letzte Änderung am 18. Sept. 2002

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Urlaub in Albanien

Oder Durres geht durch den Magen

Die Frage, wie man auf die Idee kommt, in Albanien Urlaub zu machen, bleibt in diesem Artikel unbeantwortet. Nichts desto trotz ist ein längerer Urlaubsaufenthalt in Albanien dem ehemaligen "Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa" durchaus aufschlußreich. Schon die Ankunft am Flughafen bringt einige überraschende Momente bei der Kofferausgabe im Terminal mit sich. Mehrere Personen versuchen gleichzeitig den Koffer in Beschlag zu nehmen, verbunden mit dem Angebot, sie hätten Appartements und Taxis zur Verfügung. Dabei geraten sich die unterschiedlichen "Dienstleister" gegenseitig in die Haare. Der Autor dieser Zeilen konnte den Marktrubel bewältigen, da er den Streit und die unterschiedlichen Angebote sprachlich zu differenzieren vermochte. Zuerst ging es nach Tirana der Hauptstadt des Landes. Tirana hat neben unzähligen improvisierten Kleincafe´s auch Hotels die rein äußerlich westlichen Kriterien entsprechen. Der Preis für die Übernachtung entspricht der Preislage eines Hotels mittlerer Kategorie in Deutschland. Das Zentrum von Tirana ist nach wie vor geprägt von breitgefächerten Straßenzügen, großen Plätzen und Spielanlagen aus der Zeit des "Staatssozialismus". Sofort fällt einem jedoch die ungeheure soziale Differenzierung der Bevölkerung ins Auge. Während Geschäfte mit italienischer Designermode zweiter Qualität um zahlungskräftige Kunden werben, blickt einem die Armut auf den Straßen offen ins Gesicht. Unzählige Kinder hängen sich an den scheinbar finanziell wohlgestellten Ausländer, um Geld zu ergattern. Diese Kinder sind entweder körperlich ausgezehrt oder kleine "Geschäftsleute", die einen mit Zigaretten oder Telefonkarten beglücken wollen. Gegenwärtig wächst in Albanien, trotz allgemeiner Schulpflicht, wieder der Analphabetismus. Da die meist arbeits- und einkommenslosen Eltern ihre Kinder, statt in die Schule auf die Straße schicken, um an Tankstellen Autos zu waschen,, zu betteln oder diverse Dinge zu verhökern. Der in Albanien bereits überwundene Analphabetismus steigt deshalb rapide. In Tirana gibt es Luxusrestaurants, die von Bodyguarts am Eingang gegen das gemeine Volk abgesichert werden. In den Restaurants tummelt sich eine Gesellschaft, die äußerst zwielichtig und mit Geld ausgestattet, kulinarische Genüsse verzehrt, zu einer Preislage, die in Europa gängig ist. Der verelendete Normalbürger ist von solchen Genüssen selbstverständlich ausgeschlossen. Die Preislage in Albanien läßt sich in vielen zu rund 60% mit der Preislage in Europa vergleichen. Das Einkommen der breiten Masse liegt bei höchstens 150-Euro. Rund 20% der Bevölkerung verfügen über keinerlei Einkommen, die Industrie liegt nach wie vor am Boden und hunderttausende von Albanern sind gezwungen ihre Arbeitskraft den Bauunternehmern Griechenlands anzubieten, die sie dazu benützen die Löhne in Griechenland generell zu attackieren. Tirana vermittelt das Bild einer Stadt die an dritte Welt Metropolen erinnert, einerseits protzig zur Schau gestellter Reichtum einer mafiosen neureichen Schicht, andererseits schreckliches, ans Gemüt gehendes Elend. Die Produktion in Albanien findet im Bereich industrieller Fertigung de facto nicht statt, das Land importiert die meisten Produkte aus dem gegenüberliegenden Italien . Die dortigen Handelskapitalisten nützen die Gelegenheit , um das einst so stolze Volk der Skipetaren, mit Ausschußware und billigem Modeverschnitt zu beglücken.

