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Updated: 18.12.2012 15:51
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Blackmail Globalisierung Anmerkungen zur »Rolle der Gewerkschaften in einer globalen Ökonomie« - von Werner Sauerborn

Das A und O einer erfolgreichen Erpressung ist, dass irgendjemand die angekündigte Bedrohung für bedrohlich und für wahr, d.h. realisierbar hält. Genau darüber streiten sich nicht nur die Geisterseher im Falle der »Globalisierung«: Während wohl kaum jemand offene Grenzen ablehnen würde, wenn es die weltbürgerlichen Freuden der Globalisierung, z.B. um's touristische Vergnügen im Welterlebnispark geht, werden die Grenzen mitunter ganz schnell dicht gemacht, geht es um die Migration des Kapitals bzw. der von ihm abhängigen ArbeitnehmerInnen. Denn an der Frage, wie real die Drohungen mit einer Produktionsverlagerung ins Ausland oder einer Substitution inländischer Arbeitskräfte durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland im Rahmen globalisierter Konkurrenz sind, hängt vieles und hängen viele - nicht zuletzt die materiellen Grundlagen für die Teilhabe an den Versprechungen offener Märkte und Grenzen.

Im Rahmen einer Tagung des politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing am 13. November 2004 hatte Frank Bsirske Positionen von ver.di zur »Rolle der Gewerkschaften in einer globalen Ökonomie« vorgestellt. In den zwölf Thesen werden zentrale Argumente der neoliberalen Standortwettbewerbsdiskussion aufgenommen, teils ökonomisch entkräftet, teils auf politische Verursachungszusammenhänge zurück geführt. Dem »Race to the bottom«, das auf einer Politik des »alternativlosen Sachzwangs« und ökonomischen Mythen beruhe, stellt Bsirske die politische Ebene der Gestaltung der Ökonomie und eine »aktive Rolle« der Gewerkschaften entgegen: »Die Globalisierung formen«. (Zu den Thesen siehe die Zusammenfassung unten.) Mit den folgenden Anmerkungen von Werner Sauerborn, der in den Thesen Frank Bsirskes eine eher beunruhigende Beruhigungsstrategie erkennt, setzen wir unsere Debatte über den »Wert« von »Standortsicherheiten« und über Alternativen zum Rennen zwischen »Hase und Igel« in der globalen Standortkonkurrenz fort (s. express, Nr. 1/05 und 12/04).

1. Vorab will ich anmerken: alle Hinweise und kritischen Notizen sind ausdrücklich solidarisch gemeint. Das Wichtigste ist, dass es einen erkenntnisorientierten Diskussionsprozess gibt, der uns aus dem Status der ein bisschen »selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie Elmar Altvater das in seiner Abschlussvorlesung am OSI in Rückgriff auf Herrn Kant genannt hat, herausführt und die den zweiten Absatz in Frank Bsirskes Diskussionspapier einleitende Frage »Was ist da los, was läuft da ab?« wirklich beantworten kann.

Für sich genommen kann man eigentlich keinem der vorgetragenen Argumente aus unserem politischen Repertoire widersprechen. Es ist mehr ihre Zuordnung, die eine plausible Beantwortung der Schlüsselfrage nach dem Krisengrund erschwert.

2. Das wird etwa deutlich bei der Auseinandersetzung mit dem m.E. letztlich plausiblen Argument Hendrik Munsbergs (Berliner Zeitung, 1. November 2004), die Schwäche der Gewerkschaften resultiere aus ihrem national begrenzten Handlungsspielraum in einer zunehmend globalisierten Ökonomie. Dieses Argument soll offensichtlich entkräftet werden. Es sei schon insofern falsch, als es die unterschiedlichen Lohnentwicklungen in den EU-Ländern nicht erklären könne. Diese sind jedoch höchstens im Tempo, nicht aber in der Tendenz unterschiedlich. Sozialabbau und nicht ausgeschöpfte Verteilungsspielräume gibt es mehr oder weniger in fast allen OECD oder EU-Ländern. Weiter unten im Text wird ja auch zurecht auf die negative Sogwirkung des deutschen Sozial- und Tarifabbaus auf die anderen Länder verwiesen.

