letzte Änderung am 22. Juli 2003 | |
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Im ursprünglichen Sinn ist das Dogma ein kirchlicher Glaubenssatz mit
dem Anspruch unbedingter Gültigkeit. Das Dogma der Privatisierung beschreibt
einen Glaubenssatz der allgegegenwärtigen neoliberalen Denkschule: Mit
missionarischem Eifer versuchen Wirtschaftsexperten jeglicher Couleur die Wohltaten
der Privatwirtschaft zu preisen und die öffentliche Daseinsvorsorge als
"überwunden geglaubte staatswirtschaftliche Struktur" (Bundesverband der
deutschen Industrie) zu diffamieren. Die Argumente der neoliberalen Glaubensgemeinschaft
entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Mythen zur Verschleierung des realen
Kapitalismus.
Seit einigen Jahren ist die Privatisierung der Berliner Wohnungsbaugesellschaften
und die negativen Effekte, die diese Politik für die Mieter und Mieterinnen
sowie Angestellte der Gesellschaften mit sich bringt, ein immer wiederkehrendes
Thema im MieterEcho. Bei den Wohnungsgesellschaften endet der Verkauf öffentlichen
Eigentums jedoch bei weitem nicht. Auch die Wasser- und Energieversorgung, Messehallen,
der öffentliche Nahverkehr sowie Krankenhäuser und Sozialversicherungen
werden an private in- und ausländische Unternehmungen verkauft. Ein flüchtiger
Blick über die Landesgrenzen genügt, um zu erkennen, dass der Verkauf
von kommunalen- und Staatsbetrieben einer Logik folgt, die wenig mit verschuldeten
Haushalten, sondern viel mehr mit den Expansionsbestrebungen und der Notwendigkeit
zur Größe der transnationalen Konzerne zu tun hat.
Zu einer "großen Privatisierungsanstrengung" ruft Lothar Späth im
Handelsblatt vom 7. Mai auf. Den neoliberalen Glaubensgrundsätzen folgend,
sollten nach Meinung Späths "viele öffentliche Dienstleistungen, vor
allem im Energie-, Wasserversorgungs- und Abwasserbereich, im Verkehrssektor
sowie bei der Abfallbeseitigung" privatwirtschaftlich kontrolliert werden. "Unseren
Partnern in der Europäischen Union" könnten wir somit außerdem
zeigen, "dass wir durch die Mobilisierung unserer letzten Reserven bereit sind,
mit gewaltigen Anstrengungen die Voraussetzungen für erfolgreiche Sozialreformen
zu schaffen." Mit Sozialreformen sind "Hartz", "Rürup" und die Agenda 2010
gemeint. Wachstumsstimulierend soll der Sozialabbau wirken, denn nach Späth
werden "die privaten Investoren in Deutschland nichts unternehmen, solange die
politischen Ziele in Berlin nicht klar formuliert und die Rahmenbedingungen
verbessert sind." Weit gefehlt Herr Späth, der Sozialabbau ist im vollen
Gange und ganz nach dem Geschmack der Privatwirtschaft, investiert wurde aber
auch schon zuvor, was das Zeug hält:
"Ausländische Direktinvestitionen in die Industrieländer stiegen im
Jahr 2000 um 21% auf über eine Billion Dollar", stellte die UN-Konferenz
für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem "Weltinvestitionsbericht 2001"
fest. Den größten Anteil an Investitionen nahmen grenzüberschreitende
Fusionen und Unternehmensaufkäufe ein sie verdreifachten sich zwischen
1990 und 2000, wobei sich das Finanzvolumen der Transaktionen sogar verzwölffachte.
