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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Aufschwung - für wen? Vortrag von Rainer Roth bei der Regionalkonferenz Nord von ver.di FB 10 am 30.11.2005 in Neubrandenbrug Die große Koalition geht zur Zeit nur kleine Schritte auf dem Weg, den das Kapital fordert. Deshalb erklärte Ludwig Braun, der Präsident der DIHK:" Nein, von diesem Koalitionsvertrag geht nicht das erhoffte Aufbruchsignal für mehr Arbeitsplätze aus. Für "Vorfahrt für Arbeit" kann und muss die neue Regierung in Sachen Reformen deutlich über das hinausgehen, was bisher vereinbart wurde. Dazu zählt vor allem, dass die angekündigten Reformen im Niedriglohnbereich, den Sozialsystemen und in der Unternehmensbesteuerung zukunftsfest und beschäftigungsfreundlich umgesetzt werden ." (FR 15.11.2005) Das Kapital verspricht den LohnarbeiterInnen den Aufschwung, wenn seine Ziele in vollem Umfang durchgesetzt würden. I) Löhne senken 1970 gab es in Westdeutschland 150.000 Arbeitslose. Heute sind es 3,2 Mio.. In Ostdeutschland weitere 1,5 Mio.. Der Umfang der Arbeitslosigkeit wird beschönigt. Das ist das Ergebnis einer 30-jährigen Entwicklung, das Ergebnis von tausenden von Milliarden an Investitionen, das Ergebnis zahlloser Anstrengungen von wechselnden Regierungen, die Arbeitslosigkeit abzuschaffen, immer wieder zu halbieren oder sie wenigstens zu senken. Sie sind alle gescheitert. Es müssen gewaltige bisher unbeherrschbare Kräfte am Werk sein, wenn sich die Arbeitslosigkeit praktisch gegen den erklärten Willen aller Beteiligten durchsetzt. Warum ist das so? Die herrschende Meinung wird in brutalstmöglicher Offenheit von Hans Werner Sinn formuliert, laut BILD dem klügsten Ökonomen Deutschlands. Die LohnarbeiterInnen sind schuld, denn sie haben Folgendes noch nicht begriffen: "Jeder findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt, denn je weiter er (der Lohn) fällt, desto attraktiver wird es für die Arbeitgeber, Arbeitsplätze zu schaffen, um die sich bietenden Gewinnchancen auszunutzen ." (Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 93) Sie sollen also verlieren, damit die Unternehmen gewinnen. Die Löhne müssen so lange fallen, bis der Profit hoch genug ist, dass sich Investitionen rechnen. Dann können auch Arbeitskräfte eingestellt werden. Alle die, die angeblich notwendigen Lohnsenkungen nicht zugelassen haben, sind an der Arbeitslosigkeit schuld. Jeder Verweis darauf, dass doch die Lohnerhöhungen moderat waren, die Reallöhne sogar tendenziell fallen, die Lohnquote fällt und auch der Anteil der Löhne am Umsatz, dass die Bruttolohn- und Gehaltssumme seit 2000 nahezu stagniert, dass die Binnennachfrage beachtet werden muss, dass es steigende Produktivität und Krisen gibt, stößt auf taube Ohren. Der Lohn ist an allem schuld, auch am Arbeitsplatzabbau durch technischen Fortschritt und an Krisen. Arbeitslosigkeit beweist immer und überall, dass das Lohnniveau zu hoch. Man wundert sich nur, wieso China mehr Arbeitslose hat als Deutschland Einwohner. Es muss am Mindestlohn von 0,26 Cent liegen. Die allgemeine Öffnung der Flächentarifverträge nach unten und letztlich ihre Abschaffung steht auf der Agenda des Kapitals. Denn das ist es, was nicht zulässt, dass der Lohn ausreichend fällt. Es ist klar, dass damit auch die Existenz von Gewerkschaften angegriffen wird. Wieviel weniger darf es denn sein? "Eine Absenkung der allgemeinen Lohnkosten um durchschnittlich 10 bis 15 Prozent würde ausreichen, die Arbeitslosigkeit in unserem Land weitgehend zu beseitigen." (Parteiprogramm der CDU Ende 2004 laut ver.di, Wirtschaftspolitik aktuell Nr. 16, Juni 2005) Der Durchschnittslohn eines Arbeiters beträgt z.Zt. etwa 2.500 Euro brutto. Er soll also auf 1.670 Euro brutto oder 1.100 Euro netto fallen. Untere Löhne müssen dann noch tiefer fallen, weit unter heutige Alg II. Das Kapital weiß, dass solche Löhne nicht zum Leben reichen. Deshalb strebt es den Ausbau von Kombilöhnen an. Je tiefer der Lohn fällt, desto höher soll die aus Steuermitteln bezahlte Aufstockung durch Alg II oder etwas Anderes sein. Diejenigen, die den Markt angeblich frei walten lassen wollen, treten in Wirklichkeit für massive staatliche Subventionierung der Löhne ein, wie es in den USA schon der Fall ist. Für den Sachverständigenrat sollten die Lohnsubventionen im Jahre 2002 erst bei 970 Euro netto aufhören, heute vermutlich bei 1.000 Euro netto. Das wären 1.400 Euro brutto. Der Lohn, an dem die Subventionen auslaufen, stellt eine Abart eines gesetzlichen Mindestlohns dar, nur dass etwa die Hälfte vom Staat bezahlt wird. 493 Euro soll der maximale Lohnzuschuss nach Meinung des Sachverständigenrats sein. Mit Alg II sind schon erhebliche Schritte in diese Richtung gegangen worden. Merkel und Müntefering wollen das ausbauen. Das Kapital drängt sie dazu. Staatliche Lohnzuschüsse fördern Lohnsenkungen. Sich für Kombilöhne einzusetzen bedeutet, Lohnsenkungen unter das Existenzminimum zu akzeptieren. Unser Standpunkt müsste sein: Gesetzliche Mindestlöhne statt Kombilöhne. Dazu später. II) Alg II senken Das gegenwärtige Unterstützungsniveau für Alg II/Sozialhilfe steht dem Ziel der Lohnsenkungen im Weg. "Im Rahmen von Hartz V muss ... die Sozialhilfe für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger (Arbeitslosengeld II) abgesenkt werden. Nur dann werden Niedriglohnjobs ausreichend nachgefragt werden." (Michael Rogowski, Für ein neues Wirtschaftswunder, München 2004, 89) Wer das verhindern will, weil er was zum Essen haben und nicht völlig isoliert leben will, ist ebenfalls an der Arbeitslosigkeit schuld. Die Sozialhilfe definiert nämlich eine Art Mindestlohn, wie Sinn völlig richtig feststellt. Das ist eine ihrer wichtigsten Funktionen. "Die Sozialhilfe ist eine absolute Untergrenze für die Tariflohnstruktur, die die notwendige Lohnspreizung verhindert und das gesamte Lohngefüge im Niedriglohnbereich durcheinanderbringt." (Sinn 2003, 461) Lohnsenkungen erfordern also die Senkung des Unterstützungsniveaus für Arbeitslose, am besten sogar, wie den USA, die Abschaffung der Unterstützung für Langzeitarbeitslose. Das würde Lohnsenkungen noch mehr fördern und Deutschland "wettbewerbsfähiger" machen. Um das propagandistisch vorzubereiten, bezeichnet Sinn Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II als "Geld fürs Nichtstun". (Sinn 2003, 460 ff.) Ja gibt's denn so was? Das geht natürlich eigentlich gar nicht. Alg II ist kein Geld fürs Nichtstun, keine Prämie für Faulheit, sondern Geld zum Leben, fürs Essen und für die Wohnung. Human, wie Sinn ist, fordert er aber erstmal nur, den Regelsatz um ein Drittel zu senken, d.h. auf 230 Euro im Monat. Dann blieben immerhin noch 2,82 Euro für Essen und Trinken am Tag übrig. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung tritt für eine Senkung um 30%, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie Merkel und Stoiber treten für eine Senkung um 25% ein. Die Bertelsmann-Stiftung, Inhaberin des Bertelsmann-Konzerns, ist schon weiter. Sie verlangt die komplette Streichung des Regelsatzes von 345 Euro. Nur noch die Miete soll bezahlt werden. (F. Breyer, W. Franz, S. Homburg, R. Schnabel, E. Wille, Reform der sozialen Sicherung, Berlin 2004, 42; vgl. Flugblatt von Klartext e.V. Gewinnspiel 2005 -> www.klartext-info.de ) Hunger soll die Arbeitsmotivation fördern. Sinn strebt an, dass man für Alg II arbeiten soll, wenn man nicht einmal für Armutslöhne Arbeit findet. Im SGB II ist das schon verankert. Stichwort EinEuroJobs. Arbeiten für Alg II im öffentlichen und sozialen Bereich, wie heute schon. Aber: die 3-4 Millionen Arbeitslosen, die heute Alg II bekommen, sollen auch über kommunale Leiharbeitsfirmen auch an die private Wirtschaft für einen Lohn in Höhe von Alg II (etwa 650 Euro) verliehen werden können. "Die Kommune verleiht ihre Arbeitskraft meistbietend an die private Wirtschaft." (Sinn 2003, 462) Die fünf Weisen des Sachverständigenrats sind derselben Meinung. (SVR 2002/03, 257) Tariflöhne würden dann überall auf breiter Front durch individuell verschieden hohe Alg II-Zahlungen ersetzt werden können. Mit der Verwandlung von Alg II in eine Art Lohn, einer Art Privatisierung von Alg II, werden massive staatliche Subventionen für Löhne gefordert. Sinn ist kein Einzelgänger. "Mit seiner messerscharfen Analyse des Krisenbefundes und einer klaren Handlungsanleitung gibt er den Weg vor," schrieb von Pierer über ihn, der eh. Vorstandsvorsitzende von Siemens. Sinn ist einer der bedeutendsten Propagandisten des Kapitals. Die Große Koalition wird versuchen, nach dieser Blaupause durchzusetzen, was angesichts des breiten Widerstands der uneinsichtigen LohnarbeiterInnen möglich ist. Bisher jedenfalls haben die LohnarbeiterInnen durch ihr uneinsichtiges Besitzstandsdenken und ihren Widerstand weitgehend verhindert, dass das nach Ansicht des Kapitals Notwendige getan werden konnte. III) Unternehmenssteuern senken "Wie gelingt es, die Investitionen zu steigern, um auf diese Weise auch neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen? Oberste Priorität muss die Reform der Unternehmensbesteuerung haben . ... Eine Reformpause können wir uns nicht leisten, schon gar nicht die Arbeitslosen." (BDI-Chef Jürgen Thumann, FR 11.02.2005) 1991 zahlten die Kapitalgesellschaften 56% Körperschaftssteuer, seit 2001 noch 25%. Alles natürlich nur im Interesse der Arbeitslosen. Die Bruttoinvestitionen der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften stiegen von rd. 200 Mrd. Euro im Jahre 1991 auf 208,8 Mrd. im Jahre 2004. Gigantisch. Der Spitzensteuersatz der ESt betrug damals 53%, heute 42%. Die Unternehmenssteuern sanken seit 1991 massiv und die Arbeitslosigkeit stieg massiv: von 2,6 Mio. auf 4,4 Mio.. Macht nichts. Thumann misst Unternehmenssteuersenkungen weiterhin die "oberste Priorität" bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei. Das Kapital strebt einen einheitlichen Steuersatz von 25% auf Unternehmensgewinne und Einkommen über 20.000 Euro an (so der begeisternde Kirchhof) sowie die Abschaffung der Gewerbesteuer. Langfristiges Ziel ist es, die Gewinnsteuern völlig abzuschaffen und durch indirekte Steuern zu ersetzen. Die Mehrwertsteuererhöhungen durch SPD und CDU sind abzulehnen. Sie subventionieren letztlich vergangene und zukünftige Gewinnsteuersenkungen. Arbeitslose und RentnerInnen verlieren, damit Unternehmen gewinnen. Sehen wir uns die letzte Steuerreform genauer an. Sie senkte die Kst ab 2001 von 45% auf 25%. Das brachte den Kapitalgesellschaften von 2001 bis 2004 mindestens 60 Mrd. Euro höhere Nettoprofite ein. Steuersenkungen sind Subventionen, indirekte Subventionen. Die Senkung der Gewinnsteuersätze ist eine Subvention, die letztlich mit Personalabbau im öffentlichen Dienst und Kürzungen staatlicher Leistungen von den LohnarbeiterInnen aufgebracht werden muss. Brauchten die Kapitalgesellschaften diese Subventionen für Investitionen? Nein. Die Masse der Investitionen der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften wird aus Abschreibungen getätigt. 