Diese gemeinsame Tendenz aber bestätigt Munsbergs These, und die Differenzierungen innerhalb der einzelnen EU-Länder innerhalb dieser Tendenz widersprechen ihr zumindest nicht, weil sie mit unterschiedlichen Ausgangslagen (überdurchschnittliches Lohn- und Sozialniveau in Deutschland) und unterschiedlichen Akkumulationsmodellen (überdurchschnittliche Exportorientierung) erklärbar sind.

Im Folgenden wird Munsberg dann all das entgegengehalten, was der neoliberale Diskurs aus der Globalisierung der Ökonomie interessengeleitet schlussfolgert. Und da sind wir natürlich wieder schnell auf dem gesicherten Terrain unserer Einzelargumentationen, ohne dass eine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Argument stattfindet.

3. Ein ähnlicher Bruch der Argumentation am Ende des dritten Abschnitts: Ausgangspunkt ist wieder eine richtige Fragestellung oder These. Wenn das Dilemma der Gewerkschaften (in konstruktiver Weiterentwicklung von Max Weber) als schwieriger Versuch der sozialen Schließung nationaler Teilarbeitsmärkte beschrieben wird, bleibt in der Tat nur zweierlei: entweder die Organisationsgrenzen den veränderten Marktgrenzen anzupassen oder »in eine protektionistische Politik der Verteidigung der nationalen Teilarbeitsmärkte zurückzufallen«. Letzteres ist illusorisch bzw. mündet in der unsolidarischen und letztlich aussichtslosen Standortsicherungspolitik, der faktisch praktizierten Nolens-Volens-Antwort der Gewerkschaften auf die Globalisierung.

Bliebe also, und das wäre auch meine Schlussfolgerung, nur die erste der beiden Alternativen, die Anpassung der Organisationsgrenzen an die veränderten Marktgrenzen. Man erwartet also im weiteren eine Beschäftigung mit dieser Alternative. Was hätte sie für Konsequenzen, was wären die Diskussionen, die sich daran anschließen müssten, was die ersten Schritte?

Leider wird dann unter der Formel »Doch gemach!« wieder der Rückzug von dem selbst und richtig aufgebauten argumentativen Brückenkopf eingeleitet. Für sich genommen richtige Argumente werden zur Relativierung der strukturellen Bedrohung, die diese Form der Globalisierung für diese Form der Gewerkschaften bedeutet, herangezogen: Natürlich ist es richtig, dass deutsche Unternehmen auch Wettbewerbsvorteile aufgrund einer entwickelten Unternehmenskultur, aufgrund funktionierender Netzwerke und infrastruktureller Voraussetzungen haben. Natürlich ist es richtig, dass viele Unternehmen das unterschätzt haben und mit ihrem Offshoring gescheitert sind, natürlich ist es richtig, dass es Trittbrettfahrer gibt, die ohne ökonomische Begründung (oder reales Druckpotential) die Gunst der Stunde für Tarifdumping nutzen. Das alles ist wahr, führt aber nicht am Kern der Sache vorbei, dass durch die gewachsene Mobilität von Arbeitskraft und die technikinduzierte neue Mobilität des Kapitals (das per Standortbeweglichkeit »zur Arbeitskraft wandern« kann) sich ein globaler Arbeitsmarkt mit globaler Arbeitslosigkeit entwickelt hat, der Lohnarbeit grenzüberschreitend in Konkurrenz bringt und der national kaum noch per Tarifvertrag regulierbar ist.

4. Die Abwanderungsdiskussion sei mehr Mythos als Tatsache, heißt es eingangs des vierten Abschnitts. An dem Argument ist nur soviel richtig, wie die Gegenseite natürlich gern übertreibt, um eine gesellschaftliche Psychose auszulösen, in der sie sich alles erlauben kann. Die beabsichtigte oder unbeabsichtigte Wirkung des Arguments ist aber: alles halb so schlimm. Wir liegen richtig und können eigentlich weiter machen wie bisher. Das Kapital blufft nur, und wir sollten nicht darauf reinfallen!