Die Unternehmen investieren jedoch nicht auf der "grünen Wiese", sprich
in neue Produktionsstätten, die auch neue Arbeitsplätze schaffen würden,
sondern in die Bereiche der neu geöffneten Märkte. Laut UNCTAD ist
Deutschland im Jahr 2000 mit 176 Mrd. Dollar zum ersten Mal der größte
Empfänger ausländischer Direktinvestitionen in Europa geworden und
belegte weltweit den zweiten Platz hinter den USA. Auf der anderen Seite verfügen
auch die deutschen Unternehmen über genügend gefüllte Kriegskassen,
um ausländische Unternehmen zu schlucken und die Konkurrenz in Schach zu
halten. Gegenüber den ersten fünf Jahren verdreifachten sich in der
zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen
im Ausland auf durchschnittlich 68 Mrd. Dollar. Der Standort Deutschland ist
offensichtlich besser als sein Ruf und deutsche Unternehmen spielen ihrerseits
in der ersten Liga der globalen Unternehmensgiganten wie auch der UNCTAD betont:
"Der Auslandsumsatz insgesamt nahm um 3% auf 2,1 Billionen Dollar zu, wobei
sich unter den Top 100 der Transnationalen Unternehmen der Anteil der US-Firmen
verringerte und jener der EU-Firmen erhöhte, letzteres vor allem auf Grund
der Aktivitäten von deutschen Firmen."
Die Weltinvestitionsberichte der letzten Jahre machen sehr deutlich, in welchen Bereichen und Regionen die neu geöffneten und heiß umkämpften Märkte zu finden sind: Als 1996 die Investitionen in die Länder Mittel- und Osteuropas zurückgegangen waren, führte der Bericht dies "unter anderem auf die verlangsamte Privatisierung in einigen Ländern zurück." Bei wachsender Investitionstätigkeit hieß es im Jahr 1998, dass "Fortschritte in der Liberalisierung von Handel und Investitionen sowie die Privatisierung treibende Kräfte waren." Und auch der Bericht von 2001 bemerkte, dass "ausländische Direktinvestitionen von Privatisierungen dominiert" wurden. Die Dynamik der Direktinvestitionen ist eine der entscheidenden Schubkräfte der globalen Wirtschaftsverflechtungen. "Die weltweiten Umsätze von transnationalen Unternehmen entsprechen mittlerweile dem Doppelten der Weltexporte", resümiert der Weltinvestitionsbericht. Direktinvestitionen sind somit zur wirksamsten Methode der Eroberung ausländischer Märkte geworden. Beschränkt ist diese Entwicklung allerdings auf Nordamerika, Europa und einige asiatische Staaten, also jene Regionen, welche die weltweiten ökonomischen Schwergewichte darstellen und somit hohe Renditen versprechen. Aus der Perspektive der Unternehmen hat ein Rennen um die neuen Märkte eingesetzt "Wachsen, um zu überleben", wie es ein Gesellschafter der A. T. Kearney Unternehmensberatung umschrieb. Kleine Fische werden von den großen gefressen oder unterliegen dem Druck der übermächtigen Konkurrenz. Konzerne wie Siemens führen Geschäftsfelder nur noch, wenn darin Platz eins oder zwei zu behaupten ist. "Grundsätzlich schrumpft die Zahl der Global Players", so der Siemens Vorstand von Pierer, denn in der Regel vertrage ein Arbeitsfeld langfristig nur fünf bis sechs Wettbewerber. In einigen Bereichen ist diese Marke schon annähernd erreicht. In den Industriezweigen Flugzeuge, Stahl, Öl, Computer, Chemie, Autos und Elektronik beherrschen die fünf Branchenführer zwischen 30% und 60% des Weltumsatzes ein Konzentrationsprozess, der sich auch in politischer Macht ausdrückt.
Wenngleich die großen Kapitalgesellschaften global agieren, ist in Zeiten der zugespitzten Konkurrenz die Besinnung auf die nationalstaatliche Herkunft umso bedeutsamer. Die Lobbyorganisationen der deutschen Industrie, an der Spitze der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), sind federführend an den arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Regelungen der deutschen Politik beteiligt. Verschiedene Steuerreformen haben dazu geführt, dass große Kapitalgesellschaften seit Jahren nur noch minimale oder gar keine Steuern zu zahlen brauchen. Im Jahr 2001 zahlten alle großen Firmen per saldo keinen einzigen Cent Körperschaftssteuer, erhielten im Gegenteil 426 Mio. Euro zurückerstattet. Gleichzeitig bedient der deutsche Staat die Interessen der Industrie mit Hilfe diverser Institutionen wie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) sowie mit beträchtlichen Fördermitteln. "Die Programme mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa reichen von Absicherungsgeschäften über die Vergabe zinsverbilligter Kredite bis hin zu Investitionszuschüssen", schreibt die Zeitschrift Wirtschaft im Wandel und bemerkt zudem: "Das Instrumentarium zur Förderung von Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa zeichnet sich durch eine große Intransparenz aus."
