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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Gehorchen, solange wie vereinbart Interview mit einer Migrantin über die Arbeitsbedingungen migrantischer Frauen und Wege der Selbsthilfe Bereits in der DA Nr. 177 veröffentlichten wir ein Interview mit einem polnischen Migranten, der uns von den Arbeits- und Lebensbedingungen von Migranten in Deutschland berichtete. Wir wollen in dieser Ausgabe nochmals daran anknüpfen und den Blickwinkel auf die Situation speziell von migrantischen Frauen in Deutschland richten. Die Direkte Aktion führte deshalb ein Interview mit einer Migrantin aus Bolivien. Erzähl doch erst mal kurz etwas zu deiner Person. Ich bin seit zweieinhalb Jahren hier und momentan aktiv bei ver.di und anderen Gruppen, die sich mit der Situation von Einwanderinnen hier (in Berlin) beschäftigen. Dazu gehört auch ein Projekt, das versucht, allen Immigrantinnen, egal ob mit oder ohne Papiere, konkrete Hilfestellungen zu geben, wie man hier überleben kann. Schildere doch mal kurz, wie sich die Arbeitssituation für dich als Migrantin in Deutschland dargestellt hat. Als Einwanderin habe ich natürlich anfangs Probleme gehabt mit meiner Arbeitssituation, ich musste ja schließlich Jobs bekommen, um hier überleben zu können. Glücklicherweise habe ich eine Gruppe von Frauen kennengelernt, die Immigrantinnen helfen. Generell aber ist es natürlich sehr schwer ohne Papiere, weil sie bei der Einstellung nun mal nach Papieren fragen. Also kannst du nicht einfach so arbeiten. Und wenn man arbeitet, ist das Einzige, was man tun kann, gut zu arbeiten, um so von seinem Arbeitgeber anderen Personen weiterempfohlen zu werden. Auf diese Weise versucht man sich immer wieder ein weiteres kleines Arbeitsfeld zu erschließen. Und wie sieht das konkret aus? Welche Probleme haben dir dabei besonders zu schaffen gemacht? Sobald man als ImmigrantIn anfängt, Arbeit zu suchen, geht man viele Risiken ein; und auch der Arbeitgeber geht Risiken ein, wenn er ImmigrantInnen einstellt. So kann der/die ImmigrantIn keine Rechte einfordern: wenn z.B. der Arbeitgeber mit dir ausmacht, drei Stunden zu arbeiten, und tatsächlich musst du vier oder fünf arbeiten, dann kannst du nichts einfordern und sagen, dass du zwei Stunden länger gearbeitet hast, die du bezahlt haben möchtest. Denn der Arbeitgeber könnte dich anzeigen und dich damit erpressen, dass du keine Papiere hast. Abgesehen davon ist es hier schwer für ImmigrantInnen, dauerhafte Arbeitsverhältnisse einzugehen, also eine Vollzeitstelle zu bekommen. Meistens bekommt man nur zwei, drei oder vier Stunden pro Tag. Als Frau kannst du eh fast nur als Haushaltshilfe, Putzkraft oder als Kinderbetreuerin arbeiten. Oder ewig weitersuchen. Das sind die einzigen Möglichkeiten, Arbeit zu bekommen. Dennoch ist es für eine Frau leichter als für einen Mann. Denn ein männlicher Immigrant ohne Papiere kann fast überhaupt nicht arbeiten. Für ihn gibt es kaum Arbeit. Ich kenne Leute, die seit 3-4 Jahren keine Arbeit haben. Sie finden einfach keine. Für eine Frau ist das schon etwas einfacher. Meinst du, es gibt Erfahrungen, die gerade für migrantische Frauen exemplarisch sind? Ich könnte euch von einer Erfahrung erzählen, die eine Freundin von mir gemacht hat; prinzipiell lässt sich das aber auch auf mich übertragen. Diese Erfahrung handelt davon, dass du mit einer Lüge hergebracht wirst, dass sie dir erzählen, du kommst ins Wunderland und könntest dort wunderbar leben. Sie bieten dir also an, zwei Jahre lang im Haushalt zu helfen und auf ihre Tochter aufzupassen. Sie bezahlen dir aber nur die Reise aus deinem