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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Peter Hauschild: Kampf gegen Privatisierung Grenzlegaler Spontaneismus auf Rezept Im letzten express hatte Dr. Peter Hauschild die historischen Veränderungen und ideologischen Verkehrungen im Begriff des Privaten geschildert und auf die Folgen der Privatisierung bislang staatlicher bzw. öffentlicher Leistungen im sozialen, ökonomischen, ökologischen, politischen und kulturellen Bereich hingewiesen: Entdemokratisierung und Verschlechterung der Leistungen. Sein Beitrag schloss mit einem Plädoyer für eine »Resozialisierung des Staates« - statt einer »Rückkehr zum status quo ante« oder einer »Verstaatlichung der Gesellschaft«. Dies bedeute jedoch nicht nur eine Ausweitung von Demokratie und die Suche nach anderen Formen einer Staatsorganisation, sondern setze auch grundlegenden Widerstand gegen aktuelle Privatisierungen voraus. Der folgende Beitrag schließt hier an und fragt nach möglichen Schritten und Methoden im Kampf gegen die Privatisierung. Vorgestellt werden Anregungen und Erfahrungen aus der BRD wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, Methoden des »zivilen Ungehorsams« und Boykotts à la Saul D. Alinsky aus den USA sowie kreative Übertragungen dieser Ansätze in Arbeitskämpfen, die zu Peter Hauschilds Zeit als Landesbezirksleiter bei ver.di in Hamburg stattfanden. Erinnern lohnt sich! Neben bekannten Methoden der Öffentlichkeitsarbeit, wie Presseerklärungen und Flugblattverteilungen, und der Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen, Stadtteilgruppen, Verbündeten wie Kirchen, Basisorganisationen, mit attac, politischen Organisationen und Gewerkschaften, ergeben sich seit einiger Zeit neue Aktionsmöglichkeiten, die im Folgenden vorgestellt werden sollen: Bürgerinitiative, Bürgerbegehren, BürgerentscheidEs handelt sich hierbei meistens um dreistufige Abstimmungs-Verfahren, die unterschiedlich große Quoren erfordern und auch nicht in allen Bundesländern möglich sind. Über den ehrenamtlich arbeitenden Verein Mehr Demokratie e.V. (Berlin), bei dem man auch mehr über die einzelnen Bedingungen der Bundesländer erfahren kann, hat mittlerweile eine gewisse begleitende Professionalisierung stattgefunden, die sehr nützlich war. Mehr als ein Dutzend erfolgreiche Bürgerentscheide haben in letzter Zeit stattgefunden, nur zwei sind gescheitert - mangels Wahlbeteiligung, nicht wegen der Sache. Obwohl die Verfahren aufwendig und schwierig sind, weil die Parlamentarier große Hürden aufgebaut haben - schließlich ist der Initiator einer Bürgerinitiative dieser Art der natürliche Feind des Parlaments - sollte man diese Möglichkeit nicht von der Hand weisen, auch wenn sie sehr legalistisch erscheint. Demokratie ist eben kompliziert. Im Folgenden ein paar Beispiele aus Hamburg: Demokratisierung der BürgerschaftswahlenDie Hamburger Bürgerschaftswahlen waren bisher Listenwahlen, mit einem einzigen Wahlkreis, und der Bürger konnte immer nur eine Stimme für eine Parteiliste abgeben. Ein nicht gerade befriedigendes Verfahren, denn die Aufstellung der Listen war - zumindest was die Spitzenplätze angeht - eine ständige Kungelei, die nicht in der Öffentlichkeit stattfand und Quereinsteigern, seien sie noch so qualifiziert, keine Chance ließ. Sämtliche Versuche, dieses Wahlsystem durch parlamentarische Entscheidungen zu demokratisieren, scheiterten. Erst nachdem - ebenfalls nach vielen Anläufen - die Hamburgische Landesverfassung durch SPD und GAL geändert wurde und Bürgerentscheide zugelassen wurden, sollte sich das Blatt wenden. Zum Erschrecken vieler Abgeordneter und des CDU-Senats