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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Großzügig: Wer von den 4.000 festgenommenen streikenden indischen Bauarbeitern "nichts getan hat" muss nicht lange im Gefängnis bleiben... Wer sich vom Wahnsinn des Wesens des Nationalstaates überzeugen möchte, kann dies zwar in vielen Ländern tun (nicht nur in Teutonien), aber kaum irgendwo so schnell und übersichtlich wie in den VAE: 4 Millionen EinwohnerInnen, 800.000 Staatsbürger. 95% aller Arbeitskräfte sind - und so heissen sie da wirklich noch - "Gastarbeiter". Nun könnte man sagen, da herrscht einfach mehr Ehrlichkeit, als etwa in Westeuropa: die sollen hier die Arbeit machen und zufrieden sein, pronto. Was sich aber seit Jahren anbahnte und immer wieder zur im Lande neuen Erscheinung von Streiks führte, ist nun im Oktober nachgeradezu explodiert: Mehrere Tausend indische Bauarbeiter (es soll rund 700.000 Menschen aus Indien geben, die in den VAE arbeiten) haben für bessere Löhne und Lebensbedingungen gestreikt, Strassen besetzt, demonstriert: 4.000 von ihnen wurden festgenommen und sollen deportiert werden. Wer von diesen Festgenommenen "nichts getan hat" so liess die Regierung großzügig verlauten, werde schnell wieder freigelassen. "Hitzestreiks", eine Materialsammlung vom 7. November 2007 versucht, Verständnis und Bedeutung dieser Entwicklungen zu klären. Hitzestreiks Wer sich in heutiger Mediensprache auskennt, kann schon aus einer der ersten BBC-Meldungen über den grössten Bauarbeiterstreik der Geschichte der arabischen Halbinsel einiges entnehmen: Analysten, so wird dort abschliessend gesagt, würden der Regierung die Einführung eines Mindestlohns empfehlen, heisst es in der redaktionellen (englischen) Meldung "Dubai construction workers strike" vom 29. Oktober 2007: wenn die das schon empfehlen... Wer sich über die Lebensbedingungen der Bauarbeiter jenseits der glitzernden Projekte, die sie erbauen, ein Bild machen will, kann das - für einen ersten Eindruck ausreichend - in dem Video "Break out of fire" bei YouTube vom März 2007 machen: Das Feuer im Holzhüttenslum macht jede Aktion verständlich, verglichen mit diesen "Wohn"bedingungen waren selbst die Zwangsarbeiter-ähnlichen Baracken süditalienischer "Gastarbeiter" in Stuttgarts Autoindustrie der 60er Jahre geradezu luxuriös... Was passiert ist Der Bauboom vor allem in dem Emirat Dubai geht seit einiger Zeit ungebrochen weiter und die Projekte werden immer gewagter - unter anderem soll wieder einmal ein höchstes Gebäude der Erde entstehen, das Burj Dubai. Das erste Armani-Hotel ist ebenfalls im Bau. Das goldene Kalb Wirtschaftswachstum beträgt in den VAE 12%, getragen eben vor allem von der Baubranche. Die Bauindustrie - mit vielen Investitionen aus ölreichen arabischen Nachbarstaaten - beschäftigt ohne Ende Arbeiter aus Indien, Pakistan und Bangladesh. Und bietet ideale marktwirtschaftliche Bedingungen: Streikverbot, Gewerkschaftsverbot. Das ganze ist eine Entwicklung, die sich schon seit 10-15 Jahren abspielt, und die erstemals 2005 internationale Aufmerksamkeit erregte, als es erste Proteste und kleinere Streiks gab. Ging es in den ersten Anfängen des Protestes vor allem und die Wohnbedingungen, so ist in letzter Zeit auch die Lohnfrage dazu gekommen. Sankar Karpatasan, Aktivist der gewerkschaftsnahen Initiative "Migrant Defense" aus dem indischen Bundesstaat Uttar Pradesh sagt dazu am Telefon: "Ich denke, die Entwicklung ist wie in anderen Migrationskomplexen