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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Heilige Dämme und Damm-Brüche

Gewerkschaften auf der »globalen Bühne« – Vorhang auf

Mag Wompel (Labournet Germany), Werner Sauerborn (ver.di Baden-Württemberg), Andreas Köppe (AK Internationales der DGB-Jugend, Mitglied im Jugendausschuss des EGB) und Henning Süssner (Universität Linköping, Netzwerk Europa Prekär) waren an einer der wenigen unter den rund 130 Veranstaltungen des Alternativengipfels beteiligt, die einen Bezug zu gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen hatten: Unter dem Titel »Gewerkschaften im globalen Kapitalismus: Erfahrungen und Analysen« sowie »Gewerkschaftliche Perspektiven ... und erste Schritte« diskutierten sie in der zweiteiligen Veranstaltung mit Christian Mahieux von der SUD Rail, Edgar Paez von der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, Ralf Krämer von der Abteilung Wirtschaftspolitik bei ver.di, Uli Franz (Chemiekreis und BaSo)und Wolfgang Alles (Alstom-Betriebsrat) über »Widersprüche und Lernprozesse in Standortkonflikten«, »Social Movement Unionism«, »globalisierte Gewerkschaftsstrukturen« nach dem Vorbild der »International Transport Federation«, »Mindestlöhne« und »Globalisierung von unten«. Wir haben sie nach den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe gefragt, wollten von ihnen wissen, wie sie die Aktionen rund um Gipfel und Gegengipfel beurteilen – und wie sie die Rolle der Gewerkschaften im Zusammenhang mit den Protesten wahrgenommen haben. [1]

Weder DGB noch Einzelgewerkschaften haben zur Demonstration bzw. den Blockaden während des G8-Gipfels aufgerufen. Der DGB wollte »die Staatschefs in die Verantwortung nehmen« (einblick 7/07) und setzte auf »direkte Kontakte zur politischen Ebene« (dpa, 7. Mai). Diese fanden im Rahmen von Sozialpartnerkonsultationen im Vorfeld des G8-Gipfels sowie in Form eines Gesprächs zwischen Vertretern von Gewerkschaften aus G8-Staaten und Kanzlerin Merkel auch statt. Anliegen der GewerkschafterInnen war es, die Regierungen zur Annahme einer Erklärung für das Protokoll von Heiligendamm zu verpflichten, in der an deren Verantwortung für die »soziale Gestaltung der Globalisierung« appelliert wurde. Zentrale Forderungen aus dieser Erklärung waren:

  • »eine faire Verteilung von Chancen und Nutzen der Globalisierung bei gleichzeitiger Schaffung weiterer und besserer Arbeitsplätze«;
  • beschäftigungspolitische Maßnahmen für »menschenwürdige Arbeit« gemäß den UN-Erklärungen von 2005 und 2006;
  • Übernahme sozialer Verantwortung durch die Unternehmen, um »gute industrielle Beziehungen« zu gewährleisten;
  • Verankerung der Kernarbeitsnormen der ILO bei IWF, Weltbank, OECD und WTO;
  • eine »Überprüfung der Grundsätze der Unternehmensführung« und »mehr Transparenz« auf den Finanzmärkten, um deren »Integrität« und die »Staatseinkünfte aus Unternehmenssteuern« nicht zu gefährden
  • all dies in der Perspektive, Arbeitnehmer an den »positiven Auswirkungen der Globalisierung stärker zu beteiligen«, d.h. ihnen einen »gerechte[n] Anteil am Wirtschaftswachstum« zu ermöglichen und dabei »globale Ungleichgewichte zu korrigieren«. [2]

Was haltet Ihr von der Form dieses Appells und von den zitierten Inhalten?

Werner Sauerborn: Nichts spricht natürlich dagegen, den Mächtigen der Welt unsere Forderungen zu überbringen und für eine »soziale Gestaltung« der Globalisierung zu werben. Ob so etwas eine politische Farce ist oder Veränderungsdruck erzeugt, hängt ab von dem Gewicht, das die Gewerkschaften im globalen Ring auf die Waage bringen. Und das ist nahe Null. Um so wichtiger wäre es für die Gewerkschaften gewesen, sich mit hoher Priorität den Protesten gegen den Gipfel anzuschließen – einen Gipfel, der faktisch und symbolisch eine globale kapitalistische Dominanz repräsentiert, deren Opfer an vorderer Stelle und tagtäglich die Lohnabhängigen und Gewerkschaften weltweit sind.