Land hierher, und dafür sollst du ein Jahr oder zwei Jahre bei der Familie arbeiten, ein-zwei Jahre, in denen du überhaupt nicht bezahlt wirst, gar nicht. Die ganze Zeit sollst du in ihrem Haus sein, auf das Kind aufpassen, kochen, bügeln, ihr Haus putzen. Und du kannst nichts einfordern, weil du erstens keine Papiere hast und zweitens die Hausherrin dir ja den großen Gefallen getan hat, dich aus deinem Land herausgeholt und hierher gebracht zu haben - in ein fremdes Land, in dem du kein Recht hast, irgendetwas einzufordern, und sie dir ständig drohen, weil sie dich in der Hand haben, weil sie hier alles haben und du nichts. Also bleibst du. Und das Einzige, was du tun kannst, ist, zu gehorchen, solange wie ihr es vereinbart habt. Das ist ein wichtiger Punkt. Äußerst sich diese Erpressbarkeit bzw. Abhängigkeit auch in anderer Hinsicht? Wie gesagt, typisch für die Arbeit von Migranten ohne Papiere ist, dass der Arbeitgeber dich komplett in seiner Hand hat. So lässt dein Arbeitgeber dich natürlich gerne mehr arbeiten, ohne dass du dafür mehr Geld bekämest. Wenn du z.B. fünf oder sechs Stunden arbeitest, bekommst du acht Euro die Stunde, arbeitest du aber acht Stunden, kriegst du nur fünf Euro. Das ist eine Strategie von ihnen: du willst natürlich mehr arbeiten, um mehr zu verdienen; und das nutzen sie aus, um dich länger bei ihnen zu behalten und weniger zu bezahlen. Oder wenn du z.B. einen Unfall bei ihnen im Haus hast, dann übernehmen sie keinerlei Verantwortung. Sie schweigen einfach darüber. Womöglich schicken sie dich zur Erholung nach Hause, lassen dich aber nächste Woche wiederkommen, so als ob nichts passiert wäre. Wie sieht es in so einer Situation mit der Solidarität unter MigrantInnen aus? Hast du persönliche Erfahrungen damit? Da gibt es z.B. eine Frauengruppe hier in Kreuzberg, in der ich bin. Wir treffen uns einmal monatlich und wir helfen uns, indem wir uns gemeinsam über die hiesige Politik informieren, aber auch über Arbeitsangebote und wie man am besten Arbeit sucht und findet. Außerdem suchen wir für Neuangekommene eine Unterkunft. Und wir versuchen auch herauszufinden, an wen man sich ohne Papiere wenden kann, so z.B. zu welchen Ärzten man gehen kann usw. Das alles machen wir untereinander, als Immigrantinnen. Und Solidarität von NichtmigrantInnen, inwiefern werdet ihr von dieser Seite unterstützt? Hier in Deutschland und in Berlin gibt es verschiedene Orte, an denen wir Unterstützung finden. So gibt es z.B. Einrichtungen, wo man sich nachts ausruhen kann, wenn man keinen Schlafplatz hat, wo man Essen bekommt, um sich zu stärken, und sogar Kleidung. Und wie gesagt, es gibt auch Ärzte, die uns ohne Papiere versorgen. Zudem ist es schwer, alleine an eine Wohnung zu kommen, da können Wohnprojekte eine Abhilfe sein. Dieses Zusammenleben in solchen größeren Gemeinschaften ist übrigens etwas, was ich aus meinem Land nicht kenne. Der Arbeitsmarkt in Deutschland und Europa hat sich in den letzten Jahren ja sehr verändert. Schlägt sich das auch in der Arbeitssituation von MigrantInnen nieder? Als eingewanderte Arbeiterinnen stoßen wir auf viele Hindernisse, egal ob wir Papiere haben oder nicht. Denn wir stehen im Wettbewerb miteinander, der auch nicht geringer wird, wenn wir Papiere haben. Denn wenn du dich bei einer Arbeit vorstellst, z.B. als Reinigungskraft, hast du, auch wenn du Papiere hast, nicht die Chance, frei zu arbeiten, weil sie immer verlangen, dass du gut Deutsch sprichst, oder dir andere Steine in den Weg legen: entweder sollst du schneller arbeiten oder sie meckern, du hättest nicht gut gearbeitet oder wärest unpünktlich gewesen. Vor allem