2004 waren es 90%, in früheren Jahren 75% oder mehr. Bruttoinvestitionen minus Abschreibungen heißen Nettoinvestitionen. Nur diese müssen zusätzlich finanziert werden. Die Nettoinvestitionen fielen aber nach Einführung der Steuerreform in den Keller. 2001 bis 2004 waren sie auf durchschnittlich ein Drittel des Niveaus von 2000 zusammengeschrumpft. (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2005, 23) In der Krise ab 2001 ging es darum, Überkapazitäten abzubauen und nicht darum, neue Kapazitäten aufzubauen. Wozu dienten also die staatlichen Steuersubventionen an das Kapital? Sie wurden u.a. dazu verwandt, die Dividenden für die Aktionäre zu erhöhen. Vor allem 2001. Das war nötig, um die Verluste der Eigentümer aus dem Aktiencrash ein bißchen zu kompensieren und die eingebrochenen Unternehmenswerte aufzupäppeln. (Lorenz Jarass, Gustav Obermair, Geheimnisse der Unternehmenssteuern, Marburg 2004, 60) Sie dienten dazu, über massive Aktienrückkäufe die Aktienkurse anzuheben und den Aktionären Kursgewinne zu verschaffen. Sie dienten dazu, Schulden gegenüber Kreditinstituten abzubauen, die Eigenkapitalbasis zu stärken und damit laut Bundesbank " eine wichtige Voraussetzung für eine Aufwertung ihres Bonitätsstatus an den Finanzmärkten " zu schaffen. (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 10/2005, 48) Die Zinsaufwendungen waren 2003 um 15% niedriger als 2001. Und sie dienten dazu, dem Fall der Profitraten in der Krise ab 2001 entgegenzuwirken. Die Profitraten fallen in jeder Krise. Während die Bruttoprofitraten der deutschen Unternehmen nach Angaben der Bundesbank 2003 um über 5% unter dem Niveau von 2000 lagen, lagen die Nettoprofitraten nur um 1,3% darunter. Dank der Steuerreform. (eigene Berechnungen nach Deutsche Bundesbank, Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse detuscher Unternehmen - eine Untersuchung auf neuer Datenbasis, Monatsbericht 10/2005, 33-89; Bruttoprofitrate = Gewinn vor Steuern im Verhältnis zur Summe von Sachanlagevermögen und Personalaufwand) Wenn CDU und SPD uns sagen würden, wir brauchen Unternehmensteuersenkungen, um die Aktionäre zu befriedigen, unsere Schulden abzubauen und dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken, wäre kaum einer dafür. Deshalb erzählen sie uns Märchen und betrügen uns. Öffentliche Gelder zu kassieren, wenn man nicht bedürftig ist, gilt als Sozialschmarotzertum und parasitär, wenn es Arbeitslose machen. Wie bezeichnet man es, wenn Unternehmen und Regierung das machen? Als Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und als beschäftigungsfreundlich! Um so mehr wundert es, dass auch unter den Kritikern der Steuerreform kaum jemand Untersuchungen über die Verwendung der Milliarden Steuergeschenke anstellt. Es gibt keine "Prüfdienste", die die Verwendung der Milliarden prüfen. Hier gilt: Fördern ohne zu fordern. Verdorbene Ware wird umettiketiert. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wurden Milliarden eingesackt. Der offizielle Zweck ist nicht erfüllt. Die Gewinnsteuersenkungen bzw. die Profitsubventionen müssen also rückgängig gemacht werden. Das ist zumindest die Forderung, die der Frankfurter Appell aufstellt. Die KSt muss nicht auf 30% wiederangehoben werden, wie die IG Metall in ihrem Arbeitnehmerbegehren fordert, auch nicht auf 35%, wie attac es fordert, sondern auf die frühere Höhe. Die Senkung des Spitzensteuersatzes subventioniert die wohlhabenden bürgerlichen Schichten bei der Vermehrung ihres Luxuskonsums und ihrer Kapitalanlagen. Sie erhöht aber auch die Nettoprofite der Personengesellschaften, der Klein- und Mittelunternehmen, deren Eigentümer Einkommensteuer zahlen. Sie macht es Banken, Konzernen und öffentlicher Hand leichter, den Mittelstand über sinkende Preise für Aufträge mehr und mehr auszuquetschen. Sie ist damit letztlich ebenfalls eine Subvention. Auch diese Subvention muss abgeschafft werden. Eine Steuerreform im Interesse der LohnarbeiterInnen müsste für die Steuerfreiheit ihres Existenzminimums eintreten, nicht für die Senkung der Unternehmenssteuern. Das Existenzminimum eines Erwerbstätigen liegt nicht wie heute bei 638 Euro im Monat, also unterhalb des Alg II-Niveaus (7.664 Euro jährlich). Es liegt auch nicht bei 667 Euro mtl. oder 8.000 Euro jährlich, wie die IG Metall meint. Der Grundfreibetrag muss mindestens auf den Pfändungsfreibetrag angehoben werden, also auf 990 Euro mal 12 oder rd. 12.000 Euro jährlich. Die Abschaffung der Vermögenssteuer verschaffte dem Finanzkapital in Deutschland einen Vorteil gegenüber den USA bzw. Großbritannien und Frankreich. Diese Länder weisen aufgrund ihrer bürgerlichen Traditionen höhere Vermögenssteuern auf. Auch diese Subvention muss abgeschafft werden. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer würde nach den Vorschlägen von ver.di 16 Mrd. Euro Einnahmen für die Länder bringen, bei einem Freibetrag von 500.000 Euro. Es ist nicht einzusehen, dass öffentliche Investitionen in Schulen, Kindergärten, Nahverkehr, Wohnung unterbleiben, um aus Steuermitteln private Profitraten oder Kapitalanlagen zu subventionieren. Alle diese berechtigten Forderungen haben dennoch mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun. Wieso sollen ein Spitzensteuersatz von 47% (ver.di) oder 45% (IG Metall) gerecht sein, wenn er doch noch vor wenigen Jahren bei weit über 50% lag? IV) Was sind die wirklichen Ursachen der Arbeitslosigkeit? LohnarbeiterInnen sollten einen selbständigen Standpunkt einnehmen und sich nicht die Schuld an der Arbeitslosigkeit in die Schuhe schieben lassen. Nicht sie, ihre Lohnansprüche und ihre Ansprüche an den Staat sind verantwortlich für Arbeitslosigkeit, sondern das Kapital selbst, das Wirtschaftssystem. (siehe dazu ausführlich Rainer Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003) Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Deutschland fiel von 1991 bis 2004 um 3,8 Mrd. Arbeitsstunden, bei gleichbleibender Zahl von etwa 38,4 Mio. Erwerbstätigen. (sozialpolitik-aktuell.de/datensammlungen ) Das Kapital braucht aufgrund revolutionärer technischer Fortschritte immer weniger Arbeitskräfte, um seinen Zweck zu verfolgen, ausreichende Renditen zu erzielen. Die sinkende Nachfrage nach Arbeitskraft drückt sich darin aus, dass von 1991 bis 2004 nahezu 6 Mio. Vollzeitarbeitsplätze in Deutschland abgebaut. 2005 werden noch einmal 300.000 dazukommen. 20% der VZ-Arbeitsplätze verschwanden in nicht einmal 14 Jahren. (DB, Monatsbericht Juli 2005, 16) Die sinkende Nachfrage nach Arbeitskraft drückt sich auch in der durch die Hartzgesetze geförderten Expansion von Minijobs, Leiharbeit, befristeten Jobs usw. aus. Die wachsende Produktivität sieht man insbesondere im Zentrum der Wirtschaft, der Industrie. Der deutsche Maschinenbau, der etwa 20% des Weltmarkts an Maschinen bedient und als wettbewerbsfähiger Weltmarktführer gilt, hat seine Produktivität von 1991 bis 2005 um rd. 100% gesteigert, gemessen am Umsatz pro Beschäftigten. (1991-2002 plus 90%) Die Zahl der Beschäftigten sank in 14 Jahren fast um die Hälfte, um rd. 750.000 auf 850.000. (IG Metall, Report 2003, Produktion, Einkommen, Beschäftigung, Frankfurt 2003; FR 5.10.2005) Ähnliche Produktivitätssteigerungen gibt es in der gesamten Industrie. Wachsende Arbeitslosigkeit und Existenzunsicherheit sind die Kehrseite der gestiegenen Produktivität .
Die im Aufschwung aufgebauten Überkapazitäten werden in der Krise mitsamt der Beschäftigten wieder abgerissen. Die weniger produktiven Betriebe verschwinden vom Markt und reißen hunderttausende von Arbeitskräften mit sich. Die verbleibenden Betriebe werden durchrationalisiert, um dann nach Beendigung der Krise mit weniger Arbeitskräften erneut möglichst viele Waren auf den Weltmarkt zu werfen, bis der erneute Aufschwung von der nächsten Krise abgelöst wird. Laßt uns mehr über solche Sachen reden als über arbeitsunwillige Arbeitslose. IVa) Besteht der Zweck des Kapitals darin, Arbeitsplätze zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen? Oder: Vorfahrt für Arbeit durchzusetzen, wie DIHK-Chef Braun sagt? Götz Werner (Inhaber der Drogeriemarktkette dm) hat sich dazu bemerkenswert deutlich geäußert. Auf die Frage: "Wie schaffen wir es, dass wieder mehr Arbeitsplätze entstehen?", antwortete er: "Das ist nicht die Frage, die sich ein Unternehmer stellt. Kein Unternehmer überlegt sich morgens, wenn er in den Laden kommt: Wie kann ich heute möglichst viele Menschen beschäftigen? Allein die Vorstellung ist schon absurd. Die Frage lautet umgekehrt: Wie kann ich mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Ressourcen möglichst viel ((für meine Kunden)) erreichen. Arbeit einzusparen. Das ist ein absolutes unternehmerisches Prinzip. .... "Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen." (Interview aus Stuttgarter Zeitung 02.07.2005) V) Überfluss an Ware Arbeitskraft fördert Lohnsenkungen Mit wachsender Produktivität nimmt die Zahl der Überflüssigen Arbeitskräfte zu. Das drückt sich in wachsender Langzeitarbeitslosigkeit bzw. wachsender Unterbeschäftigung aus. Der Soziologe Oskar Negt schätzt die Zahl derer, die nicht mehr gebraucht werden auf ein Drittel. Sie ist höher als in den 80er Jahren. Selbst die Frankfurter Rundschau gesteht ein, dass die Wirtschaft nur noch die Menschen aufnimmt, die sie unbedingt benötigt und behält nur die, die funktionieren. "Die Zahl der Überfüssigen ... steigt." (FR 14.11.2005) Je mehr LohnarbeiterInnen überflüssig werden, desto mehr steigt der Druck auf die Löhne. Wie bei jeder anderen Ware auch, fällt der Preis der Ware Arbeitskraft tendenziell, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt im Überfluss angeboten wird. Das ist ein ökonomisches Gesetz des Kapitalismus. Es kann durch die zahllosen Kämpfe gegen Entlassungen allenfalls abgemildert werden. Sinkende Löhne sind also volkswirtschaftlich kein Mittel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern sind das Resultat wachsender Arbeitslosigkeit. Die USA werden wegen ihrer angeblich niedrigen Arbeitslosigkeit aufgrund niedriger Löhne gelobt. Dass die Löhne von 80% der LohnarbeiterInnen in den letzten Jahrzehnten