Die Sache so zu sehen, wird zum einen den vielen ehrlich kämpfenden und sicher oft auch durchaus »debattenfesten« KollegInnen und BetriebsrätInnen nicht gerecht, die angesichts der Druckpotentiale der Arbeitgeber in die Knie gezwungen wurden, Konzessionen gemacht haben, wohlwissend, dass sie damit die »Flächentarife« ins Rutschen gebracht haben. Sind sie nur geblufft und über den Tisch gezogen worden, oder sind sie nicht Opfer der strategischen Defensive von Gewerkschaften, die einer global agierenden Gegenseite nicht mehr Paroli bieten kann?

Hinzu kommen zwei methodische Schwächen des Arguments, dass die Erpressbarkeit mit dem Hinweis relativieren will, dass »nur« 300000 Arbeitsplätze lohnkostenbedingt nach Osteuropa abgewandert seien. Dies kann kein Maßstab für Erpressbarkeit sein, einmal weil nur eine der beiden Zwangsalternativen quantifiziert wird, nämlich der Fall der Abwanderung. Der vorherrschende Fall ist aber die Auflösung der Erpressungssituation über die Alternative Sozial- und Tarifabsenkung, die die Abwanderung vermeidet. Dies erfasst dieser Gradmesser jedoch nicht.

Zum anderen erfasst diese Zahl der abgewanderten Arbeitsplätze nicht die aus der Privatisierungsdiskussion bekannten Formen des nicht formalisierbaren schleichenden Wechsels, z.B. indem neue noch nicht existierende Produktlinien von vornherein nicht hier angesiedelt werden. Ein Indiz, natürlich kein eindeutig oder einseitig zuzuordnendes, ist die hohe verfestigte Arbeitslosigkeit, die wesentlich auf fehlende Ersatzarbeitsplätze zurückzuführen ist, die »normalerweise« bei wirtschaftsstrukturellen Veränderungen die negativen Arbeitsmarkteffekte abfedern.

Ein weiteres Argument, mit dem der Problemdruck der Erpressbarkeit hier und andernorts gern relativiert wird, ist der Hinweis auf die Verlogenheit der Ideologie von der Standortschwäche Deutschlands. In der Tat sind die unglaublichen Exporterfolge und Außenhandelsüberschüsse der exakte Beweis der hohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten. So weit so richtig. Der falsche Bezug aber wird gebildet oder suggeriert, wenn mit Verweis auf die Standortstärke die Dramatik der Erpressbarkeit relativiert werden soll. Spätestens im Shareholderkapitalismus hängt die Erpressbarkeit der Belegschaften nicht (mehr) von der absoluten Profitabilität des jeweiligen Kapitals ab. Die Erpressbarkeit resultiert aus der unter den gegebenen Verhältnissen nicht begrenzbaren und nicht zu konternden Möglichkeit des Kapitals, auf billigere Arbeitskräfte als die von uns tariflich erfassten zurückgreifen zu können. Diese Möglichkeit hat wenig profitables Kapital wie GM/Opel genauso wie hoch profitables Kapital wie DaimlerChrysler. Beide machen von dieser Option Gebrauch, und beide Belegschaften sind in die Knie gegangen, obwohl durch einen kämpferischeren Auftritt der Kompromiss vielleicht anders hätte aussehen können.

Zu erwarten, dass hoch profitables Kapital auf diese Option eher verzichten würde, ist irreal. Der Kapitalist dieser Tage ist kein Gutsherr, der in den fetten Jahren auch mal großzügig sein kann, sondern er ist Cha-raktermaske einer ökonomischen Logik, die das Nichtausschöpfen von Profitmaximierungsmöglichkeiten bestraft, z.B. durch Absinken der Aktienkurse, Abwanderung von Kapital oder Verlust von Marktpositionen. Dass der, der uns erpresst, längst beste Profite macht, hindert ihn nicht, unsere Erpressbarkeit auszunutzen. Allenfalls manövriert er sich in eine moralisch ungünstige Situation, an der Betriebsräte und Gewerkschaften ansetzen können. Der Hinweis auf hohe Profite, Standortstärke und Exporterfolge ändert also nichts an der fatalen strategischen Defensivposition der Gewerkschaften und betroffenen Belegschaften.