beteiligten sich mehr BürgerInnen, als das Quorum vorschrieb, nämlich 540000, stimmten der Einführung von nunmehr 17 Wahlkreisen (statt bisher einem) zu und lehnten damit den plötzlich aus der Schublade gezogen Gegenentwurf des Senats ab. Außerdem wurden die Landeslisten halbiert und Kumulationsmöglichkeiten eröffnet. Auf diese Weise kann jede/r BürgerIn bei der nächsten Wahl (voraussichtlich) in ihrem/seinem Wahlkreis ihre/seine Abgeordneten wählen. Wieso voraussichtlich? Das zeigt das nächste Beispiel. Privatisierung des Landesbetriebs KrankenhausVor Jahren schon, noch unter dem SPD/GAL-Senat, sind die großen Hamburger Krankenhäuser zu einem Landesbetrieb Krankenhaus (LBK) zusammengelegt worden. Wie sich zeigen sollte, bestand der eigentliche Zweck darin, eine spätere Privatisierung zu ermöglichen. Auch hiergegen wandte sich letztes Jahr eine Initiative, und mit mehr als 600000 Stimmen (genau 77,6 Prozent der Wahlberechtigten) wurde der Privatisierungsversuch des Senats abgeschmettert. Vorerst! Es dauerte nur wenige Tage, und der CDU-Senat beschloss, die Privatisierung dennoch zu betreiben. Daraufhin wandten sich die ursprünglich von attac auf die Wege gebrachten Initiatoren, DGB und ver.di, vertrauensvoll an das Hamburgische Verfassungsgericht und versuchten dort ihr Glück. Überraschenderweise entschied das Gericht zugunsten des Senats und zwar einstimmig. Begründung: Der Senat sei an den Entscheid juristisch nicht gebunden, und das parlamentarische Organ könne jederzeit etwas anderes beschließen. Was der Senat auch unverzüglich tat und den LBK dem Klinikkonzern Asklepios zuschanzte, der bereits einige kleine Krankenhäuser >auf der grünen Wiese< privatisiert hat. Ab 1. Januar 2005 wird er mit vorerst 49,9 Prozent Miteigentümer des Landesbetriebs Krankenhaus und kündigte unverzüglich eine Personalkostensenkung an - entweder durch Haustarif oder Stellenabbau. Diese Missachtung des Bürgerwillens ist zwar nicht einmalig - in Aachen hatte sich ähnliches ereignet -, zeigt aber doch eine ziemliche Kaltschnäuzigkeit, die die Politikerverdrossenheit nur fördern wird. Wie nicht anders zu erwarten, wird nun vom Senat eine Änderung der Volksgesetzgebung vorgeschlagen, damit sich die BürgerInnen künftig nicht mehr so unbotmäßig aufführen können. Vorgeschlagen wird, die Sammlung von Unterschriften in die Ämter zu verlegen, keine Straßensammlungen mehr zuzulassen, nur noch an Wochentagen zu sammeln und vor allen Dingen: den Entscheid nicht mehr zeitgleich mit Wahlen durchzuführen. Ein durchsichtiges Manöver. Insofern wird es spannend, ob denn die neue Wahlgesetzgebung Bestand haben oder ob sich der Senat daran die Finger verbrennen wird. Es blieb den Initiativen nun nichts anderes übrig, als gegen diese Tricksereien einen neuen Volksentscheid zu betreiben, zur Rettung des Gesetzes über den Volksentscheid. Auch andere Ergebnisse sind nun gefährdet, z.B. der erfolgreiche Vorstoß gegen die Privatisierung der Hamburger Wasserwerke und der noch laufende Volksentscheid gegen die Privatisierung der Berufsschulen. Eines hat der Senat schon aufgegeben, nämlich die Privatisierung des Kampfmittelräumdienstes (!), der immer noch damit beschäftigt ist, die Bomben und Granaten des Krieges zu beseitigen. Dazu genügte allerdings ein öffentlicher Protest. Die Idee war ja auch zu abartig. Nur selten gelingt es aber, Privatisierungen ausschließlich über den Weg der Öffentlichkeitsarbeit zu verhindern. Wenn Öffentlichkeitsarbeit Erfolg hat, dann z.B. in Kleinstädten wie Rendsburg (Schleswig Holstein), wo die Privatisierung des Kreiskrankenhauses vorläufig verhindert werden konnte - weil der Bürgermeister schließlich