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Updated: 18.12.2012 15:51
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ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 544 / 20.11.2009

Die Karten werden neu gemischt

Für eine revolutionäre Realpolitik gegenüber einem Green New Deal

In der Pokersprache meint der Begriff "New Deal", dass die Spielkarten komplett neu ausgegeben werden. In diesem Sinne sollte das gleichnamige Gesellschaftsprojekt der Roosevelt-Regierung in den USA nicht nur die sozialen Grundlagen des Kapitalismu s in der great depression der 1930er Jahre erneuern, sondern seine konkrete Gestalt war durchaus historisch offen und von den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen abhängig. Das Gleiche gilt für einen heute viel diskutierten Green New Deal. Die Herausforderung für die sozialen Bewegungen liegt deshalb darin, sich in diese Konflikte einzumischen und zugleich über seine kapitalistische Verfasstheit hinauszuweisen.

Wenn sich im Dezember Tausende AktivistInnen aus dem globalen Norden an den Protesten beim Klimagipfel in Kopenhagen beteiligen, tun sie das insbesondere aus Solidarität mit ihren MitsteiterInnen aus dem Süden, die unmittelbar vom Klimawandel betroffen sind. Doch was hat die globale Erwärmung mit unserem persönlichen und politischen Alltag hier zu tun? Sie wirkt sich im Norden zwar durchaus real aus, vor allem aber das Management dieser sozial-ökologischen Katastrophe beeinflusst die Lebensqualität der Menschen sowie die Bedingungen emanzipatorischer Kämpfe in den Metropolen.

Aus dieser Perspektive tun die sozialen Bewegungen gut daran, sich mit dem Projekt eines möglichen Green New Deal, der wesentlich mit dem Klimawandel legitimiert wird, auseinanderzusetzen und in seine Umsetzung einzugreifen.

Denn es ist mittelfristig durchaus ein mögliches Szenario, dass ein ökologisch orientierter New Deal in den "postneoliberalen" Auseinandersetzungen als neue historische Formation des Kapitalismus erfolgreich durchgesetzt wird. Andererseits erweist sich die neoliberale Hegemonie trotz der tiefgreifenden Krisenerscheinungen als erstaunlich widerstandsfähig. Ein erneuerter Neoliberalismus mit verstärkten ökologischen Elementen ist folglich eine ebenso plausible Variante. Wegen der großen Spannbreite möglicher Schritte in Richtung eines grünen Kapitalismus ist es deshalb analytisch fruchtbarer, von verschiedenen "Strategien ökologischer Modernisierung" zu sprechen statt von einem Green New Deal.

Dass derartige Strategien nicht bloß Blendwerk von kapitalistischen IdeologInnen oder Wunschtraum grüner JüngerInnen des Marktes sind, verdeutlichen beispielsweise die Diskursbeiträge namhafter AkteurInnen des Blocks an der Macht, die relevanten "grünen" Anteile in wichtigen, nationalen Konjunkturprogrammen und die forcierte ökologische Modernisierung in einigen Schlüsselindustrien.

Insbesondere in den USA zeigt sich eine interessante Konstellation, da die Obama-Regierung die grüne Erneuerung der ausgesprochen unökologischen US-Ökonomie zu einem Kernprojekt ihres Reformprogramms gemacht hat. So beinhalten die zwei US-Konjunkturpakete laut einer Studie der "HSBC Bank" grüne Investitionen in Höhe von 112 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet mehr als eine Verdreifachung gegenüber 2008.

Statt einem Green New Deal eher ...

Im Zuge der tiefen Krise der weltweiten Automobilindustrie wollen plötzlich auch die großen US-Konzerne beim internationalen Wettlauf um die Markteinführung von Elektroautos mithalten. General Motors steigt nach dem erfolgreich durchlaufenen Insolvenzverfahren nun scheinbar wie der ökologisch geläuterte Phönix aus der Asche - befreit von unprofitablen Marken und Beschäftigten, sexy und grün. Statt Sport Utility Vehicles (SUV) stellt der Konzern aus Detroit heute den Elektroflitzer Chevy Volt, der im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll, in den Mittelpunkt seiner Verkaufsstrategien. Zwar sind diese Entwicklungen weiterhin mit der gebotenen Skepsis zu verfolgen, doch in den USA lassen sich die Konturen eines möglichen Green New Deal beobachten, der die Gestalt des Kapitalismus erheblich verändern könnte.