die Konkurrenz unter den verschiedenen Migrantengruppen spielt eine große Rolle, weil es viele Migranten gibt, die bereit sind, für einen noch geringeren Lohn zu arbeiten als wir, teilweise für drei oder vier Euro. Das erhöht auch den Druck auf uns und macht es immer schwieriger, gut bezahlte Arbeit zu finden. Du bist ja mittlerweile auch bei ver.di aktiv. Inwiefern hat es dir und anderen in dieser Situation geholfen, dich gewerkschaftlich zu organisieren? Es gibt bei ver.di eine Gruppe, die uns hilft. Durch sie haben wir mittlerweile erreicht, dass ver.di jeden Immigranten, egal ob mit oder ohne Papiere, darin unterstützt, am Arbeitsplatz die eigenen Rechte einzufordern. Das ist gut, denn wenn uns einige Leute z.B. nicht bezahlen wollen oder uns zu lange arbeiten lassen oder sie uns im Falle von längerer Beschäftigung gewisse Rechte, wie das auf Urlaub, aberkennen, dann hilft uns ver.di dort. Wir haben z.B. offizielle Mitgliedsausweise bekommen und zahlen unsere Mitgliedbeiträge. Jedes Mal, wenn ein Arbeitgeber unsere Recht missachtet, dann zeigen wir ihm unseren Ausweis, damit er sieht, dass wir gewerkschaftlich organisiert sind, so dass sie zurückrudern und uns z.B. bezahlen oder ansonsten mit Konsequenzen zu rechnen haben. In diesem Falle unterstützt uns ver.di nämlich mit Anwälten. Das Wichtigste dabei ist, dass wir, wie gesagt, erreichen konnten, dass diese Unterstützung seit letztem Jahr auch für MigrantInnen ohne Papiere, also Illegale, gilt. Du sagtest, du bist auch in einer migrantischen Frauengruppe engagiert. Erzähl doch mal, was ihr da zurzeit konkret macht? Wir arbeiten gerade an einem Projekt namens "Pilot", in dem wir Migrantinnen mit und ohne Papiere über ihre Rechte informieren und wo sie hinkommen können, wenn sie Hilfe brauchen. So geben wir z.B. Tipps, wohin sie sich wenden müssen, wenn sie Arbeit suchen. Wir sagen ihnen, in welchen Zeitungen, oder wo im Internet sie Stellenanzeigen finden. Denjenigen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, sich die Zeitungen zu kaufen, sagen wir, wo diese umsonst ausliegen. Des weiteren geben wir Tipps, wie man sich bei einem Bewerbungsgespräch verhalten soll und was sonst noch für den Job wichtig ist: arbeitest du z.B. als Kinderbetreuung, musst du wissen, wie viel Milch das Kind bekommen soll, wann es schlafen gehen soll, welche Medikamente es bekommt, wenn es krank ist, etc. - all das muss man den Arbeitgeber natürlich immer vorher fragen. Oder ein anderes Beispiel: Für die Arbeit als Putzkraft ist es wichtig zu wissen, welche Reinigungsmittel wofür benutzt werden, um eine Anstellung zu erhalten. Man muss eben gewisse Kenntnisse vorweisen können. Und wohin soll man sich wenden, wenn man nicht bezahlt wird? Auch darüber und über die eigenen Rechte wird informiert. Es gibt Anwälte, die das Projekt unterstützen und auch Migrantinnen ohne Papiere vertreten, ohne dass diese Angst haben müssen, angezeigt zu werden. Schließlich informieren wir auch über die Öffnungszeiten verschiedener medizinischer Einrichtungen, die von (illegalen) Migrantinnen besucht werden können, wenn sie krank sind, und nicht zuletzt auch über die allgemeinen Rechte die Migrantinnen (z.B. auch mit Kindern) in der Bundesrepublik haben. Prinzipiell wollen wir versuchen, möglichst umfassende und konkrete Hilfestellungen zum Leben und Überleben in Deutschland zu geben. Wir danken dir vielmals für das Interview und wünschen dir viel Erfolg bei deiner weiteren Arbeit. Interview der Redaktion "Betrieb & Gesellschaft" (Übersetzungshilfe: Robin (Bsy-B)) aus der Direkten Aktion Nr. 183 vom September/Oktober 2007 - wir danken der Redaktion |