Mag Wompel: Am liebsten würde ich »kein Kommentar« sagen, aber wir haben diese Stellungnahmen im LabourNet bereits kritisch kommentiert und uns insbesondere über die angeblichen »positiven Auswirkungen der Globalisierung« lustig gemacht.

Ich lese gerade die Thesen von Jürgen Peters zum Verhältnis von Gewerkschaften und Parteien (zur Bezirkskonferenz der IG Metall Frankfurt am 13. Juni 2007) und finde darin mal wieder bestätigt, dass die Apparate politische Mehrheiten als Selbstzweck betrachten und nur noch kämpfen, wofür sie solche Mehrheiten vermuten. Natürlich heißt »Kampf« Katzentisch, Pressemitteilungen und Unterschriftenlisten – und nicht die Bestreikung des G8-Gipfels, von dem man ja so viel erwartete, durch die Telekom-KollegInnen...

Henning Süssner: Dass die Forderung, geltende internationale Konventionen auch in der Praxis umzusetzen, überhaupt erst gestellt werden muss, beweist eigentlich, wie weit die Globalisierungsvisionen der G8-Staaten und anderer »Global Players« überhaupt von den Zielen der Gewerkschaften entfernt sind. Es ist jedoch überaus bedenklich, dass der DGB sich immer noch der Illusion hinzugeben scheint, dass es eine »Sozialpartnerschaft«, wie es sie früher mal gegeben haben mag, gibt. Und dies nach den Erfahrungen, die die deutschen Gewerkschaften mit dem »Bündnis für Arbeit« und ähnlichen Allianzen mit Kapitalinteressen gemacht haben...

Will man die Globalisierung »sozial gestalten«, darf man nicht mit der Mütze in der Hand auf Dialoge mit Machthabern unterschiedlicher politischer Couleur setzen, sondern braucht eine konkrete Bündnispolitik mit den Kräften, die die Globalisierung der Konzerne bekämpfen. Es ist mit anderen Worten sehr, sehr traurig, dass die Gewerkschaften die Proteste gegen den G8-Gipfel nicht unterstützt haben.

Andreas Köppe: Auf den ersten Blick hören sich die Forderungen sehr positiv an. Die Frage, die dabei nicht aufgegriffen wird, ist, warum Unternehmen von dieser Globalisierung profitieren. Welche sind es? Die kleine bangalische Firma, die für einen Textilgiganten produzieren lässt? Es sind doch eher die bereits etablierten Konzerne, darunter auch sehr viele deutsche und auch immer mehr der Mittelstand... Wenn also gefordert wird, die Arbeitnehmer stärker an der »positiven« Globalisierung zu beteiligen, würde dies bedeuten, dass ohnehin nur die davon profitieren, die direkt in diesen Konzernen beschäftigt sind, ohne auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die tatsächlich unter extremen Bedingungen produzieren müssen. Gleichzeitig allerdings werden in der jetzigen Situation genau diese Arbeitsbedingungen als Vorwand genommen, um die hiesigen Standards nach unten zu drücken und den sozialen Wettlauf nach unten zu stimulieren. Es ist also »die Quadratur des Kreises«, die hier gefordert wird. Die Forderung, die Kernarbeitsnormen in anderen »Institutionen« zu verankern, ist nicht neu. Hier wäre es sinnvoll gewesen, dieser Forderung durch breite Beteiligung am Protest Nachdruck zu verleihen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, diese Forderungen immer wieder ins Gespräch zu bringen und zu diskutieren. Das darf jedoch weder nur auf der untersten Ebene passieren, noch lediglich im Rahmen großer Events.

