letzte Änderung am 4.April 2003 | |
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Aus MieterEcho 296
Im Schwung der grenzenlosen Mietgeschäfte
Hermann Werle
Die einen nennen es "Scheingeschäft", die anderen "Nullsummenspiel", "Schmierenkomödie" oder "transatlantischen Steuerbetrug". Andere halten "Karussellgeschäft" für die treffendste Bezeichnung. Letzteres stimmt insofern, dass bei diesen Geschäften über den Atlantik hinweg große Geldströme zirkulieren, bevor sie die klingenden Kassen privater Unternehmen füllen. Vom Cross-Border-Leasing, kurz CBL genannt, ist hier die Rede.
Beim CBL wird unbedarften Menschen sehr leicht schwindelig. Es wird hin und her gemietet, große Geldmengen werden von A nach B und wieder zurück transferiert und zum Schluss sollen alle einen Vorteil davon haben. Anscheinend wurde hier eine Art Perpetuum mobile entwickelt, zumindest wenn man den Ausführungen der CBL-Befürworter Glauben schenkt. Leider tut dies eine wachsende Anzahl von Stadtverordneten, die versuchen mit Hilfe einer Karussellfahrt ihre Haushaltslücken zu schließen etwa 150 Leasing-Verträge wurden seit 1995 in der Bundesrepublik abgeschlossen.
Wer, wie, was?
Die Geschäftsidee des Cross-Border-Leasing zu deutsch in etwa: grenzüberschreitendes Mietgeschäft ist auf das US-amerikanische Steuerrecht zurückzuführen: Seit Mitte der 90er Jahre haben US-Unternehmen die Möglichkeit mit Auslandsinvestitionen in kurzer Zeit erhebliche steuerliche Vorteile erzielen zu können. Investitionsmöglichkeiten bieten sich in den Niederlanden, der Schweiz oder eben in Deutschland, wo zahlreiche Kommunen nach jedem Strohhalm greifen, der ihre Haushaltssituation entspannen könnte. An einem Aufkauf städtischer Einrichtungen haben die Investoren wenig Interesse, denn dies würde den Unterhalt und damit Kosten sowie die volle Verantwortung z.B. der städtischen Müllentsorgung nach sich ziehen. Und Geld lässt sich schließlich mit der Möglichkeit eines langfristigen Leasing-Vertrags viel einfacher und vor allem frei von Risiken verdienen. "Langfristig" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Vertragslaufzeiten von bis zu hundert Jahren festgelegt werden. Nach dieser Zeit geht der Leasinggegenstand endgültig in den Besitz des Investors über, was geltendes US-Recht und formale Voraussetzung des Vertrags ist.
Für die Abwicklung des anvisierten Geschäfts gründet der Investor zunächst einen Trust. Über den Trust schließt der Investor mit der Kommune den Leasing-Vertrag ab. Im gleichen Moment mietet die Kommune mit einem parallel abgeschlossenen Rückmietvertrag die Anlage wieder an und bleibt dadurch weiterhin Betreiberin. Dieser Rückmietvertrag gilt lediglich für rund 25 Jahre. Danach besteht die Option, die Anlage wieder zurückzukaufen.
Nach US-Recht ist das US-Unternehmen Eigentümerin der Anlage und kann diese entsprechend bilanzieren und abschreiben, nach deutschem Recht bleibt die Kommune Eigentümerin und dementsprechend im Grundbuch eingetragen.
Die Leasingsumme für die Gesamtmietzeit zahlt der Investor sofort und auf einen Schlag, wodurch er gewaltige Steuerersparnisse erzielt. Einen Bruchteil dieses Steuervorteils drei bis fünf Prozent bekommt die Kommune überwiesen, dies ist der so genannte "Netto-Barwertvorteil", auf den es die Stadtkämmerer abgesehen haben. Die Differenz zum "Brutto-Barwertvorteil" haben zuvor schon die diversen in das Geschäft involvierten Banken, Anwaltskanzleien und Arrangeure abgesahnt. Zu letzteren gehören u.a. die Deutsche Bank, Daimler Chrysler Capital Services und die debis. Diese Gesellschaften sind nicht nur Vermittler, sie statten die US-Unternehmen auch mit Krediten aus und verdienen somit mehrfach an dem Geschäft. Da diese Form des Leasing ganz offensichtlich keinen realwirtschaftlichen Sinn macht, wird es von der obersten Steuerbehörde der USA seit 1999 als Scheingeschäft und Gestaltungsmissbrauch beurteilt.