5. Was für die unmittelbaren Lohnkosten gilt, ist auch ein argumentatives Dilemma, wenn man indirekte Lohnkosten bzw. Sozialstaatskosten insgesamt einbezieht. Die Hinweise im fünften Abschnitt auf die abgesenkten Steuer- und Abgabenquoten in Deutschland, auf gesunkene Nettorealeinkommen, auf relativ niedrige Lohnstückkosten sind für sich genommen allesamt zutreffend und gut geeignet, das vorherrschende Lügengebäude von sozialer Hängematte und Sozialstaatseldorado zum Einsturz zu bringen. Aber auch dies ändert nichts an der ökonomisch bedingten Unterlegenheit der Arbeit gegenüber dem Kapital. Für die Frage der Erpressbarkeit sind Hinweise auf alle schon vollzogenen Absenkungen oder Vergleiche mit OECD-Län-dern hinsichtlich all dieser Parameter nicht der entscheidende Bezug, weil der Erpressungsdruck sich ja nicht aus dem Vergleich mit früheren Sozialstandards oder dem Vergleich von Lohnhöhe oder Steuerquote zwischen Deutschland und Frankreich aufbaut, sondern aus dem Vergleich mit Steuer- und Sozialstandards osteuropäischer, südostasiatischer oder chinesischer Konkurrenten. Die keynesianische Argumentation unserer Programmatik ist hilfreich und innerorganisatorisch zurecht populär, weil sie das Wissen und (auch wichtig) das gute Gefühl vermittelt, eigentlich im Recht zu sein, die besseren Argumente zu haben und weil sie gegen das neoliberale Herumschwadronieren das ganze Ausmaß der angewachsenen Verteilungsungerechtigkeit einfach und empirisch belegt - eine wichtige Stärkung in der jetzt hochkochenden moralischen Kapitalismus-Kritik.

Populär ist die bei den Gewerkschaften vorherrschende keynesianische Argumentation aber vor allem, weil sie die systemkonforme Einlösung von ArbeitnehmerInnenforderungen verspricht. Man mag darüber streiten, ob es des Belegs der makroökonomischen Verträglichkeit von Arbeitnehmerinteressen zu deren Legitimation bedarf oder ob nicht das Lebens- und Gerechtigkeitsinteresse von ArbeitnehmerInnen schon Legitimation genug sind, es ändert jedenfalls nichts daran: Kapital und Staat haben sich aus Gründen, die aus ihrer Sicht nachvollziehbar sind, gegen das keynesianische Akkumulationsmodell und für das angebotsorientierte Modell der Stärkung der Exportökonomie zu Lasten von Nachfrage und Wohlfahrtsstaat entschieden.

Die Sache wird also nicht in erster Linie als Frage der Ideologie oder Moral entschieden, sondern als Machtfrage. Überspitzt: wir könnten überall hundertprozentige Organisationsgrade und überall in Massenschulungen »debattenfeste« KollegInnen haben, es würde uns nicht viel weiter helfen gegen die ökonomischen Druckmittel des Kapitals. Wegen dieser strukturellen Defensivsituation ist natürlich auch diese rhetorische Prämisse Illusion und eher das Gegenteil absehbar und unter sonst gleichen Bedingungen nicht vermeidbar: Immer mehr KollegInnen werden uns den Rücken kehren und uns, da sie täglich sehen, wie wir, wenn's drauf ankommt, doch dem Prinzip Arbeitsplatzsicherung durch Lohnverzicht huldigen, unsere makroökonomische Programmatik immer weniger abnehmen.

Weiter so geht nicht mehr. Bei aller Berechtigung, die Lügen und ideologischen Exzesse des neoliberalen Diskurses anzugreifen, darf nicht das hinter diesem Nebel versteckte Grundproblem der Gewerkschaften abgestritten oder relativiert werden, darf nicht der Eindruck entstehen, wir könnten weitere 20 Jahre nach dem Ende des rheinischen Kapitalismus mit den nationalstaatlich ausgerichteten Organisationsstrukturen der Gewerkschaften einfach so weiter machen und hoffen, irgendwie und irgendwann ließe sich dieser globale Kapitalismus wieder einer sozialen Regulation unterwerfen.

Die Frage nach »der Rolle der Gewerkschaften in einer globalen Ökonomie« muss auf die gewerkschaftliche Tagesordnung, und zwar ganz vorn!

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/05


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