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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Von Haushaltslöchern und Schuldenbergen Hintergründe deutscher SteuerpolitikZentrales Thema bei den Koalitionsverhandlungen war die Staatsverschuldung. Eine der größten Kröten, die die SPD zu schlucken hatte, war die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das Eintreiben von Steuern bildet die ökonomische Basis des Staates. Kaum etwas in der Ökonomie ist politischer als die Staatsfinanzen. Hier sind wirtschaftliche Potenz, politische Gestaltung und die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums unmittelbar miteinander verknüpft. In der Debatte um öffentliche Finanzen wird auch immer wieder an den Alltagsverstand appelliert und für den neoliberalen Umbau geworben: Die Steuern müssten gesenkt werden, damit die BürgerInnen mehr konsumieren können; die Unternehmer müssten entlastet werden, damit sie investieren und damit den lang ersehnten Aufschwung herbeiführen; vor allem aber gelte es, die Staatsausgaben zu senken und die Verschuldung abzubauen - denn schließlich könne man auf Dauer nicht mehr ausgeben als einnehmen. Das ist alles ganz plausibel - auf den ersten Blick. Der bürgerliche Staat benötigt für seine Funktionen als ideeller Gesamtkapitalist eine von Zyklen und Krisen relativ unabhängige Einnahmequelle, die den kapitalistischen Prinzipien nicht widerspricht. Bereits auf dieser allgemeinen Ebene ist das ständige Legitimationsproblem des bürgerlichen Steuerstaates begründet, stellt doch die Besteuerung aller PrivatbesitzerInnen eine ständige Enteignung ohne eine spezielle Entschädigung dar. Der Staatshaushalt hat eine starke verteilungs- und sozialpolitische Funktion, über deren konkrete Ausgestaltung in den parlamentarischen Prozessen entschieden wird. Das Budget als solches drückt somit ein Machtverhältnis aus, sowohl auf der Seite der Einnahmen, als auch auf der Seite der Ausgaben. Wer wie besteuert und was als öffentliche Angelegenheit staatlich finanziert wird, ist wesentlich Resultat von Kämpfen. Zwar werden die Entscheidungen im Parlament gefällt, die sozialen Auseinandersetzungen darüber, wie das Budget auszusehen hat, finden jedoch jenseits des Staatsapparates statt. Die Formulierung der Ansprüche ans Staatsbudget sowie Kämpfe um den Umfang gehen der Haushaltsaufstellung in gesellschaftlichen und sozialen (Klassen-)Auseinandersetzungen voraus. Dass der Staathaushalt immer auch "Klassenbudget" ist, stellte bereits Marx heraus. Erst seit ein paar Jahren wird der Staatshaushalt auch als Ausdruck für das Geschlechterverhältnis thematisiert, das dieses auch in einer ganz bestimmten Weise reproduziert. Der Steuerstaat als Lohnsteuerstaat Die Implementierung einer gesellschaftspolitischen Grundausrichtung im parlamentarischen Prozess ist immer ein Kampf um die Ausgestaltung des Staatsbudgets - bei den Einnahmen wie bei den Ausgaben. So waren auch bei den Koalitionsverhandlungen die Staatsfinanzen ein zentrales Moment der Auseinandersetzung. Dabei wurde ein Trend fortgeschrieben, der bereits vor der Kohl-Ära begonnen wurde. Das ist kein Wunder, denn die Kräfteverhältnisse außerhalb des Parlaments sind seit Jahrzehnten eindeutig. Nachdem klar war, dass die Verhandlungen für eine Große Koalition aufgenommen werden sollten, war der Druck innerhalb der eigenen Reihen groß, sowohl bei der CDU als auch bei der SPD. Mit der "Reichensteuer" präsentierte die Sozialdemokratie ihren großen Erfolg. Die vereinbarte Sonderabgabe betrifft alle Ledigen mit mehr als 250.000 Euro und Verheiratete mit mehr als 500.000 Euro Jahresverdienst. Sie sollen einen drei Prozentpunkte erhöhten Steuersatz entrichten. Zwischen ein und zwei Milliarden Euro soll die Besteuerung höherer Einkommen bringen - im Vergleich zu 24 Milliarden aus der Mehrwertsteuererhöhung - Peanuts! Trotzdem war das Geschrei groß, wurde über Kapitalflucht spekuliert und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit an die Wand gemalt. Das ist völlig unberechtigt, wie ein internationaler