Im Vorfeld der Mobilisierung zu den G8-Protesten hatte attac versucht, auch die Gewerkschaften »für gesellschaftliche Allianzen gegen neoliberale Politik« zu gewinnen und einzubinden. In einem Brief von attac Deutschland an »FunktionsträgerInnen in den Gewerkschaften zur Verbindung gewerkschaftlicher Sozialproteste mit den Protesten gegen die G8 im Juni 2007« hieß es zur Begründung: Während deutsche Unternehmen ihre globale Position mit Rekordgewinnen stärken könnten, drücke die Bundesregierung die Steuern und Sozialabgaben mehr als in anderen europäischen Nachbarländern und heize den Standortwettbewerb auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen an. »Die Schwäche der Gewerkschaften trägt dazu bei: Nirgendwo steigen die Löhne langsamer als in Deutschland.«

Daran schließen sich mehrere Fragen an:

  • Was sind die Gründe für diese Schwäche?
  • Wie beurteilt Ihr derzeit die Möglichkeiten für eine Entwicklung der erhofften »gesellschaftlichen Allianzen«?
  • Worauf führt Ihr die Zurückhaltung der Vorstände bei den Aufrufen für die Demonstrationen und Blockaden zurück?

Mag Wompel: Die Bemühung um solche »Allianzen« habe ich quasi am eigenen Leib erfahren können, denn wo ich bei den Sozialforen in Florenz und Paris noch den Kapitalismus statt Neoliberalismus und die Standortpolitik deutscher Gewerkschaften anprangern durfte, saß bei dem Auftaktplenum des Gegen-Gipfels Annelie Buntenbach... Insofern funktioniert eine solche Allianz, ist aber m.E. für uns uninteressant, solange sie sich darauf beschränkt, den Kapitalismus zu zivilisieren.

Ich sehe die Lohndumper-Rolle, die die in Deutschland Arbeitenden dank ihrer Gewerkschaftspolitik spielen, darin begründet, dass man – vielleicht mehr denn je – die Lohnabhängigkeit als alternativlosen Fakt akzeptiert. Aus dieser Warte heraus muss Interessenvertretung Lohnarbeit um jeden Preis sowie Wettbewerbsfähigkeitspolitik bedeuten. Anschließend kann man, wie es Horst Schmitthenner (IG Metall) auf dem Podium »Prekäre Arbeit und wachsende Armut in einer reichen Gesellschaft?« tat, die Niedriglöhne (die man tarifiert hat) beklagen und konstatieren, dass die Hartz-Gesetze die gewerkschaftliche Gegenwehr schwächen – auch hier, ohne zu erwähnen, dass man sie in der Hartz-Kommission mitgetragen hat und als ver.di für ihre reibungslose Umsetzung sorgt.

Werner Sauerborn: Natürlich gibt es zunächst die »naheliegenden« Erklärungen für die Schwäche der Gewerkschaften: nicht ausgenutzte Spielräume, Wackelei in Mobilisierungsfragen, Planlosigkeit bis hin zu subjektiven Vorhaltungen. Das gab’s mehr oder weniger (ich würde sagen: mehr) schon immer. Auch wenn diese Erklärungen bei uns Linken sehr beliebt sind, sie treffen nicht den Kern der Sache. Die Gewerkschaften sind in der Defensive, weil sie es bisher verpasst haben, sich auf die veränderten kapitalistischen Wettbewerbsstrukturen einzustellen. Man kann bei Telekom letztlich nicht erfolgreich kämpfen, wenn man nicht in der Lage ist, die Wettbewerber der Telekom auch unter Druck zu setzen. Das gelingt schon national immer häufiger nicht und ist hinsichtlich der globalen Konkurrenzstrukturen und Arbeitsmärkte noch nicht einmal Thema bei den Gewerkschaften.

