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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fonds nichts kommt nichts ver.di-Argumentationshilfe zum Gesundheitsfonds – kritisch beleuchtet Im nächsten Jahr kommt es nun zu einer der grundlegendsten Veränderungen des Gesundheitswesens der letzten Jahre: der in der Großen Koalition ausgehandelte Gesundheitsfonds, den – außer Ulla Schmidt – niemand mehr verteidigt. Im Gegenteil. Es hagelt Kritik von allen Seiten: von Arbeitgebern, von Krankenkassen, von Ärzten, von der Opposition und auch von den Gewerkschaften. ver.di hat nun eine Argumentationshilfe herausgegeben, die wir hier dokumentieren.[1] Da sie, so scheint es uns, nur für Insider zu verstehen ist und an manchen Stellen auch die nötige Kritik vermissen lässt, haben wir den geballten gesundheitspolitischen Sachverstand in der Redaktion und im Umfeld bemüht, um den Kommentar, wo es uns nötig schien, zu kommentieren. Warum wird der Gesundheitsfonds überhaupt gebraucht? ver.di: Der Gesundheitsfonds wurde im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 beschlossen. Sowohl Gewerkschaften, Krankenkassen, die meisten Gesundheitsdienstleister und Wissenschaftler hatten sich gegen den Fonds ausgesprochen. Die Regierungsfraktionen hatten dennoch auf dem Fonds bestanden, weil sie sich auf keines ihrer Grundmodelle (bei der Union die Kopfpauschale, bei der SPD die Bürgerversicherung) verständigen konnten. Beide erwarten vom Fonds eine Verbesserung der Ausgangslage für ihr jeweiliges Konzept. express: ›Gebraucht‹ wurde der Fonds, weil die Regierungskoalition meinte, damit das Finanzierungsproblem für die nächsten Jahre lösen zu können. Mit der altbekannten Argumentation, dass die Kosten im Gesundheitswesen angeblich aus dem Ruder laufen, dass die Lohn(neben)kosten zu hoch seien etc. – auch wenn dies alles inzwischen von vielen Seiten widerlegt ist. Unseres Erachtens bereitet diese Reform mit dem Gesundheitsfonds vor, wozu sich dann nach den nächsten Bundestagswahlen die Gewinner derselben entscheiden werden. Die Türen sind noch nach allen Seiten offen. Wie funktioniert der Fonds? ver.di: Der Fonds wird ab 1. Januar 2009 eingerichtet. Er gilt nur für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Wie bisher zahlen Versicherte und Arbeitgeber Beiträge an ihre Krankenkasse. Es bleibt auch dabei, dass Familienmitglieder ohne oder nur mit geringem Einkommen beitragsfrei mitversichert sind und dass die Versicherten 0,9 Prozentpunkte mehr zahlen als die Arbeitgeber. Allerdings wird der Beitragssatz nicht mehr von der Selbstverwaltung in den einzelnen Krankenkassen festgelegt. Vielmehr legt die Bundesregierung einen einheitlichen Beitragssatz fest. In den Fonds fließen zusätzlich Steuermittel. 2009 sind es vier Milliarden Euro. Sie sollen bis 2015 auf 14 Milliarden Euro steigen. Die Krankenkassen geben ihre Einnahmen an den Fonds weiter. Sie erhalten aus dem Fonds dann einen gleichen Betrag für jeden Versicherten und zusätzlich einen Risikozuschlag, wenn sie besonders hohe Krankheitskosten tragen müssen. Krankheiten für die es einen solchen Zuschlag gibt, sind in einem Katalog festgelegt. Der Beitragssatz muss so kalkuliert sein, dass er zum Start des Fonds alle Ausgaben der Krankenkassen abdeckt. Er muss erhöht werden, wenn nur noch 95 Prozent der Kassenleistungen aus ihm finanziert werden können. express: Mit der Neuregelung der Beitragsfestsetzungskompetenz sollen die Beitragssätze stärker kontrolliert werden, um die Lohn(neben)kosten deckeln zu können. An dieser Stelle entspricht der