Rechte nicht völlig auf der Strecke bleiben. Die Kampagne der NGWF geht also weiter, sowohl am Verhandlungstisch (insofern sie dorthin zugelassen wird) als auch auf der Straße. Anne Scheidhauer Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/10. express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express |