Die Ignoranz des gewerkschaftlichen Mainstreams beim Thema Globalisierung ist der wesentliche Grund für ihre »Zurückhaltung« bei der Mobilisierung zum G8-Gipfel. Die Sache hat aber auch einen generationsspezifischen Aspekt: Die in den Gewerkschaften vorherrschende Generation der über 50-Jährigen, deren historisches Versäumnis es ist, die Organisationen nicht auf diese Jahrhundertherausforderung vorbereitet zu haben, die auch heute noch das Thema Globalisierung als Utopie, als Thema von übermorgen und mit spitzen Fingern anfassen, sie scheinen nicht mehr die Kraft und das Interesse zu haben, die Organisationen radikal auf diese geänderten Rahmenbedingungen hin umzuorientieren. Bei der jüngeren GewerkschafterInnengeneration sieht das schon ganz anders aus: Für sie geht es um viel, um sehr existenzielle Zukunftsperspektiven als ArbeitnehmerInnen und GewerkschafterInnen.

Henning Süssner: Eine deutliche Ursache für die Schwäche der deutschen Gewerkschaften sind natürlich die sinkenden Mitgliederzahlen. Noch zu Beginn der 1990er Jahre hatte der DGB fast 11,8 Millionen Mitglieder, Ende 2006 waren es nur noch 6,6 Millionen. Das ist ein unglaublicher Einbruch, der natürlich die Gewerkschaften entscheidend geschwächt hat. Die deutschen Gewerkschaften haben jedoch lange keine ernsthaften Versuche unternommen, um ihre Krise zu überwinden. Ein Grund dafür war wohl der festverwurzelte Glaube an den Fortbestand von »sozialer Marktwirtschaft« und »Sozialpartnerschaft«. Erst in letzter Zeit werden zaghafte Versuche unternommen, neue Taktiken und Strategien zu entwickeln. ver.di hat z.B. begonnen, Ideen wie »Social Movement Unionism« zu importieren, und die aktuelle Lidl-Kampagne von ver.di ist so konzipiert, dass sie mit Bündnispartnern wie attac durchgeführt werden soll.

Ich glaube, die Gewerkschaften sind ganz einfach darauf angewiesen, sich nach neuen Bündnispartnern umzusehen. Es scheint ja immer noch der Glaube in den Gewerkschaftshäusern zu bestehen, dass man einen »natürlichen« Bündnispartner habe, nämlich die Sozialdemokratie. Da man sich auf die als Gewerkschafter kaum noch verlassen kann, ist es an der Zeit, mit anderen progressiven Kräften zusammenzuarbeiten. Dazu braucht man aber eine klare politische Plattform und auch den Willen, sich in die Bündnisse einzubringen, und zwar mit Ressourcen. Es nützt natürlich nicht viel, wenn man sich da auf Symbolpolitik und allgemein gehaltene Resolutionen verlässt. Allerdings scheinen die Vorstände bislang noch Angst davor zu haben, durch eindeutige Stellungnahmen zum fortschreitenden Sozialabbau einen Stempel als vaterlandslose Gesellen und verkappte Linksradikale abzubekommen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass man sich bislang in der Regel vornehm zurückgehalten hat, wenn es darum ging, breite Allianzen gegen neoliberale Deformen zu mobilisieren.

Andreas Köppe: Wenn uns genau klar wäre, woran die Gewerkschaften kranken, müssten wir nur mit der richtigen Medizin dagegen wirken. So leicht scheint es aber nicht zu sein. Es gibt m.E. mehrere Gründe für die Schwäche. Ein wichtiger Grund ist, dass wir bisher keine klaren Antworten geben, welche Reaktion auf die Folgen der Gloabalisierung die Richtige wäre. Es gibt viele – auch wissenschaftliche Ansätze – die verdeutlichen, dass Gewerkschaften das tun müssen, was sie immer getan haben und woraus ihre Stärke gewachsen ist. Solidarität. Dieses Wort müsste wieder neu diskutiert, in vielen Kreisen auch neu besetzt und mit Leben gefüllt werden. Dazu ist es aber im internationalen Maßstab nötig, dass wir Hürden in den Betrieben abbauen. Für viele Kollegen ist es äußerst schwierig, die Sprach-, aber auch die Kulturbarrieren zu überwinden. Deshalb setzen wir mit der JugendmultiplikatorInnenreihe bei Europa Step by Step auf diese Ebene.