Wo die zukünftigen Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse ausgefochten werden, darf die emanzipatorische Linke nicht fehlen. Doch bisher stehen sich zwei Positionen zum Green New Deal recht unversöhnlich gegenüber. Der eine Standpunkt ruft in Erinnerung, dass der zum Wachstum verdammte Kapitalismus mit den Lebensbedürfnissen von Menschen und Natur prinzipiell unvereinbar ist. Weil die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse für die Lohnabhängigen ungünstig sind, müsse ein ökologischer Kapitalismus eine antisoziale und autoritäre Form annehmen. Ein Green New Deal würde nicht zuletzt subversive Kräfte befrieden oder marginalisieren und müsse deshalb aus einer antikapitalistischen Perspektive offensiv bekämpft werden (vgl. bspw. Passadakis/Müller ak 536).

Die andere Position hält dem entgegen, dass die Bedingungen nicht schlecht stünden, eine durchaus mögliche, progressive Variante des grünen New Deals durchzusetzen. Eine fundamentale Kritik daran sei gesellschaftlich nicht hegemoniefähig. Der Ansatz suggeriere kein Heilsversprechen auf eine befreite Gesellschaft - wie von der Kritik unterstellt -, sei aber wegen des zeitlichen Problemdrucks alternativlos. (1)

Die kontroversen Standpunkte spiegeln die realen Widersprüche in der gegenwärtigen Situation wider, sollten in ihrer Ausschließlichkeit aber als falsche Alternative überwunden werden. In anderen Kämpfen versuchen antikapitalistische AktivistInnen den nur scheinbaren Gegensatz von Reform und Revolution praktisch zu unterlaufen. In Arbeitskämpfen streiten AntikapitalistInnen beispielsweise mit den Betroffenen für den Erhalt von Arbeitsplätzen, ohne die Perspektive auf eine Überwindung der kapitalistischen Lohnarbeit aufzugeben. Auch wenn die unterschiedlichen Bedingungen nicht verleugnet werden sollen, wäre doch zu fragen, ob an solche Erfahrungen nicht angeknüpft werden kann.

So müsste es im besten Sinne einer revolutionären Realpolitik darum gehen, "den Green New Deal instandzubesetzen". (2) Soziale Bewegungen sollten sich in die Ausgestaltung von Strategien ökologischer Modernisierung einmischen und hier für progressive Elemente, aber gegen anti-emanzipatorische Aspekte kämpfen. Gleichzeitig müssten sie den Spagat schaffen, mit ihrer Kritik und ihren Richtungsforderungen über die Befangenheit dieser Konzepte in der kapitalistischen Naturbeherrschung hinauszugehen. Die politische Perspektive wäre, in progressiven Kämpfen das überschüssige Moment einer antikapitalistischen Perspektive zu wecken, um so eine radikale sozial-ökologische Transformation konkret ins Visier zu nehmen (vgl. auch Pithan ak 534).

Im Folgenden sollen anhand zentraler Fragen an die Form eines grünen Kapitalismus emanzipatorische Forderungen den zu befürchtenden Zumutungen gegenübergestellt werden. Diese Fragen führen zurück zu bekannten Konfliktfeldern um die aktuelle Veränderung der kapitalistischen Vergesellschaftung. Jenen Konflikten kann allerdings eine neue Bedeutung zukommen, wenn sie Teil der Auseinandersetzungen um ein Projekt ökologischer Modernisierung (wie dem Green New Deal) werden.

... verschiedene "Strategien ökologischer Modernisierung"

1) Sollen die Transformationskosten nicht auf die Subalternen abgewälzt und ein ökologischer Konsum nicht nur den globalen Mittel- und Oberschichten vorbehalten bleiben, müssen Ansätze von Klimagerechtigkeit und globalen sozialen Rechten stark gemacht werden. Der Norden müsste seine historischen, ökologischen Schulden dem Süden in barer Münze ausbezahlen. Auch innerhalb der Gesellschaften wären massive Umverteilungsprogramme von oben nach unten nötig.

2) Damit grünes Know-How nicht zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor in der globalen Konkurrenz wird, sollte ein bedingungs- wie kostenloser Technologie- und Ressourcentransfer in den globalen Süden gefordert werden.

3) Gegen autoritäre Tendenzen, die schon die Kriegsmetaphorik in vielen Green-New-Deal-Papieren erahnen lässt, müssen BürgerInnen- und Partizipationsrechte verteidigt und ausgebaut werden.

4) Statt den Konzernen eine neue Runde von Profiten zu ermöglichen, indem sie etwa Millionen von Elektroautos verkaufen, wären alternative, demokratische Eigentumsformen zu erstreiten, die einen Ausbau der öffentlichen Infrastrukturen und der solidarischen Ökonomie beinhalten. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise an eine dezentrale Energieversorgung und kostenlosen öffentlichen Verkehr zu denken.