Gesundheitsfonds weitgehend Arbeitgeberinteressen. Die Deckung der Kassenausgaben zu nur 95 Prozent ist wohl kalkuliert. Es stellt sich die Frage, wer den Rest aufbringen soll. Nach dem Willen und der Vorstellung der Regierungskoalition soll dieses Geld von den Kassen ›erwirtschaftet‹ werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese fehlenden fünf Prozent erzielt werden können: entweder über Zusatzbeiträge (siehe nächster Punkt) oder über Einsparungen. Diese Einsparungen sollen von den Kassen, zumindest in der neoliberalen Vorstellungswelt, über ›effizienteres‹ Wirtschaften realisiert werden, da das Erheben eines Zusatzbeitrages möglicherweise zu einem Abwandern der Versicherten führen könnte. Die Vorstellung von Wirtschaftlichkeitsreserven, also umgekehrt die Annahme, dass die Personal- und Verwaltungskosten in der GKV bislang zu hoch seien, ist zwar weit verbreitet, tatsächlich liegen sie in der GKV jedoch nur bei fünf Prozent und damit deutlich niedriger als in der PKV – zumal der Fonds eher dazu geeignet scheint, die Verwaltungsausgaben der GKV zu erhöhen, da die Erhebung des Zusatzbeitrags direkt vom Versicherten (und nicht vom Arbeitgeber des Versicherten) weiteren Verwaltungsaufwand bedeuten wird. Wahrscheinlich ist eher, dass die Kassen ihre Kosten dadurch senken, dass sie Leistungen aus dem GKV-Katalog ausgliedern. Das wiederum wird nicht ohne gesetzliche Regelung gehen, denn 95 Prozent der Leistungen sind im SGB V als einheitliche und gemeinsame festgelegt. Was ist der Zusatzbeitrag? ver.di: Krankenkassen, die mit ihrem Beitragssatz nicht auskommen, können von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag bis zu einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens (bis zu acht Euro ohne Einkommensprüfung) verlangen. Krankenkassen, die Geld übrig haben, können eine Prämie ausschütten. express: In diesem Zusatzbeitrag könnte sich die so genannte Kopfpauschale verstecken, da es den Krankenkassen erlaubt ist, den Betrag pauschal zu erheben. Sofern die Kasse ihre Ausgaben nicht mit den Einnahmen aus dem Fonds decken kann, was politisch intendiert ist (siehe oben), werden hier Kosten der Gesundheitsversorgung privatisiert. Besonders pikant ist, dass der Zusatzbeitrag bis acht Euro pauschal erhoben werden kann, dadurch werden Versicherte mit geringem Einkommen (z.B. Hartz IV-Empfänger) überproportional belastet. Dass Kassen, die Geld übrig haben, dieses wieder an die Versicherten zurückgeben können/dürfen, ist eine weiterer Einschnitt in die solidarischen Strukturen der Krankenkassen und muss auch oder gerade von Gewerkschaften kritisiert werden. Denn alles Geld, was zurückgezahlt wird, fehlt im Topf. Wie wirkt sich der Fonds auf meinen Beitragssatz aus? ver.di: Der Beitragssatz wird für alle Versicherten in gleicher Höhe festgelegt. Wer heute einen besonders günstigen Beitragssatz hat, zahlt mehr, wer einen hohen Beitragssatz hat, zahlt weniger. Allerdings wird diese gewollte Angleichung durch den Zusatzbeitrag oder eine Prämienausschüttung teilweise wieder aufgehoben. express: Der gleiche Beitragssatz für alle Versicherten ist unseres Erachtens zu begrüßen, denn er hat ein Umverteilungsmoment innerhalb der ungleichen Verhältnisse zwischen den Bundesländern, zwischen Städten und dem flachen Land, zwischen armen und reichen Kassen etc. – vorausgesetzt, dass dieses Geld nicht als Prämie rückerstattet wird, sondern im System bleibt. Dazu unten mehr. Warum heißt es in den Medien, dass fast alle mehr bezahlen müssen? ver.di: Der Beitragssatz würde mit oder ohne Fonds ansteigen. So