Als InitiatorInnen bzw. TeilnehmerInnen des zweiteiligen Forums »Gewerkschaften im globalen Kapitalismus« habt Ihr eine der wenigen inhaltlichen Anknüpfungspunkte mitgestaltet, in denen die von attac angesprochene Problematik der Rolle der Gewerkschaften als Vertretung der Lohnabhängigen im Prozess der Globalisierung des Kapitals und dessen Folgen explizit thematisiert, aber auch Perspektiven und Ansätze zu einer Überwindung der konstatierten Schwäche diskutiert wurden. Was waren für Euch wesentliche Ergebnisse dieser Foren? Und wie schätzt Ihr das Gewicht dieser Fragestellung im Rahmen des Gesamtprogramms auf dem Alternativengipfel ein?

Werner Sauerborn: Unserem Veranstaltungsprogramm in Rostock vorausgegangen war ja der internationale GewerkschafterInnenaufruf zum G8-Gipfel (Gewerkschaften auf die globale Bühne! www.g8-gewerkschaf-teraufruf.de externer Link). Das hat zumindest virtuell viele KollegInnen aus vielen Ländern zusammengebracht. Es hat gezeigt, dass es außerhalb und ganz stark auch innerhalb der Gewerkschaftsapparate ein riesiges Interesse gibt, sich endlich den Fragen zu stellen, die letztlich Ursache unserer täglichen Niederlagen sind. Nicht nur die Ungerechtigkeit der Welt zu beklagen, die kapitalistische Globalisierung nicht nur als äußeres Objekt zu sehen, es zu kommentieren und zu kritisieren, sondern die nötigen Schlussfolgerungen für uns selbst als Gewerkschaften und unsere Rolle in dieser Veranstaltung zu diskutieren.

Weniger beeindruckend waren die Diskussionsforen selbst. Mit 20 bis 70 TeilnehmerInnen in einem provisorischen Zelt außerhalb der großen Events war das eher ein randständiger Auftritt. Es gab wenig Koordination und viel Themenkonkurrenz. Verständlich, dass viele KollegInnen auch die Blockaden stärken wollten. Rein ehrenamtlich und ohne Unterstützung einer Organisation tut man sich eben schwer – auch im Vergleich zu vielen sehr professionell auftretenden NGOs.

Diese organisatorische Lehre zeigt, was auch politisch richtig ist. Bei allem, was sich in den letzten Jahren allmählich zum Thema Globalisierung getan hat – es ist viel zu wenig, zu spät, zu langsam. Diverse Entwicklungen nur geduldig zu begleiten, wäre Warten auf Godot. Andererseits wäre es sinnlos und absurd, das »globalising unions« ohne oder gegen die Apparate zu versuchen. Es gibt viele, wenn auch begrenzte, pragmatische, oft ziellose Schritte und Gehversuche auf der globalen Bühne. Diese Ansätze müssen auch aus der altermondialistischen Bewegung heraus gestärkt und in ihren Perspektiven und Reichweiten diskutiert werden. »Unions to the global stage, syndicats sur la scène mondialisée, sindicatos se presenten en la escena global, sindacati sulla scena globale! Gewerkschaften auf die globale Bühne!« In diesem Rahmen diskutieren wir derzeit, wie es weitergehen kann.

Mag Wompel: Mir war es in diesem Zusammenhang am wichtigsten zu betonen, dass die viel beschworene internationale Solidarität bisher zum Scheitern verurteilt ist, sobald sich Belegschaften einem Null-Summen-Spiel um Arbeitsplätze gegenüberstehen. In solchen Situationen muss man sogar die böse Rolle, die Gewerkschaftsfunktionäre oder Euro-Betriebsräte dabei spielen, vernachlässigen, denn es sind einzelne, sich aber in der Mehrheit befindende KollegInnen, denen angesichts der Drohung von Hartz IV der Arbeitsplatz näher ist als der Kollege in Belgien oder Südafrika.

Die einzige Möglichkeit dagegen besteht nicht darin, das angeblich unvermeintliche Elend gerecht zu verteilen, sondern alles zu tun, um die erpresserische Lohnabhängigkeit zu mildern und zu bekämpfen:

  1. kurzfristig durch Konzentration auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der schwächsten Lohnabhängigen sowie sofortigen Kampf für bessere Lebensbedingungen der Erwerbslosen;
  2. mittelfristig durch Aufweichen der Lohnabhängigkeit in den Köpfen durch die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen;
  3. langfristig durch den Kampf gegen die Lohnabhängigkeit und den Kapitalismus selbst.