Erst lesen, dann leasen!
Um den Barwertvorteil für die Kommune zu erlangen, gilt es ein hochkompliziertes und viele hundert Seiten starkes Vertragswerk zu unterzeichnen, welches von Finanz- und Steuerjongleuren ausgearbeitet wurde. Häufig werden die Verträge den Stadträten gänzlich vorenthalten oder es kursieren lediglich kurze Zusammenfassungen. In juristischer Fachsprache und auf Englisch verfasst, ist der Inhalt für viele Stadtkämmerer anscheinend auch bei deren vollständiger Lektüre nicht zu verstehen. Für eine komplette Übersetzung mangelt es sicherlich nicht an finanzieller Ausstattung, sondern vielmehr am Willen der Verantwortlichen für Transparenz zu sorgen. Denn so mancher Haken lauert im Detail, so dass selbst Befürworter wie die Düsseldorfer Beratungsgesellschaft Due Finance darauf hinweist, dass das vermeintlich leicht verdiente Geld das Entgelt für Bindungen und Risiken darstellt, die für viele Jahre eingegangen werden.
Für Abgeordnete, bei denen sich bei den drei Buchstaben CBL nicht von vornherein die Nackenhaare sträuben, sollte also als Regel Nummer
eins gelten: Verträge im Original besorgen und von fachkundigen Menschen begutachten lassen. Regel Nummer zwei: Erst lesen, dann leasen!
Dass dieser Grundsatz eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sagt eigentlich bereits der "gesunde Menschenverstand", aber in einem
Interview des ARD-Magazins Monitor vom 23. Januar belehrt uns Frank Scheurell, Stadtrat von Wittenberg, eines Besseren: "Es ist ja nicht
so, dass ich auf jemanden zugehe, um mit ihm in vertragliche Bindungen über 25 Jahre zu gehen, und davon ausgehe, dass der andere mich
dann übern Tisch zieht. Also auch im privaten Leben würde ich einen Vertrag, auch wenn ich ihn nicht bis ins Detail gelesen habe,
unterschreiben."
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Weiterhin viel Glück möchte man dem Stadtrat für seine privaten Geschäfte wünschen, aus den Geschicken der Stadt sollte er sich allerdings schleunigst zurückziehen. Denn was ihm glatt entgangen ist, könnte die Wittenberger teuer zu stehen kommen. Bei einem Unglücks- oder Verlustfall bezüglich des Klärsystems hat die Stadt nämlich die Rendite des Investors zu gewährleisten, was bis zu 42 Mio. Euro kosten könnte, wie Monitor recherchierte. Dieser Betrag würde den Barwertvorteil von ca. 6,8 Mio. Euro weit übersteigen. Neben Schadensersatzpflichten dieser Art bestehen eine ganze Reihe von Risiken, die den erworbenen Barwert-Vorteil in einen gewaltigen Cross-Border-Nachteil verwandeln können. Dazu gehört die Möglichkeit der Veränderung des US-Steuerrechts. Nach Meinung des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands ist aus US-amerikanischer Sicht eine "gesetzgeberische Korrektur der Cross-Border-Leasing-Praktiken mit dem Argument denkbar, Bürger eines anderen Staates kämen unberechtigt zu Steuervorteilen, die zu Lasten der amerikanischen Steuerzahler gingen. Das Risiko der Änderung der Steuergesetzgebung auf deutscher wie auf US-Seite besteht für die Kommune bis zum Vertragsschluss." Außerdem verweist der Prüfungsverband auf das Risiko der Einführung einer US-Quellensteuer, die auf die Mietzahlungen der Stadt aufgeschlagen werden würde sowie die Gefahr der Insolvenz einer der beteiligten Banken, wo die Leasingsumme des US-Unternehmens geparkt ist.
