letzte Änderung am 22. Juli 2003 | |
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aus: ak 474 vom 20.6.2003
ak - analyse + kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
Das 1994 abgeschlossene Handelsabkommen GATS hat zum Ziel, den Handel mit Dienstleistungen weltweit zu liberalisieren. Zu den Dienstleistungen gehören aber auch politisch stark regulierte Bereiche wie der Gesundheits- und Bildungsbereich, die Wasser- und Energieversorgung, Bereiche also, die Grunddienstleistungen zur Verfügung stellen, auf die alle Menschen ein Recht haben. Mit ihrer weitgehenden Liberalisierungsagenda schreibt die WTO diejenige Politik fest, die seitens des Internationalen Währungsfonds sowie der Weltbank seit anfangs der achtziger Jahre verfolgt wurde: Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, um das Staatsbudget zu entlasten. Die Erfahrungen dieser sogenannten Strukturanpassungen in den letzten 20 Jahren haben gezeigt: Insbesondere die ärmste Bevölkerung wird ihrer Grundrechte beraubt. Dazu zählen überdurchschnittlich viele Frauen. In den Neuverhandlungen des GATS bis 2005 zeichnen sich diesbezüglich Besorgnis erregende Entwicklungen ab.
Obwohl die Regierungen theoretisch frei wählen können, in welchen Sektoren sie Liberalisierungsverpflichtungen eingehen wollen, üben Länder mit starken Dienstleistungsindustrien auf andere einen ungeheuren Druck aus, gewisse Sektoren zu öffnen. Von der EU ist beispielsweise bekannt, dass sie gegenüber 29 Handelspartnern das Begehren gestellt hat, ihren Wassersektor für multinationale Konzerne zu öffnen. Begehrlichkeiten wecken auch der Gesundheits- und Bildungsbereich, wo ein milliardenschweres Umsatzpotenzial schlummert. Auf ärmere Länder üben gleichzeitig der IWF und die Weltbank Druck aus, ihre Staatsausgaben zu senken und "Partnerschaften" mit privaten Firmen einzugehen. Auch reichere Staaten sind immer mehr bereit, solche Partnerschaften einzugehen. Durch die Öffnung der Grenzen für private Anbieter besteht die Gefahr, dass Staaten ihre Verantwortung, die Grundversorgung für alle zu sichern, auch noch an diese abgeben.
Nthuthu Fuzile, Mitarbeiterin bei der Gewerkschaftsausbildungsorganisation Khanya College in Johannesburg schilderte bei einem Besuch in der Schweiz, welche Erfahrungen sie mit solchen Entwicklungen in Südafrika gemacht haben: "Es existieren private Krankenhäuser, die sich lediglich Wohlhabende leisten können. Die mittellose Bevölkerung geht, wenn überhaupt, in staatliche Krankenhäuser, wo die Bedingungen extrem schlecht sind. Es ist keine Ausstattung vorhanden, manchmal nicht einmal grundlegende Dinge wie Wäsche. Die Leute müssen mitbringen, was sie haben. Und sie müssen die Wäsche zum Waschen mit nach Hause nehmen. Es sind vor allem Frauen, die diese vermehrte Arbeit machen." Auch der Zugang zu Wasser sei immer Zeit raubender und werde durch die Privatisierung massiv erschwert. Da die Menschen in den Townships das privatisierte Wasser nicht bezahlen konnten, seien Karten eingeführt worden, mit denen das Wasser im Voraus bezahlt werden müsse. "Ist der Betrag aufgebraucht, dann kommt kein Wasser mehr. Früher haben sich die Frauen, die hauptsächlich für den Haushalt verantwortlich sind, in den umliegenden Häusern ausgeholfen, nun werden sie immer zurückhaltender, weil es so teuer ist", erklärt sie. Frauen müssen immer mehr Zeit darauf verwenden, das kostbare Gut Wasser beschaffen zu können.
Diese beiden Beispiele zeigen einen grundlegenden blinden Fleck in der Theorie der WTO. Die WTO definiert Ökonomie als Theorie der Marktregelungen und der in Geld gemessenen ökonomischen Tätigkeiten. Die viele unbezahlte Arbeit, die vor allem Frauen leisten, sei es als Produzentinnen von Gütern, als Haushälterinnen, Erzieherinnen von Kindern, Pflegerinnen von Kranken, als Gemeinschaftsarbeiterinnen, ist in diesem Modell nicht mitgedacht. Darum kann, was in der Geldökonomie als Effizienzsteigerung erscheint, in der Realität eine Verschiebung von Arbeitsaufwand vom bezahlten in den unbezahlten Sektor sein. Deregulierung, Privatisierung und Reduzierung staatlicher Leistungen bedeuten in Realität, dass das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit neu geregelt wird - meist zu Ungunsten von Frauen.