Henning Süssner: Erfreulich an unserer Veranstaltung in Rostock war für mich die Entdeckung, dass so viele aktive KollegInnen dabei waren und sich auch in die Diskussionen eingebracht haben. Allerdings kann man wohl kaum von einem »alternativen Gewerkschaftsgipfel« reden, wenn gerade mal eine von 130 Veranstaltungen von GewerkschafterInnen getragen wird. Vergleicht man den Gegengipfel von Rostock etwa mit dem letzten Europäischen Sozialforum von Athen, dem vor allem die südeuropäischen Gewerkschaften eine starke Prägung gegeben haben, wird deutlich, dass man in Rostock noch sehr viel mehr hätte machen können.

Persönlich hielt ich es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass die momentane Suche nach neuen gewerkschaftlichen Strategien eine Notwendigkeit ist, da die Gewerkschaften bislang zu den eindeutigen Verlierern des entfesselten globalen Kapitalismus gehören. Die Perspektiven gewerkschaftlicher Arbeit müssen deswegen international sein. Außerdem glaube ich, dass die Gewerkschaften sehr viel von den jungen globalisierungskritischen Bewegungen zu lernen und dieser auch viel beizubringen haben. Es braucht einfach einen Erfahrungsaustausch zwischen »alten« und »neuen« sozialen Bewegungen.

Im letzten express hatte Slave Cubela in einem Beitrag zu »G8, Weltwirtschaft und sozialer Protest« die These aufgestellt, die Funktion der Proteste bestehe im Wesentlichen in einer Stabilisierung der Linken »nach innen«, in Vernetzung, Austausch und Mobilisierung linker Gruppierungen. Er bezweifelte eine weitergehende Funktion »nach außen« in Form einer nennenswerten Veränderung der Herrschaftsverhältnisse, und verwies zur Begründung u.a. auf die sozialen Abstände zwischen antikapitalistischer Kritik der Linken und den LohnarbeiterInnen. attac dagegen konstatierte die »größte Massenmobilisierung der globalisierungskritischen Bewegung« und sah es als deren Erfolg, die Politik und die Institution der G8 öffentlich delegitimiert und die politische Landschaft nachhaltig verändert zu haben. Wie beurteilt Ihr die Resultate der Proteste?

Werner Sauerborn: Die G8-Proteste waren ein Riesenerfolg, weil sie die Verheerungen der kapitalistischen Globalisierung ins Rampenlicht gerückt haben und auch zur Delegitimierung von G8, überhaupt dieser Weltwirtschaftsordnung, beigetragen haben. Soweit Zustimmung zu attac. Aber eine moralische Anklage allein verändert noch keine Machtverhältnisse. Das ist die Grenze und das Handicap der großen globalierungskritischen Mobilisierungen, ihnen fehlt die Erzwingungswirkung, ein Durchsetzungsinstrument im Zentrum der kapitalistischen Ökonomie. Über dieses Instrument verfügen theoretisch die Lohnabhängigen – da hat Slave Cubela recht – indem sie kollektiv ihre Arbeitskraft vorenthalten. Aber eben nur theoretisch. Praktisch sind sie, sind wir, die Gewerkschaften, meilenweit entfernt von dieser Fähigkeit. Es bedarf nicht erst der »Re-Etablierung radikaler Gesellschaftskritik innerhalb der Lohnarbeiterschaft« (Cubela), es reichte fürs Erste schon, wenn die Gewerkschaften ihren systemimmanenten Job unter geänderten Bedingungen wieder beherrschen würden.