 

In Durres

Die gegenwärtige albanische Regierung unter dem sogenannten Sozialisten Fatos Nano versucht, den 362 Kilometer langen Küstenstreifen Albaniens an der Adria für den Tourismus zu öffnen. Es ist durchaus interessant sich diese Ambitionen näher kommen zu lassen. Durres ist einerseits eine große Hafenstadt und hat auf der anderen Seite einen sehr langen Sandstrand mit der Möglichkeit hunderte von Metern ins Meer zu spazieren, bevor der Kopf versinkt. In Durres gibt es Tourismus allerdings keinen internationalen. Die schnell zusammengeschusterte Strandpromenade in Durres wird frequentiert von Albanern, die in Europa arbeiten sowie von Albanern aus Kosova und Makkedonien. Die Strandpromenade versucht die italienische Adriagestalltung zu imitieren. Unmittelbar nach dem Sandstrand gibt es eine Reihe Häuser, die entweder schon als Hotels aufgemotzt sind oder im noch nicht ganz fertigen Zustand eine Pension darstellen sollen. Anschließen führt eine enge Straße wiederum ala Italien, die Trennung zwischen der ersten und der zweiten Reihe der Häuser herbei. Die Straße ist stets gefüllt mit unzähligen Automobilen , sowie Militärfahrzeugen der italienischen Armee, die in der Nähe der Strandpromenade mehrere Militärstützpunkte unterhalten. Die Preise für eine Übernachtung in einem Appartement in einer Pension bewegen sich zwischen 20 und 25 Euro die Nacht. Unzählige kleine improvisierte Bistros wie aufgemotzte Restaurants offerieren Speisen und Getränke. Die Preise für die angebotenen Produkte betragen ziemlich exakt 60% von dem, was in Deutschland dafür bezahlt wird. Ausgesprochen billig ist der Kaffee und die Zigaretten westlicher Marke, die einem von überallher angeboten werden. Der Abendspaziergang ist eine Sache, die dem Weg durch einen langgestreckten Bazar ähnelt. Es werden Produkte wie nachgemachte Fußball T-Shirts mit dem Namen Ronaldo und älteren Trikots mit dem Namen Maradona und Völler bis zu Textilien zweiter Wahl und jeder Menge Krimskrams angeboten. Dazwischen immer wieder Kinder ohne Bein bzw. Kinder die eine Behinderung vorspielen, um irgendwie an Geld zu gelangen. Das Essen in den Restaurants kann schwer auf den Magen schlagen, da ständig, oft über Stunden, Stromausfälle zu beklagen sind und somit die Kühlung für Fleischprodukte ausfällt. Dennoch wird das Fleisch verkauft, was zu diversesten Magen- und Darmproblematiken bei Vielen führt. Die Einheimischen raten einem deshalb dazu, hauptsächlich Obst von Bauern am Strand zu kaufen, Weißbrot zu Essen und wenn man Fleisch ist stärkere Alkoholika in Form von Raki zu sich zu nehmen.

 

Strandgespräche

Der Strand, der wirklich sehr schön ist, bietet nicht nur die Möglichkeit sich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen, sondern man ist zudem sehr schnell in politische Strandgespräche verwickelt. Es fällt auf, daß die Masse der Leute, häufig am Strand politisiert. Angesichts der Lage in Albanien sowie in Kosova und Makkedonien ist das kein Wunder. Soziales Elend gewaltsame Spannungen und das Gefühl von Unsicherheit politisieren die Menschen in hohem Ausmaß. Die Radikalität des Daseins beinhaltet des öfteren radikale politische Haltungen in ihrer ganzen Bandbreite. Nachdem man sich die Haut eingecremt hat und ein Anwesender feststellt, der Deutsche versteht die Sprache, wird sofort politisiert. Der albanische Nationalist, hauptsächlich aus Kosova, meist Rugova-Anhänger beglückt einen, mit seiner Weltsicht, dabei schimpft er auf die Enveristen (Anhänger Enver Hoxhas) in Albanien, sowie über die angeblichen Enveristen in Kosova um Hashim Thaci. Dem Deutschen versichert er, daß ihn mit Deutschland eine alte Freundschaft zurückgehend auf die Zeiten des Faschismus verbindet. Dieser Typ, der am Strand von Durres sich die Haut verbrennt, ist meist in mittleren Jahren und hat nicht mit der UCK gekämpft. Im Gegenteil, er verdächtigt die gewesenen UCK-Kämpfer mit der USA im Bündnis zu sein und an alten slavo-kommunistischen Ideen festzuhalten. Diesen Blödsinn sollte man nicht beantworten, es ist aber dennoch wichtig, zu erkennen, was dieser NATO-treue Geselle von sich gibt und wie er das albanische politische Parteienspektrum angreift und keinesfalls daran denkt, sich mit Albanien zu vereinigen. Es braucht einen also nicht zu verwundern, wenn die NATO-Protektoratsherren in Kosova diesen LDK-Typus, anstelle der anderen politischen Richtungen bevorzugen. Der anwesende Albaner aus Makkedonien ist ein etwas anderer Schlag, die Symphatiewerte gehen mehrheitlich in Richtung Ali Ahmeti (ehemaliger UCK-Führer in Makkedonien) der jetzt die Partei für die demokratische Integration in Makkedonien anführt und der kürzlich auch erklärte, daß eines seiner Hauptanliegen darin bestünde, auch nicht Albaner in seine Partei aufzunehmen. Irgendwelche "rassenbiologischen" Artikulationen hört man kaum von einem Albaner aus Makkedonien.

