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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Kranksein in der Schattenwelt Zugänge zur Gesundheitsversorgung für Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere In der Illegalität, ohne gültige Papiere und ohne Krankenversicherung können ein Arbeitsunfall, eine Schwangerschaft oder eine nicht versorgte Infektion schnell dramatische oder gar lebensbedrohende Folgen haben. Das Recht auf Gesundheitsversorgung unabhängig vom Aufenthaltsstatus und der Zugang zu den Einrichtungen des Gesundheitssystems auch für illegalisierte MigrantInnen sind somit zentrale Elemente einer Politik gleicher sozialer Rechte. Der Zugang zum Gesundheitssystem ist für Menschen, die ohne gültigen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, in aller Regel faktisch verbaut oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich. Theoretisch haben alle hier lebenden Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein Anrecht auf eine - eingeschränkte - medizinische Versorgung: bei akuter Erkrankung und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaften und Geburten (AsylbLG §§1, 4, 6). Bei Inanspruchnahme des Rechts können das Krankenhaus oder die jeweiligen niedergelassenen ÄrztInnen die Kostenübernahme durch das Sozialamt einfordern. Hier beginnt jedoch das zentrale Problem: Laut Zuwanderungsgesetz sind öffentliche Stellen - in diesem Fall das Sozialamt - zur Meldung an die Kontrollbehörden verpflichtet. Für viele Menschen ohne Papiere ist daher die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) keine Option: Mit der Meldung an die Ausländerbehörde droht die Abschiebung. Problem: Meldepflicht und Kostenübernahme In der öffentlichen Diskussion gewinnt das Thema der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere zunehmend an Gewicht. Dabei stehen sich vor allem eine menschenrechtliche Position, wie sie etwa vom Deutschen Institut für Menschenrechte vertreten wird (1), und eine eher ordnungspolitische Argumentation wie etwa im Bericht des Bundesinnenministeriums zum Prüfauftrag "Illegalität" gegenüber. (2) Das Deutsche Institut für Menschenrechte leitet den sozialen Grundrechtsanspruch auf medizinische Versorgung aus den existierenden völker- und menschenrechtlichen Bestimmungen wie etwa der UN-Menschenrechtscharta oder der Europäischen Menschenrechtskonvention ab. Diese wie auch andere völkerrechtlich verbindliche Dokumente sind auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden. Im jüngsten Bericht des Instituts werden nicht nur verschiedene pragmatische Lösungsmöglichkeiten zur Finanzierung von medizinischen Versorgungsleistungen für Illegalisierte diskutiert (z.B. der Einrichtung von Fonds). Der Bericht macht vor allem deutlich, dass die Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen die zentrale Barriere darstellt, sobald Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ihr Recht auf medizinische Versorgung tatsächlich wahrnehmen wollen. Demgegenüber verteidigt das Bundesinnenministerium die Meldebestimmungen des Zuwanderungsgesetzes ausdrücklich. Faktisch gelten die Grund- und Menschenrechte laut Bundesinnenministerium nur für "legal Aufhältige". Die derzeitigen Strukturen des Gesundheitssystems können die Gesundheitsversorgung für Illegalisierte nicht sicherstellen. Neben der rechtlichen Verunsicherung spielt dabei auch die ungeklärte Kostenübernahme, insbesondere in Fällen stationärer Behandlung, eine Rolle. So kommt es immer wieder vor, dass Krankenhäuser Menschen ohne gültige Papiere abweisen. Unter diesen Verhältnissen sind andere Strukturen notwendig, um eine Gesundheitsversorgung für Illegalisierte zu organisieren, gerade wenn die Betroffenen nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um als SelbstzahlerInnen auch ohne Krankenschein behandelt zu werden. In ungefähr 15 Städten existieren inzwischen Netzwerke, die Menschen ohne Papiere an ÄrztInnen und Krankenhäuser vermitteln. In den letzten Jahren kamen in acht Städten die Malteser Migranten Medizin dazu. Ein Beispiel für eine solche Netzwerkarbeit ist die Medizinische Beratungs- und Vermittlungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen in Hamburg. Seit 1994 wird hier versucht, einmal in der Woche eine Weitervermittlung in die medizinischen Versorgungsstrukturen zu ermöglichen. In Absprache mit den im Netzwerk tätigen ÄrztInnen werden dabei die Behandlungskosten auf das Material reduziert. Parallel dazu gibt es jedoch auch andere kirchlich-karitative Stellen oder auch niedergelassene ÄrztInnen, die PatientInnen ohne Papiere behandeln. Diese Angebote erreichen jedoch nicht alle betroffenen MigrantInnen. Darüber hinaus können sie nur als "Ersatzstrukturen" agieren, allerhöchstens eine rudimentäre Versorgung ermöglichen. Recht Gesundheitsversorgung für alle Nach Einschätzungen von Beratungsstellen und ÄrztInnen werden Krankheiten von Menschen ohne Papiere häufiger geleugnet oder verschleppt, ein Besuch bei einer Beratungsstelle oder einem Arzt aus Angst vor Aufdeckung oder Abschiebung hinausgezögert. Die in aller Regel ehrenamtlichen Netzwerke können somit keine umfassende Gesundheitsversorgung garantieren. Das wäre eine gesellschaftliche und sozialstaatliche Pflichtaufgabe, die immer wieder eingefordert werden muss. Die Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung sind inzwischen bekannt und gut dokumentiert. Es existieren mehrere Studien zur Lebenssituation von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland, die zumeist