Um beim Zugang zu privatisierten Leistungen zu bleiben: In den USA hat die Privatisierung dazu geführt, dass über 44 Millionen der armen US-BürgerInnen nicht versichert sind. In Chile haben sich die öffentlichen Krankenhäuser durch die Konkurrenz privater Krankenhäuser rapide verschlechtert. Die Wohlhabenderen können sich die kostbaren, privaten Leistungen leisten, die Mehrheit der ärmeren Bevölkerung, zu der viele Frauen zählen, sind auf den immer schlechter werdenden öffentlichen Sektor angewiesen. In Harare, Zimbabwe, hatte sich 1995 die Sterberate von Frauen bei der Geburt innerhalb von zwei Jahren verdoppelt, nachdem das Gesundheitsbudget von der Regierung um einen Drittel gekürzt worden war.
Auch im Bildungsbereich drängen IWF und Weltbank darauf, dass die Staatsausgaben gesenkt werden. In Zambia beispielsweise wurden die Kosten auf die lokalen Gemeinschaften und Familien abgewälzt. Eine Studie machte deutlich, dass sich dadurch die Qualität der Grundschule nicht verbessert hat, dass aber viel weniger Mädchen als Jungen an Schulen eingeschrieben wurden.
Die Reduzierung von Staatsausgaben sind oft auch mit Entlassungen von Staatsangestellten verbunden. Im Staatssektor sind überdurchschnittlich viele Frauen tätig, als Sekretärinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern und Ärztinnen. Im Staat haben es Frauen meistens auch leichter als im Privatsektor, Anstellungen für qualifizierte Berufstätigkeit zu finden.
Frauen sind außerdem im Dienstleistungssektor oft als Kleinunternehmerinnen tätig. Durch Liberalisierung müssen sie mit großen multinationalen Firmen in Konkurrenz treten. Dieser Konkurrenz sind sie nie und nimmer gewachsen.
Staaten haben die Aufgabe zu erfüllen, die Grundrechte der Bevölkerung zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die ökonomischen Aktivitäten entsprechend geregelt werden. Private Firmen jedoch verfolgen das Ziel, Profite zu erzielen, sie fühlen sich, wie ein französischer Wasserkonzern kürzlich in einer Schweizer Radiosendung erklärte, nicht als Wohlfahrtsorganisation. In der WTO soll auf Ersuchen der EU eine Arbeitsgruppe untersuchen, ob bestehende nationale Regulierungen nicht mehr als nötig "handelsverzerrend" wirken. Es besteht die Gefahr, dass insbesondere Sozialgesetze, zum Beispiel Gleichstellungsgesetze, aber auch Umweltregelungen, mehr und mehr als Handelsschranken für den Welthandel angesehen werden.
Die Art der Erbringung von Dienstleistungen wird von der WTO in vier verschiedene Modi aufgeteilt. Der vierte Modus regelt den "grenzüberschreitenden Personenverkehr", so der Fachausdruck. Gut ausgebildete Dienstleistungserbringer sollen die Möglichkeiten erhalten, ihre Dienstleistungen während drei, maximal sechs Monaten in einem anderen Land direkt anbieten zu können. Diese Möglichkeit erhalten lediglich gut ausgebildete Fachleute, beispielsweise im Computerbereich. Ärmere Länder verlangen einen erleichterten Personenverkehr Richtung Norden, haben sie doch als Wettbewerbsvorteil vor allem ihre günstige Arbeitskraft anzubieten. Frauenorganisationen- und Netzwerke üben jedoch grundsätzliche Kritik: Sie verneinen das Konzept, dass Grenzüberschreitungen von Menschen einfach als Handelspolitik angesehen werden. Außerdem werden in diesem Konzept die Lebens- und Arbeitsrealitäten von Frauen in keiner Weise berücksichtigt. Viele Frauen im Dienstleistungssektor arbeiten als ungelernte, schlecht bezahlte Arbeitskräfte. Sie können von den seitens der WTO proklamierten Vorteilen eines liberalisierten Dienstleistungshandels am allerwenigsten profitieren, denn die Auswahl der beruflichen Dienstleistungen, die grenzüberschreitend von natürlichen Personen angeboten werden dürfen, ist limitiert und männerorientiert. Außerdem kann der als Handelspolitik deklarierte Personenverkehr den "Brain Drain" fördern, das heißt die Abwanderung von gut ausgebildetem Fachpersonal. So werden zum Beispiel Krankenschwestern von Jamaica oder den Philippinen in die USA "exportiert". Laut einem WTO-Bericht von 1995 blieben dadurch in Jamaica 50% der Stellen unbesetzt. Tatsächlich verdienen die emigrierten Krankschwestern in den USA mehr als in ihren Heimatländern, sie werden aber in den USA teilweise massiv marginalisiert und leiden unter einem offenen oder latenten Rassismus und Sexismus.