sind in der Gesundheitsreform neue Leistungen vor allem im Bereich der Vorsorge hinzugekommen, die Ärzte erhalten 2009 rund 2,5 Milliarden Euro mehr, Medikamentenausgaben steigen trotz Rabattverträgen überproportional und bei den Krankenhäusern muss der Personalabbau gestoppt werden, wenn die Qualität erhalten bleiben soll. express: Der aktuelle durchschnittliche Beitragssatz liegt im Jahr 2008 bei 14,92 Prozent; die Bundesregierung hat den Beitragssatz für das nächste Jahr auf 15,5 Prozent festgelegt, was also im Durchschnitt auf jeden Fall eine Steigerung bedeutet. Also müssen fast alle mehr bezahlen. Dass der Beitragssatz sowieso steigen würde, stimmt nur, wenn man davon ausgeht, dass alles andere so bleibt, wie es im Moment ist. Eine Erinnerung daran, dass das nicht so wäre, wenn man eine konsequente Bürgerversicherung einführen würde, täte an dieser Stelle gut. Eine konsequente Bürgerversicherung, in der alle versichert wären, auch die heute privat Versicherten, könnte den Beitragssatz um einiges senken. Aber es heißt doch, dass die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigten derzeit deutlich steigt. Warum reichen die Beiträge dennoch nicht? ver.di: Die massiven Sparmaßnahmen in den letzten Jahren haben jetzt einen sehr großen Nachholbedarf sichtbar gemacht. Allein mit mehr Mitgliedern in der Gesetzlichen Krankenversicherung oder durch höhere Gehälter lässt sich das nicht finanzieren. Zudem belastet bei Löhnen und Gehältern die immer größere Spreizung der Einkünfte unsere Sozialsysteme. Wir haben viele kleine Einkommen, aus denen nur geringe Beitragseinkünfte kommen, und wir haben zunehmend hohe Einkünfte, die für die Krankenversicherung nicht berücksichtigt werden. Wer über 3600 Euro im Monat erhält, muss für jeden Euro darüber hinaus keinen Beitrag zahlen und wer über 4012,50 Euro verdient, muss sich nicht mehr in einer gesetzlichen Krankenkasse versichern. express: Der Kommentar von ver.di ist so nicht ganz richtig. Natürlich würde sich die Finanzierungssituation der GKV verbessern, wenn Arbeitnehmer besser bezahlt würden. Höhere Löhne bedeuten auch mehr Mittel für die GKV. Das gilt auch für die Empfänger von ALG II. Für sie zahlt die Arbeitsagentur nur eine geringe Pauschale. Hier zeigt sich wieder einmal die hohe Arbeitslosigkeit und die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre (bei den niedrigen und mittleren Einkommen) als eines der Kardinalprobleme der GKV-Finanzkrise. Die oben angesprochene Pflichtversicherungsgrenze und Beitragsbemessungsgrenze stellen erstens eine grobe Verletzung des Solidarprinzips und zweitens eine Verschärfung des Finanzierungsproblems der GKV dar. Denn in diesem Segment (also jenseits der 3600 Euro) sind die Gehälter in den letzten Jahren sehr wohl gestiegen, allerdings ohne dass es der GKV genutzt hätte. Völlig von der Pflicht zur Finanzierung befreit sind – neben den hohen Gehältern – Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit, aus Mieteinnahmen, sonstige Kapitaleinkünfte sowie Beamtenbezüge. Würden solche Einkünfte in die Finanzierung der GKV einbezogen, würde sich die Finanzierungslage durchaus verbessern. Das Konzept der Bürgerversicherung geht in diese Richtung. Verbessert sich mit dem Fonds auch die Versorgung? Wer profitiert von dem Fonds, wer zahlt drauf? ver.di: Nein, im Gegenteil. Kassen mit hohen Leistungsausgaben für ihre Versicherten geraten in Gefahr einen Zusatzbeitrag erheben zu müssen. Um dies zu vermeiden, sparen sie bei den Leistungen, wo sie nur können. Eine bessere Versorgung könnte sich nur durch den