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Updated: 18.12.2012 16:00
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Hasta la victoria siempre

Alix Arnold über aktuelle Entwicklungen bei Zanón

In der besetzten Kachelfabrik Zanón produzieren die Arbeiter seit mehr als drei Jahren in Selbstverwaltung. Sie konnten mehrere Räumungsversuche abwehren (siehe auch express 3/04 und 8/04). Das Ende des Konkursverfahrens und eine mögliche Legalisierung stehen in Kürze an. Jetzt werden die Arbeiter mit schmutzigen Methoden angegriffen: Es gab Morddrohungen und Überfälle. Alix Arnold berichtet über Hintergründe und den Stand der Auseinandersetzung.

In der Nacht zum 26. Februar hinterließ ein anonymer Anrufer auf dem Anrufbeantworter des Privattelefons von Raúl Godoy eine Morddrohung gegen ihn, seine Freundin und Alejandro López. Raúl und Alejandro sind Sprecher von Zanón und in der Leitung der örtlichen Kachelarbeitergewerkschaft SOECN (Sindicato de Obreros y Empleados Ceramistas de Neuquén).
Eine Woche nach den Morddrohungen kam es zu einem blutigen Überfall. Am 4. März wurde die Frau eines Zanón-Arbeiters entführt, bedroht und verletzt. Drei Männer und eine Frau zerrten die 24-Jährige in ein Auto, schlugen sie und drohten, auch ihrem Kind etwas anzutun. Sie hatten Detailwissen und mussten die Familie systematisch beobachtet haben. Mit einem scharfen Gegenstand fügten sie der Frau blutige Schnitte am Oberkörper und im Gesicht zu und sagten: »Das ist für Godoy, für López und für Mariano Pedrero (den Anwalt der Zanónarbeiter). Das ist wegen Zanón. Sag denen, dass wir in der Gewerkschaft ein Blutbad anrichten werden. Wir wollen, dass du mit blutigem Gesicht dort ankommst, um ihnen zu zeigen, wie sie alle aussehen werden. Sie werden alle in die Fabrik umziehen müssen, denn wir werden sie sonst alle umbringen.«
Nach zwanzig Minuten ließen die Vermummten ihr Opfer frei. Am folgenden Tag drangen die Täter in das Haus der Entführten ein und bedrohten sie erneut. Der vor der Tür postierte Polizist bemerkte von diesem Überfall genausowenig wie von einem dritten am 21. März, bei dem die Frau mit einem Gürtel gewürgt wurde. Das Fahrzeug der Täter ist ein grüner Ford-Falcon. Dieser Autotyp hat in Argentinien einen schrecklichen Symbolwert, denn er wurde von den (Para)-Militärs für ihre Entführungen benutzt. Vor und während der Militärdiktatur in Argentinien (1976–83) »verschwanden« 30000 Menschen. Die meisten von ihnen waren gewerkschaftlich und politisch aktive Arbeiter.
Die Kachelfabrik Zanón produziert seit drei Jahren »unter Arbeiterkontrolle«. In dieser Zeit haben die Arbeiter die Produktion von 20000 m2 pro Monat auf 300000 m2 erhöht und Einkommensmöglichkeiten für mehr als 200 weitere Arbeiter geschaffen. Mittlerweile verdienen dort 485 Arbeiter ihren Lebensunterhalt. Die Fabrik ist als herausragendes Beispiel von Arbeiterselbstverwaltung und Basisdemokratie in ganz Argentinien und über die Grenzen hinaus bekannt geworden. Die compañeros von Zanón haben ihre Erfahrung mit mehreren Auslandsreisen verbreitet; Raúl Godoy war im November 2003 in Deutschland, bei der Internationalen TIE/express-Konferenz und bei Veranstaltungen in mehreren Städten.