Ebenso undurchsichtig funktioniert die Industrieförderung auf europäischer
Ebene. Hier besitzt die europäische Industrie mit dem European Roundtable
of Industrialists (ERT) eine machtvolle Lobby bei den Entscheidungsträgern
der EU-Politik. Nahezu unbekannt, ist der 1983 gegründete ERT die wohl
einflussreichste Interessengruppe in Europa: 45 Vorstandsvorsitzende europäischer
Großkonzerne gehören dieser exklusiven Runde an. Wie der ERT, so
steht auch das 1999 gegründete European Services Forum ESF, das die Interessen
der mächtigsten Dienstleistungskonzerne vertritt, im direkten Austausch
mit den Politikern der Europäischen Kommission. Weitere Marktöffnungen
wie die der Wasserwirtschaft stehen ganz oben auf der Wunschliste von ERT und
ESF und so verwundert es nicht, dass die Europäische Union einer der Hauptinteressierten
an den im September in Mexiko stattfindenden GATS-Verhandlungen ist (GATS =
General Agreement on Trade in Services). Der Einfluss speziell der europäischen
Wasserkonzerne auf die EU-Handelspolitik ist eindeutig dokumentiert. Eine kanadische
Organisation kommt zu dem Schluss: "Die Europäische Kommission hat eine
aggressivere Position in der Frage der Liberalisierung von Wasserdienstleistungen
übernommen als irgendein anderes Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO)."
Die EU-Kommission fordert von 72 Ländern die Liberalisierung im Trinkwasserbereich,
hält jedoch gleichzeitig ihre eigenen Wasserversorgungssysteme bisher aus
den GATS-Verhandlungen heraus. Die sollen anscheinend unter den europäischen
Konzernen aufgeteilt werden, so wie Lothar Späth sich das bei seiner "großen
Privatisierungsanstrengung" vorstellt oder wie es auch Annette Fugmann-Heesing
(SPD) für Berlin vorschlägt. Der Glaube Späths und Fugmann-Heesings
reicht wie bei allen Mitgliedern der neoliberalen Glaubensgemeinschaft nicht
über den schnöden Mammon hinaus und der lässt sich am bequemsten
auf der Seite der Konzerne verdienen.
"Statistiken über Direktinvestitionen (DI) informieren über einen der wichtigsten Aspekte der Globalisierung. Direktinvestitionen sind eine Ergänzung oder Alternative zum grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr. (...) 2000 stammten 87% der DI-Zuflüsse in die Beitrittsländer aus den EU-Mitgliedstaaten. (...) Unternehmen aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich haben in dem betrachteten Zeitraum am meisten DI-Kapital in den Beitrittsländern investiert. Die nachstehenden beiden Abbildungen geben Aufschluss über den Anteil, den die einzelnen EU-Länder im ersten und im letzten Jahr dieses Zeitraums an den DI-Zuflüssen in die Beitrittsländer hatten. (...) Als Beitrittsländer werden die 13 Länder bezeichnet, die in den Prozess der EU-Erweiterung einbezogen sind: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, die Türkei, Ungarn und Zypern."
aus: Statistik kurz gefasst, Thema 2 - 24/2002; eurostat 2002; www.europa.eu.int
"Unter einer ausländischen Direktinvestition (ADI) versteht man eine grenzüberschreitende Investition, die von einer Unternehmung mit dem Ziel getätigt wird, Einfluss auf das Management einer Unternehmung in einem anderen Land zu gewinnen. ADI beinhalten im Allgemeinen eine langfristige Beziehung, die ein nachhaltiges Interesse des Investors an einem ausländischen Unternehmen widerspiegelt."
aus: Pressemitteilungen UNIC BONN, UNIC/385 2001
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