einen regionalen Überblick vermitteln und empirische Daten zusammentragen, so z.B. für Leipzig (1999), München (2003), Frankfurt (2005) und Köln (2007). Übereinstimmend wird dabei stets auf die prekäre medizinische Versorgung von Illegalisierten hingewiesen. Auf kommunaler Ebene entstanden in einigen Städten sogenannte Runde Tische, an den sich ÄrztInnen, VertreterInnen von Krankenhäusern, Beratungsstellen bis hin zu RepräsentantInnen von Behörden und Polizei getroffen und über "Lösungsmöglichkeiten" diskutiert haben. Erste Ergebnisse waren die Zusagen von geschützten Räumen. Aber auch die Einrichtung eines privat finanzierten Fonds wie z.B. in Freiburg bzw. München sind erste Ergebnisse solcher Verhandlungen Das Beispiel Hamburg zeigt dabei, wie sehr solche Lösungen von den jeweiligen politischen Gegebenheiten in den Ländern und Kommunen abhängen. So hatte die schwarz-grüne Mehrheit im Hamburger Bezirk Altona zwar im Jahr 2005 die "Verbesserung der Situation ,Illegaler`" beschlossen und das bezirkliche Gesundheitsamt mit der Konzeptionierung einer "Flüchtlingsambulanz" beauftragt, doch ist dieser Vorstoß bis heute am CDU-Senat der Freien und Hansestadt bzw. an der zuständigen Sozialbehörde gescheitert. In der Konsequenz sah sich das Gesundheitsamt Altona gezwungen, in Kooperation mit dem Diakonischen Werk Hamburg noch einmal die Fachöffentlichkeit für dieses Thema zu mobilisieren. In einem Fachworkshop zum Thema "Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere" im Oktober 2007 wurden der aktuelle bundesweite Diskussionsstand noch einmal vermittelt und verschiedene Perspektiven und Probleme einzelner Hamburger Einrichtungen vorgestellt. Im Anschluss konstitutierte sich der Arbeitskreis "Medizinische Versorgung für Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel", der im Februar 2008 mit einer Resolution in den Hamburger Wahlkampf eingriff. Darin wurde der Senat aufgefordert, konkrete Maßnahmen und Projekte zu entwickeln und in Zusammenarbeit mit freien Trägern, Institutionen und Beratungsstellen Regelungen für "Zugänge zu medizinisch notwendigen Leistungen" zu treffen. Ersten Informationen zu Folge soll das Thema Gesundheitsversorgung für Illegalisierte Gegenstand der momentanen schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen sein. Netzwerke können staatliche Regelaufgabe nicht ersetzen Parallel entstand im Auftrag des Gesundheitsamts Altona die Arbeitsgruppe "AG Migrantengesundheit" unter Leitung des Vereins verikom e.V. Altona . Diese AG soll nun mit MitarbeiterInnen des Diakonischen Werk Hamburg, VertreterInnen u.a. der Asklepios-Kliniken und anderer Einrichtungen wie der Medizinischen Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen ein Konzept für eine Verbesserung der "Gesundheitsförderung und medizinischen Versorgung von Migranten" entwickeln. Dabei werden auch finanzielle Lösungsmöglichkeiten wie "geschützte/anonyme Krankenscheine" oder die Einrichtung von Fonds diskutiert. Unabhängig davon läuft derzeit die Gründung und Einrichtung eines "Papierlosenfonds" durch einzelne soziale Netzwerke und Beratungsstellen in Hamburg an. Das Diakonische Werk Hamburg bereitet darüber hinaus in Kooperation mit der Nordelbischen Kirche und der Gewerkschaft ver.di eine Studie zur Lebenslage von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere in Hamburg vor. Demnach sollen "belastbare Zahlen" für Hamburg erarbeitet und verschiedene Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeit, Gesundheit und Schule von Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel untersucht werden. Die Studie soll die verschiedenen Perspektiven und Blicke auf das Thema zusammenführen und - so die politische Zielsetzung - zu einer Verbesserung der Situation illegalisierter Menschen beitragen. Inwieweit sich in der nächsten Zeit die Situation in Hamburg und anderen Städten verändern wird und konkrete Maßnahmen und Regelungen getroffen werden, die den Zugang zur medizinischen Versorgung von Menschen ohne Papiere barrierefrei ermöglichen, bleibt zunächst offen. Zwar scheint bis in die CDU hinein eine gewisse Bewegung in das Thema gekommen zu sein und mit Blick auf die Diskussionen und Entwicklungen in den anderen Städten könnte eine mit privaten Mitteln finanzierte "Lösung" gefunden werden. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass als ein politisches Ziel immer eine bundesweite Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Illegalisierten und ein grundsätzlicher Zugang zum allgemeinen medizinischen Versorgungssystem formuliert und umgesetzt werden muss. Die Abschaffung der Meldepflichten für öffentliche Stellen wie auch die Kostenübernahme z.B. durch die Krankenkassen, den Staat oder eine Mitfinanzierung durch die zahlreichen ArbeitgeberInnen von Menschen ohne gültige Aufenthaltstitel sind weitere Forderungen, die bestehen bleiben. Artikel von Christiane Hess in ak - zeitung für linke debatte und praxis vom 21.3.2008 - wir danken der Redaktion! Anmerkungen: 1) Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.): Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland - Ihr Recht auf Gesundheit. Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, Berlin 2007 2) Bundesministerium des Innern (Hg.): Illegal aufhältige Migranten in Deutschland: Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen. Bericht des Bundesministeriums des Innern zum Prüfauftrag "Illegalität" aus der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005, Kapitel VIII 1.2, 2007 ak - analyse & kritik |