5) Um zu verhindern, dass neue Kapitalfraktionen einen vermeintlich grünen, tatsächlich aber sozial-ökologisch schädlichen Wachstumszyklus initiieren, müssen Konzepte von Schrumpfung und Konversion theoretisch ausbuchstabiert und in geeigneten gesellschaftlichen Bereichen praktisch angegangen werden.

6) Wenn Technologien wie Atomkraftwerke, Agrotreibstoffe oder "CO2-Abscheidung und -Speicherung" (CCS) als ökologische Modernisierung verkauft werden und die Effizienzrevolution endloses kapitalistisches Wachstum mit dem Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen vereinbar machen sollen, ist es an den Bewegungen, diese Technologien offensiv infrage zu stellen. Sie müssen darauf bestehen, dass die fossilen Ressourcen im Boden bleiben und die hergebrachten Energiesysteme radikal umgebaut werden.

7) Sollen kapitalistische Konsummuster und die imperiale Lebensweise unter scheinbar ökologischen Bedingungen fortgesetzt werden, gilt es dagegen tatsächlich nachhaltige Lebensstile einzufordern und praktisch zu erproben. Statt einer verkürzten Verzichtsdebatte müsste in gesellschaftlichen Lernprozessen die Frage nach dem guten Leben neu beantwortet werden.

Obwohl ein expliziter Green New Deal in Deutschland mit der jüngsten Bundestagswahl unwahrscheinlicher geworden ist, wird die lange vor der Krise begonnene ökologische Modernisierung der deutschen Ökonomie in jedem Fall weiter vorangetrieben. Zwar muss sich die Bewegung aktuell nicht mit einem deutschen Obama beschäftigen, doch sollte sie sich schon heute strategische Gedanken machen, wie sie auf forcierte Strategien ökologischer Modernisierung reagieren will.

Grüne Erneuerung im Obama-Konjunkturprogramm

So diskutierte die ak -Redaktion bereits über den möglichen Bruch des anti-neoliberalen Blocks, nicht zuletzt aufgrund einer zu befürchtenden Integration progressiver Kräfte in ein Green New Deal-Projekt. In der Konsequenz könnte die Formierung eines neuen, gegenhegemonialen Blocks auf die Tagesordnung kommen (vgl. ak 541). Falsch wäre es jedoch, BündnispartnerInnen vorschnell aufzugeben. Vielmehr müssten im Sinne der oben formulierten Herangehensweise jeweils für konkrete Forderungen und Kämpfe um die Ausgestaltung eines Projektes ökologischer Modernisierung MitstreiterInnen angesprochen werden. In der politischen Zusammenarbeit können sie in den emanzipatorischen Block eingebunden werden.

Für die Proteste in Kopenhagen bedeutet diese Strategie, dass die Klimabewegung sich nicht entscheiden muss, ob sie versucht, den Gipfel zu verhindern oder zu retten. Wenn sie hingegen ihre berechtigten Ansprüche nach echter Klimagerechtigkeit und einem schönen Leben für alle in der dänischen Hauptstadt wirkungsvoll auf die Straße trägt, setzt sie selbst die Maßstäbe, wie Klimapolitik eigentlich aussehen müsste. attac -AktivistInnen fordern beispielsweise "ein ganz anderes Klima-Abkommen", also auch in einem weiteren Sinne: a totally different deal .

Reclaim Power ist in diesem Zusammenhang eine angemessene Aktionsform, weil sie mit ihrer antagonistischen Praxis klarstellt, dass diese Forderungen langfristig nur ohne den Kapitalismus zu haben sind. Um bei dem Bild des Pokerns zu bleiben: Letztlich können wir nicht hoffen, in der nächsten Spielrunde des Kapitalismus endlich einen Royal Flush zu kriegen, sondern wir müssen die Spielregeln selbst ändern.

Hendrik Sander

Anmerkungen:

1) Diese Position vertreten z.B. Bank, Max/Jesko Eisgruber/Chris Methmann: Don't throw out the baby with the bathwater: Climate Justice beyond Green Capitalism: 6 antitheses to Alexis Passadakis and Tadzio Müller. März 2009. Zu finden unter http://gygeorg.wordpress.com/

2) Vgl. Wolf, Frieder Otto: Den Green New Deal instandbesetzen! Für eine sozial-ökologische Transformation. In: Luxemburg: Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Heft 1: In der Krise, 2009. S. 154-159.


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