Vergleich der Vermögensbesteuerung zeigt: 2004 lag der Anteil der vermögensbezogenen Steuern an den gesamten Steuereinnahmen in Deutschland bei 2,5%. In den USA lag er fast fünf Mal so hoch bei 12%, ebenfalls in Großbritannien. In Japan liegt der Anteil sogar bei 16,2%. Auch viele andere europäische Staaten liegen in diesem Vergleich vor Deutschland (Norwegen 2,6%; Italien 6,4%; Frankreich 7,6%; Schweiz 8,5%). Nur Österreich hat mit 1,3% einen geringeren Anteil vermögensbezogener Steuern als Deutschland. Auch im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegen die deutschen Einnahmen über Vermögenssteuern am unteren Ende der OECD-Länder (DIW 2002), nämlich 1999 bei 0,9% (USA: 3,1%; Frankreich: 3,2%, Großbritannien: 3,9%; Italien 2%). In den letzten Jahren finanziert sich der deutsche Staat zunehmend über die Lohnsteuer - trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit. Während noch zu Beginn der Ära Kohl Körperschaftssteuer und veranlagte Einkommenssteuer, die vor allem Unternehmer zahlen, ca. ein Siebtel des Gesamtsteueraufkommens ausmachten, sank der Anteil 2002 auf 4,3%. Gleichzeitig stieg zwischen 1990 und 2003 der Teil, der über Lohnsteuer mobilisiert wurde, um über 150%. Das bedeutet, dass die noch durch den Staat garantierten Leistungen zunehmend von den Lohnabhängigen selbst bezahlt werden. Die Lohnsteuer macht inzwischen allein über 35% aller Steuereinnahmen aus. Und das bei gesunkener Kaufkraft: Das Durchschnittseinkommen der Lohnabhängigen in realer Kaufkraft gemessen (also inflationsbereinigt) ist seit 1990 netto um 4,8% gesunken. Allein zwischen 1991, dem Jahr der Verträge von Maastricht, und 1997, der Verabschiedung der Stabilitätsgesetze, stieg der Anteil der Lohnsteuer am Steueraufkommen von 32,5% auf 34,5%, während der Anteil der veranlagten Einkommensteuer von 6,3% auf 0,75% und der Anteil der Körperschaftssteuer von 4,6% auf 4,0% sank. Zudem stiegen die Steuern auf Löhne und Gehälter zwischen 1991 und 1997 von 16,3% auf 19,7%, während die Steuern auf Gewinn- und Vermögenseinkommen von 7,0% auf 3,7% sanken. Dieses Jahr sind die Steuereinnahmen um 4,3% gestiegen. Die Körperschaftsteuer legte im September um 12% zu. Die veranlagte Einkommensteuer stieg um fast 10%. Der Rückgang der Lohnsteuer um 2% fiel auf Grund der Steuersenkungen Anfang des Jahres noch moderat aus. Dennoch verlor die öffentliche Hand allein durch die Reform der Körperschaftssteuer zwischen 2001 und 2004 etwa 70 Milliarden Euro. Eine weitere Unternehmenssteuerreform soll laut Koalitionsvertrag bis 2008 in Kraft treten. Wir dürfen gespannt sein. Kein Wunder also, dass der Staat bei hoher Arbeitslosigkeit und gleichzeitig stärkerer Abhängigkeit von Lohnsteuern und gleich bleibend hohen Ausgaben alljährlich ein Defizit zu finanzieren hat - über den öffentlichen Kredit. Die Aufstellung des ersten Haushalts der neuen Regierung war sogleich scharfer Kritik ausgesetzt: "Kalkulierter Verfassungsbruch" titelte Die Welt (14.11.05). Hintergrund ist der Artikel 115 des Grundgesetzes. Gegen die Staatsverschuldung werden mehrere Argumente vorgebracht. Diese schränke durch die steigenden Zinsverpflichtungen die Handlungsfähigkeit des Staates ein (Schuldenfalle) und erhöhe zugleich die Inflation, zudem würden kreditfinanzierte Ausgaben private Investitionen verdrängen. Vor allem werden aber die scheinbar negativen Verteilungseffekte zwischen den Generationen angeprangert. Diese Argumente sind nur vor dem Hintergrund neoklassischer Ökonomietheorie plausibel. So geht diese von einem fertigen "Kreditkuchen" aus, den es zu verteilen gibt. Geht ein großer Teil an den Staat, schränkt sich das Angebot ein, und der Preis, also die Zinsen, steigen. Aber weder ist ein solcher Zusammenhang empirisch nachweisbar, noch ist die Vorstellung eines vorgegebenen Kreditangebots mit einer entwickelten Geld- und Kreditökonomie vereinbar. Vor allem nicht im Rahmen von an Marx oder auch Keynes angelehnte Theorien. Das Schreckgespenst Staatsverschuldung In Deutschland haben sich die Zinszahlungen seit