Mag Wompel: Ich glaube, es ist noch zu früh, um die Wirkungen nach innen und nach außen zu beurteilen. Ich persönlich befürchte, dass der symbolische Protest nicht ausreicht, um die Jubelorgien der bürgerlichen Medien über die Bereitschaft zu »ernsthaften Erwägungen« zu überschatten. Nach innen wäre mir immer noch lieber, wenn solche symbolischen Aktionen, die viel Zeit und Kraft binden, auf der Grundlage eines funktionierenden Alltagswiderstandes und nicht als Ersatz dafür stattfänden.

Henning Süssner: Ich glaube, dass Slave Cubela hier ein konkretes und letztlich entscheidendes Problem der Linken aufgezeigt hat. Die Arbeitsweise von attac ist sehr vom Glauben an Aufklärung und an den Effekt medienträchtiger Massenereignisse geprägt. Der Vorteil ist, dass man die Kritik an der herrschenden Weltordnung tatsächlich in die Öffentlichkeit hineingetragen und Institutionen wie Weltbank, IWF und G8 dazu gezwungen hat, ihr Image zu verändern. Deswegen wird der scheinheilige Dialog mit »nicht-staatlichen Organisationen« gesucht, und deswegen werden vage Versprechungen zur Armuts- und Elendsbekämpfung abgegeben. Die Machtverhältnisse bleiben allerdings die Gleichen.

Außerdem ist unübersehbar, dass die zahlreichen Netzwerke, die dank neuer Kommunikationstechnologien entstanden sind, nach wie vor von der europäischen und angelsächsischen radikalen Mittelklasse dominiert werden. Die soziale Verankerung der globalisierungskritischen Protestbewegung lässt mit anderen Worten zu wünschen übrig, genauso wie die Verankerung der Netzwerke im politischen Alltag. Man baut sich ein gesellschaftskritisches Ghetto, eigentlich ganz ähnlich den räumlichen Ghettos, die sich beispielsweise die linksradikale und anarchistische Szene mit ihren Infoläden und besetzten Häusern in den Großstädten der westlichen Welt aufgebaut hat.

Die »Gewaltfrage« hat – zu Anfang affirmativ, mittlerweile etwas kritischer gegenüber den Polizeiverlautbarungen von den Medien begleitet – die Debatten über G8 »überschattet«. attac geht davon aus, dass es dennoch gelungen sei, Inhalte in die Öffentlichkeit zu transportieren. Gleichwohl hängt bei attac »der Haussegen schief«, herrsche »Katerstimmung« (taz, 13. Juni 2007), weil mit der »Pauschaldiffamierung von Autonomen Leichen aus dem Keller geholt« worden seien, »die dort seit 15 Jahren ruhten«, so Vorstandsmitglied Werner Rätz zur Position seines Vorstandskollegen Peter Wahl. Lutz Brangsch und Michael Brie von der Rosa Luxemburg Stiftung behaupten, dass die Gewaltdebatte inhaltliche Anliegen in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt und dem Kampf um »Wortführerschaft« bzw. Hegemonie geschadet habe. Gegenüber gewaltbereiten Fraktionen der globalisierungskritischen Bewegung fordern sie: »Offensichtlich ist es Zeit für einen Bruch. Let’s make it real« – dabei einen Werbeslogan des Multis Coca Cola aufgreifend, der für seine Unterstützung der Paramilitärs und Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien auf der Anklagebank sitzt.

1967 hatten die Gewerkschaften in einer für die Nachkriegsgeschichte beispiellosen Allianz mit StudentInnen, WissenschaftlerInnen und vielen anderen kritischen Gruppierungen gegen die bis heute gültigen Notstandsgesetze gekämpft. In diesen wurde u.a. der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Außerkraftsetzung des Grundrechts auf freie Berufswahl in Artikel 12 zugunsten einer Arbeitsdienstpflicht, die Abschaffung der Schutzpflicht für »gemeinwohlgefährdende Streiks« und die Möglichkeit zur Umgehung des Parlaments in Fällen sog. »innerer Notstände« geregelt. [3]

Muss man sich aus Eurer Perspektive mit der Gewaltdebatte befassen? Wird sie überschätzt oder unnötig aufgebauscht? Und haben die Formen der Auseinandersetzung die Inhalte überlagert?