Hinhaltetaktik – öffentliche Hetze – anonyme Angriffe

Die Fabrik Zanón befindet sich in Neuquén (Patagonien), einer Provinz, deren Gouverneur Sobisch als Hardliner gilt. Provinz-Innenminister Manganaro hat in einer öffentlichen Rede vor neueingestellten Polizisten Ende letzten Jahres die Arbeiter von Zanón als Lügner, Betrüger und Gesetzesbrecher angegriffen, und von Seiten der Provinzregierung gab es eine neue Räumungsdrohung gegen die besetzte Fabrik. Zanón hat als einziger der 160 besetzten Betriebe in Argentinien bisher keinerlei Legalisierung erreicht. Im Februar hätte der Konkurs der Firma erklärt werden sollen. Dies wäre die Voraussetzung dafür, dass der Betrieb der von den Zanón-Arbeitern gegründeten Kooperative FaSinPat (Fábrica sin Patrones – Fabrik ohne Chefs) überlassen würde. Stattdessen hat der Konkursrichter das »Cram-Down«-Verfahren eröffnet: Die Fabrik wird für Investoren zum Kauf ausgeschrieben. Den Arbeitern wird damit ebenfalls »angeboten«, als Investoren aufzutreten und die Fabrik zu kaufen. Zu diesem Thema fand am 18. Februar im Hof der Fabrik eine der Vollversammlungen statt, bei denen sich die Arbeiter regelmäßig treffen, um eine gesamte Schicht lang zu diskutieren. Dort wurde das Cram-Down-Verfahren, das Spekulanten und Strohmännern Tür und Tor öffnet, sowie der Vorschlag, die Fabrik mitsamt der 170 Millionen Pesos Schulden zu übernehmen, einhellig verurteilt. In einer öffentlichen Erklärung haben die compañeros von Zanón klargestellt, dass sie mit den Schulden dieses Unternehmers nichts zu tun haben. Sie fordern stattdessen weiterhin, dass ihre Arbeiterselbstverwaltung anerkannt und dass die Fabrik endgültig enteignet und ihrer Kooperative zur Verfügung gestellt wird. Sobald die Ausschreibung eröffnet ist, wird es weitere Mobilisierungen der Zanón-Arbeiter geben – um eventuellen Investoren klar zu machen, dass sie mit dieser Fabrik und diesen Arbeitern nichts zu lachen haben werden. Sollte sich kein Investor finden, wäre der Weg frei für die Konkurserklärung und die Übernahme durch die Kooperative.

Die Arbeiter von Zanón sind nach wie vor bereit, ihre Fabrik mit allen Mitteln zu verteidigen. Eine gewaltsame Räumung hätte unabsehbare Konsequenzen. Einen frontalen Angriff auf dieses Symbol kann sich der Staat kaum leisten. Aber anstatt die überfällige Legalisierung einzuleiten, wird das Konkursverfahren verzögert, und die Arbeiter sind mit Drohungen und Überfällen konfrontiert. Sie sehen diese schmutzigen Methoden als Teil der Eskalationsstrategie der Provinzregierung gegen die sozialen Bewegungen. Den Beginn der Repression datieren sie auf den November 2003. Damals ging die Polizei mit großer Brutalität gegen Arbeitslose vor, denen die Zanónarbeiter in einer stundenlangen Straßenschlacht zu Hilfe kamen. Mehrere Menschen wurden durch Gummigeschosse und sogar scharfe Munition verletzt. Der Zanónarbeiter Pedro Alveal verlor dabei ein Auge. Erst vor kurzem ist es den AnwältInnen der Zanónarbeiter gelungen, nach mehreren Einstellungen doch noch ein Strafverfahren gegen beteiligte Polizisten in Gang zu bringen.

Wenige Tage vor der Morddrohung gegen die Zanónarbeiter hatten zwei Justizbeamte, die für Kinder- und Jugendschutz zuständig sind, ebenfalls telefonische Morddrohungen erhalten. Sie hatten sich gegen eine Verschärfung der Gesetze gegen Jugendliche ausgesprochen, die Innenminister Manganaro vorantreibt. Am 22. März kam bei der Gewerkschaft der Justizangestellten ein Drohbrief an, der mit »Restaurations-Falange von Neuquén« unterzeichnet war und auf die Militärdiktatur anspielte: »Es lebe der 24. März« – der Tag des Militärputsches 1976. Bei einer weiteren Arbeiterfamilie von Zanón wurde im März ebenfalls eingebrochen. Gestohlen wurde nichts, aber die Täter hinterließen eine verwüstete Wohnung und nahmen Fotos der Kinder mit, die sie Tage später zerschnitten in den Briefkasten der Familie schmissen.
Noch ist unklar, woher genau die derzeitigen Angriffe gegen die Zanónarbeiter kommen, aber alle Hypothesen deuten in dieselbe Richtung: auf die Provinzregierung. Dies gilt auch für die Vermutung, dass der Unternehmer Zanón und die ehemaligen ihm treuen Gewerkschafter dahinterstecken könnten, die schon einmal versucht haben, den Betrieb mit Gewalt »zurückzuerobern«. Auch diese Mafia hat beste Verbindungen zur Provinzregierungspartei MPN.