über zehn Jahren auf unter 4% im Verhältnis zum BIP stabilisiert und liegen damit unter dem EU-Durchschnitt. Dies alles gilt unabhängig davon, dass seit 1990 die exorbitanten Kosten der "Wiedervereinigung" zu bewältigen sind, die Deutschland eine Sonderrolle zuweisen. Und trotzdem hat die enorme Staatsverschuldung keinen Einfluss auf Deutschlands Kreditwürdigkeit. So gab die Rating-Agentur Standard & Poor's dem deutschen Staat weiter die Höchstnote "AAA" für langfristige Kreditwürdigkeit. Auch international zeigt sich die Vertrauenswürdigkeit in Staatsanleihen, die vor allem wegen ihrer Sicherheit nachgefragt werden. Eine Sicherheit, die kein privater Gläubiger garantieren kann. Das zeigt sich zum Beispiel an den Laufzeiten. Auch ein positiver Zusammenhang von Verschuldung und Inflation ist empirisch nicht belegbar. Vielmehr verhält es sich zumindest in den 1980er und 1990er Jahren in fast allen OECD-Staaten gerade umgekehrt. Wirtschaftsweise machen Politik, nicht Wissenschaft Die Verteilungseffekte über Staatsanleihen können erst beurteilt werden, wenn die Umverteilungseffekte über den Sozialstaat mit einbezogen werden. Dies wird in der Diskussion meist ausgeblendet. Dass diese Verteilung sich zunehmend zu Ungunsten der subalternen Klassen verändert, ist offensichtlich. Die Umverteilung zwischen den Generationen ist dagegen blanker Nonsens. Die Argumentation beruht darauf, dass nur Zahlungsverpflichtungen in die Zukunft "vererbt" werden, nicht aber die entsprechenden Vermögenstitel. Die in Zukunft zu bedienenden Schulden können jedoch durchaus eine Umverteilung bedeuten, weil auf der einen Seite ein großer Teil der Bevölkerung es sich nicht leisten kann zu sparen, über steigende Steuern aber die Zinstilgungen für die Staatsverschuldung gewährleistet und gleichzeitig immer weniger Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann. Auf der anderen Seite ist ein anderer Teil der Bevölkerung durchaus in der Lage zu sparen bzw. Geld in Schuldpapieren anzulegen und dafür Zinsen zu beziehen. Deshalb ist auch die Pro-Kopf-Verschuldung nicht mehr als eine Kategorie ideologischer Verdummung. Damit soll natürlich nicht einer ungehemmten Staatsverschuldung das Wort geredet werden. Aber besonders hier zeigt sich, dass es nicht um das "richtige" ökonomische Argument geht, sondern um Machtverhältnisse bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist eine zentrale Begründungsinstanz für Haushaltskonsolidierung und Abbau der Staatverschuldung. In ihm sind die Kriterien von Maastricht fortgeschrieben. Er enthält die zentrale Vorgabe zu einem "mittelfristig nahezu ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalt". Zudem dürfen höchstens 3% neue Schulden gemacht werden. Als wissenschaftliche Referenz für den Ab- und Umbau des Sozialstaats und die Haushaltskonsolidierung werden in den politischen Auseinandersetzungen immer wieder sie sog. Wirtschaftsweisen herangezogen, der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung". In dessen Jahresgutachten 2001 ist Erstaunliches zu lesen: "Am Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt darf nicht gerüttelt werden. Zwar sind seine Referenzwerte wissenschaftlich nicht begründbar; sie haben aber erstaunliche Konsolidierungsbemühungen und Konsolidierungserfolge bewirkt und sollten unbedingt beibehalten werden." Im Vordergrund steht der disziplinierende Charakter des Paktes. Sogar entgegen ihrem "wissenschaftlichen" Selbstverständnis begrüßen sie diesen als politisches Projekt. Diesen Aberwitz sollte man sich in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen vor Augen halten. Auch wenn ein Streit um die richtigen Argumente notwendiger Bestandteil politischer Kämpfe sein muss - diese bleiben stumpf, solange es keine soziale und politische Kraft gibt, die ihre Fragen stellt und ihre Antworten hörbar macht. Artikel von Ingo Stützle in ak - zeitung für linke debatte und praxis vom 16.12.2005 ak - analyse & kritik Informationen zur Bestellung und Service ak - analyse und kritik Im Internet: http://www.akweb.de |