Frankfurt, 09.01.2004
+++ Pressemitteilung +++
Kollateralschäden werden billigend
in Kauf genommen!
Bereits jetzt ist abzusehen: Praxisgebühr und Zuzahlungen
werden zur massiven Ausgrenzung aus der Gesundheitsversorgung führen.
Seit dem 1. Januar müssen Sozialhilfeberechtigte
wie alle anderen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen für ihre Gesundheit
tief in die Tasche greifen. Doch die zusätzlichen Kosten, die durch Praxisgebühr
und Zuzahlungen zu Medikamenten und medizinischen Hilfsmittel entstehen, werden
in Zukunft BezieherInnnen von Hilfe zum Lebensunterhalt
oder von Grundsicherung im Alter sowie Menschen mit geringem Einkommen davor
abschrecken, im Bedarfsfall medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Betroffen ist eine Bevölkerungsgruppe, die bereits jetzt unter einem erheblich
schlechteren Gesundheitszustand zu leiden hat, wie u.a.
eine wissenschaftliche Studie der Universität Marburg belegt, und deren Lebenserwartung
einer Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge etwa sieben
Jahre kürzer ist als die ihrer wohlhabenderen MitbürgerInnen.
Durch die im Zuge der Gesundheitsreform vorgenommene
Neufassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung im Sozialhilferecht müssen
nunmehr auch die Kosten bei Krankheit von den Regelsätzen bestritten werden.
Bis zu einer Belastungsgrenze, die auf einen Jahresbetrag in Höhe
von 71,28 € (bei chronisch Kranken in Dauerbehandlung sind es 35,64 €) festgesetzt
wurde, müssen sich Leistungsberechtigte die medizinische Versorgung faktisch
vom Munde absparen. Trotz dieser zusätzlichen Belastung wurden die Regelsätze
in der Sozialhilfe, die für die Sicherung des täglichen Bedarfs zum Leben
ausreichen sollen, nicht angehoben. Das führt praktisch zu einer Senkung des
Sozialhilfeniveaus bei einem Erwachsenen um monatlich 5,95 €.
Die seit über zehn Jahren schleichende Aushöhlung
des Bedarfsdeckungsprinzips, das als ein Mindeststandard unseres Systems der
sozialen Sicherung angesehen werden muss, wird nun mit Nachdruck fortgesetzt.
Ob das Vorgehen des Gesetzgebers jedoch mit dem verfassungsrechtlich garantierten
Sozialstaatsgebot zu vereinbaren ist, und den gesetzlichen Anforderungen an
die Bemessung des staatlich definieren Existenzminimums genügt, werden die
zuständigen Gerichte zu prüfen haben. Noch wird die Sicherung einer Existenz,
die der Würde des Menschen entspricht, in § 1 des Sozialhilferechts postuliert.
Das Leistungsniveau kann demzufolge nicht willkürlich durch die Kollateralschäden
des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
herabgesetzt werden.
Darüber hinaus werden kranke Sozialhilfe- bzw.
Grundsicherungsberechtigte in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten und Bedarfsunterdeckung
gedrängt. Da die Belastungsgrenze von 71,28 € / 35,64 € erst einmal erreicht
sein muss, bevor der Sozialhilfeträger die Krankheitskosten übernimmt, ist
es unerheblich in welch kurzem Zeitraum diese Kosten entstehen. Für chronisch
oder akut erkrankte Betroffene bedeutet das, entweder neben ihrer Krankheit
mit einem Einkommen auszukommen, das unterhalb des Existenzminimums liegt,
oder auf die Behandlung und notwendige Medikamente zu verzichten. Wenn am
Monatsende das Geld knapp wird, werden diese Leistungsberechtigte zwischen
einer Mahlzeit für die Familie oder dem Arztbesuch zu entscheiden haben. Untersuchungen
belegen es: In Schweden hat die Einführung einer Praxisgebühr dazu geführt,
dass besonders die Menschen mit geringem Einkommen seltener zum Arzt gehen.
Zusätzliche Belastungen am Rande des Existenzminimums führen
zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgungssituation
von einkommensschwachen Mitbürgerinnen, die im Zuge der so genannten Reformpolitik
der Bundesregierung zudem von massiven Leistungskürzungen, Entrechtung und
Prekarisierung betroffen sind und künftig sein werden. Die
Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen rät Sozialhilfe- und
Grundsicherungsberechtigten, sich gegen diese Ausgrenzung zur Wehr zu setzen.
Krankheitskosten können als einmalige Leistungen beim zuständigen Sozialamt
beantragt werden. Ein Musterantrag dafür kann in unserer Geschäftstelle angefordert
werden. Bei der Ablehnung dieses Antrags durch das Amt und einem erfolglosen
Widerspruch führt der Weg in die nächste Instanz: Dann müssen die Gerichte
über die Rechtmäßigkeit dieser Sozialleistungskürzungen durch die Hintertür
befinden. Nur durch die Courage der Betroffenen können die Schäden der Gesundheitsreform
noch gemindert werden.
Frank Jäger
(BAG-SHI Geschäftsführung)
Informationen: 0160-4
25 89 10
Mo bis Do: 069-27
22 08 96
Der Musterantrag kann
angefordert werden unter: Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen,
Moselstraße 25, 60329 Frankfurt am Main, per
Email: bagshi-frankfurt@web.de
BAG
SHI
Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen e.V.
Geschäftsstelle
Moselstraße 25 --- 60329 Frankfurt am Main
Fon: 069-27 22 08 98 - Fax: 069-27 22 08 97
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