zeitgleich verbesserten Risikostrukturausgleich ergeben. Er orientiert sich künftig an den Ausgaben der Kassen für besonders teure Erkrankungen. Wer gesund ist und flexibel in seiner Krankenkassenwahl, gewinnt. Gerade ältere Menschen, die im Leistungsfall auf persönliche Beratung angewiesen sind und weniger wechseln wollen, werden zu Verlierern. express: So pauschal ist das nicht richtig. Gerade der mit dem Fonds einhergehende an der Morbidität (Krankheit) orientierte Risikostrukturausgleich verbessert die Situation von Kassen, die aufgrund ihrer Mitgliederstruktur, wenn sie mehr oder schwerer kranke Menschen versichern als der Durchschnitt, finanzielle Schwierigkeiten haben. Diese Umverteilung ist prinzipiell zu begrüßen. Allerdings wird dieser Ausgleich als Wettbewerbsvoraussetzung eingeführt, welcher dann zu den oben beschriebenen Effekten führen kann. Warum machen einzelne Bundesländer Front gegen den Fonds? ver.di: Das ist im Prinzip immer die Diskussion reich gegen arm: Reiche Bundesländer mit geringen Arbeitslosenzahlen haben oft auch niedrigere Krankenkassenbeiträge. Werden die Beitragssätze angeglichen, fließen auch Mittel über die Landesgrenze. So haben allen voran die Länder Bayern und Baden-Württemberg darauf gedrungen, dass der Abfluss von Beiträgen aus den Ländern auf 100 Millionen Euro begrenzt wird. In der Praxis ist dies jedoch schwierig zu kontrollieren, denn Kassen sind nicht nur regional, sondern auch bundesweit und auf Konzerne bezogen organisiert. Die Länder sind also zu recht skeptisch, wie ihre eigene Vorgabe umgesetzt werden kann. express: Eine sehr milde Kritik von ver.di an dieser so genannten Konvergenzklausel. Da sind manche Gesundheitswissenschaftler schon schärfer. Karl Lauterbach z.B. bezeichnete die Klausel zu recht als »völlig verrückt ... Der Gesundheitsfonds an sich ist schon absurd, aber mit der Konvergenzklausel erreicht das diesbezüglich höchste Dimensionen« (vgl. FR vom 9. April 2008). Diese Klausel, so Lauterbach weiter, verfestige regional unterschiedliche Standards der Gesundheitsversorgung statt sie zu beseitigen. Gerade dieses bundesweite Umverteilungsmoment des Gesundheitsfonds ist zu begrüßen und die Konvergenzklausel entsprechend scharf zu kritisieren. Was wird die Folge des Fonds sein? ver.di: Zunächst wird die Höhe des Beitrags im Mittelpunkt stehen. Der Schätzerkreis trifft sich Anfang Oktober. Spätestens im November muss die Bundesregierung über die Beitragshöhe entscheiden. Dann wird sehr bald in einigen Kassen die Diskussion um den Zusatzbeitrag geführt werden. Trotz Risikostrukturausgleich werden einige Kassen mit dem Durchschnittsbeitrag ihre Leistungen nicht finanzieren können. Das trifft vor allem auf die großen Versorgerkassen zu, die überdurchschnittlich viele Kranke haben. Einige dieser Kassen werden fusionieren müssen oder geschlossen werden. Es ist ein Kassensterben in größerem Ausmaß zu erwarten. Das gefährdet Arbeitsplätze und führt zu einem Rückzug aus der Fläche. Viele Versicherte werden dann keine persönliche Beratung mehr finden. express: Die Höhe des Beitrags ist inzwischen auf 15,5 Prozent festgelegt. Davon werden die Arbeitgeber 7,3 und die Arbeitnehmer 8,2 Prozent bezahlen. Es gibt berechtigte Befürchtungen, dass manche Kassen nicht mit dem Geld auskommen werden. Das wird auch dazu führen, dass Kassen fusionieren werden. Dies als ›Kassensterben‹ zu bezeichnen und zu schließen, dass das zu einem Rückzug aus der Fläche führe und auch Arbeitsplätze koste, leuchtet allerdings nicht ein. Schaut man sich vergangene Fusionen an, dann