auch. Erst ist da einfach eine Möglichkeit, deutlich mehr Geld zu verdienen, als etwa zuhause. So weit, so gut. Dann ist man länger da und beginnt, einerseits die Verachtung zu spüren, die nicht nur bei Einheimischen da ist, sondern in den Strukturen angelegt - die ekligen Wohnhütten beispielsweise. Andrerseits registriert man, dass es so viel Geld nun auch wieder nicht ist, vor allem, wenn man anfängt zu vergleichen mit dem, was um einen herum passiert. Wenn dann noch dazu kommt, dass durch Währungskursänderungen - wie es im Falle des sogenannten indischen Aufschwungs mit der Rupee-Erstarkung passiert - das nach Hause geschickte Geld weniger wird, dann wird es allmählich kritisch - und dann beginnt eben eine Entwicklung, die unter Umständen auch zu heftigeren Protesten und Aktionen führt, wie es jetzt der Fall ist". Zunächst hatten laut verschiedenen Pressemeldungen am 27. Oktober etwa 1300 Arbeiter an einem der Vorzeigeprojekte nicht nur die Arbeit niedergelegt, sondern auch den Baukomplex besetzt. Am nächsten Tag, Sonntag, der 29. Oktober schlossen sich über 3.000 weitere Arbeiter von drei anderen Großbaustellen den Aktionen an. Am Tag darauf gab es eine Demonstration mit Straßenblockade - und Demonstranten, die sich zur Wehr setzten, als die Polizei die Demonstration angriff. Deren Forderungen lauteten: Lohnerhöhungen zwischen 140 und 270 Dollar im Monat, verbesserter Transport zum Arbeitsplatz und Verbesserung der Wohnverhältnisse - so etwa fasst die Redaktion von "Channelnews Asia" in der (englischen) Meldung "UAE to deport 4,000 Asian workers after strikes" vom 30. Oktober 2007 diverse Agenturmeldungen zusammen. Die Reaktion der Behörden war ebenso eindeutig: "Ali bin Abdullah al-Kaabi, Dubai's minister of labour, described workers' behaviour as "uncivilised", saying they were tampering with national security and endangering residents' safety" (Unzivilisiert nennt der Arbeitsminister das Vorgehen der streikenden Arbeiter, gegen die nationale Sicherheit und die der Anwohner gerichtet) - so berichtet der redaktionelle (englische) Artikel "Dubai construction workers strike" vom 29. Oktober 2007 bei "Al Jazeera". In dem (englischen) Beitrag "Dubai low-paid Asian laborers voice their woes" von Ali Khalil (AFP) bei Middle East Times vom 31. Oktober 2007 kommen, wie der Titel sagt, auch einmal die Betroffenen selbst ein wenig zu Wort. Der Reporter reiste zum Lager Sonapur (Goldenes Land auf Hindi) und sprach mit den Beteiligten - in dem Camp streikten auch am Dienstag noch rund 2.000 Bauarbeiter. Arbeiten bei 45 Grad Hitze, danach in enormen Schlangen ewig auf einen alten Bus warten, der sie in stundenlanger Fahrt zum Camp zurückbringt - und das bei Löhnen, die angesichts des Preisanstiegs im Boom immer weniger wert sind - das sind die konkreten Zustände der beklagten drei Bereiche. ...und einige der Umstände des Geschehens Das "Bahrain Center for Human Rights" - das sich in erster Linie mit der Situation jener Mehrheit der Staatsbürger befasst, die der schiitischen Glaubensrichtung anhängen - organisiert gegenwärtig eine Kampagne gegen die medizinische Zwangsuntersuchung für ausländische ArbeitsArbeitskräfte. Der Bericht "State of health of Migrant 2007- Mandatory testing in Bahrain" wurde am 30. Oktober 2007 veröffentlicht. Darin wird insbesondere der Zwang zum HIV-Test kritisiert, der mit einem ganzen Komplex gesellschaftlicher Diskriminierung verbunden sei. Vijay Prandh, ebenfalls bei "Migrant Defense" aktiv und selbst mehrere