 

Mein Freund Albin

Am Strand betreibt der Albaner Albin aus Durres eine kleinen Verkaufsstand. Jener Albin schimpfte beim Thema Politik sofort auf die neuen Verhältnisse, er sagte: "Früher hatte ich einen festen Arbeitsplatz, genug zu essen und eine absolute soziale Grundsicherung. Jetzt bin ich darauf angewiesen, daß mir irgend ein Idiot irgendwas abkauft, damit ich leben kann." Albin repräsentiert das Element der weitverbreiteten sozialen Nostalgie bezogen auf die "staatssozialistische" Zeit in Albanien unter Enver Hoxha. Bei näherem Nachfragen erklärte er, er wünsche sich auf keinen Fall die alten Denkverbote und die Bevormundung zurück, dennoch hatte das soziale Grundsicherungssystem Vorteile, es beruhigte vor allen Dingen das Nervensystem. Klar war ihm auch in einer der Diskussionsrunden, die sich laufend am Strand ergeben, daß ein isolierter autoritärer "Sozialismus" von oben auf die Dauer nicht haltbar ist. Er verwies selbst auf die Rückständigkeit der damaligen Industrie, auf die negativen Folgen der internationalen Isolierung Albaniens. Jedoch ist die heutige Einbindung in den kapitalistischen Weltmarkt für Albanien mehr als negativ. Denn die internationalen Kapitalgesellschaften haben nicht vor Albanien zu entwickeln, momentan sind sie etwas an dem vorhandenen Chromreichtum des Landes interessiert ohne bereits zu Investieren. Gegenwärtig dient das Land als Abnehmer für westliche Abfallprodukte. Die gegebene Ökonomie in Albanien hat Raubtiercharakter, die Arbeitsmöglichkeiten oftmals nur im Bereich des Handels mit geklauten Zigaretten, Drogen und Frauen bietet. Das kann kein Leben sein. Um die Kosova-LDK-Nationalisten zu provozieren, wurde öfter gegen Abend ein Repertoire mit alten kommunistischen Partisanenliedern ausgepackt.

 

Resümee

Die Situation in Albanien ist katastrophal. Es gibt keine organisierte Arbeiterbewegung in nennenswerter Zahl, die für politische und gewerkschaftliche Ziele zu Kämpfen im Stande wäre. Statt dessen regiert die soziale Grausamkeit, die jedoch kritisch hinterfragt wird. Die Albaner lesen sehr viel, an jedem Zeitungskiosk befinden sich neben den angebotenen Tageszeitungen, billige Literaturangebote, welche die gesamte fortschrittliche europäische klassische Literatur beinhalten. Jedoch von den Albanern eine fortschrittliche Veränderung der Verhältnisse in absehbarer Zeit zu erwarten, ist eine Illusion. Die Weltlage muß sich ändern, der progressive Hauptanstoß muß von außen kommen.

Max Brym
Freier Journalist
Adalbertstr.82
80799 München

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