verliefen diese unterschiedlich. Es ist nicht einzusehen, dass eine Übernahme kleiner Betriebskrankenkassen durch z.B. die Technikerkrankenkasse für die Versicherten ein Rückzug aus der Fläche bedeutet. Das Gegenteil könnte der Fall sein. Und es gibt viele gute Argumente dafür, dass für eine Bürgerversicherung auch ein Krankenkasse ausreichen würde. Die Kassen versuchen nun, ihre Mitglieder mit Lockangeboten, mit Lockleistungen zu ködern? War das beabsichtigt? ver.di: Bereits seit 1993 befinden sich die Krankenkassen im Wettbewerb zueinander. Der wurde von der Politik immer weiter angefacht. Im Prinzip sind jetzt auch viele Angebote in Kombination mit Privatversicherungen entstanden. Neben sehr sinnvollen Wahlmöglichkeiten – wie Teilnahme an Chronikerprogrammen, Integrierter Versorgung oder Hausarztprogramm – wurden auch Selbstbehalte und Kostenerstattung eingeführt, die sich mit einer solidarischen Krankenversicherung kaum vertragen. Welche Möglichkeiten haben die Kassen nun, Mitglieder zu werben? Welche Rolle spielen zum Beispiel Rückerstattungen? ver.di: Gesetzliche Krankenkassen müssen nach wie vor alle aufnehmen, die bei ihnen Mitglied werden möchten. Sie werden jedoch, um selbst überleben zu können, ihre Mitgliederwerbung dort starten, wo ein für sie lukratives Klientel zu erwarten ist. Angebote mit Beitragsrückerstattung bei nicht in Anspruch genommener Leistung zielen genau auf diese Versichertengruppe. Es ist daher sehr wichtig, dass die Gewerkschaftsmitglieder in den Selbstverwaltungen der Krankenkassen darauf achten, dass Solidarität nicht dem Wettbewerb untergeordnet wird. express: Die Krankenkassen haben seit 2004 und erweitert seit 2007 die Möglichkeit bzw. die Pflicht, ihren Versicherten so genannte Wahltarife – das können versorgungsbezogene Wahltarife oder monetäre Wahltarife sein – anzubieten. Die Versicherten erhalten in aller Regel einen Bonus, wenn sie an diesem Tarif teilnehmen. Versorgungsbezogene Maßnahmen gehen sowohl aus gesundheitlicher als auch aus ökonomischer Perspektive in die richtige Richtung, eine schnelle und effektive Behandlung der Versicherten ist gesundheitlich vorteilhaft und immer noch das beste Mittel, um überflüssige Kosten durch (angebotsinduzierte) Nachfrage zu vermeiden. Dagegen sind die monetären Wahltarife in ihren Folgewirkungen viel schwerer abzuschätzen, außerdem basieren sie auf sehr umstrittenen angenommen Verhaltensdispositionen. Im Falle der Selbstbehalte bzw. Beitragsrückerstattung wird das Solidarprinzip durch das Prinzip der Risikoäquivalenz verdrängt. Eine solche Risikoselektion ist im Sinne einer Solidarität der Versicherten abzulehnen. Welche Auswirkungen hat der Fonds auf die private Krankenversicherung? Was steckt hinter dem Vorschlag der privaten Versicherer, künftig nur noch Zusatzleistungen zu versichern? ver.di: Der einzige Vorteil des Gesundheitsfonds hätte die Einbeziehung der privaten Krankenversicherung in den Fonds sein können. Doch darauf wurde verzichtet. Die Unionsparteien und allen voran die CSU hatte das verhindert. Damit wird die Sonderrolle der privaten Krankenversicherung aufrecht erhalten. Dahinter stehen nicht alle privaten Versicherungsunternehmen. Doch gerade für einige große Versicherungen verspricht der wachsende Gesundheitsmarkt ein neues und zukunftsorientiertes Geschäftsfeld, auf das sie sich gerne konzentrieren wollen. Immerhin haben Zusatzleistungen an Bedeutung gewonnen und im Gesundheitsmarkt haben die privaten Haushalte die höchsten Steigerungsraten. Rund 35 Mrd. Euro werden dort jährlich umgesetzt. Das ist