Si tocan a una, tocan a todas: Gemeint sind wir alle

Nachdem zuerst bekannte Führungspersönlichkeiten bedroht wurden, ist nun mehrfach die Frau eines Arbeiters angegriffen worden, der keinerlei besondere Funktionen in der besetzten Fabrik ausübt. Wenn die Täter damit sämtliche Arbeitern einschüchtern wollten, haben sie sich verrechnet. Bei einem Diskussionstag in der Fabrik über die Vorfälle haben die Arbeiter ihre Einheit und Entschlossenheit bekräftigt. Die Entführte selbst hat sie aufgefordert, auf keinen Fall in ihrem Kampf nachzulassen und sich durch diesen Überfall nicht aufhalten zu lassen.
Diese Entschlossenheit haben am 8. März in Neuquén 5000 Menschen demonstriert. Die entführte compañera ging bei dieser Demonstration in der ersten Reihe. Die CTA (einer der drei Gewerkschaftsdachverbände, der vor allem im Öffentlichen Dienst vertreten ist) hat für diesen Tag in der Provinz Neuquén zu einem Streik mit Mobilisierung aufgerufen. Bei der Demonstration waren neben den Zanónarbeitern und ihren Familien besonders viele Lehrer. Unterricht hat an diesem Tag in der Provinz kaum stattgefunden.

In der über tausend Kilometer entfernten Hauptstadt Buenos Aires haben zeitgleich etwa zweihundert Leute zwei Stunden lang die Vertretung der Provinz Neuquén belagert. Nach dem Motto »Wenn sie einen angreifen, sind wir alle gemeint«, waren Delegationen von Arbeitern aus verschiedenen Betrieben gekommen. Besonders die Arbeiter der Textilfabrik Brukman wurden mit großem Applaus begrüßt. Brukman und Zanón standen anfangs gemeinsam für den radikalen Flügel der Betriebsbesetzer in Argentinien. Brukman wurde im April 2003 geräumt. Nach acht Monaten im Zelt auf der Straße gelang den Arbeitern die Rückkehr in die Fabrik, mit Hilfe eines peronistischen Anwalts. Die Mehrheit folgte dann seiner Linie: Arbeiter sollen sich um die Produktion kümmern, und nicht um Politik. Nur eine kleine Minderheit ging weiter auf die Straße, z.B. zur Unterstützung der Arbeiter von Zanón – und wurde dafür per Versammlungsbeschluss mit Lohnabzug bestraft. Am 8. März gab es einen Aufruf dieses Anwalts, zur Unterstützung eines anderen von ihm legalisierten Betriebes auf die Straße zu gehen. Die vorübergehende Enteignung der Kooperative Ghelco war juristisch angefochten worden, und ein solcher Präzedenzfall könnte Auswirkungen auf alle anderen »enteigneten« Betriebe haben. Die Dissidenten von Brukman schlugen daraufhin vor, nach der Ghelco-Demo gemeinsam zu der für Zanón zu gehen – und die Versammlung stimmte zu. So konnten sie am Abend vor der Demo bei einem großen Treffen im besetzten Vier-Sterne-Hotel BAUEN endlich einmal wieder eine Erklärung im Namen der Brukmanbelegschaft abgeben und bei der Demonstration mit großer Gruppe und Transparent erscheinen. Ein kleiner, aber wichtiger Schritt auf dem Weg zur immer wieder lautstark beschworenen »Arbeitereinheit« in Argentinien. Die wird zur Zeit vor allem von den Arbeitern der Subte, der U-Bahn in Buenos Aires vorangetrieben. Diese haben letztes Jahr, mitten in der Krise, die Wiedereinführung des 6-Stunden-Tages wegen gesundheitsgefährdender Arbeit gefordert und mit Streiks durchgesetzt – gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokraten. Am 10. Februar haben sie mit weiteren Streiks eine 44-prozentige Lohnerhöhung erreicht. Das Beispiel könnte Schule machen, denn nach jahrelangen Lohnverlusten tauchen zur Zeit in vielen Betrieben Lohnforderungen auf. Gemeinsam mit den Zanón-Arbeitern und anderen haben die Subte-Arbeiter am 2. April in Buenos Aires ein Koordinationstreffen der antibürokratischen Kräfte organisiert, an dem mehr als tausend delegierte Arbeiter teilgenommen haben.

Die Arbeiter von Zanón sind weiterhin bedroht und können Solidarität gebrauchen. Eine einfache Möglichkeit ist die internationale Online-Unterschriftensammlung, an der sich bereits fast 22000 Leute aus 75 Ländern beteiligt haben: http://www.petitiononline.com/zanon/petition.html externer Link

Homepage der Arbeiter von Zanón und Kontakt: http://www.obrerosdezanon.org externer Link
prensaobrerosdezanon@neunet.com.ar

Broschüre ›Eine Fabrik in Patagonien – Zanón gehört den Arbeitern‹ (Beilage zur Wildcat #68, Januar 2004) als pdf-Datei: http://www.wildcat-www.de/wildcat/68/w68_zanon.pdf externer Link pdf-Datei

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/05


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