wiedergewählt werden wollte. Wenn jedoch alle auf dem Trip des Verkaufs von öffentlichem Eigentum sind, alle Parteien, alle Verbände und all ihre Spitzenvertreter, haben es die BürgerInnen schwer, besonders in Städten und Gemeinden, denn die Volksentscheidgesetze sind ja in der Regel Ländergesetze und nur selten auf kleinere Einheiten anwendbar. Insbesondere in diesen kleineren Einheiten lassen sich aber auch andere Methoden erfolgreich anwenden, ohne größeren Aufwand und mit wenigen Aktiven. Sie gehen zurück auf den >Störenfried Nummer 1< in den USA der dreißiger Jahre: Saul D. Alinsky. Mit wenig Leuten viel erreichenSaul D. Alinsky (1909 - 1972), geboren in Chicago, war der »Erfinder« der community organisations, deren Nachfolger es heute noch in den USA gibt. Im Deutschen könnte man vielleicht sagen: Bürgerorganisationen (nicht zu verwechseln mit sporadisch organisierten Bürgerinitiativen), obwohl das den Knackpunkt nicht trifft, da es etwas Vergleichbares hier nicht gibt. »Erfinder« deshalb, weil er eine Reihe von Besonderheiten bei der Planung seiner Aktionen eingeführt hat, z.B. die ständige Einladung eines Vertreters der gegnerischen Partei, um dem Adressaten die Möglichkeit der Revision seiner Position zu ermöglichen und ihm zugleich die Eskalationsmöglichkeiten anzudeuten, d.h. die nächsten Schritte. Saul D. Alinsky schrieb zwei Bücher zu diesem Thema, zum größten Teil im Gefängnis, obwohl eine seiner Richtlinien war, nur Aktionen durchzuführen, die keine Gesetzesübertretungen mit sich bringen, dennoch allerdings manchmal hart an der Kante waren: »Reveille for Radicals« (1946), im Deutschen erschienen unter dem Titel »Leidenschaft für den Nächsten« (1973) sowie »Rules for Radicals« (1971), im Deutschen erschienen unter dem Titel »Die Stunde der Radikalen« (1974). Leider sind die deutschen Ausgaben auch antiquarisch nicht mehr bzw. selten erhältlich. Insofern war es sehr verdienstvoll vom Lamuv-Verlag, eine Neuauflage zu drucken, die allerdings leider nur eine Auswahl von Texten aus beiden Bänden beinhaltet: Aus den beiden erstgenannten Büchern wurde 1984 »Anleitung zum Mächtigsein« erstellt. 1999 erschien eine zweite, unveränderte Auflage. Wünschenswert wäre allerdings auch eine Neuübersetzung, da sich die Wortbedeutung inzwischen doch sehr verändert hat. Wie dem auch sei, der Titel ist glänzend gewählt und das Buch sehr hilfreich. Eine von Alinskys Regeln lautete: »Taktik bedeutet, das zu tun, was man kann, mit dem, was man hat!« Dazu ein Beispiel: Die Studenten eines Colleges beklagten sich bei ihm, dass sie weder tanzen, noch rauchen, noch Biertrinken dürften und wandten sich an Alinsky mit der Bitte, ihnen zu helfen. Auf die Frage, was sie denn dürften, antworteten sie »fast gar nichts, außer Kaugummi kauen«. Nun, meinte er, dann wird eben das Kaugummi zur Waffe. Er überredete sie, für 200 bis 300 Studenten je zwei Päckchen Kaugummi zu kaufen und sie gut gekaut zu einem bestimmten Termin auf den Campus zu spucken. Kurz darauf erhielt er einen Brief mit der Vollzugsmeldung: Es habe geklappt, und nun dürften sie fast alles, außer Kaugummi kauen. Das lehrreiche Buch beinhaltet mehrere solcher Beispiele. Alinsky erlangte schließlich einen solchen Bekanntheitsgrad, dass die Ankündigung einer Aktion genügte, um die Betroffenen rotieren zulassen. Sein Meisterstück lieferte er mit dem »shit in« auf dem größten Flughafen der damaligen Welt, in Chicago ab. Da die Stadtverwaltung ihr Versprechen einer Slumsanierung nicht eingehalten hatte, drohte er damit, die Toiletten des Flughafens mit einer Handvoll Leuten zu blockieren. Schließlich ist es ja nicht verboten, auf den Toiletten sitzen zu