weit mehr als der Umsatz in der privaten Kranken(voll)versicherung. Kein Wunder also, dass sich künftig einige Versicherer stärker darauf konzentrieren wollen. Zudem hadern viele private Versicherungen mit dem Basistarif, den sie ab 2009 ihren Versicherten anbieten müssen. Dieser wurde bereits mit der Gesundheitsreform 2007 eingeführt. Demnach müssen private Versicherungsunternehmen alle, auch schwer Kranke, aufnehmen, die nicht verpflichtet sind, einer gesetzlichen Krankenkasse beizutreten. Zudem müssen sie einen Tarif anbieten, der nicht höher als in der GKV ist (Basistarif) und mindestens die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung umfassen muss. express: Der Zweck einer privaten Krankenkasse ist in erster Linie die Erzielung von Profiten, die im Gesundheitssektor stabil und verhältnismäßig hoch sind. In Anbetracht der Finanzkrise könnte es, so schätzen manchen Gesundheitsökonomen, zu einem Doppeleffekt kommen, dass einerseits die komplette private Absicherung gegen Krankheit zwar diskreditiert ist, aber gleichzeitig der Privatisierungsdruck im Gesundheitswesen steigt, weil das Kapital jetzt nach sicheren Anlagemöglichkeiten sucht. Gerade das von der CDU/CSU und der FDP favorisierte Kopfpauschalenmodell geht in diese Richtung: also Grundsicherung durch die solidarische Versichertengemeinschaft, allerdings auf niedrigem Niveau, darüber hinausgehend private Absicherung. Aus unserer Sicht ist dieses Modell abzulehnen. Warum wurden die eigentlichen Probleme der Gesundheitsversorgung nicht angepackt? ver.di: Die Regierungsfraktionen haben unterschiedliche Vorstellungen zur Finanzierung. Bürgerversicherung und Kopfpauschale lassen sich nicht in ein System packen. Damit fehlen aber die finanziellen Grundlagen für die bedarfsnotwendige Versorgung. Statt einer umfassenden Lösung bleibt es deshalb bei unbefriedigender Flickschusterei. express: Das eigentliche Problem der Unterfinanzierung ist der fortgesetzte Fall der Lohnquote. Um dieses Problem zu lösen, müsste generell die Politik der Lohnzurückhaltung aufgegeben werden. Auf Seiten der Leistungserbringer bestehen nach wie vor Strukturen, die deutlich mehr zu einer Ausweitung der Leistungsmenge und zu einem Kostenanstieg beitragen als der vermeintliche ›Missbrauch‹ im Gesundheitssystem durch den Patienten. Niedergelassene Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie besitzen nach wie vor Monopole auf ihren ›Geschäftsbereich‹ und verfügen auf politischer Ebene über ausreichend Einfluss, um wirksame Veränderungen zu verhindern. Unseres Erachtens sind die Probleme also nicht einfach durch eine anderes Finanzierungsmodell lösbar, sondern nur über tiefgreifende Strukturreformen. Was müsste stattdessen geschehen? ver.di: ver.di will den Erhalt der sozialen gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb brauchen wir keinen Fonds, sondern eine gerechtere Finanzierung. Und darum hat sich ver.di für die Bürger/innen-Versicherung engagiert. Solidarität und Parität sind die Leitprinzipien: Alle sollen nach ihren Möglichkeiten – auch aus Kapitaleinkünften – zur Finanzierung beitragen und die Arbeitgeber sollen in der Kostenverantwortung bleiben. Privatversicherte sollen in die Solidarität einbezogen werden. Für den express kommentierten: Christian Becker/Nadja Rakowitz Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/08 (1) Die Argumentationshilfe ist vom ver.di Bundesvorstand Bereich Gesundheitspolitik unter dem Titel: »Häufig gestellte Fragen zum Gesundheitsfonds?« herausgegeben worden und auf der Homepage von ver.di zu finden. |