gefallen sind, zeigt aber indirekt, dass in Wirklichkeit eine gewaltige Arbeitslosigkeit existieren muss, die nur nicht registriert wird. VI) Was können wir dem entgegensetzen? a) Um dem Fall der Löhne unter das Existenzminimum etwas entgegenzusetzen, brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn . Er sollte z.Zt. mindestens zehn Euro brutto betragen, wie im Baugewerbe. (vgl. Flugblatt des Rhein-Main-Bündnisses zum Mindestlohn unter www.rhein-main-buendnis.de ) Das wären bei 38,5 Stunden 1.670 Euro brutto und 1.100 Euro netto. Der Mindestlohn muss oberhalb der Pfändungsfreigrenze von 990 Euro liegen, d.h. oberhalb von 8,40 Euro. 990 Euro netto sind umgerechnet 1.400 Euro brutto, bzw. bei einer 38,5 Stundenwoche 8,40 Euro die Stunde. Zehn Euro brutto entsprechen auch der Forderung, die ver.di im Jahre 2000 aufgestellt hat (3.000 DM brutto), mit 8% Steigerung der Lebenshaltungskosten fortgeschrieben auf 2005. In diesem Lohn ist noch kein Cent für die Unterhaltungskosten auch nur eines einzigen Kindes drin. Die Arbeitskräfte können sich also bei einem solchen Lohn noch nicht einmal fortpflanzen, ohne in Armut zu geraten. Zehn Euro sind also äußerst bescheiden. Jeder, der seine Arbeitskraft als Ware verkaufen muss, hat ein massives Interesse daran, mit dem Verkaufserlös, also dem Lohn, wenigstens ein Mindestmaß an Bedürfnissen decken zu können. Man arbeitet nicht in erster Linie, um die Binnennachfrage zu stärken, sondern um besser leben zu können. Die Stärkung der Binnennachfrage wäre aber ein Nebenprodukt, wenn Lohnkämpfe energisch und erfolgreich geführt würden. Zehn Euro brutto als gesetzlicher Mindestlohn würde das Lohnniveau von Millionen Arbeitskräften deutlich anheben. Ein gesetzlicher Mindestlohn wirkt auch den Zielen der EU entgegen, die Profite des Kapitals mit Lohn- und Sozialdumping durch den Einsatz billiger Arbeitskräften aus Osteuropa zu fördern. b) Wenn das Kapital immer mehr Menschen nicht mehr braucht, soll es auch für ihre Unterhaltungskosten aufkommen. Wir brauchen also für alle Erwerbslosen ein ausreichendes Grundeinkommen . Es muss von denen finanziert werden, die die Arbeitslosigkeit erzeugen, also vom Kapital. Der Regelsatz von Alg II muss m.E. auf 500 Euro erhöht werden. Dafür gibt es gute Gründe. (vgl. die Thesen von Klartext e.v. www.klartext-info.de ) Eine deutliche Erhöhung des Regelsatzes würde dem Fall der Löhne nach unten entgegenwirken, auch wenn es noch keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Staatliche Lohnsubventionen über Alg II zu fördern, kann nicht unser Standpunkt sein. Wenn Lohnzuschüsse gezahlt werden, sollten entschieden ablehnen, dass sie aus Lohn- oder Mehrwertsteuern oder aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Wenn Lohnzuschüsse notwendig sind, dann sollen die Unternehmen sie sich gegenseitig zahlen. Mindestlohn statt Kombilohn, sollte unsere Losung sein. VII) Vorfahrt für Arbeit = Vorfahrt für Profit Lohn- und Sozialabbau laufen auf die Steigerung der Bruttoprofite hinaus, Gewinnsteuersenkungen auf die Steigerung der Nettoprofite. Alle Methoden, die Profite zu steigern, werden rührenderweise immer als Kampf für Arbeitsplätze, für die Arbeitslosen, als Förderung von Wachstum und Beschäftigung bezeichnet. Vorfahrt für Arbeit heißt aber, aus der Sprache des Nebels von Avalon übersetzt nur: Vorfahrt für Profit. "Nur Unternehmen, die ordentliche Gewinne verzeichnen, sind in der Lage zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen . ... Sozial ist hier, was Arbeit schafft. Alles andere ist nicht verantwortungsbewußt." (Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, FTD 4.4.2005) Sozial ist also nur das, was den Unternehmen ordentliche Gewinne beschert. Damit werden Entlassungen, Sozial- und Lohnabbau, alles was Profite erhöht, als sozial umdeklariert. Die Verlierer werden zu Gewinnern umettikettiert. (Letztlich ist dann auch die Kriminalität sozial, denn sie schafft Arbeit für Polizisten, Richter und Gefängniswärter, sowie BILD-Journalisten.) Was aber sind ordentliche Gewinne? Das Thema wird meist im Zusammenhang mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit aufgeworfen. Was bedeutet Wettbewerbsfähigkeit? "Unternehmen müssen sich so aufstellen, dass sie sich im internationalen Wettbewerb behaupten können. Das Umfeld spielt eine große Rolle. Kündigen Sparkassen an, dass sie ihre Eigenkapitalrendite auf 15% verbessern wollen, klingt das maßvoll im Verhältnis zur Deutschen Bank. Die kündigte Umstrukturierungen mit dem Ziel an, ihre Eigenkapitalrendite von 17 auf 25 Prozent zu steigern. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Deutsche Bank an ihrer internationalen Konkurrenz orientieren muss, wie etwa den Schweizer Banken UBS und Credit Suisse, der Citigroup, der Royal Bank of Scotland oder der HSBC. Dort sind Renditen von mehr als 20, ja sogar von über 30 Prozent vor Steuern üblich." (BDI-Präsident Thumann FTD 04.04.2005) Ordentliche Gewinne sind also Gewinne, die ordentliche Renditen ergeben. Letztlich entscheidend ist nicht die Höhe des Gewinns, sondern die Frage, wieviel Kapital für Sachanlagen und Personal aufgewandt werden muss, um diesen Gewinn zu erzielen. Prozente sind das Entscheidende. Die Rendite ist am höchsten , wenn mit möglichst wenig Personalkosten und möglichst wenig Investitionen möglichst viele Waren verkauft und dadurch möglichst hohe Gewinne erzielt werden. Wettbewerbsfähigkeit stärken, bedeutet also, die Rendite zu steigern und sonst gar nichts . Das gilt für alle Wirtschaftszweige, nicht nur für die Banken. Bezogen auf ein Land als Standort hängt der Grad der Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls von der Höhe der Rendite ab: "Die Rentabilität des eingesetzten Kapitals bestimmt ... maßgeblich ... die Standortqualität eines Landes." (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 10/2000, 31) Wie hoch muss die Rendite sein, damit Wettbewerbsfähigkeit besteht? Das ist unklar. Die Wettbewerbsfähigkeit ist auf jeden Fall immer dann nicht ausreichend, wenn die Renditen unterdurchschnittlich sind. Da aber niemand einen Überblick über die Renditen insgesamt hat, weil sie auf Privateigentümer entfallen, orientiert man sich zunächst an der Konkurrenz. Wenn Porsche 13% Rendite hat und Daimler nur 4%, gilt Daimler nicht als wettbewerbsfähig. Wenn aber Toyota noch höhere Renditen aufweist, Porsche ebenfalls nicht. Das Kapital will zumindest eine durchschnittliche Rendite erreichen. Unterdurchschnittlich bedeutet eigentlich schon "unrentabel". " Das führt immer wieder zu der schwierigen Lage, das Mitarbeiter auch bei ordentlicher Gewinnsituation von Unternehmen bei Umstrukturierungen entlassen werden ." (Thumann) Eben deswegen, weil die Rendite im Verhältnis zu Renditen von Konkurrenten zu niedrig ist. Allerdings ist der Horizont des Kapitals nicht auf den jeweiligen Wirtschaftszweig beschränkt. Das Kapital orientiert sich auch an der Rendite von Finanzanlagen. Diese schließt auch Kursgewinne ein, die mit Wertsteigerungen von Unternehmen, mit Spekulation usw. zu erzielen sind. Das Kapital zieht sich aus allen Bereichen zurück, in denen kurz- oder langfristig keine ausreichende Rendite zu erzielen ist. Das erklärt im Übrigen auch die starke Investitionszurückhaltung. Letztlich kann das Kapital aber mit keiner Rendite, keinem Grad der Wettbewerbsfähigkeit zufrieden sein. Es strebt nach einer möglichst überdurchschnittlichen Rendite, insbesondere wenn es nur Geldkapital ist. Wer die höchste Rendite weltweit hat, der hat seine Fähigkeit zum Wettbewerb am besten unter Beweis gestellt. Die Wettbewerbsfähigkeit wäre aber selbst dann zweifellos noch höher, wenn der Abstand der höchsten Rendite zur Konkurrenz noch größer wäre. Das Bedürfnis des Kapitals nach Profit ist unstillbar. Die Konkurrenz der Kapitalien untereinander erzwingt das. Denn Konzerne, die heute noch an der Spitze der Profitraten stehen, können morgen schon zurückgefallen sein. Peter Hartz, der Verflossene: "Wettbewerb heißt heute, auf einem Teppich laufen, der unter einem fortgezogen wird, um gleichzeitig bewegliche Ziele zu treffen. Das Gefühl der Sicherheit kennt nur noch derjenige, der schneller läuft, als der Boden entgleitet." (Hartz, Jobrevolution, Frankfurt 2001, 121) Die ruhelose Unersättlichkeit und chronische Unzufriedenheit des Kapitals liegt in seiner Natur. Das Bedürfnis des Kapitals nach Rendite, nach seiner Vermehrung ist so groß wie das Bedürfnis des Verdurstenden nach Wasser. Wenn LohnarbeiterInnen das Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren, unterwerfen sie sich dem Heißhunger des Kapitals nach Profit und verlieren jede Selbständigkeit, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Sie müssten sich dafür einsetzen, dass die Profitrate z.B. von 10% auf 15% steigt und zu diesem Zweck befürworten, dass sie bei geringerem Lohn mehr arbeiten. Sie wären von vornherein in der Defensive. Eine Arbeiter- bzw. Gewerkschaftsbewegung mit selbständigen Interessen ist auf dieser Basis nicht möglich. Nur Ohnmacht und Resignation bzw. das Sich-Fügen in Lohnsklaverei bliebe übrig, verbunden mit dem flehentlichen Appell an das Kapital, doch ein Einsehen zu haben. VIII) Wie haben sich die Renditen entwickelt? Neben dem Vergleich mit Konkurrenten gibt es noch einen anderen Maßstab. Wie hoch waren die Renditen früher und wie hoch sind sie jetzt? Leider gibt es darüber kaum Untersuchungen. Meistens wird in linken Kreisen nur auf die angeblich märchenhafte Steigerung von Profiten verwiesen. Fest steht, dass die Renditen des westdeutschen Produzierenden Gewerbes die Höhe der 60er und des Beginns der 70er Jahre bis Ende der 90er Jahre nicht wieder erreicht haben. Dann hören die Angaben auf. Mit der neuen Unternehmensbilanzstatistik der Bundesbank, die im Oktober 2005 veröffentlicht wurde, ist es wenigstens möglich, die Renditen der Jahre von 1997 bis 2003 neu zu berechnen. Danach war die Rendite des Verarbeitenden Gewerbes 2003 unter das Niveau aller vorhergehenden Jahre seit 1997 gefallen. Gegenüber 2000, dem Höhepunkt der Renditen in diesen Jahren, um weit über 20%. Auch der Verweis auf hohe Exportüberschüsse kann das Kapital dabei nicht beruhigen. Maßstab der Wettbewerbsfähigkeit ist nicht der Export, sondern die Rendite. Und die ist trotz steigender Exporte in der Krise seit 2001 gefallen. Die Agressivität der Angriffe des Kapitals erklärt sich daraus, dass die Kapitalverwertung schwieriger geworden ist. Deshalb verlangt es massive Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen, obwohl die Lohnquote fällt, der Lohnanteil am Umsatz sinkt, die Lohnstückkosten im Verhältnis zu ihren Steigerungen bei der Konkurrenz relativ gefallen sind und lt. Bundesbank ein "spürbarer Rückgang des Personalaufwands" zu verzeichnen war. (10/2005, 47) Deshalb tritt das Kapital für weitere massive Senkungen der Arbeitslosenunterstützung ein, obwohl die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, die Bezugsdauer des Alg I gekürzt und die Regelsätze relativ abgesenkt wurden. Deshalb verlangt es weitere massive Unternehmenssteuersenkungen, obwohl es schon massive Senkungen gab. Durch solche Reformen kann der Fall der Nettoprofitraten abgemildert werden. Es geht bei all diesen sogenannten Reformen um Rendite und sonst nichts. V) Deutschland vom Schlusslicht an die Spitze? Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ließ die ehemalige Hochsprungolympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth verbreiten: "Damit die Bürger hier zu Lande ihre Leistungsreserven mobilisieren können (obwohl man sie als Besitzstandswahrer beschimpft, R.R.) , benötigen sie allerdings eine Perspektive. Sie müssen davon überzeugt sein, dass sich Reformen letztlich lohnen, und zwar konkret, in Euro und Cent." (FTD 29.11.2005) Oder weniger parfümiert ausgedrückt. "Die Arbeit muss erst verlieren, damit sie gewinnen kann." (FAZ 22.02.2005) Woraus speist sich die Hoffnung, dass sich Lohnsenkungen, höhere Armut und längere Arbeitszeit am Ende in einem Aufschwung von Euro und Cent für alle ausdrücken? Es ist die Hoffnung, damit international an die Spitze zu kommen und die Konkurrenz auszustechen. "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, ... Deutschland zurück an die Weltspitze zu führen - ökonomisch, ökologisch und sozial." (Regierungserklärung FR 26.03.2004) Die USA von der Spitze verdrängen, ist das Ziel auch der Agenda 2010 und der Großen Koalition. Der Konkurrenzkampf zwischen den Konzernen und Ländern wird aber nicht damit gewonnen, dass die Unternehmen in Deutschland die Löhne möglichst stark erhöhen, möglichst viel Personal beschäftigen, sich für höhere Unternehmenssteuern einsetzen, mit denen die öffentliche Infrastruktur ausgebaut werden kann und die Arbeitszeit möglichst auf 30 Stunden verkürzen. Das Kapital führt den Konkurrenzkampf mit dem Personalabbau, mit Lohn- und Sozialabbau usw.. Aber: lockt nach all den Opfern und Mühen nicht der Sieg, wenn man den Gegner auf dem wirtschaftlichen Schlachtfeld niedergekämpft hat? Die eigene Stärke, d.h. die Verbesserung der Lage in Euro und Cent, setzt die Niederlage des Gegners voraus, die sich bei diesem ebenfalls in Euro und Cent bzw. in Dollar und Cent ausdrückt, aber eben in weniger. Tatsächlich gibt es im Konkurrenzkampf Gewinner. Wenn ein Unternehmen auf Grund günstigerer Produktionskosten Marktanteile gewinnt, weil es über den Preis seine Konkurrenten aus dem Feld schlagen kann, kann es seine Produktion bzw. seine Verkaufszahlen auf Kosten anderer stärken. Dadurch kann es in der Lage sein, die Zahl seiner Beschäftigten zu erhalten bzw. sogar noch zu erhöhen und dann sogar wieder höhere Löhne bzw. Prämien aus höheren Gewinnen zu zahlen. Wir erinnern uns an Götz Werner, der den Abbau von Arbeitsplätzen als ökonomisches Ziel des Kapitals beschrieben hatte. Der Journalist fragte erstaunt zurück. "Aber Herr Werner. Sie haben bei DM in den letzten Jahren doch selbst tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Während der Einzelhandel die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt verringert hat, haben einzelne Konzerne die Zahl ihrer Beschäftigten auf Kosten anderer erhöht. Das gilt auch international (Was Toyota gewinnt, verliert GM.) Und es gilt auch für die Konkurrenz unter kapitalistischen Ländern. Wenn Deutschland z.B. Exportweltmeister ist, bedeutet das für andere Länder negative Handelsbilanzen und Arbeitsplatzabbau. Zu sehen beim wichtigsten Exporteur, der Automobilindustrie. Wie Heiner Flaßbeck in der FR feststellte, bedeuten Exporte immer auch, dass der Druck größer wird, die entsprechende Produktion und die damit verbundenen Arbeitsplätze im Importland zurückzufahren. Es ist letztlich ein Verdrängungswettbewerb. Der Reallohn ist seit 1995 um 0,9% gefallen. In anderen europäischen Ländern ist er deutlich gestiegen. Eine Vertreterin der Dresdner Bank: "Die Firmen haben (durch die Lohnzurückhaltung) enorm an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Euro-Ländern gewonnen. Das erlaubt ihnen jetzt Marktanteile innerhalb der Währungsunion zu gewinnen." (FTD 19.08.2005) Da aber der Konkurrenzkampf vor allem mit der Steigerung der Produktivität, mit Innovationen usw. geführt wird, konnte von einer Sicherheit der Arbeitsplätze überhaupt keine Rede sein. Seit 1995 ist die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen. Es gibt Millionen Vollzeitarbeitsplätze weniger. Und die Tendenz zu Überkapazitäten hat sich verstärkt. Wenn Belegschaften die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu stärken, arbeiten sie letztlich daran, Kolleginnen und Kollegen anderer Betriebe national und international überflüssig und damit zu Verlierern zu machen. Und doch können sie erstmal nicht anders, wenn sie die Bedingungen des Verkaufs ihrer Arbeitskraft erhalten wollen. Ihr Schicksal hängt ja tatsächlich vom Stand der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens ab. Wenn der Gegner gewinnt, verlieren nämlich sie. Wenn wir von Interessen reden, müssen wir immer auch berücksichtigen, dass die LohnarbeiterInnen in einem gewissen Umfang auch Interesse an der Erhaltung des Kapitals haben, das sie durch ihre Arbeit vergrößern und verwerten. Als Warenverkäufer brauchen sie eben Käufer. Sie haben einerseits das Interesse, sich gegen das Kapital zu behaupten, weil sie ihre Ware Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen und für ihren Lohn möglichst wenig Arbeitskraft hergeben wollen. Andererseits aber haben sie das Interesse, das Kapital am Leben zu halten bzw. es zu stärken, um ihre Arbeitslosigkeit zu verhindern, die dann eintritt, wenn das Kapital die Lust verliert, sie zu beschäftigen. Deshalb sind sie bereit, wie alle Warenverkäufer, ihre Ware auch billiger zu verkaufen, um sie überhaupt verkaufen zu können. Die Frage ist also letztlich insgesamt gesehen, ob die LohnarbeiterInnen in Deutschland im internationalen Konkurrenzkampf mehr gewinnen können, als sie durch die höhere Produktivität, durch die Mobilisierung ihrer Leistungsreserven, d.h. der unbezahlten Arbeit in Deutschland gleichzeitig verlieren. Die Frage stellt sich auch den LohnarbeiterInnen im gelobten Großbritannien, in Frankreich und in den USA. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem erzeugt überall die Zwickmühle, dass sich LohnarbeiterInnen mit steigender Produktivität überflüssig machen, um ihre Existenz als Lohnarbeiter zu erhalten. Und gleichzeitig damit ihre Existenzunsicherheit vergrößern und eine Lohnspirale nach unten in Gang halten. Die steigende Produktivität unterminiert die Verkaufsbedigungen der Ware Arbeitskraft, der Lohnarbeit als ganzer und stellt sie letztlich in Frage. Sinn sagt: "So wie der Apfelpreis umso niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, damit alle Äpfel ihre Abnehmer finden, muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je mehr es von ihnen gibt, damit keine Arbeitslosigkeit entsteht." (Hans Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 177f.) Obst und Arbeitskraft stehen im Kapitalismus als Ware auf einer Stufe. Nur: der Arbeitskraft ist es nicht egal, ob sie leben kann, dem Obst schon. Äpfel wehren sich nicht dagegen, verschleudert zu werden, Menschen schon. Äpfel ist es egal, ob sie Ware sind oder nicht, Menschen aber nicht. Es ist klar, dass sich die Millionen arbeitender Menschen nicht damit abfinden können und werden, dass sich ihre Lage aufgrund der hier geltenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten durch ihre eigene, immer produktivere Arbeit weiter verschlechtern wird. Die Alternative Arbeitslosigkeit oder massiv sinkende Löhne kann auf Dauer die Millionen arbeitender Menschen nicht befriedigen. Und der Stolz, Deutscher und zu sein bzw. Deutschland zu verkörpern, wird sie letztlich auch nicht trösten können. Wenn die LohnarbeiterInnen ihre Selbstachtung nicht verlieren wollen, wenn sie ihre Lebenshaltungskosten decken, ihre Kinder ernähren und etwas von dem Reichtum abhaben wollen, den sie produziert haben, müssen sie Forderungen aufstellen und Kämpfe organisieren, die ihre Lage verbessern bzw. Verschlechterungen abmildern. Tun sie das nicht, haben sie sich selbst aufgegeben und ihre Würde und Selbstachtung verloren. Was tun? Die Lage muss völlig nüchtern und ohne Hemmungen analysiert werden. Es müssen Forderungen entwickelt werden, auf deren Grundlage ein Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen möglich ist, aber auch mit RentnerInnen, Schüler und Studierenden. Der Frankfurter Appell gegen Lohn- und Sozialabbau vom Januar 2004 stellt den Kern eines solchen Forderungsprogramms dar. Einen Teil davon habe ich vorgestellt. Die Forderungen müssen weiterentwickelt und vor allem: mehr propagiert werden. Können einfache und berechtigte Forderungen nicht durchgesetzt werden, zeigt das nicht, dass sie unrealistisch waren, sondern dass befriedigende Lebensverhältnisse trotz steigenden Reichtums und riesiger Produktivität unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich sind. Die Große Koalition ist momentan vorsichtig. Aber sie wird versuchen, gedrängt durch die Arbeitgeberverbände, eine weitere Offensive gegen die Lohnabhängigen zu starten. Dagegen muss ein Zeichen gesetzt werden. Die Versammlung sozialer Bewegungen hat am 19./20. November beschlossen, im Frühjahr bundesweit eine große oder drei regionale Demonstrationen gegen die Pläne der Großen Koalition zu organisieren. Hier können auch alle ihrer Unzufriedenheit Luft machen, die es bisher schon in zahllosen betrieblichen und gewerkschaftlichen Abwehrkämpfen getan haben. Nur wenn wir den Angriffen der Herrschenden etwas entgegensetzen und ihre Profitlogik zurückweisen können, dann kann, wie es in der Kampagne "Du bist Deutschland!" heißt,"jeder Einzelne von uns wieder positiver, zuversichtlicher und motivierter in die Zukunft blicken." Das ist nur möglich, wenn wir uns von der Zentnerlast befreien, an allem schuld zu sein, bloß weil wir ein bißchen vom Leben haben wollen. In der Kampagne "Du bist Deutschland" heißt es: "Genauso, wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann deine Tat wirken." So ist es. Literatur
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