Durch die Langfristigkeit der Verträge erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass eine Kommune unbeschadet aus den Vereinbarungen herauskommt. Ganz sicher ist jedoch, dass die Städte mit den Investoren lange Bindungen eingehen und damit Eigenständigkeit einbüßen. Da die betreffenden Anlagen im vertraglich vereinbarten Umfang zu betreiben sind, können zukünftige infrastrukturelle Notwendigkeiten blockiert werden und ökologische wie ökonomische Nachteile mit sich bringen. Denn wer könnte heute verlässliche Angaben darüber machen, wie hoch das Müll- oder Abwasseraufkommen oder die Auslastung des Öffentlichen Nahverkehrs in 20 Jahren ist? Gerade in diesen Bereichen wird aber die Mehrzahl der Geschäfte abgeschlossen, da sich die Sache erst bei großen und langlebigen Anlagewerten von über 100 Mio. Euro lohnt.
Straßen- und U-Bahnen, Trinkwassernetze, Kläranlagen, Abwasserkanäle und Müllverbrennungsanlagen, also Einrichtungen von zentraler Bedeutung für die städtische Infrastruktur, werden zu Spielbällen globaler Finanzakrobatik. Die Spielregeln werden von Banken und Investoren diktiert, wobei Letztere im eigentlichen Sinne des Wortes keine sind, da sie ja gerade keinen müden Dollar in die Sache investieren.
Die Kommunen haben also unterm Strich für das gesamte Vertragsrisiko gerade zu stehen. Umso erstaunlicher ist es, dass weder Bundes- noch
Landesministerien Interesse an dem heiklen Thema zeigen: Dies obliege dem Zuständigkeitsbereich der kommunalen Verwaltungen, ist die
vorherrschende Meinung. Lediglich das bayerische Innenministerium vertritt die Ansicht, dass in der Öffentlichkeit ein verheerendes
Bild entstünde, "wenn Kommunen auf Steuertricks hart an der Grenze der Legalität zurückgreifen und gleichzeitig von den Bürgern, die
ohnehin viele Steuern zahlen müssen, Ehrlichkeit und hundertprozentige Gesetzestreue verlangt wird."
Absturz ins Jammertal
Eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung im eigentlichen Sinne erübrigt sich beim CBL. Vielmehr lässt sich eine Gewinner-und-Verlierer-Bilanz aufstellen: Gewinner sind die steuersparenden US-Unternehmen und ihre vorgelagerten Trusts, deutsche und US-Banken, die sich ihre Arbeit als Arrangeure, Kreditgeber und Transferdienstleister bestens honorieren lassen sowie die vielen Finanzberatungsunternehmen, Anwaltskanzleien und Stadtbedienstete, für die hier und da sicherlich auch etwas abspringen dürfte. Verlierer sind auf der anderen Seite die Steuerzahler diesseits und jenseits des Atlantiks.
Die Stadt Aachen hat bereits die Verhandlungen im Vorfeld eines US-Leasings teuer zu bezahlen. Ohne dass es zu einem Vertragsabschluss kam, hat die Stadt allein für die bisherigen "Leistungen" der Banken, Anwälte und Berater einige Millionen Euro zu berappen.
Die Folgen für die vielen CBL-Kommunen von München bis Rostock sind wegen der langen Laufzeiten heute noch nicht abzusehen. Die kurze Freude des Barwertvorteils kann in zehn oder zwanzig Jahren zu einem Absturz ins Jammertal werden. Inzwischen organisiert sich in einigen Städten und Regionen der erste Protest gegen die CBL-Geschäfte. In Kulmbach konnte ein Leasing verhindert werden und in Nordrhein-Westfalen gründeten Bürger und Bürgerinnen aus verschiedenen Städten die "Arbeitsgemeinschaft gegen den Ausverkauf von kommunalem Vermögen".
In Berlin wird bislang die "konventionelle" Privatisierung bevorzugt, doch Cross-Border-Leasing ist auch in Senatskreisen kein Fremdwort. Und es sollte doch stark verwundern, ließen Berlins Stadtfürsten diesen Krug an sich vorbeiziehen. Für sachdienliche Hinweise bedankt sich die Redaktion des MieterEcho bereits im Voraus.
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