bleiben, solange man möchte. Unvorstellbares wäre passiert, wenn die ankommenden oder abreisenden Passagiere vor verschlossenen Toiletten gestanden hätten, und jede Tageszeitung hätte einen Aufmacher gehabt, der Chicago zum Gespött der gesamten Welt gemacht hätte. Daraufhin lenkte die Stadtverwaltung sofort ein. Mit wenigen Leuten und Aktionen, die außerhalb des Erfahrungshorizonts der Gegner liegen, kann man also viel erreichen. Interpretierte Übertragung - Erfahrungen der HBV in HamburgObwohl Alinsky davor gewarnt hatte, seine Methoden zu kopieren - schließlich gibt es nicht überall Ghettos für Afro-AmerikanerInnen oder andere Minderheiten mit ihren je spezifischen Bedürfnissen oder Problemen - kann man sie sehr wohl in angepasster und neuinterpretierter Form weiterentwickeln und z.B. in Tarifrunden verwenden, wie Ende der 90er Jahre im Einzelhandel von Hamburg. In Ermangelung von Großbetrieben mit streikerfahrenen Belegschaften haben wir mit wenigen Aktiven derartige Aktionen durchgeführt, was übrigens auch Spaß gebracht hat. So wurde ein Kaufhaus mit schlechtem Organisationsgrad und einem streikunwilligen Betriebsrat an einem Samstagmorgen damit überrascht, dass um Punkt neun Uhr das Parkhaus mit über 100 Autos besetzt wurde, so dass niemand einkaufen konnte, der mit dem Auto gekommen war. Selbstverständlich hatten alle »Besetzer« ordnungsgemäß 1 DM bezahlt. So preiswert war das damals, und die HBV hat den Kolleginnen und Kollegen, auch den Mitgliedern befreundeter Organisationen, die Gebühr ersetzt. Bis zum Ende der Einkaufszeit haben unsere Leute dann woanders eingekauft, denn sie brauchten ja am Wochenende einige Dinge, oder sie haben sich mittags in dem Restaurant breitgemacht und eben nur eine Cola oder ein Wasser getrunken, so dass auch kaum Mahlzeiten verkauft wurden. Auch ein Bekleidungshaus wurde von uns beglückt, ebenfalls am umsatzstärksten Sonnabend. Es wurden Pärchen gebildet, die sich in allen Umkleidekabinen tummelten und alle möglichen Kleidungsstücke bis hin zu Badeanzügen ausprobierten, aber immer zum Missvergnügen des außen wartenden Begleiters. Auf diese Weise konnte niemand einkaufen. Das Bemerkenswerte war, dass die Verkäuferinnen, die auf Provisionsbasis arbeiteten, mitgespielt haben, denn auch sie wollten nach der langen Verhandlungsdauer endlich ein Ergebnis sehen. Der gegnerische Verhandlungsführer, der ein renommiertes Teppichhaus besaß, musste erleben, dass das Verkaufspersonal zwar unendlich lange große Teppiche wälzen musste, aber nichts verkaufte. Auch ein kleiner Käsehändler, Vorsitzender eines Lebensmitteleinzelhandelsverbandes, wurde getroffen. Ein Paar Kunden, die das morgendliche belegte Brötchen kauften und schon im Laden hineinbissen, zahlten alle mit 100 DM Scheinen. Es dauerte nicht lange, und der Laden wurde einstweilen geschlossen, da der Betreiber zur nächsten Bank rennen musste. Eine der einfallsreichsten Aktionen lieferte übrigens der Betriebsrat einer Schifffahrtslinie - vielleicht hatte er auch das Buch gelesen. Jedenfalls überzeugte er die Belegschaft, die Bank aufzusuchen, die als Miteigentümer den Überseetransport einstellen wollte, und eine lange Schlange zu bilden, um ein Konto zu eröffnen. Mit fünf Mark sind sie dabei! Wer konnte etwas dagegen haben - außer anderen Kunden, die an diesem Tag vergeblich warteten? Damit nicht genug, kehrten die Kolleginnen und Kollegen am nächsten Tag zurück, um die Konten wieder aufzulösen. Das ist schließlich rechtlich zulässig. Also nur Mut und Phantasie! »Ist die Welt der Ideen erst revolutioniert, hält die Wirklichkeit nicht stand« (Hegel) Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/05 |