Jahre in Dubai als Bauarbeiter, sagt dazu am Telefon: "Es hat etwas von Militär und von Lager - und es ist ja auch so. Du musst dich untersuchen lassen - es wird dir weder gesagt, was untersucht werden soll noch, was mit den Ergebnissen geschieht - das einzige bekannte Ergebnis ist rein oder raus...Man hat irgendwie das Gefühl, man kommt in ein Land, dessen Herrscher furchtbare Angst haben und restlos alles unter Kontrolle halten wollen". Sein ehemaliger Kollege Annitay Sankar sagt: "Wir haben damals abends im Bett getuschelt, wenn wir irgendetwas verabreden wollten - auf der Baustelle selbst und auch ansonsten im Camp fühlte man sich stets überwacht - ich weiss gar nicht, ob es so intensiv zutraf, aber es gab Überwachung und das Gefühl zumindest war da, sie wäre allgegenwärtig". Exkurs: Google heizt den Aufstand an Sicherlich zu den Umständen, die bekannt sein sollten, will man diesen Streik und seine Bedeutung verstehen, gehört auch die gesamte politische Situation der Emirate und in Dubai - die eben nicht zuletzt durch religiöse Konkurrenz zwischen der Herrscherfamilie und der Mehrheit der Staatsbürger geprägt ist. So wird ausgerechnet ein weltweit machtkonformes Instrument wie Google, in Form von Google Earth, zu einem Auslöser von Unruhen: Weil dort erstmals direkt zu sehen war, wieviel des Staatsterritoriums von der Herrscherfamilie als Privateigentum beansprucht wird. Das Dorf Malikiya und andere Dörfer der Westküste wurden von der Polizei abgeriegelt, weil von dort aus zu einem kollektiven Ausflug auf eine Insel geladen wurde, die den Herrschern gehört - eine no go area. Die folgenden Proteste wurden mit kombiniertem Hubschrauber, Tränengas und Schlagstockeinsatz unterdrückt - Jugendliche verbarrikadierten daraufhin die Straßen mit brennenden Reifen. All das ist ausführlich nachzulesen in dem AP-Bericht "Anti-riot police clash with Bahrainis protesting restricted access to tiny islands" vom 15. Oktober 2007 beim Bahrain Center for Human rights. In dieser Konstellation scheint die Furcht vor normaler Aktivität von "Gastarbeitern" eine logische Folge des Machtgefüges, was Sankars Einschätzung bestätigen würde. Der Bericht "VAE: Missbrauch von Arbeitern während des Baubooms" von Human rights watch vom Dezember 2006 gibt einen für die letzten Jahre umfassenden ersten Überblick über die Lage der migrantischen "Arbeitskräfte" in den VAE. Bei Socialist worker online gibt es den Bericht "Strike wave rocks the UAE's dictators" vom 30. Oktober 2007, in dem auch ein Demokratieaktivist aus den VAE ausführlich zu Wort kommt. Bei der abschliessenden BBC-Meldung "Dubai workers' strike called off" vom 2. November 2007 gibt es schon einige andere Töne: Der Polizeichef von Dubai hat nun die Aufgabe entdeckt, Unternehmer, die ihre Beschäftigten gesundheitlichen Risiken aussetzen, zu verfolgen... Und wer schon immer (zu Recht) die Bushkrieger im Irak (zu Unrecht) lieber kritisiert als die Hartzkrieger in Afghanistan braucht auch folgende nette Passage aus der Dokumentation einer Tagung der deutsch-arabischen Handelskammer Ghorfa nicht zu lesen: "Im Anschluss sprach der Wirtschaftsminister der VAE, S.H. Sheikh Fahim bin Sultan Al Qassimi. Er knüpfte zunächst an die Ausführungen von Herrn Spranger zur "magischen Zahl Sieben" an, indem er auf die sieben Emirate der VAE verwies. Dann hob er die wichtigen Beziehungen zu Europa hervor: Man reise schneller in eine europäische Hauptstadt als in eine andere arabische Hauptstadt! (Zusammengestellt von hrw) |