Werner Sauerborn: Die Gewaltfrage nervt ein bisschen. Aber vielleicht ist sie immer wieder nötig, um das schwierige Verhältnis zum bürgerlichen Staat immer wieder neu zu bestimmen: einerseits Sozialstaat, von Bismarckschen Sozialgesetzen bis Mindestlohn Adressat unserer Forderungen, andererseits Garant per Gewaltmonopol von Herrschaftsverhältnissen, deren Opfer wir in verschiedenen Formen und Graden sind. Für die Gewerkschaften ist die Gewaltfrage geklärt. Sie sind per Definition systemimmanente Organisationen, auch wenn ihre Aktionen eine Dynamik freisetzen kann, die neue (System-)Fragen aufwirft. Aber auch die grundsätzliche Ablehnung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung hätte einer Beteiligung der Gewerkschaften am Block-G8-Bündnis und den dort verabredeten Formen des zivilen Ungehorsams nicht entgegengestanden. Vieles von dem, was nach den Protesten langsam ans Tageslicht kommt, von Tornado-Einsätzen bis hin zu agents provocateurs, sollte den Gewerkschaften aber Anlass zu Solidarität und verschärfter Wachsamkeit sein, denn die demokratischen Grundrechte, namentlich das Koalitions-, Versammlungs- und Demonstrationsrecht sind existentielle Grundvoraussetzungen gerade für Gewerkschaften!

Mag Wompel: Wer die maßlosen und grundgesetzwidrigen Einschüchterungsmaßnahmen vor und während des Gipfels im Kopf hat, den Hubschrauberlärm in den Ohren und die brutale Präsenz der Polizei vor dem geistigen Auge – der weiß, dass die Gewaltdebatte eine originär inhaltliche ist. Daher sehe ich keine Überlagerung, sondern den Anfang einer überfälligen Debatte in der Linken, die nun hoffentlich weiter geführt werden wird. Dies gilt m.E. auch für die Frage nach der Legalität von Widerstandsformen angesichts einer reaktionären Politik und Gesetzgebung, angesichts gezielter Rechtsbrüche durch Polizei wie Sozialbehörden.

Henning Süssner: Ich denke, dass es müßig ist, die Gewaltfrage unter den Prämissen zu diskutieren, die von den Gegnern der Proteste gesetzt werden. Es ist sonnenklar, dass gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht immer als Argument missbraucht werden, um Proteste zu delegitimieren, Protestbewegungen zu spalten und zu diffamieren. Das war in Heiligendamm so, das war 1967/68 so, und das war schon in den Anfängen der Arbeiterbewegung so. Und dass Bilder von brennenden Autos und Wasserwerfern dramatischer und damit für die Massenmedien interessanter sind als Bilder von friedlichen DemonstrantInnen, hat natürlich mit der Logik der Medien- und Konsumgesellschaft zu tun; es ist also kein Wunder, dass die Gewaltfrage die Protestberichterstattung »überschattet« hat.

Wenn darüber hinaus auch noch nachzuweisen ist, dass vermummte Zivilpolizisten zumindest versucht haben, Krawalle zu provozieren, dann sollte man zwei und zwei zusammen zählen, und aufhören, die einsame Schuld »den Autonomen« oder anderen Gruppen in die Schuhe schieben zu wollen. Wichtiger wäre es, die nächsten Schritte der Bewegung zu diskutieren und zu überlegen, wie man die Proteste auf eine breitere soziale Basis stellen kann.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/07


(1) Andreas Köppe hat uns dankenswerter Weise trotz seines Auslandsaufenthalts versucht zu antworten, der zweite Teil seiner Antworten fiel jedoch den zeitlichen und technologischen Begrenzungen zum Opfer.

(2) Alle Zitate aus: einblick, Nr. 7/2007, S. 7 sowie TUAC OECD (Trade Union Advisory Committee to the Organisation for Economic Cooperation and Development): »Die Globalisierung sozial gestalten. Gewerkschaftserklärung anlässlich des G8-Arbeits- und Beschäftigungsministertreffens vom 6.-8. Mai 2007«, Paris.

(3) Vgl. IG Metall (Hg.): »Notstandsentwurf 67«, Frankfurt am Main 1967


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