Ein wichtiger Dienstleistungssektor, speziell für südliche Länder, ist der Tourismusbereich. Viele ärmere Länder sind bereits zahlreiche Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen, ohne in der Konsequenz zu wissen, was dies in Zukunft bedeuten würde. Auch in der anstehenden Liberalisierungsrunde steht der Tourismus ganz oben auf der Wunschliste. Liberalisierungsverpflichtungen in der WTO einzugehen heißt, das "Inländerprinzip" befolgen zu müssen: alle ausländischen Firmen müssen behandelt werden wie lokale Unternehmen. Außerdem verbietet das Meistbegünstigungsprinzip, zum Beispiel besonders umweltbewusste oder soziale Firmen zu bevorzugen. Die meisten Länder haben es 1994 auch verpasst, entsprechende Klauseln einzubauen, die Beschränkungen erlauben würden. Im Nachhinein ist dies nicht mehr möglich. Der Tourismus, wird allgemein argumentiert, bringe Wachstum und ziehe ausländisches Kapital an. Die sozialen Folgen, die Folgen für Frauen oder die Umwelt werden in dieser Argumentation nicht berücksichtigt. Auch im Tourismusbereich herrscht eine Arbeitsteilung entlang der Geschlechtergrenzen vor. Männer sind viel stärker im formellen Sektor tätig, während Frauen als ungelernte Beschäftigte, in ungesicherten Stellungen und je nach Saison teilzeitangestellt, einen minimalen Lohn erhalten. Außerdem sind Frauen eher in kleinen Agenturen tätig. Männer hingegen kontrollieren die wichtigsten und großen Sektoren wie die Flugzeuggesellschaften, Eisenbahnen, Hotelketten, Autovermietungen. Obwohl unter Umständen im Tourismusbereich für Frauen mehr Jobs geschaffen werden, ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen und nach den Langzeitperspektiven zentral. Ein drängendes Problem ist der rasant wachsende Sextourismus - er gilt unterdessen als eine der beständigsten, saisonunabhängigen und lukrativsten Möglichkeiten für Frauen.
Je nach Art des Tourismus kann er einer Gemeinde und deren Bevölkerung besseren Zugang zu Straßen, Wasser, Elektrizität oder Sanitären Einrichtungen bringen. Umgekehrt kann ein forcierter Tourismus den Zugang zu grundlegenden Gütern sogar verschlechtern - beispielsweise, wenn riesige Hotels überdurchschnittlich viel Wasser verbrauchen oder wenn Firmen Steuern erlassen werden, die dann im Gemeindebudget fehlen, um eine soziale Politik und umweltverträgliche Politik machen zu können.
Frauen fordern vehement ein Moratorium der GATS-Verhandlungen sowie sorgfältige und unabhängige Untersuchungen über die Auswirkungen der bisher eingangenen Liberalisierungsverpflichtungen auf Frauen, Kinder und Männer. Künftige Pläne sollen öffentlich gemacht und diskutiert werden. Außerdem sollen öffentliche Dienstleistungen unter keinen Umständen den WTO-Regeln unterstellt werden.
Marianne Hochuli ist bei der entwicklungspolitischen Organisation Erklärung von Bern/ Schweiz für den Programmbereich Handelspolitik zuständig. Weitere Informationen zur Kampagnen- und Lobbyingarbeit der Erklärung von Bern unter www.evb.ch.
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